Vom Strohfeuer zur Power-Glut: Das Geheimnis von echtem Vollkorn – Ein Bäcker packt aus
Jeden Morgen, wenn ich meine Backstube betrete, rieche ich den Unterschied. Da ist dieser ehrliche, kräftige Duft von frisch gebackenem Roggenvollkornbrot – erdig, stark, einfach echt. Und daneben liegt oft ein helles Weizenbrötchen. Klar, duftet auch gut, aber eben… leichter, süßlicher, fast ein bisschen schüchtern. Seit Jahrzehnten stehe ich nun hier, habe Trends kommen und gehen sehen. Aber eines hat sich nie geändert: die unglaubliche Kraft, die im vollen Korn steckt.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Was heißt „Vollkorn“ eigentlich? Ein kleiner Blick ins Innere
- 0.2 Kurz erklärt: Was bedeutet die „Typenzahl“ auf dem Mehl?
- 0.3 Dein Körper auf Weißbrot vs. Vollkorn: Ein kleiner Vergleich
- 0.4 Der Bäcker-Check: So erkennst du echtes Vollkorn (und tappst nicht in die Falle)
- 0.5 Dein Weg zum Vollkorn-Fan: Ein Plan ganz ohne Stress
- 0.6 Mehr als nur Brot: Die ganze Welt des vollen Korns
- 0.7 Für die Selber-Bäcker: Ein paar Tipps aus der Backstube
- 0.8 Ein letztes, wichtiges Wort
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Ganz ehrlich? Es tut mir manchmal in der Seele weh, wenn Leute zu mir kommen, von Diäten reden und komplett auf Brot verzichten wollen. Denn es ist nicht das Brot, das uns träge macht. Es ist das falsche Brot. Es ist das leere, weiße Mehl, das uns einen kurzen Kick gibt, aber dem Körper kaum etwas zurückgibt. Deshalb will ich hier keine Diät-Tipps geben, sondern einfach mal aus dem Nähkästchen meines Handwerks plaudern. Ich zeige dir, was echtes Vollkorn ist, was es für dich tut und wie du die Spreu vom Weizen trennst – und das meine ich wörtlich.

Was heißt „Vollkorn“ eigentlich? Ein kleiner Blick ins Innere
Um das Ganze zu verstehen, müssen wir uns das Getreidekorn mal genauer ansehen. Stell es dir wie ein kleines Power-Paket vor, das aus drei Teilen besteht.
Da ist zuerst die Schale, auch Kleie genannt. Das ist die robuste Außenhülle, vollgepackt mit Ballaststoffen, die unsere Verdauung auf Trab halten. Hier verstecken sich auch Unmengen an B-Vitaminen und wichtigen Mineralstoffen wie Magnesium und Eisen.
Der größte Teil, etwa 80 Prozent, ist der Mehlkörper. Er besteht fast nur aus Stärke und ein wenig Eiweiß – quasi die reine Energie-Reserve für den Keimling. Für das klassische weiße Mehl (das typische „Type 405“) wird fast nur dieser Teil verwendet.
Und dann, ganz innen, sitzt der Keimling. Er ist das Herzstück, aus dem eine neue Pflanze wachsen würde. Winzig klein, aber eine Bombe an Nährstoffen: gesunde Fette, Vitamin E und weitere Mineralstoffe.
Wenn also weißes Mehl gemahlen wird, werden Schale und Keimling einfach ausgesiebt. Übrig bleibt nur der Stärketeil. Das macht das Mehl super fein und einfach zu verarbeiten, aber die wertvollsten Teile sind futsch. Bei Vollkornmehl hingegen wird das ganze Korn vermahlen. Alles bleibt drin. Das ist der ganze Zauber! In Deutschland ist das übrigens klar geregelt: Ein Brot darf sich nur „Vollkornbrot“ nennen, wenn mindestens 90 Prozent des Getreideanteils aus Vollkornmehl oder -schrot bestehen. Darauf kann man sich verlassen.

