Rundrücken? Wie du den „Handynacken“ loswirst und dich endlich wieder aufrichtest
Ich sehe es in meiner Praxis fast jeden Tag. Menschen kommen rein, zögern kurz und zeigen dann auf ihren oberen Rücken, genau da, wo der Nacken anfängt. „Ich bekomme da einen Buckel“, sagen sie dann oft ganz leise. Manche nennen es „Witwenbuckel“, aber ganz ehrlich, dieser Begriff ist total veraltet. Dieses Problem betrifft schon lange nicht mehr nur ältere Damen. Ich sehe es bei Männern im Homeoffice und immer öfter bei jungen Leuten, die stundenlang aufs Handy starren.
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Als Physiotherapeut mit langjähriger Erfahrung kann ich dir eines sagen: Du bist damit absolut nicht allein. Und die gute Nachricht ist: Meistens kann man richtig gut was dagegen tun.
Der Fachbegriff dafür ist Kyphose, genauer gesagt Hyperkyphose. Eine leichte Biegung in der Brustwirbelsäule ist nämlich total normal und sogar wichtig. Kritisch wird’s erst, wenn die Kurve zu stark wird. Dann leidet nicht nur die Haltung, sondern die ganze Körperstatik gerät aus den Fugen. Das führt zu Schmerzen, fiesen Verspannungen und kann sogar die Atmung beeinträchtigen. Aber keine Sorge, es braucht nur etwas Geduld und die richtige Strategie. Lass uns mal genau anschauen, was da in deinem Rücken passiert und welche Schritte wirklich helfen.

Was dein Kopf damit zu tun hat: Ein kleiner Physik-Ausflug
Stell dir deine Wirbelsäule mal wie einen Turm aus Bauklötzen vor, mit den Bandscheiben als Stoßdämpfer dazwischen. Von der Seite betrachtet hat dieser Turm eine sanfte S-Form – ein echtes Meisterwerk der Natur, das Stöße abfedert. Bei einem Rundrücken kippt der obere Teil dieses Turms aber zu weit nach vorne.
Und jetzt kommt der Knackpunkt: Dein Kopf wiegt ungefähr so viel wie eine Bowlingkugel, also etwa 4 bis 5 Kilo. Solange er schön mittig über der Wirbelsäule balanciert, ist alles gut. Aber neigst du den Kopf nur ein bisschen nach vorne, wirken extreme Hebelkräfte. Ich erkläre das meinen Leuten immer so: Eine 5-Kilo-Kugel nah am Körper zu halten, ist einfach. Aber versuch mal, sie mit ausgestrecktem Arm zu halten. Puh, das wird schnell anstrengend, oder? Genau das mutest du deiner Nackenmuskulatur zu.
Bei der typischen „Handy-Haltung“ lasten plötzlich fast 30 Kilo auf deiner Halswirbelsäule. Kein Wunder, dass die Muskeln im Nacken und zwischen den Schulterblättern überdehnen und schlapp machen, während die Brustmuskeln verkürzen und die Schultern noch weiter nach vorne ziehen. Ein echter Teufelskreis.

Schon gewusst? Jedes Mal, wenn du dich für nur 10 Sekunden ganz bewusst aufrichtest, feuerst du die tiefen Haltemuskeln an und gibst deinem Gehirn das Signal: „Hey, das hier ist die neue Normalposition!“
Die wahren Ursachen: Mehr als nur „falsch sitzen“
Oft höre ich: „Ich weiß, ich sitze einfach falsch.“ Das ist zwar oft ein Teil der Wahrheit, aber die Gründe sind meistens vielschichtiger. Man muss da schon genau hinschauen.
- Die Gewohnheitssache (funktionell): Das ist der häufigste Grund. Stundenlanges Sitzen am Schreibtisch, der ständige Blick aufs Smartphone oder auch Unsicherheit, die uns sprichwörtlich „klein macht“. Das Gute daran ist: Die Knochen sind noch in Ordnung. Du kannst dich aktiv aufrichten, wenn du daran denkst. Hier wirken gezielte Übungen und neue Alltagsgewohnheiten Wunder.
- Wachstumsstörungen in der Jugend (strukturell): Manchmal liegt die Ursache in der Wachstumsphase. Hierbei wachsen die Wirbelkörper an der Vorderseite etwas langsamer, wodurch sie eine leichte Keilform bekommen. Das verankert die Krümmung fester. Betroffene können sich oft nicht komplett gerade machen. Hier ist die Diagnose eines Orthopäden wichtig, aber Physiotherapie ist entscheidend, um eine Verschlechterung zu stoppen und die stützende Muskulatur aufzubauen.
- Altersbedingte Veränderungen: Bei älteren Menschen spielt oft Knochenschwund (Osteoporose) eine Rolle. Die Wirbelkörper können an Stabilität verlieren und an der Vorderseite etwas einsinken. Das führt dann zu einem stärkeren Rundrücken. Hier ist die Zusammenarbeit mit dem Arzt extrem wichtig, um die Knochengesundheit zu unterstützen. Ein angepasstes, sanftes Training kann dann die Muskulatur stärken und die Sicherheit im Alltag erhöhen.
Achtung! Plötzlich auftretende, starke Rückenschmerzen, vor allem im Alter, sollten immer ärztlich abgeklärt werden. Es könnte ein frischer Wirbelbruch dahinterstecken.

