Ölziehen für Einsteiger: Die praxiserprobte Anleitung für deine Mundgesundheit
Ich erinnere mich noch gut an einen alten Kollegen, einen Tischlermeister vom alten Schlag. Eines Morgens in der Werkstatt sah ich ihn, wie er mit einem Löffel Öl im Mund herumlief, total konzentriert. Ich konnte nicht anders und fragte ihn, was das für ein merkwürdiges Ritual sei. Er lachte nur und meinte: „Junge, das ist besser als jeder Zahnarztbesuch.“ Damals, ganz ehrlich, hab ich das nicht wirklich ernst genommen. Aber die Idee hat mich nicht losgelassen. Über die Jahre habe ich mich mehr damit beschäftigt und heute ist das Ölziehen ein fester Bestandteil meiner Morgenroutine geworden.
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Und nein, das hier ist kein neumodischer Detox-Trend. Ölziehen ist eine traditionelle Methode, die schon seit Ewigkeiten zur Pflege des Mundraums genutzt wird. Eine gesunde Mundflora ist eben die Basis für einen gesunden Körper. Viele Probleme fangen klein an, direkt bei uns im Mund. In diesem Beitrag zeige ich dir die Technik Schritt für Schritt, so wie ich sie gelernt und über die Jahre für mich perfektioniert habe – ohne große Versprechen, aber mit handfesten, praktischen Tipps.

Was passiert da eigentlich genau im Mund?
Manche reden von „Entgiftung“, aber das Wort ist mir zu ungenau. Was passiert also wirklich? Das Ganze hat nichts mit Magie zu tun, sondern ist eigentlich simple Chemie und Mechanik.
Stell dir vor, dein Mund ist ein Ökosystem voller Bakterien. Einige sind gut, andere, wie die Karies-verursachenden Biester, eher weniger. Diese schädlichen Bakterien haben eine Zellmembran, die aus Fetten (Lipiden) besteht. Und hier kommt das Öl ins Spiel. Fett zieht Fett an. Wenn du also das Öl sanft durch deine Zähne ziehst, heften sich diese Bakterien quasi an die Öltröpfchen. Sie werden aus ihrem Versteck im Zahnbelag und den Zahnfleischtaschen gelöst und im Öl gebunden.
Aber das ist noch nicht alles. Dein Speichel reagiert mit den Fettsäuren im Öl und es entsteht eine Art natürliche Seife. Dieser Prozess, auch Verseifung genannt, hat eine zusätzliche reinigende Wirkung. Nach 15 bis 20 Minuten ist das Öl gesättigt mit all dem Zeug, das du loswerden willst. Die anfangs klare, goldene Flüssigkeit wird zu einer dünnen, milchig-weißen Emulsion. Das ist das Zeichen, dass es funktioniert hat! Spuckst du das aus, entfernst du eine riesige Menge unerwünschter Keime. Das entlastet dein Immunsystem und hilft, das Gleichgewicht im Mund wiederherzustellen.

Die Meister-Anleitung: So machst du es richtig
Wie bei jedem guten Handwerk kommt es auch hier auf die Details an. Eine schlampige Ausführung bringt halt nicht viel. Hier ist die genaue Anleitung, die ich auch jedem Freund mit auf den Weg gebe.
Schritt 1: Die Vorbereitung am Morgen
Am besten ziehst du das Öl direkt morgens nach dem Aufstehen, auf nüchternen Magen. Nicht mal Wasser solltest du vorher trinken. Warum? Über Nacht sammelt sich auf deiner Zunge ein Belag aus Bakterien und Stoffwechselprodukten. Den wollen wir rausbefördern, nicht runterschlucken.
Bevor das Öl kommt, reinigst du deine Zunge. Dafür ist ein Zungenschaber aus Kupfer oder Edelstahl ideal. Kupfer hat von Natur aus antibakterielle Eigenschaften und so ein Schaber kostet nur zwischen 5 und 15 Euro – eine Anschaffung, die ewig hält. Du findest sie im Reformhaus, Bioladen oder auch in gut sortierten Drogerien wie dm oder Alnatura. Setz den Schaber weit hinten an und zieh ihn 5-7 Mal mit sanftem Druck nach vorne. Du wirst staunen, was da runterkommt! Nach jedem Zug kurz unter Wasser abspülen. Erst dann bist du bereit fürs Öl.

