Eine ehrliche Einleitung: Was Essen leisten kann – und wo die Grenzen sind
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft verzweifelte Eltern bei mir in der Beratung saßen. Die Geschichten ähneln sich oft: Die Kinder sind eigentlich pfiffig, kreativ und voller Leben, aber im Alltag machen ihnen innere Unruhe und Konzentrationsprobleme einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Die Diagnose ADHS ist entweder schon da oder steht im Raum. Und fast immer kommt dieselbe Frage: „Gibt es irgendwas, das wir bei der Ernährung tun können?“
Meine Antwort darauf ist immer ein klares: Ja, aber mit Realismus und Köpfchen.
Lassen Sie uns eines direkt am Anfang klarstellen: Ernährung ist kein Heilmittel für ADHS. Sie ersetzt keine ärztliche Diagnose, keine Therapie und schon gar keine Medikamente, falls diese wirklich nötig sind. Wer Ihnen so etwas verspricht, ist, ehrlich gesagt, nicht seriös. Ich sehe meine Rolle darin, Ihnen zu zeigen, wie eine kluge Ernährung zu einer unglaublich wichtigen Stütze werden kann. Sie ist wie ein stabiles Fundament, auf dem andere Therapien viel besser wirken können. In diesem Artikel packe ich meine Praxiserfahrung aus und zeige Ihnen, welche Nährstoffe wirklich einen Unterschied machen und wie Sie das Ganze ohne Stress im Alltag umsetzen.
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Ein Blick in die Kommandozentrale: Warum Nährstoffe fürs Gehirn so wichtig sind
Stellen Sie sich das Gehirn einfach wie eine riesige, hochkomplexe Werkstatt vor. Darin wuseln unzählige Arbeiter herum, die sogenannten Neurotransmitter. Dopamin und Noradrenalin sind zwei der wichtigsten Kollegen in diesem Team – sie kümmern sich um Aufmerksamkeit, Motivation und Impulskontrolle. Bei Menschen mit ADHS scheint es in dieser Werkstatt ein kleines Kommunikationsproblem zu geben; das Gleichgewicht dieser Botenstoffe ist irgendwie durcheinander.
Medikamente greifen oft genau hier ein und sorgen dafür, dass mehr von den wichtigen Botenstoffen zur Verfügung steht. Das kann Ernährung so direkt nicht leisten. Aber, und das ist der entscheidende Punkt, sie liefert die Bausteine und die Energie, damit die Werkstatt überhaupt erst laufen kann. Ohne das richtige Material kann der beste Handwerker nichts ausrichten. Und genau hier setzen wir an.
Baustein 1: Omega-3-Fettsäuren – Das Schmieröl fürs Gehirn-Getriebe
Wenn es einen Nährstoff gibt, der im Zusammenhang mit ADHS immer wieder auftaucht, dann sind es die Omega-3-Fettsäuren. Das ist kein Zufall, denn unser Gehirn besteht zu einem großen Teil aus Fett. Besonders die Hüllen unserer Nervenbahnen brauchen diese Fette, um Signale schnell und sauber weiterzuleiten. Man kann es sich wie die Isolierung eines Stromkabels vorstellen: Ist die brüchig, gibt’s Wackelkontakte.
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Worauf es wirklich ankommt: EPA und DHA
Es reicht nicht, einfach nur „Fischöl“ zu sagen. Wichtig sind die beiden Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure). DHA ist ein direkter Baustein der Gehirnzellen, während EPA eher entzündungshemmend wirkt und für die Funktion der Botenstoffe wichtig ist. Aus meiner Erfahrung heraus wirkt eine Kombination aus beiden bei Schulkindern und Erwachsenen am besten.
Wo stecken die Helfer drin?
Die beste Quelle sind fette Kaltwasserfische wie Lachs, Makrele, Hering oder Sardinen. Aber jetzt mal ehrlich: Viele Kinder verziehen schon beim Geruch das Gesicht. Zweimal die Woche Fisch auf den Tisch zu bringen, ist für viele Familien eine echte Herausforderung.