Dein 5-Minuten-Rettungsprogramm für zu Hause
Die besten Übungen sind die, die man auch wirklich macht. Deshalb habe ich hier eine superkurze, aber mega effektive Routine für dich zusammengestellt, die du jeden Tag machen kannst. Nimm dir einfach 5 Minuten Zeit.
Was du brauchst (Dein Starter-Kit): Im Grunde nur dich und einen Türrahmen. Wenn du es richtig angehen willst, besorg dir ein mittelstarkes Theraband. Die kosten online oder im Sportgeschäft um die 10-15 Euro. Ein guter Start sind oft die Farben Rot oder Grün. Für Enthusiasten ist eine Faszienrolle (ca. 15-30 Euro) eine tolle Ergänzung für die Mobilisation.
Schritt 1: Beweglichkeit reinbringen (ca. 1 Minute)
Wir starten mit der klassischen „Katze-Kuh“-Übung. Geh in den Vierfüßlerstand. Beim Ausatmen machst du den Rücken ganz rund wie eine Katze, ziehst das Kinn zur Brust. Beim Einatmen lässt du den Rücken sanft durchhängen und hebst den Blick leicht an. Mach das langsam und im Rhythmus deines Atems.

Schritt 2: Öffnen, was verkürzt ist (ca. 1 Minute)
Jetzt kommt die Türrahmendehnung. Stell dich in einen offenen Türrahmen und leg beide Unterarme seitlich an den Rahmen, die Ellenbogen sind etwas unterhalb der Schultern. Mach einen kleinen Schritt nach vorne, bis du eine klare Dehnung in der Brust spürst. Halte das für 30 Sekunden und atme tief durch. Dann kurz lockern und noch einmal 30 Sekunden.
Kleiner Tipp: Ein häufiger Fehler ist, ins Hohlkreuz zu fallen. Spann deinen Bauch leicht an, als würdest du den Bauchnabel zur Wirbelsäule ziehen. Das schützt den unteren Rücken.
Schritt 3: Die Gegenspieler stärken (ca. 3 Minuten)
Das ist der wichtigste Teil. Wir müssen die Muskeln auf der Rückseite kräftigen.
Übung A: Rudern am Theraband (wenn du eins hast)
Befestige das Band an einer Türklinke. Setz dich hin oder stell dich aufrecht hin, Arme nach vorne gestreckt, das Band leicht gespannt. Zieh jetzt die Hände Richtung Bauch und konzentriere dich voll darauf, die Schulterblätter hinten zusammenzuziehen. Stell dir vor, du willst eine Nuss dazwischen knacken. Kurz halten, dann langsam zurück. Mach davon etwa 15 Wiederholungen.

Häufiger Fehler: Die Schultern zu den Ohren ziehen. Denk lieber daran, die Schulterblätter in deine hinteren Hosentaschen zu stecken.
Übung B: Der „Superman“ (ohne Geräte)
Leg dich auf den Bauch, die Arme nach vorne gestreckt, Daumen zeigen zur Decke. Spann den Po und den Bauch an und hebe dann gleichzeitig Arme, Kopf und Beine leicht vom Boden ab. Dein Blick bleibt dabei nach unten gerichtet, um den Nacken lang zu lassen. Halte die Position für 2-3 Sekunden und senke alles langsam wieder ab. Wiederhole das 10-12 Mal.
Profi-Tipp: Wenn dir das Rudern mit dem Band zu leicht wird, nimm einfach das nächststärkere Band oder – noch besser – führe die Bewegung extra langsam aus. Das brennt richtig!
Neue Gewohnheiten für den Alltag – hier passiert die Magie
Die 5 Minuten Übungen sind super, aber die restlichen 23 Stunden und 55 Minuten des Tages sind entscheidend. Hier ein paar einfache Tricks:

