Angorawolle: Mehr als nur Flausch – Dein ehrlicher Guide aus der Werkstatt
In meiner Werkstatt sind mir über die Jahre wirklich schon viele Fasern durch die Hände gegangen. Von rustikaler Schafwolle bis hin zu glänzender Seide. Aber ganz ehrlich? Angorawolle war und ist immer etwas Besonderes. Sie fühlt sich anders an, sie verhält sich anders beim Spinnen und Stricken. Wer einmal verstanden hat, wie man mit ihr umgeht, der verfällt ihr. Es ist einfach eine Faser, die Respekt verlangt – vom Tier bis zum fertigen Pullover.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Das Geheimnis der Faser: Warum ist Angora so verdammt warm?
- 0.2 Qualität erkennen: Worauf du beim Kauf achten musst
- 0.3 Welches Kaninchen darfs denn sein? Ein kleiner Rassen-Check
- 0.4 Das wichtigste Thema: Tierwohl und wo du gute Wolle findest
- 0.5 Endlich an die Fasern: Tipps aus meiner Werkstatt
- 0.6 Was du aus Angora machen solltest – und was besser nicht
- 0.7 Pflege: So bleibt dein Schatz für immer flauschig
- 0.8 Ein letztes Wort…
- 1 Bildergalerie
Ach ja, bevor wir loslegen, räumen wir mal mit dem größten Missverständnis auf: Viele werfen Angora und Mohair in einen Topf. Merk dir einfach: Angora kommt vom Kaninchen, Mohair von der Ziege. Das sind zwei komplett verschiedene Welten. Und weil wir schon bei der Ehrlichkeit sind: Die Gewinnung von Angora ist ein wirklich heikles Thema. Man hat da Bilder im Kopf, die einem das Herz schwer machen. Deshalb ist es so unglaublich wichtig, genau hinzuschauen, woher die Wolle stammt. Gutes Handwerk fängt nämlich immer mit Verantwortung an.

Das Geheimnis der Faser: Warum ist Angora so verdammt warm?
Um Angorawolle wirklich zu verstehen, reicht es nicht zu sagen, sie sei weich und flauschig. Man muss das „Warum“ dahinter kapieren. Nur dann kannst du sie auch richtig verarbeiten.
Stell dir vor, jede einzelne Angorafaser ist im Inneren hohl, wie ein winziges Röhrchen. Dieser Hohlraum, die Medulla, ist der ganze Trick. Die darin eingeschlossene Luft wirkt wie bei einem Thermofenster. Sie hält deine Körperwärme bombenfest und lässt die Kälte draußen. Genau deshalb ist ein federleichter Angorapullover oft wärmer als ein dicker Klotz aus Schafwolle. Ich hatte schon so oft Leute hier, die das erst geglaubt haben, als sie es selbst gespürt haben.
Dazu kommt die unglaubliche Feinheit. Wir reden hier von 12 bis 16 Mikrometern. Zum Vergleich: richtig feine Merinowolle fängt erst bei etwa 18 Mikrometern an. Das ist ein Unterschied, den deine Haut sofort bemerkt. Es ist genau diese Feinheit, die für das luxuriöse Gefühl sorgt. Da kratzt nichts, das ist einfach nur eine einzige Schmeicheleinheit.

Aber die Faser hat auch ihre Tücken. Im Gegensatz zu Schafwolle ist sie kaum gekräuselt, also ziemlich glatt. Das hat zwei Folgen: Erstens fehlt ihr die natürliche Elastizität. Ein Garn aus 100 % Angora leiert schnell aus. Zweitens neigen die glatten Fasern dazu, aus dem Garn zu rutschen – das ist das bekannte „Fusseln“. Ein guter Spinner weiß aber, wie man das in den Griff bekommt.
Qualität erkennen: Worauf du beim Kauf achten musst
Im Laden sehen viele Angoragarne erstmal toll aus. Die Wahrheit zeigt sich aber erst beim Verarbeiten und Tragen. Mit ein paar Tricks kannst du aber schon vorher die Spreu vom Weizen trennen.
1. Die Faserlänge ist ALLES: Das ist wirklich das A und O. Für ein stabiles Garn brauchst du lange Fasern. Zupf mal vorsichtig ein paar Härchen aus dem Garn. Sind die kürzer als 5 cm? Dann Hände weg! Solche Garne fusseln wie verrückt und bilden schnell unschöne Knötchen (Pilling). Hochwertige, zur richtigen Zeit gezupfte Angorawolle hat Fasern von 6 bis 12 cm Länge. Wolle von geschorenen Tieren hat oft kürzere Stücke drin, was die Qualität drückt.