Kleiner Tipp für Fisch-Muffel: Versuchen Sie mal, Fisch in Frikadellen oder Buletten zu „verstecken“ oder eine kleine Menge Sardinen in einer Tomatensauce mitzupürieren. Manchmal klappt das erstaunlich gut.
Wenn Fisch einfach nicht geht: die Alternative
Hochwertige Fischöl- oder Algenölpräparate (die vegane Option) sind eine super Alternative. Achten Sie beim Kauf aber auf ein paar Dinge:
Reinheit: Das Öl muss von Schwermetallen gereinigt sein. Seriöse Hersteller weisen das aus, oft mit Siegeln wie „IFOS“ (International Fish Oil Standards). Das gibt Sicherheit.
Dosierung: Sprechen Sie die genaue Menge immer mit Ihrem Arzt ab. Als grobe Hausnummer: Studien, die positive Effekte zeigten, arbeiteten oft mit kombinierten Dosen von 500 mg bis über 1000 mg EPA/DHA pro Tag. Das ist deutlich mehr, als in den günstigen Kapseln aus dem Drogeriemarkt steckt. Rechnen Sie hier mit Kosten von ca. 25-40€ für eine Flasche, die einen Monat oder länger hält.
Frische: Gutes Öl riecht neutral oder leicht nach Meer, aber niemals penetrant fischig. Wenn es ranzig riecht, ist es oxidiert und gehört in den Müll. Am besten im Kühlschrank lagern!
Übrigens lässt sich flüssiges Öl mit Zitronen- oder Orangengeschmack super in einem Smoothie, Joghurt oder Quark verstecken. Merkt fast keiner!
Baustein 2: Magnesium – Der Ruhepol fürs Nervensystem
Viele meiner Klienten mit ADHS-Symptomen sind innerlich ständig „unter Strom“. Sie sind schreckhaft, zappelig und kommen abends nur schwer zur Ruhe. Oft zeigt sich bei genauerem Hinsehen ein Magnesiummangel. Magnesium ist sozusagen der Entspannungs-Manager im Körper.
Warum fehlt es so oft? Ganz einfach: Stress ist ein riesiger Magnesium-Fresser. Und ein Alltag mit ADHS ist nun mal stressig. Gleichzeitig enthalten stark verarbeitete Lebensmittel wie Weißbrot und Süßigkeiten kaum noch etwas davon. Es ist also eine Zwickmühle aus erhöhtem Verbrauch und geringer Zufuhr.
Wo du Magnesium findest
Die gute Nachricht: Magnesium steckt in vielen leckeren Dingen. Eine einfache Regel: Wo es grün ist, ist oft Magnesium drin!
Grünes Gemüse: Spinat, Mangold, Grünkohl
Vollkornprodukte: Haferflocken, Vollkornbrot
Nüsse & Kerne: Kürbiskerne sind die absoluten Spitzenreiter, aber auch Mandeln und Cashews sind super.
Hülsenfrüchte: Linsen, Bohnen, Kichererbsen
… und ja, auch in Bananen und dunkler Schokolade (ab 70% Kakao)!
Wenn Lebensmittel nicht ausreichen, kann eine Ergänzung sinnvoll sein. Aber bitte nicht die billigen Brausetabletten aus dem Discounter! Das darin enthaltene Magnesiumoxid wird kaum aufgenommen. Besser sind organische Verbindungen. Magnesiumcitrat ist ein guter Allrounder, kann aber bei manchen den Darm etwas anregen. Mein persönlicher Favorit für abends ist Magnesiumglycinat. Es ist super verträglich und die Aminosäure Glycin wirkt zusätzlich beruhigend. Als Startdosis sind oft 200-300 mg am Abend ein guter Versuchswert.
Achtung: Menschen mit Nierenproblemen müssen die Einnahme unbedingt mit einem Arzt abklären!
Das Support-Team: B-Vitamine, Zink & Eisen
Die B-Vitamine sind die Zündkerzen im Gehirn-Motor. Ohne sie können die Bausteine aus der Nahrung gar nicht in Dopamin und Co. umgewandelt werden. Besonders wichtig sind B6 und B12. Ein ausgewogener Vitamin-B-Komplex ist meist sinnvoller als die Einnahme einzelner Vitamine.