- Der Faden am Kopf: Stell dir vor, ein unsichtbarer Faden zieht dich am Hinterkopf sanft nach oben. Das richtet dich auf, ohne dass du dich verkrampfst.
- Dein Arbeitsplatz: Du brauchst nicht sofort einen teuren ergonomischen Stuhl. Ein simpler Trick: Roll ein Handtuch zusammen und leg es dir als Stütze in den unteren Rücken. Stell deinen Bildschirm so hoch (z.B. auf einen Bücherstapel), dass dein Blick geradeaus geht.
- Die Handy-Regel: Ganz einfach – bring das Handy zum Gesicht, nicht das Gesicht zum Handy.
- Bewegungspausen: Stell dir alle 30 Minuten einen Wecker. Steh auf, streck dich, hol ein Glas Wasser. Dein Körper wird es dir danken.
Die ehrliche Wahrheit über Zeit und Erfolg
Jetzt mal ganz ehrlich: Eine Haltung, die sich über Jahre eingeschlichen hat, verschwindet nicht über Nacht. Das ist ein Marathon, kein Sprint. Aber du kannst mit realistischen Zielen rechnen:
- Nach 2-4 Wochen konsequentem Training wirst du wahrscheinlich schon merken, dass die Schmerzen und Verspannungen weniger werden. Du bekommst ein besseres Körpergefühl.
- Nach 2-3 Monaten werden vielleicht auch Freunde oder Familie sagen: „Hey, du stehst irgendwie gerader!“ Die muskuläre Veränderung beginnt, sichtbar zu werden.
Die eigentliche Arbeit findet im Alltag statt, aber jeder kleine Schritt zählt. Ich hatte mal einen jungen Programmierer in der Praxis, der wegen Nackenschmerzen kaum noch arbeiten konnte. Nach drei Monaten Training und der simplen „Handy-zum-Gesicht“-Regel erzählte er mir, dass er zum ersten Mal seit Jahren wieder schmerzfrei aufwacht. Solche Momente zeigen, was möglich ist.

Dein Körper ist ein Wunderwerk der Anpassung. Gib ihm die richtigen Signale, die nötige Zeit und bleib dran. Er wird es dir mit einer besseren Haltung, weniger Schmerzen und viel mehr Wohlbefinden zurückzahlen.
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Ein teurer Bürostuhl löst doch alle Probleme, oder?
Leider nein. Selbst der beste ergonomische Stuhl, wie ein Steelcase Gesture oder ein Herman Miller Aeron, ist nur so gut wie seine Einstellung. Der häufigste Fehler: Die Sitzhöhe passt, aber die Lordosenstütze (die Wölbung für den unteren Rücken) sitzt zu hoch oder zu tief. Sie sollte genau in der Kurve Ihrer Lendenwirbelsäule ansetzen. Nehmen Sie sich 10 Minuten Zeit, um wirklich jede Einstellung zu testen: Sitztiefe, Armlehnenhöhe und -winkel. Erst dann wird aus einer teuren Investition eine echte Stütze für Ihren Rücken.

Ein Rundrücken kann das Lungenvolumen um bis zu 30 % reduzieren.
Diese erstaunliche Zahl eines oft zitierten physiotherapeutischen Grundsatzes zeigt, dass eine schlechte Haltung mehr als nur den Rücken betrifft. Wenn der Brustkorb nach vorne einsinkt, wird das Zwerchfell, unser Hauptatemmuskel, in seiner Bewegung eingeschränkt. Die Folge: eine flache, ineffiziente Atmung. Bewusstes, tiefes Atmen in den Bauch kann hier ein Gegengewicht schaffen. Es dehnt nicht nur die verkürzte Muskulatur sanft von innen, sondern aktiviert auch das Zwerchfell und hilft, den Brustkorb wieder aufzurichten.

Integrieren Sie einen schnellen Haltungs-Check in Ihren Alltag. Kleben Sie einen kleinen Punkt auf Ihren Monitor, der Sie daran erinnert. Wenn Sie ihn sehen, gehen Sie kurz diese Punkte durch:
- Kinn zurück: Stellen Sie sich vor, eine sanfte Hand schiebt Ihr Kinn horizontal nach hinten, um ein Doppelkinn zu erzeugen. Das richtet die Halswirbelsäule auf.
- Schultern entspannen: Ziehen Sie die Schultern einmal hoch zu den Ohren und lassen Sie sie dann bewusst fallen und nach hinten unten sinken.
- Brustbein heben: Denken Sie „stolze Haltung“ und heben Sie Ihr Brustbein leicht an, als würde ein Faden es zur Decke ziehen.
Die Faszienrolle: Ideal für die Mobilisierung der gesamten Brustwirbelsäule. Legen Sie sich mit dem oberen Rücken auf eine Rolle (z.B. eine Blackroll) und rollen Sie langsam auf und ab. Das hilft, die allgemeine Steifheit zu lösen und die Wirbel zu mobilisieren.
Der Massageball: Perfekt für die gezielte Behandlung von Triggerpunkten. Ein kleiner, harter Ball (ein Tennis- oder Lacrosseball genügt) kann zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule platziert werden, um hartnäckige Verspannungsknoten punktgenau zu lösen.
Fazit: Nutzen Sie beides! Die Rolle für die große Fläche, den Ball für die fiesen kleinen Punkte.