2. Der „Halo“ (der Flausch): Das ist dieser flauschige Heiligenschein, der das Gestrick umgibt. Ein schöner, gleichmäßiger Halo ist ein Zeichen für lange Fasern. Aber Achtung! Manche Hersteller bürsten minderwertige Garne künstlich auf, um mehr Flausch vorzutäuschen. Der ist dann oft nach der ersten Wäsche weg.
3. Der Griff-Test: Fühl mal hin. Gutes Angora fühlt sich kühl, seidig und superweich an. Fühlt es sich eher stumpf oder strohig an, ist die Qualität mies oder es sind zu viele grobe Grannenhaare drin.
4. Die Kostenfrage: Sei realistisch. Tierfreundlich gewonnene, hochwertige Rohwolle von kleinen Züchtern kostet. Rechne mal mit 15 € bis 25 € für 50 Gramm. Zum Vergleich: 50 Gramm gute Merinowolle bekommst du schon für 5-8 €. Dieser Preisunterschied spiegelt den enormen Aufwand und die Verantwortung wider.
Welches Kaninchen darfs denn sein? Ein kleiner Rassen-Check
Nicht jedes Angorakaninchen liefert die gleiche Wolle. Die Unterschiede zu kennen, hilft dir bei der Auswahl für dein Projekt. Statt einer langweiligen Tabelle, lass uns das mal durchgehen:

- Deutsches Angora: Das ist das Arbeitstier. Auf hohen Wollertrag gezüchtet, muss es geschoren werden, da es nicht von selbst haart. Die Wolle ist etwas robuster und super für Einsteiger, hat durch die Schur aber oft kürzere Fasern.
- Französisches Angora: Mein persönlicher Favorit für die Handspinnerei. Diese Tiere haaren natürlich, die Wolle kann also gezupft werden. Das Ergebnis: herrlich lange Fasern. Der Anteil an Deckhaaren gibt dem Garn etwas mehr Struktur und der Halo ist ein Traum.
- Englisches Angora: Die kleinste Rasse liefert extrem feine, fast grannenhaarfreie Wolle. Klingt super, oder? Der Haken: Das Fell verfilzt extrem schnell am Tier und braucht wahnsinnig viel Pflege. Die Wolle ist perfekt für zarte Spitzentücher, aber in der Haltung eine echte Herausforderung.
- Satin Angora: Der Name ist Programm. Diese Wolle hat einen einzigartigen, seidigen Glanz, weil die Faserstruktur das Licht anders bricht. Nicht der größte Wolllieferant, aber für Luxusprojekte unübertroffen.
- Riesen-Angora: Im Grunde eine größere Version des Deutschen Angoras, produziert viel Wolle und muss ebenfalls geschoren werden.

