Wegwartenkaffee selber machen: Eine ehrliche Anleitung für den besten Zichorienkaffee
Kennst du das? Du gehst mit dem Hund Gassi oder bist einfach draußen unterwegs und siehst sie überall am Wegesrand: die Gemeine Wegwarte mit ihren knallblauen Blüten. Die meisten Leute laufen achtlos dran vorbei und denken sich: Unkraut. Für mich ist diese Pflanze aber eine alte Bekannte, ein echtes Charakterstück aus der Natur. Schon als Kind wurde mir gezeigt, wie man aus ihrer unscheinbaren Wurzel einen kräftigen, erdigen Kaffee-Ersatz zaubert. Damals war das oft aus der Not geboren, heute ist es wieder total im Trend. Aber für mich ist es einfach solides Handwerk. Eine Verbindung zur Natur, die man tatsächlich schmecken kann.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Erst mal sicher sein: Die Wegwarte zweifelsfrei erkennen
- 2 Ab unter die Erde: Wurzelernte zur richtigen Zeit
- 3 Vom Dreck zum Duft: Die Verarbeitung Schritt für Schritt
- 4 Aus Fehlern lernt man: Typische Anfängerprobleme
- 5 Was steckt da eigentlich drin?
- 6 Mehr als nur die Wurzel: Blätter und Blüten nicht vergessen!
- 7 Lagerung & ein letztes Wort der Verantwortung
- 8 Bildergalerie
Das Ganze ist ein bisschen wie bei einer guten Arbeit in der Werkstatt. Es geht um Geduld, das richtige Timing und ein Gefühl für das Material. Man muss eben wissen, wann man erntet, wie man die Wurzel behandelt und worauf es beim Rösten ankommt. Aber keine Sorge, das ist kein Hexenwerk. Ich zeig dir hier Schritt für Schritt, wie es geht – ohne Schnickschnack, einfach so, wie es zuverlässig klappt.

Erst mal sicher sein: Die Wegwarte zweifelsfrei erkennen
Bevor wir auch nur einen Spaten in die Hand nehmen, gilt eine eiserne Regel: Verarbeite nur Pflanzen, die du zu 100 Prozent sicher identifiziert hast. Im Zweifel lässt du sie einfach stehen. Das ist die wichtigste Lektion überhaupt, wenn man mit Schätzen aus der Natur arbeitet. Nachlässigkeit kann hier böse enden.
Zum Glück ist die Wegwarte aber ziemlich einfach zu erkennen, wenn man auf ein paar Details achtet:
- Der Stängel: Fühl ihn mal an! Er ist nicht rund und glatt, sondern kantig, oft rillig und fühlt sich irgendwie borstig-rau an. Er wächst gerne mal etwas unordentlich und verzweigt sich sparrig in alle Richtungen.
- Die Blätter: Hier gibt es zwei Arten. Unten am Boden findest du eine Blattrosette, die stark an Löwenzahn erinnert. Oben am Stängel sind die Blätter aber ganz anders: Sie sind viel kleiner, länglich (lanzettlich sagen die Profis) und umfassen den Stängel richtiggehend. Ein super Unterscheidungsmerkmal!
- Die Blüten: Das Himmelblau ist eigentlich unverwechselbar. Jede Blüte besteht nur aus Zungenblüten, die am Rand so ein bisschen aussehen wie gezackt. Das Coolste an ihnen ist ihr Timing: Sie öffnen sich nur bei Sonnenschein am Morgen und schließen sich gegen Mittag wieder. Bei Regenwetter machen sie manchmal gar nicht erst auf.
- Kleiner Tipp zum Erkennen: Der sicherste Unterschied zum Löwenzahn ist der Stängel. Der vom Löwenzahn ist hohl, rund und glatt. Der Stängel der Wegwarte ist massiv, kantig und rau. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn man einmal drauf achtet.
Noch nicht bereit zum Graben? Kein Problem. Mach erstmal das, was jeder gute Handwerker tut: Beobachte dein Material. Geh heute Nachmittag mal zu einer Stelle, wo du die Wegwarte gesehen hast, und schau, ob die Blüte wirklich zu ist. Das ist der perfekte erste Schritt, um ein Gefühl für die Pflanze zu bekommen.