Kurz erklärt: Was bedeutet die „Typenzahl“ auf dem Mehl?
Ach ja, diese Zahlen! Ganz einfach: Die Typenzahl gibt an, wie viele Mineralstoffe (also Schalenanteile) noch im Mehl enthalten sind. Je niedriger die Zahl, desto „weißer“ das Mehl. Ein Weizenmehl Type 405 ist fast reine Stärke. Type 1050 enthält schon deutlich mehr Schalenanteile und ist dunkler, aber es ist eben immer noch kein Vollkorn. Nur wo „Vollkorn“ draufsteht, ist auch das ganze Korn drin.
Dein Körper auf Weißbrot vs. Vollkorn: Ein kleiner Vergleich
Was passiert denn nun im Körper? Ich erkläre das meinen Lehrlingen immer so: Weißbrot ist wie ein Strohfeuer – es flammt kurz und heftig auf und ist dann wieder aus. Vollkornbrot ist wie glühende Holzkohle – es gibt langsam und stetig Wärme ab.
Stell dir vor, du isst ein helles Brötchen zum Frühstück. Die reine Stärke darin wird vom Körper blitzschnell in Zucker zerlegt. Dein Blutzuckerspiegel schießt in die Höhe. Der Körper schüttet panisch Insulin aus, um den Zucker wegzuschaffen. Das Ergebnis? Der Blutzucker kracht genauso schnell wieder in den Keller. Du fühlst dich kurz fit, aber dann kommt das große Loch: Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und – Überraschung – Heißhunger auf den nächsten schnellen Energiekick.

Und jetzt das Vollkornbrot. Die Ballaststoffe aus der Schale sind die Bremse im System. Sie verlangsamen die Zuckeraufnahme enorm. Der Zucker tröpfelt ganz gemütlich ins Blut, der Blutzuckerspiegel bleibt über Stunden stabil. Du hast konstante Energie, bist lange satt und zufrieden. Keine Magie, nur simple Biochemie.
Die Ballaststoffe sind übrigens wahre Helden für den Darm. Aber Achtung: Sie brauchen Flüssigkeit, um ihre Arbeit zu machen. Meine Faustregel für Kunden: Zu jeder dicken Scheibe Vollkornbrot gehört ein großes Glas Wasser. Dann kann die Kleie richtig quellen und macht dich glücklich, statt dir Bauchgrummeln zu bereiten.
Der Bäcker-Check: So erkennst du echtes Vollkorn (und tappst nicht in die Falle)
So, jetzt wird’s praktisch. Der Supermarkt ist voll von Produkten, die gesund aussehen, es aber nicht sind. Lass dich nicht täuschen!
Falle Nr. 1: Die Farbe
Der größte Mythos überhaupt: Dunkles Brot = gesundes Brot. Falsch! Viele Brote sind einfach nur mit Malzextrakt oder Zuckerkulör braun gefärbt. Sieht urig aus, ist aber nur ein Weißbrot im Tarnanzug. Ein echtes Roggenvollkornbrot hat oft eine natürliche, grau-braune, fast „lehmige“ Farbe, aber selten ein tiefes Schwarz.

Falle Nr. 2: Die Körner obendrauf
Ein paar Sonnenblumenkerne auf der Kruste machen aus einem Luftikus noch kein Kraftpaket. Entscheidend ist, was IM Teig steckt, nicht die Deko.
So gehst du auf Nummer sicher:
- Die Zutatenliste ist dein bester Freund. An erster Stelle muss so etwas wie „Roggenvollkornmehl“, „Weizenvollkornschrot“ oder „Dinkelvollkornmehl“ stehen. Wenn da nur „Weizenmehl“ steht (auch mit hoher Typenzahl), ist es kein echtes Vollkornbrot.
Ein Beispiel? Gerne!
GUT: „Roggenvollkornschrot (60 %), Wasser, Weizenvollkornmehl (35 %), Salz, Hefe“
FAKE: „Weizenmehl, Wasser, Malzextrakt, Weizenkleie, Sonnenblumenkerne, Salz“ - Fühl das Gewicht. Echtes Vollkornbrot ist dichter, kompakter und schwerer. Es hat Substanz. Die Krume ist saftig und man sieht oft die kleinen, dunkleren Pünktchen der Kleie.
- Der Preis. Ja, gutes Handwerksbrot ist teurer. Rechne mal mit 4,50 € bis 7,00 € für ein 750g-Brot. Aber sieh es als Investition. Du isst weniger davon, weil es dich viel besser und länger sättigt.
Und der beste Tipp: Frag deinen Bäcker! Ein echter Handwerker ist stolz auf seine Arbeit und erklärt dir gern, was in seinem Brot steckt.