Das wichtigste Thema: Tierwohl und wo du gute Wolle findest
Kommen wir zum Kern der Sache. Die Art der Wollgewinnung entscheidet alles – über die Qualität und über das Wohl des Tieres. Ich kann nur Wolle verarbeiten, bei der ich weiß, dass es den Tieren gut geht. Punkt.
Es gibt im Grunde zwei tierfreundliche Methoden:
- Zupfen: Das ist die traditionelle und schonendste Methode, wenn sie richtig gemacht wird. Während des natürlichen Haarwechsels (der Mauser) sitzen die alten Haare ganz locker. Man kann sie dann vorsichtig mit den Fingern auszupfen, ohne dem Tier wehzutun. Das liefert die allerbeste, langfaserigste Wolle. Es ist aber extrem zeitaufwendig.
- Scheren: Bei Rassen, die nicht mausern, ist die Schur nötig. Das geht schneller und liefert mehr Wolle. Der Nachteil ist die gemischte Faserlänge. Wichtig ist, dass die Tiere danach vor Kälte geschützt werden.
Die Schockbilder, die man kennt, zeigen brutales Rupfen von Tieren, die nicht in der Mauser sind. Das ist Tierquälerei und hat mit verantwortungsvoller Haltung nichts zu tun.

Also, woher bekommst du jetzt gute Wolle? Kauf nur, wenn du die Herkunft kennst. Statt auf anonyme Großhändler zu setzen, suche gezielt nach kleinen Züchtern. Google doch mal nach „Angorakaninchen Züchterverein“ in deiner Region. Auch auf Plattformen wie Etsy wirst du fündig, wenn du nach „tierfreundliche Angorawolle“ oder „gezüpfte Angorawolle“ suchst. Frag den Verkäufern Löcher in den Bauch! Wie werden die Tiere gehalten? Wie wird die Wolle gewonnen? Ein guter Züchter ist stolz auf seine Tiere und wird dir alles zeigen.
Endlich an die Fasern: Tipps aus meiner Werkstatt
Angora ist nichts für Ungeduldige. Aber mit der richtigen Technik zauberst du daraus wahre Schätze. Lass uns mal ein kleines Anfängerprojekt durchspielen.
Dein erstes Projekt: Ein Paar himmlische Pulswärmer
Für den Anfang ist reines Angora schwierig. Mischen wir es also! Eine Mischung aus 80 % Merino und 20 % Angora ist perfekt. Sie hat die Weichheit und den Halo des Angoras, aber die Stabilität und Elastizität der Wolle. Dafür brauchst du:

- Material: ca. 80g feine Merinofasern (ca. 5-7 €) und 20g Angorafasern (ca. 6-10 €).
- Werkzeug: Handkarden oder eine Kardiermaschine, ein Spinnrad, eine Haspel, Wollseife.
- Zeit: Plane als Anfänger ruhig 3-4 Stunden allein für das Spinnen dieser Menge ein. Angora braucht Zeit und eine ruhige Hand, das ist locker doppelt so lang wie bei reiner Schafwolle.
Spinnen – aber mit Gefühl! Der Schlüssel ist: wenig Drall! Zu viel Drehung macht das Garn hart und killt den Flausch. Ich stelle mein Spinnrad immer ganz langsam ein und spinne mit einem langen Auszug, um viel Luft ins Garn zu bekommen.
Typische Anfängerfehler (und wie du sie vermeidest):
- Fehler 1: Zu viel Drall. Dein Garn wird hart und drahtig, der Halo ist weg. Lösung: Langsamer treten, den langen Auszug üben. Weniger ist hier definitiv mehr!
- Fehler 2: Zu heiß waschen. Dein Garn oder Strickstück kommt als verfilzter Klumpen aus dem Wasser. Lösung: Immer nur lauwarmes Wasser (unter 30 °C) und niemals, wirklich NIEMALS, reiben oder wringen.
- Fehler 3: Ungeduldiges Kardieren. Du reißt an den Fasern und brichst sie. Lösung: Nur wenige, sanfte Züge mit den Karden, gerade so, dass die Fasern locker in eine Richtung liegen.
Nach dem Spinnen und Verzwirnen wird das Garn gebadet. Leg den Strang sanft in lauwarmes Wasser mit einem Tropfen Wollseife. Nur leicht untertauchen, 20 Minuten ruhen lassen. Genauso sanft spülen. Ein kleiner Schuss Essig im letzten Spülwasser macht die Faser noch weicher. Zum Trocknen legst du den Strang flach auf ein Handtuch. Niemals aufhängen!