Und dann sind da noch Zink und Eisen. Beide sind ebenfalls entscheidend an der Dopamin-Produktion beteiligt. Ein Eisenmangel kann Symptome wie Müdigkeit und Konzentrationsschwäche verursachen, die ADHS zum Verwechseln ähnlich sehen. Das sollte, besonders bei Mädchen und wählerischen Essern, immer per Bluttest vom Arzt überprüft werden. Bitte Eisen niemals auf gut Glück einnehmen – ein Zuviel ist schädlich!
Auch ein Zinkmangel wird mit Hyperaktivität in Verbindung gebracht. Kürbiskerne, Haferflocken und Linsen sind hier tolle und günstige Quellen.
Stoppt die Blutzucker-Achterbahn: Ein oft unterschätzter Faktor
Stellen Sie sich vor, Ihr Gehirn muss sich konzentrieren, während alle fünf Minuten jemand am Ärmel zupft. So ähnlich fühlt es sich an, wenn der Blutzuckerspiegel ständig verrücktspielt. Zucker, Weißbrot oder gesüßte Cornflakes jagen den Blutzucker in die Höhe, worauf der Körper mit einer großen Insulinausschüttung reagiert. Das Ergebnis: ein schneller Absturz in den Unterzucker. Und dann? Das Kind wird hibbelig, unkonzentriert, gereizt und hat Heißhunger auf den nächsten Zuckerkick. Ein echter Teufelskreis.
Ein ganz normaler Morgen: Vorher vs. Nachher
Vorher: Ein Frühstück aus Cornflakes mit Kakao. Um 8:30 Uhr gibt es einen kurzen Energie-Peak, um 9:15 Uhr in der Schule folgt der tiefe Fall. Die Konzentration ist weg, das Zappeln beginnt.
Nachher: Eine Schüssel Haferflocken (langsame Kohlenhydrate) mit Naturjoghurt (Eiweiß), einer Handvoll Beeren und ein paar Nüssen (gesunde Fette). Das liefert stabile Energie bis zur großen Pause. Dieser kleine Tausch kann im Schulalltag einen Riesenunterschied machen – das bestätigen mir Eltern immer wieder.
Was man besser meiden sollte: Ein paar ehrliche Worte
Neben dem Zucker gibt es noch ein paar andere „Verdächtige“. Die wissenschaftliche Lage ist nicht immer 100% eindeutig, aber viele Eltern berichten von positiven Veränderungen, wenn sie auf folgendes achten:
Künstliche Farbstoffe & Zusatzstoffe: Besonders die bunten Farbstoffe in Süßigkeiten, Getränken und Fertigprodukten stehen immer wieder in der Kritik, Hyperaktivität zu fördern. Es kann sich lohnen, hier einfach mal für ein paar Wochen auf natürlichere Alternativen umzusteigen und zu beobachten, was passiert.
Gluten & Milch: Achtung, das ist KEIN allgemeiner Ratschlag! Aber bei einem kleinen Teil der Kinder können Unverträglichkeiten oder Sensitivitäten auf Gluten oder Milcheiweiß die Symptome verstärken. Wenn zusätzlich Verdauungsprobleme oder Hautausschläge bestehen, kann ein testweiser Verzicht (unbedingt in Absprache mit einem Experten!) sinnvoll sein.
So könnte ein guter Tag aussehen (nur als Beispiel!)
Um das Ganze greifbarer zu machen, hier ein kleiner Fahrplan:
Frühstück: Das Power-Müsli aus Haferflocken, Nüssen und Joghurt. Oder ein Rührei mit Vollkorntoast.
Pausensnack: Apfelschnitze mit einer Handvoll Mandeln.
Mittagessen: Vollkornnudeln mit einer Linsen-Bolognese (in die man super geraspelte Karotten oder Zucchini schmuggeln kann).
Nachmittagssnack: Ein Smoothie aus Banane, einer Handvoll Spinat (schmeckt man nicht, versprochen!) und etwas Quark.
Abendessen: Ein Stück Lachs oder Hähnchen mit viel buntem Ofengemüse und einer Süßkartoffel.
Das Wichtigste zum Schluss: Seid nett zu euch selbst!