Schritt 2: Das eigentliche Ölziehen
Nimm einen Esslöffel (ca. 10-15 ml) eines hochwertigen, kaltgepressten Öls in den Mund. Kleiner Tipp für Anfänger: Fang ruhig mit einem Teelöffel an, um dich an das Gefühl zu gewöhnen. Mehr ist hier definitiv nicht besser.
Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Bewege das Öl sanft im Mund. Es ist kein aggressives Spülen wie bei Mundwasser, sondern ein langsames Ziehen, Saugen und Pressen durch die Zahnzwischenräume. Atme dabei ruhig durch die Nase und halte deine Kiefermuskeln entspannt. Wenn es anfängt zu zwicken, machst du es zu kraftvoll. Ich nutze die Zeit, um meinen Kaffee vorzubereiten oder unter die Dusche zu springen. So vergehen die 15 bis 20 Minuten wie im Flug.
Ach ja, und keine Panik, wenn du am Anfang nur 5 Minuten schaffst oder einen leichten Würgereiz verspürst. Das ist völlig normal! Spuck es dann einfach aus und versuch es am nächsten Tag erneut. Steigere dich langsam, so wie es sich für dich gut anfühlt.

Schritt 3: Richtig entsorgen und nachbereiten
Achtung, das hier ist ein entscheidender Punkt, den viele falsch machen! Spuck das Öl nach der Anwendung auf keinen Fall ins Waschbecken oder die Toilette. Besonders Kokosöl wird bei kühleren Temperaturen wieder fest und kann deine Rohre über Monate hinweg verstopfen. Ein Bekannter von mir musste deswegen den Klempner rufen – eine teure Lektion. Spuck das Öl am besten in ein Stück Küchenpapier oder direkt in den Restmüll. Aus meiner Erfahrung: Ich hab dafür immer einen kleinen Kosmetikeimer mit Deckel im Bad stehen. Da kommt das Papier rein und nichts müffelt.
Danach spülst du den Mund gründlich mit lauwarmem Wasser aus. Eine Prise Salz im Wasser kann die reinigende Wirkung noch unterstützen. Und erst dann putzt du deine Zähne wie gewohnt. So bist du sicher, dass alle Ölreste und gelösten Beläge entfernt sind.
Materialkunde: Welches Öl passt zu dir?
Die Qualität des Öls ist das A und O. Verwende bitte ausschließlich native, kaltgepresste Öle in Bio-Qualität. Raffinierte Speiseöle aus dem Supermarktregal sind ungeeignet, denen fehlen die wichtigen Pflanzenstoffe. Jedes Öl hat dabei seine ganz eigenen Stärken.

- Sesamöl: Der Klassiker aus der ayurvedischen Lehre. Es hat einen kräftigen, nussigen Geschmack. Wichtig ist hier, ungeröstetes Öl zu nehmen, denn das geröstete aus der Asia-Küche ist zu intensiv.
- Kokosöl: Mein persönlicher Favorit für Einsteiger. Es hat einen hohen Anteil an Laurinsäure, die stark gegen Bakterien, Viren und Pilze wirkt. Der milde, leicht süßliche Geschmack ist morgens sehr angenehm. Ein gutes Bio-Kokosöl (500 ml) bekommst du schon für 4 bis 10 Euro in fast jeder Drogerie.
- Sonnenblumenöl: Eine gute, preiswerte und geschmacksneutrale Alternative, die in Europa schon früh für diese Methode bekannt wurde. Auch hier gilt natürlich: nur kaltgepresst und in Bio-Qualität.
- Olivenöl: Ein hochwertiges, natives Olivenöl extra hat starke entzündungshemmende Eigenschaften. Sein Geschmack ist aber oft sehr intensiv und pfeffrig, was nicht jeder am Morgen mag.
Mein Rat? Starte mit Kokosöl. Aber wechsle ruhig ab und zu mal die Sorte. So profitiert dein Körper von den unterschiedlichen Inhaltsstoffen. Es ist wie beim Werkzeug: Manchmal ist der Hammer besser, manchmal der Schraubendreher.

Was du erwarten kannst – und was nicht
Ich hab schon viele Leute gesehen, die nach ein paar Tagen wieder aufgehört haben. Meistens lag es an falschen Erwartungen oder kleinen Anwendungsfehlern. Darum lass uns da mal ehrlich sein.
Die häufigsten Fehler zum Vermeiden:
- Zu starkes Spülen: Führt nur zu Kieferschmerzen. Sanftes Ziehen reicht völlig aus.
- Zu viel Öl nehmen: Ein voller Mund kann einen Würgereiz auslösen. Ein Esslöffel (oder anfangs weniger) ist perfekt.
- Das Öl runterschlucken: Das Öl ist am Ende voller Bakterien. Das zu schlucken, wäre kontraproduktiv. Wenn du das Gefühl hast, schlucken zu müssen, spuck es lieber aus.
- Zu schnell aufgeben: Gib der Methode mindestens drei bis vier Wochen Zeit, um zur Routine zu werden und erste echte Veränderungen zu spüren.
Was können Sie realistisch erwarten?
Ölziehen ist kein Wundermittel, das eine professionelle Zahnreinigung ersetzt. Aber es ist eine fantastische Ergänzung zur täglichen Hygiene. Gut zu wissen für die Ungeduldigen: Der schnellste Effekt, den du merken wirst, ist frischerer Atem. Oft schon nach den ersten paar Malen! Das motiviert ungemein, dranzubleiben.