Dein Weg zum Vollkorn-Fan: Ein Plan ganz ohne Stress
Niemand muss von heute auf morgen alles umkrempeln. Das frustriert nur. Fang klein an.
Hier ist deine kleine Bäcker-Challenge: Tausche diese Woche nur eine einzige Sache aus. Statt des weißen Toasts am Morgen nimm eine Scheibe echtes Vollkorntoast. Oder ersetze die weißen Nudeln durch Vollkornnudeln. Mehr nicht. Achte einfach mal darauf, wie du dich fühlst und wie lange du satt bleibst.
Wenn das gut klappt, entdecke die Vielfalt! Probier verschiedene Sorten. Dinkelvollkorn ist oft milder und magenfreundlicher, während Roggen kräftiger schmeckt und super für die Verdauung ist. Weizen ist der Klassiker, nussig im Geschmack. Bald wirst du merken, dass dir die leeren Weißmehlprodukte gar nicht mehr so gut schmecken. Dein Geschmackssinn lernt dazu!
Mehr als nur Brot: Die ganze Welt des vollen Korns
Vollkorn ist so viel mehr als nur das tägliche Brot. Es kann deine ganze Küche bereichern.
- Frühstück: Wie wäre es mit einem Power-Porridge? Mein persönliches 5-Minuten-Rezept: 5 EL kernige Haferflocken mit ca. 150 ml heißem Wasser oder (Hafer-)Milch übergießen, 3 Minuten quellen lassen. Dann eine Handvoll Beeren, ein paar Nüsse und einen Löffel Joghurt oder Quark dazu. Hält garantiert bis zum Mittagessen satt! Übrigens: Ein Kilo gute Haferflocken kostet oft nur um die 1,50 € – ein super günstiger Einstieg!
- Mittag- & Abendessen: Ein Salat mit Quinoa oder Hirse macht ihn zur vollwertigen Mahlzeit. Oder probier mal Grünkernschrot (das ist unreif geernteter Dinkel) als Basis für leckere vegetarische Bratlinge.
- Beim Backen: Wenn du einen Kuchen backst, ersetze einfach mal ein Drittel des Weißmehls durch Dinkel- oder Weizenvollkornmehl. Der Kuchen wird dadurch viel saftiger und nahrhafter.

Für die Selber-Bäcker: Ein paar Tipps aus der Backstube
Du backst gerne selbst? Super! Vollkornmehl ist eine kleine Diva, aber mit diesen Tricks wird’s was.
1. Gib ihm mehr zu trinken: Vollkornmehl ist durstig. Die Kleie saugt Wasser wie ein Schwamm. Plane etwa 10-15 % mehr Flüssigkeit ein als in Rezepten mit weißem Mehl.
2. Gib ihm Zeit: Mische Mehl und Wasser zuerst grob und lass die Mischung 30 Minuten stehen, bevor du Salz und Hefe/Sauerteig dazugibst. In dieser Zeit kann das Mehl quellen, was den Teig geschmeidiger macht.
3. Knete sanft: Die scharfkantigen Schalenstücke können das Klebergerüst des Teigs verletzen. Knete also nicht zu lange und zu wild. Sobald der Teig glatt ist, reicht es oft schon.
Woher bekommst du gutes Mehl? Schau mal im Bioladen, im Reformhaus oder bestell direkt online bei einer Mühle. Dort bekommst du oft eine fantastische Qualität und eine tolle Auswahl.
Ein letztes, wichtiges Wort
Ich bin Bäcker, kein Mediziner. Diese Tipps basieren auf meiner Erfahrung. Wenn du chronische Darmerkrankungen oder eine Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) hast, sprich bitte unbedingt mit deinem Arzt, bevor du deine Ernährung umstellst. Für die meisten gesunden Menschen ist Vollkorn aber ein riesiger Gewinn.