Ab unter die Erde: Wurzelernte zur richtigen Zeit
Das eigentliche Gold der Wegwarte steckt im Boden. Die dicke, lange Pfahlwurzel ist unser Ziel, und hier ist das Timing alles.
Wann ist der beste Zeitpunkt?
Am besten gräbst du die Wurzeln im Herbst aus, so von September bis in den Oktober hinein. Der Grund ist total logisch: Den ganzen Sommer über hat die Pflanze Energie gesammelt und in ihrer Wurzel gespeichert, um den Winter zu überstehen. Dieser Speicher ist randvoll mit Inulin, dem Stoff, den wir haben wollen. Man kann zwar auch im frühen Frühjahr ernten, bevor die Pflanze neu austreibt, aber ich persönlich finde die Herbstwurzeln einfach praller und kräftiger.
Das richtige Werkzeug und die Technik
Vergiss eine kleine Handschaufel. Ehrlich, das wird nichts. Die Wurzel kann locker 30 bis 50 Zentimeter tief stecken – manchmal so lang wie dein Unterarm. Mit dem falschen Werkzeug brichst du sie nur ab und der beste Teil bleibt im Boden. Frust pur.

Ich nehme am liebsten eine stabile Grabegabel, ein guter Spaten geht aber auch. Und so gehst du vor:
- Boden lockern: Stich mit etwa 15 cm Abstand einmal komplett um die Pflanze herum tief in den Boden und wackle die Gabel etwas vor und zurück.
- Vorsichtig hebeln: Versuch jetzt, die Wurzel langsam aus dem Boden zu hebeln. Nicht einfach an den Blättern ziehen, die reißen nur ab! Arbeite dich von allen Seiten langsam vor.
- Realistisch bleiben: Sei nicht enttäuscht, wenn die Wurzel abbricht. Das passiert selbst den Profis, vor allem in steinigem oder trockenem Boden. Jedes Stück ist ein Erfolg!
Ach ja, und eine Sache ist mir wichtig: Nachhaltigkeit. Nimm niemals alle Pflanzen an einem Standort mit. Grabe nur dort, wo wirklich viele wachsen, und lass immer mehr stehen, als du mitnimmst. Wir wollen ja nächstes Jahr auch noch ernten, oder?
Vom Dreck zum Duft: Die Verarbeitung Schritt für Schritt
Jetzt geht die eigentliche Arbeit los. Hier sind Geduld und Sorgfalt gefragt, denn jeder Schritt beeinflusst den Geschmack. Abkürzungen gibt es hier nicht.

Gut zu wissen: Was du bereitlegen solltest
Bevor es losgeht, leg dir am besten alles parat. In meiner „Werkstatt“ liegen bereit: ein stabiles Schneidebrett, ein wirklich scharfes Messer, eine robuste Gemüsebürste (kostet vielleicht 5 € im Baumarkt, ist aber Gold wert) und eine schwere Gusseisenpfanne.
Schritt 1: Gründlich waschen
Die Wurzeln sind natürlich voller Erde. Also ab unter fließendes Wasser damit und kräftig mit der Bürste schrubben, bis die helle, beige Haut zum Vorschein kommt. Kleine Seitenwurzeln oder gammelige Stellen schneide ich einfach weg. Schälen musst du die Wurzel aber nicht!
Schritt 2: Kleinschneiden
Die saubere Wurzel muss jetzt in kleine Würfel geschnitten werden, damit sie gleichmäßig trocknet und röstet. Ich mache sie ungefähr 5 bis 7 Millimeter groß. Sind sie zu groß, werden sie innen nicht trocken, sind sie zu klein, verbrennen sie dir später in der Pfanne. Der weiße, milchige Saft, der dabei austritt, ist übrigens völlig normal – da stecken die guten Bitterstoffe drin.