Bei regelmäßiger Anwendung kannst du dich außerdem auf ein saubereres Mundgefühl freuen (die Zähne fühlen sich glatter an), gesünderes Zahnfleisch, das weniger blutet, und vielleicht sogar eine leichte optische Aufhellung der Zähne, weil oberflächliche Verfärbungen von Kaffee oder Tee entfernt werden.
Ein letztes Wort zur Sicherheit
Obwohl Ölziehen sehr sicher ist, gibt es ein paar Dinge zu beachten. Ich bin Handwerker, kein Arzt. Meine Tipps basieren auf Erfahrung, ersetzen aber keine professionelle medizinische Beratung.
Wenn du viele alte Amalgamfüllungen hast und unsicher bist, sprich vorher mit einem ganzheitlich arbeitenden Zahnarzt. (Kleiner Suchtipp: Google mal nach „GZM Zahnarzt“ oder „Umweltzahnmedizin“ in deiner Stadt, um einen passenden Experten zu finden.) Bei Kronen oder Implantaten ist es in der Regel unproblematisch.
Ganz wichtig: Bei akuten Zahnschmerzen oder starken Entzündungen gehst du bitte sofort zum Fachmann. Ölziehen ist Vorbeugung und Pflege, keine Notfallbehandlung.
Deine Mundgesundheit ist ein Handwerk, das tägliche Sorgfalt braucht. Zähneputzen und Zahnseide sind die Basis. Das Ölziehen ist wie das finale Polieren eines Werkstücks – es gibt den letzten Schliff. Probier’s doch einfach mal aus! Wie wär’s mit einer kleinen Challenge? Mach es eine Woche lang jeden Morgen und beobachte, was sich verändert. Vielleicht wird es auch für dich zu einem festen Ritual.

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Kokosöl: Sehr beliebt wegen des milden Geschmacks und der antibakteriellen Laurinsäure. Ideal für alle, die neu mit dem Ölziehen beginnen. Produkte von Dr. Goerg oder Ölmühle Solling sind hier eine gute Wahl.
Sesamöl: Der Klassiker in der Ayurveda-Lehre. Es hat einen kräftigeren, nussigen Geschmack und gilt als besonders nährend. Ein hochwertiges, natives Sesamöl von Marken wie Alnatura ist hierfür perfekt.
Die Wahl ist letztlich eine Frage des persönlichen Geschmacks – probiere einfach aus, was sich für dich am besten anfühlt.

Eine Studie im „Journal of Contemporary Dental Practice“ zeigte, dass Ölziehen die Anzahl von Streptococcus mutans – dem Hauptverursacher von Karies – im Speichel nach nur einer Woche signifikant reduzieren kann.
Das bedeutet, dass diese einfache Praxis direkt an der Wurzel eines der häufigsten Zahnprobleme ansetzt. Es geht nicht um Magie, sondern um eine nachweisbare Reduktion schädlicher Keime durch einen simplen, physikalischen Prozess.

Ersetzt das Ölziehen das tägliche Zähneputzen?
Ein ganz klares Nein. Ölziehen ist eine fantastische Ergänzung, aber kein Ersatz für die mechanische Reinigung mit Zahnbürste und Zahnseide. Das Öl bindet zwar Bakterien, entfernt aber keinen festsitzenden Plaque oder gar Zahnstein. Die beste Reihenfolge für deine Morgenroutine: Aufstehen, Zunge schaben, Öl ziehen, ausspucken und erst danach wie gewohnt die Zähne putzen.

- Nicht schlucken: Das Öl ist am Ende voller Bakterien und Toxine. Es gehört in den Restmüll (nicht in den Abfluss, wegen Verstopfungsgefahr!) und auf keinen Fall in den Magen.
- Nicht gurgeln: Es geht um sanftes Ziehen und Spülen im vorderen Mundbereich, nicht um ein aggressives Gurgeln im Rachen.
- Nicht zu viel: Ein Teelöffel bis maximal ein Esslöffel genügt vollkommen. Mehr Öl erschwert das Spülen nur unnötig.