Was du aus Angora machen solltest – und was besser nicht
Perfekt für: Mützen, Schals, Stulpen, Handschuhe. Überall, wo es direkt auf der Haut getragen wird. Auch als Beilaufgarn, um einem einfachen Pullover einen Hauch Luxus zu geben, ist es genial.
Eher ungeeignet für: Socken (nicht scheuerfest), eng anliegende Pullover (leiern aus) oder eine Alltagsjacke (zu empfindlich).
Pflege: So bleibt dein Schatz für immer flauschig
Wasche dein Angora-Stück immer von Hand, wie oben beschrieben. Liegend trocknen, weit weg von Sonne oder Heizung.
Kleiner Tipp, wenn der Flausch mal etwas plattgelegen ist: Pack das trockene Strickstück für eine halbe Stunde in einer Plastiktüte ins Gefrierfach. Klingt komisch, wirkt aber Wunder! Die minimale Restfeuchtigkeit in den Fasern gefriert zu winzigen Eiskristallen. Diese spreizen die feinen Härchen mechanisch auf und der Halo wird wiederbelebt. Probier’s aus!
Zur Lagerung: Immer liegend falten, niemals auf einen Bügel hängen. Und denk an Mottenschutz! Lavendelsäckchen oder Zedernholz sind ideal.

Ein letztes Wort…
Mit Angorawolle zu arbeiten, ist so viel mehr als nur ein Handwerk. Es ist eine bewusste Entscheidung für eine langsame, wertschätzende Arbeit mit einer einzigartigen Naturfaser. Wenn du dir die Zeit nimmst, eine ethische Quelle zu finden und die Faser zu verstehen, wirst du mit Stücken belohnt, die nicht nur unvergleichlich weich sind, sondern auch eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Respekt, Geduld und der Schönheit der Natur.
Bildergalerie


Woran erkenne ich wirklich tierfreundliche Angorawolle?
Achten Sie auf Transparenz. Seriöse Züchter und Marken scheuen sich nicht, ihre Haltungs- und Gewinnungsmethoden zu zeigen. Die Schur oder das sorgfältige Auskämmen während des natürlichen Fellwechsels sind tierfreundliche Methoden. Suchen Sie gezielt nach Zertifizierungen wie dem Caregora™-Siegel. Dieses garantiert nicht nur die Einhaltung hoher Tierschutzstandards nach EU-Recht, sondern auch die Rückverfolgbarkeit der Faser bis zum Zuchtbetrieb. Kleine Manufakturen geben oft direkt auf ihren Webseiten Auskunft über ihre Partnerfarmen – ein klares Zeichen für verantwortungsvolles Handwerk.


Wussten Sie schon? Ein Angorapullover kann bis zu siebenmal wärmer sein als ein vergleichbares Modell aus Schafwolle.
Dieser erstaunliche Isolationswert kommt, wie im Artikel erwähnt, von den hohlen Fasern. Das macht Angora zur ersten Wahl für Menschen, die unter rheumatischen Beschwerden leiden. Die trockene, intensive Wärme wird oft als lindernd und therapeutisch empfunden. Deshalb findet man Angora nicht nur in Luxusmode, sondern auch in hochwertiger Funktions- und Gesundheitswäsche, etwa von Marken wie Medima.
- Handwäsche ist Pflicht: Verwenden Sie lauwarmes Wasser (max. 30°C) und ein spezielles Wollwaschmittel, z.B. von Eucalan oder Soak.
- Nicht reiben, nur drücken: Bewegen Sie das Strickstück sanft im Wasser. Zu viel Reibung führt zu Verfilzungen.
- Liegend trocknen: Drücken Sie das Wasser vorsichtig aus (nicht wringen!) und legen Sie das Teil auf ein Handtuch, um es in Form zu ziehen und an der Luft zu trocknen.
Das Geheimnis? Minimaler mechanischer Stress erhält den einzigartigen Flausch und verhindert übermäßiges Haaren.