Schritt 3: Das Trocknen
Die frischen Wurzelstücke müssen komplett durchtrocknen, bevor wir ans Rösten denken können. Sonst kochen sie nur und werden matschig.
- Die langsame Tour (Lufttrocknung): Verteile die Stücke auf einem Gitter an einem warmen, luftigen Ort ohne direkte Sonne. Das dauert ein paar Tage, manchmal auch Wochen. Fertig sind sie, wenn sie beim Biegen knacken.
- Die schnelle Tour (Ofentrocknung): Das ist meine bevorzugte Methode. Verteile die Stücke auf einem Backblech, heize den Ofen auf 50–60 °C Umluft und klemme einen Holzlöffel in die Ofentür, damit die Feuchtigkeit raus kann. Das dauert ein paar Stunden. Die Stücke müssen am Ende steinhart sein und beim Durchbrechen ein klares „Knack“ von sich geben.
Schritt 4: Das Rösten – Die hohe Kunst des Aromas
Das ist der magische Moment. Hier wird aus einer bitteren Wurzel ein duftendes Pulver. Ich nehme dafür am liebsten eine schwere Gusseisenpfanne ohne Fett. Stell die Hitze auf eine mittlere Stufe. Achtung: Jeder Herd ist anders. Fang lieber etwas zu niedrig an. Wenn nach 5 Minuten noch gar nichts passiert, kannst du langsam höher drehen. Ungeduld ist der größte Feind des Aromas!

Und jetzt heißt es: ständig rühren oder die Pfanne schwenken. Du wirst beobachten, wie die Stücke erst goldbraun, dann schokoladenbraun werden. Der Duft verändert sich von nussig zu karamellartig. Der perfekte Punkt ist erreicht, wenn sie tiefbraun sind und es intensiv nach Kaffee duftet. Aber Vorsicht: Die Grenze zwischen perfekt und verbrannt ist hauchdünn! Werden sie schwarz, schmecken sie nur noch bitter. Nimm die Pfanne sofort vom Herd und schütte die Stücke auf einen kalten Teller, damit sie nicht nachgaren.
Schritt 5 & 6: Mahlen und Aufbrühen
Lass die gerösteten Stücke komplett abkühlen. Dann kannst du sie in einer Kaffeemühle oder einem leistungsstarken Mixer zu Pulver mahlen. Für eine Tasse nimmst du dann 1-2 Teelöffel Pulver, übergießt es mit heißem (nicht mehr kochendem!) Wasser und lässt es 5-7 Minuten ziehen. Dann einfach abseihen, fertig. Das Ergebnis ist ein dunkles, koffeinfreies Getränk mit einem ganz eigenen, ehrlichen Geschmack: erdig, nussig und mit einer feinen Bitternote.

Aus Fehlern lernt man: Typische Anfängerprobleme
Ganz ehrlich, mein erster Versuch endete in einer Pfanne voll schwarzer, rauchender Kohle. Das gehört dazu! Hier die häufigsten Fehler und wie du sie vermeidest:
- Problem: Der „Kaffee“ schmeckt nur verbrannt und bitter.
Du hast den Röstpunkt verpasst und die Stücke zu lange in der Pfanne gelassen. Nächstes Mal die Pfanne lieber eine Minute früher vom Herd nehmen. Die Resthitze erledigt den Rest. - Problem: Das Pulver klumpt und schmeckt irgendwie muffig.
Deine Wurzelstücke waren vor dem Rösten oder Mahlen nicht zu 100 % trocken. Der „Knack-Test“ ist hier entscheidend. Wenn sich ein Stück noch irgendwie biegen lässt, braucht es mehr Zeit zum Trocknen.
Was steckt da eigentlich drin?
Kurz zur Technik: Die Wurzel ist vor allem wegen zwei Dingen so interessant. Da ist zum einen das Inulin, eine Art Ballaststoff, der super für die guten Darmbakterien ist. Deshalb gilt Zichorienkaffee als präbiotisch. Wer einen empfindlichen Magen hat, sollte aber mit kleinen Mengen anfangen, da Inulin anfangs zu Blähungen führen kann. Zum anderen sind da die Bitterstoffe. Die regen die Produktion von Verdauungssäften an, was super bei Völlegefühl helfen kann. In unserer heutigen Ernährung kommen die ja leider viel zu kurz.