Der ideale Zeitpunkt für das Ölziehen ist direkt nach dem Aufwachen, noch bevor du etwas getrunken hast.
- Dein Mund ist morgens voller Bakterien, die sich über Nacht angesammelt haben.
- Auf leeren Magen ist die Gefahr geringer, einen Würgereiz zu bekommen.
Profitipp: Halte eine Flasche Öl direkt am Bett bereit, damit es zur selbstverständlichen Gewohnheit wird.

Der perfekte Partner: Der Zungenschaber. Bevor du mit dem Ölzieh-Ritual beginnst, reinige deine Zunge. Über Nacht sammelt sich dort ein weißlicher Belag aus Bakterien und Stoffwechselprodukten. Ein Schaber aus Kupfer oder Edelstahl, wie sie beispielsweise von den Marken Forrest & Love oder Le Cachemire angeboten werden, entfernt diesen Belag effektiv und bereitet den Mund optimal auf die reinigende Wirkung des Öls vor.

Die Vorstellung, pures Öl im Mund zu haben, ist für viele anfangs befremdlich. Doch die Textur verändert sich schnell und wird wässriger, je länger du spülst. Gib dir ein paar Tage Zeit zur Eingewöhnung. Für einen frischeren Start kannst du einen einzigen Tropfen hochwertiges, reines Pfefferminzöl in Bio-Qualität zum Basisöl hinzufügen.

In der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda ist die Praxis als „Gandusha“ oder „Kavala“ seit Jahrtausenden bekannt.
Dabei geht es um mehr als nur um saubere Zähne. Ayurveda betrachtet den Mund als das „Tor zum Körper“. Eine gesunde Mundflora gilt als Basis für eine gute Verdauung und ein starkes Immunsystem. Das morgendliche Ritual dient also nicht nur der Hygiene, sondern der ganzheitlichen Balance von Körper und Geist.

Warum wird das klare Öl am Ende milchig-weiß?
Das ist das sichtbare Zeichen des Erfolgs! Dieser Farbwechsel ist das Ergebnis der Emulgierung. Dein Speichel und das Öl vermischen sich durch die ständige Bewegung zu einer Emulsion – ganz ähnlich wie bei der Herstellung von Mayonnaise. Die weiße Farbe zeigt, dass das Öl mit Bakterien, Zellresten und Speichel gesättigt ist und seine Arbeit getan hat.

- Spürbar glattere Zähne den ganzen Tag über.
- Weniger Mundgeruch, besonders am Morgen.
- Ein Gefühl von entspannter Kiefermuskulatur.
Das Geheimnis? Es ist die sanfte, aber ausdauernde Bewegung. Wie ein kleines Workout für den Mundraum, das die Durchblutung im Zahnfleisch anregt und Verspannungen im Kiefer löst, während es gleichzeitig reinigt.

15 Minuten können sich lang anfühlen. Multitasking ist hier absolut erwünscht! Während das Öl im Mund zirkuliert, kannst du wunderbar:
- Deine Kaffeemaschine vorbereiten oder Tee aufsetzen.
- Unter die Dusche springen.
- Deine Kleidung für den Tag zusammenlegen oder die Spülmaschine ausräumen.
- Ein paar simple Dehnübungen machen, um den Körper zu wecken.

Wichtiger Punkt: Nicht jedes Öl ist gleich. Achte unbedingt auf die Bezeichnung „kaltgepresst“, „nativ“ oder „virgin“. Das bedeutet, das Öl wurde ohne große Hitzeeinwirkung schonend gewonnen, wodurch alle wertvollen Inhaltsstoffe und Fettsäuren erhalten bleiben. Raffinierte Speiseöle aus der Plastikflasche sind für das Ölziehen ungeeignet, da ihnen die entscheidenden bioaktiven Substanzen fehlen.

Alkoholbasierte Mundspülung: Wirkt oft wie eine chemische Keule. Sie desinfiziert und tötet Bakterien ab – leider auch die guten, die für eine gesunde Mundflora wichtig sind. Das kann das empfindliche Gleichgewicht stören.
Ölziehen: Arbeitet selektiver und sanfter. Es „fängt“ die schädlichen Bakterien durch ihre fettlösliche Zellmembran ein, ohne die nützlichen Stämme komplett auszulöschen. Es reinigt, ohne zu zerstören.
Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. weist darauf hin, dass eine unbehandelte Parodontitis das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes erhöhen kann.
Das unterstreicht, wie wichtig eine gesunde Mundhöhle für den gesamten Körper ist. Praktiken wie das Ölziehen sind ein einfacher, täglicher Baustein, um Entzündungen im Mundraum zu reduzieren und damit einen kleinen Beitrag zur allgemeinen Gesundheit zu leisten.