Dieser Teil liegt mir besonders am Herzen. Experimentieren Sie bitte niemals auf eigene Faust herum, wenn ein ADHS-Verdacht besteht. Eine saubere ärztliche Diagnose ist immer der allererste Schritt!
Und ganz wichtig: Vermeiden Sie Schuldgefühle. Ich kenne den Druck, wenn das Kind kein Gemüse anrührt oder man einfach nicht die Zeit zum Kochen hatte. Es geht nicht um Perfektion. Es geht um kleine, beständige Schritte. Ich erinnere mich an einen 9-jährigen Jungen, dessen Mutter völlig am Ende war. Wir haben für den Anfang nur eine einzige Sache geändert: das zuckrige Frühstück gegen Haferflocken getauscht. Nach drei Wochen rief sie mich an und meinte, die Vormittage in der Schule seien wie ausgewechselt. Das zeigt, welche Kraft schon in kleinen Änderungen steckt.
Geben Sie der Ernährungsumstellung Zeit. Das ist kein Lichtschalter. Rechnen Sie mit mindestens 4 bis 6 Wochen, bis Sie stabile Veränderungen bemerken können. Es ist ein Marathon, kein Sprint.
Ihr erster, winziger Schritt für morgen könnte sein: Tauschen Sie EIN süßes Getränk am Tag gegen Wasser aus und geben Sie Ihrem Kind eine Handvoll Kürbiskerne als Snack. Beobachten Sie einfach, was passiert. Es ist ein Weg, der Geduld erfordert, aber einer, der sich verdammt noch mal lohnt.
Verursacht Zucker wirklich die Zappeligkeit bei ADHS?
Nein, Zucker ist nicht die Ursache von ADHS. Das ist ein Mythos. Aber: Er kann bestehende Symptome deutlich verstärken. Ein zuckerreiches Frühstück lässt den Blutzuckerspiegel erst in die Höhe schießen und dann rapide abfallen. Das Resultat ist oft ein Konzentrationstief und gesteigerte Impulsivität am Vormittag – genau dann, wenn in der Schule Fokus gefragt ist. Es geht also weniger um ein striktes Verbot als um ein cleveres Management von Süßem.
Der Frühstücks-Faktor: Vergessen Sie zuckerhaltige Cerealien. Ein proteinreiches Frühstück ist der beste Start für ein ADHS-Gehirn. Rührei, griechischer Joghurt oder ein Vollkornbrot mit Quark liefern die Aminosäure Tyrosin – eine direkte Vorstufe des Konzentrations-Botenstoffs Dopamin. Das sorgt für einen stabileren Blutzuckerspiegel und mehr Fokus bis zur Mittagspause.
Manchmal ist nicht nur das Was, sondern auch das Wie entscheidend. Ein Kind mit ADHS nimmt Reize oft ungefiltert wahr. Mahlzeiten vor dem laufenden Fernseher oder mit dem Tablet in der Hand führen zu einer Reizüberflutung, die das Essen zur Nebensache macht. Schaffen Sie eine Ruhe-Insel: gedämpfte Geräusche, keine Bildschirme und ein gemeinsamer Fokus auf das Essen. Diese Struktur kann oft mehr bewirken als der Tausch einer einzelnen Zutat.
Flüssiges Omega-3-Öl: Marken wie Norsan bieten hochwertige, gereinigte Öle (oft mit Zitronen- oder Orangengeschmack), die sich super in Joghurt oder Smoothies mischen lassen. Achten Sie auf Gütesiegel wie „Friend of the Sea“.
Omega-3 aus Algenöl: Eine super Alternative für vegetarische oder vegane Familien, die den Fischgeschmack komplett meiden wollen.
Gerade bei Kindern ist die flüssige, gut versteckbare Variante im Alltag oft die unkompliziertere Wahl.
„Bestimmte künstliche Lebensmittelfarbstoffe und Konservierungsmittel stehen im Verdacht, Hyperaktivität bei Kindern zu verstärken. Ein bewusster Verzicht auf hochverarbeitete Produkte ist daher oft ein erster, wirksamer Schritt.“ – basierend auf Erkenntnissen der Southampton-Studie zu Lebensmittelzusatzstoffen.
Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.