Mehr als nur die Wurzel: Blätter und Blüten nicht vergessen!
Wäre doch schade, den Rest einfach wegzuwerfen, oder? Im Frühling sind die jungen Blätter aus der Rosette eine tolle, leicht bittere Ergänzung im Salat – ähnlich wie Radicchio. Und die wunderschönen blauen Blüten? Die sind essbar! Ich zupfe sie morgens frisch und streue sie über einen Quark oder als Deko auf den Teller. Ein echter Hingucker!
Lagerung & ein letztes Wort der Verantwortung
Das fertige Pulver füllst du am besten in ein dunkles, luftdichtes Schraubglas. So geschützt hält es sich locker ein Jahr, oft sogar länger. Du wirst merken, wie stolz du bist, wenn du dir im Winter eine Tasse von deinem selbstgemachten Vorrat aufbrühst.
Aber denk immer dran: Sammle nur an sauberen Orten, fern von Straßen oder gespritzten Feldern. Und nur um das klarzustellen: Das hier sind Tipps aus meiner Erfahrung, keine medizinische Beratung. Bei gesundheitlichen Problemen ist der Arzt der richtige Ansprechpartner.

Die Wegwarte ist ein fantastisches Beispiel dafür, welche Schätze direkt vor unserer Haustür wachsen. Man muss nur wieder lernen, hinzusehen. Die Zufriedenheit, eine Tasse Kaffee aus einer selbst gegrabenen Wurzel zu trinken, die kann man nicht kaufen. Probier’s aus!
Bildergalerie


„Die napoleonische Kontinentalsperre ab 1806 blockierte den Import von Überseewaren wie Kaffee und Zucker nach Europa.“
Diese politische Krise war die Geburtsstunde des Zichorienkaffees als Massengetränk. Plötzlich war der heimische „Muckefuck“ (abgeleitet vom französischen „mocca faux“, falscher Mokka) keine Notlösung mehr, sondern ein cleverer und vor allem verfügbarer Ersatz. In Fabriken, wie denen von Christian Gottlob Frege in Leipzig, wurde die Zichorienverarbeitung industrialisiert und der erdige Geschmack prägte ganze Generationen – ein Erbe, das wir heute aus purer Lust am Ursprünglichen wiederentdecken.

Welches Werkzeug ist das beste, um die störrische Pfahlwurzel der Wegwarte aus dem Boden zu bekommen?
Das hängt stark vom Boden ab. Bei verdichtetem, lehmigem oder steinigem Erdreich ist ein schmaler, scharfer Spaten oft die beste Wahl. Er durchtrennt mühelos kleinere Hindernisse. Auf lockeren, sandigen Böden oder Wiesen ist hingegen eine Grabgabel unschlagbar. Mit ihr lässt sich der Boden rund um die Wurzel schonend auflockern, ohne die wertvolle Hauptwurzel zu verletzen oder zu durchtrennen. Ein behutsames Hebeln ist hier der Schlüssel zum Erfolg.

Der perfekte Röstgrad: Eine Sache des Gefühls
Die Farbe der gerösteten Wurzelstücke verrät alles über den späteren Geschmack. Hellbraun geröstet, entwickelt der Zichorienkaffee eine milde, fast karamellige Note. Je dunkler die Röstung in Richtung Schokoladenbraun geht, desto kräftiger, bitterer und erdiger wird das Aroma – sehr ähnlich dem von dunklem Espresso. Vermeiden Sie aber unbedingt schwarze, verbrannte Stücke, denn die machen den Aufguss ungenießbar bitter.
- Verleiht Eintöpfen eine tief-würzige Note.
- Kann als Rub für dunkles Fleisch verwendet werden.
- Verfeinert Schokoladendesserts mit einem Hauch „Mokka“.
Das Geheimnis? Das fein gemahlene Pulver der gerösteten Zichorienwurzel. Eine kleine Prise genügt, um Speisen eine überraschend komplexe und erdige Geschmackstiefe zu geben, die weit über den Kaffee-Ersatz hinausgeht.