Die Umstellung auf echtes Vollkorn ist keine Diät. Es ist eine Entscheidung für mehr Qualität auf deinem Teller. Du tauschst leere Kalorien gegen Power-Nährstoffe und kurzfristige Sättigung gegen langanhaltende Energie. Es braucht einen Moment, bis man sich daran gewöhnt hat, aber ich verspreche dir: Es lohnt sich.
Bildergalerie


- Aufs Etikett schauen: Nur wo „Vollkorn“ draufsteht, ist auch (mindestens 90%) Vollkorn drin. Begriffe wie „Mehrkorn“, „Kraft-“ oder „Vitalbrot“ sind nicht geschützt.
- Die Farbe ist kein Indiz: Viele dunkle Brote werden mit Malzextrakt gefärbt, um gesünder auszusehen. Echtes Vollkornbrot hat oft eine eher grau-braune, ehrliche Farbe.
- Das Gewicht fühlen: Echtes Vollkornbrot ist durch den hohen Anteil an Schrot und Ballaststoffen deutlich schwerer und kompakter als ein luftiges Weißbrot gleicher Größe.
Der sicherste Weg? Fragen Sie Ihren Bäcker des Vertrauens direkt, welches Mehl er für sein Brot verwendet.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen eine tägliche Aufnahme von mindestens 30 Gramm Ballaststoffen. Die Realität? Die meisten Deutschen erreichen diesen Wert bei weitem nicht.
Zwei dicke Scheiben Roggenvollkornbrot (ca. 100g) liefern bereits rund 8 Gramm dieser wertvollen Pflanzenfasern. Das ist fast ein Drittel des Tagesbedarfs und ein entscheidender Beitrag, um die Verdauung in Schwung zu bringen und das Sättigungsgefühl langanhaltend zu stabilisieren. Ein einfacher Tausch mit großer Wirkung.

Ich will selbst backen – kann ich Weißmehl einfach durch Vollkornmehl ersetzen?
Leider nicht 1:1. Vollkornmehl ist durstiger, da die Kleie viel Flüssigkeit aufsaugt. Als Faustregel gilt: Erhöhen Sie die Wassermenge im Rezept um etwa 10-15%. Zudem braucht der Teig mehr Zeit zum Kneten und Ruhen, damit sich die Aromen entfalten können. Ein guter Start ist, zunächst nur 30% des Weißmehls durch Vollkornmehl (z.B. von Alnatura oder Bauckhof) zu ersetzen und sich langsam an das neue Backgefühl heranzutasten.

Roggenvollkorn: Der rustikale Klassiker. Sein Mehl ist dunkler, der Geschmack kräftig-säuerlich und erdig. Es hält die Feuchtigkeit exzellent, was Brote daraus besonders lange frisch bleiben lässt. Perfekt für dichte, saftige Sauerteigbrote.
Dinkelvollkorn: Der feine Alleskönner. Etwas milder und nussiger im Geschmack als Roggen. Sein Mehl ist heller und lässt sich leichter verarbeiten, was zu luftigeren Broten führt. Eine tolle Wahl für Einsteiger in die Vollkornbäckerei.

Schließen Sie für einen Moment die Augen und denken Sie an den Biss in eine Scheibe echtes, handwerklich gebackenes Vollkornbrot. Da ist zuerst das leise Knacken der kräftigen Kruste, gefolgt vom weichen, aber festen Widerstand der saftigen Krume. Der Geschmack ist eine Sinfonie: erdig vom Roggen, vielleicht leicht süßlich durch ganze Körner, komplex und tief. Es ist kein leeres Beiwerk, sondern ein vollwertiger Genuss, der den Gaumen fordert und belohnt.

- Ein stabiler Blutzuckerspiegel ohne das gefürchtete Mittagstief.
- Langanhaltende Sättigung, die Heißhungerattacken vorbeugt.
- Eine reiche Quelle für Magnesium, das für Muskeln und Nerven essenziell ist.
Das Geheimnis dahinter? Die komplexen Kohlenhydrate des vollen Korns. Sie werden vom Körper langsam und stetig in Energie umgewandelt – wie eine Power-Glut, die stundenlang wärmt, statt nur kurz aufzuflammen.
Wichtiger Hinweis zur Lagerung: Vollkornbrot atmet. Lagern Sie es niemals in einer Plastiktüte, da sich dort Feuchtigkeit staut und Schimmelbildung begünstigt wird. Ein Brottopf aus Ton oder Steingut ist ideal, da er überschüssige Feuchtigkeit aufnimmt und langsam wieder abgibt. Alternativ tut es auch ein sauberes Leinen- oder Baumwolltuch. So bleibt die Kruste knackig und die Krume tagelang frisch.




