Beton, Holz und ein Haufen Mut: Was diese irre Kapelle uns Handwerkern wirklich zeigt
Ich steh jetzt seit über 30 Jahren auf dem Bau. Als Meister hab ich so ziemlich alles gesehen, was man sich vorstellen kann – vom Keller bis zum Dach, vom einfachen Einfamilienhaus bis zum kniffligen Gewerbebau. Man entwickelt mit der Zeit einen Blick für Pläne. Man sieht ein paar Linien auf Papier und weiß sofort, wo die Knackpunkte sind: hier die Statik, dort ein schwieriger Materialübergang, und da drüben die Stelle, an der es auf jeden Millimeter ankommt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Die Idee: Wenn eine Metapher zur Baustelle wird
- 2 Das unsichtbare Skelett: Ein Meisterwerk der Statik
- 3 Materialien mit Charakter: Eine bewusste Entscheidung
- 4 Ohne die Hände geht gar nichts
- 5 Die unsichtbare Technik: Wo ist der ganze Kram?
- 6 Was wir daraus lernen können – ganz ehrlich
- 7 Mein Fazit: Respekt, Leute!
- 8 Bildergalerie
Aber ganz ehrlich? Ab und zu stolpert man über ein Bauwerk, das einfach anders ist. Eins, das mehr ist als nur Wände und ein Dach. Es ist eine Idee, gegossen in Beton und Stahl. Die berühmte „Ribbon Chapel“ aus Japan ist genau so ein Ding.
Ich bin kein Architekt, der jetzt über die tiefere Bedeutung von Ästhetik philosophiert. Ich bin Handwerker. Mich interessiert: Wie ist das gemacht? Hält das? Und vor allem: Wie zur Hölle haben die Kollegen das gebaut? Als ich die Bilder dieser Kapelle zum ersten Mal sah, dachte ich nicht an eine romantische Hochzeit. Ich dachte an Windlast, an die Statik dieser irren Treppen und an die Verantwortung des Ingenieurs, der das alles berechnet hat. Denn dieses Gebäude ist nicht nur schön – es ist eine absolute Demonstration von Ingenieurs- und Handwerkskunst auf höchstem Niveau.

Die Idee: Wenn eine Metapher zur Baustelle wird
Die Grundidee der Planer war ja, den Weg von zwei Menschen darzustellen, die sich finden, umeinander winden und am Ende eine Einheit bilden. Klingt super, ist aber für uns auf dem Bau erstmal nur eine nette Geschichte. Unsere Aufgabe ist es, aus dieser Geschichte ein sicheres Gebäude zu machen, das nicht beim ersten Sturm zusammenfällt.
Stell dir mal vor, dein Chef kommt und sagt: „Bau mal zwei freitragende, spiralförmige Treppen, die sich gegenseitig stützen.“ Jede einzelne für sich wäre schon eine Meisterleistung. Aber hier bilden sie zusammen das gesamte Tragwerk. Die eine Spirale drückt, die andere zieht. Im Grunde ist das ein uraltes Prinzip, das wir vom Fachwerk kennen: ein ausbalanciertes Spiel von Druck- und Zugkräften. Nur wurde es hier auf eine unglaublich elegante, fast schon verrückte Art neu interpretiert. Die ganze Kapelle ist quasi ein einziges, in den Himmel geschraubtes Fachwerk.

Das unsichtbare Skelett: Ein Meisterwerk der Statik
Ein Gebäude wie dieses steht und fällt mit seiner Statik. Das ist keine Magie, das ist pure Physik. Für meine Lehrlinge erkläre ich das oft mit einem Kartenhaus: Jede Karte muss exakt an der richtigen Stelle stehen. Hier ist es dasselbe, nur eben mit Tonnen von Beton und Stahl.
Das geniale Prinzip dahinter ist das gegenseitige Stützen. Wie zwei Leute, die sich Rücken an Rücken aneinanderlehnen, um nicht umzufallen. Die Lasten – also das Eigengewicht, die Menschen, der Wind – werden über die gesamte Struktur verteilt. Wo die eine Spirale nach außen drängt, wird sie von der anderen gehalten. Das funktioniert über stählerne Verbindungsstege, die an strategisch wichtigen Punkten sitzen und die beiden „Bänder“ unzertrennlich machen.
Materialien im Teamwork
So etwas kannst du nur mit Stahlbeton bauen. Beton ist ein Biest, wenn es um Druck geht, aber bei Zugkräften ist er eine Mimose. Deshalb legen wir Bewehrungsstahl ein, der genau diese Zugkräfte aufnimmt. Bei diesen Spiralen ist die exakte Position des Stahls alles. Legst du den nur wenige Zentimeter falsch, ist die ganze Statik im Eimer. Die Bewehrungspläne dafür müssen ausgesehen haben wie moderne Kunst.

Gut zu wissen: In Deutschland würde so ein Projekt eine extrem genaue Prüfung nach den Eurocodes erfordern. Jeder Verbindungspunkt, jede Biegung im Stahl wäre aufs Genaueste vorgegeben. Man kann davon ausgehen, dass die japanischen Kollegen nach ähnlich strengen Regeln gearbeitet und das Ganze vorher am Computer in 3D-Modellen bis ins kleinste Detail simuliert haben.
Mehr als nur Deko: Die Rolle des Glaskerns
Zwischen den Spiralen sitzt die eigentliche Kapelle, ein Zylinder komplett aus Glas. Man könnte meinen, der hält nur den Regen ab. Aber da steckt sicher mehr dahinter. Die riesigen Glasscheiben sind mit großer Wahrscheinlichkeit als aussteifende Elemente in die Stahlkonstruktion von Boden und Decke eingespannt. Sie verhindern, dass sich die Spiralen seitlich verdrehen. Wir reden hier nicht von normalem Fensterglas, sondern von locker 20 bis 30 Millimeter starkem Verbundsicherheitsglas (VSG). Eine einzige dieser Scheiben wiegt mehrere hundert Kilo.
Materialien mit Charakter: Eine bewusste Entscheidung
Ein guter Handwerker kennt sein Material. Er weiß, wie es sich verhält und wie es altert. Hier wurde auf wenige, aber perfekt eingesetzte Materialien gesetzt.

Sichtbeton: Die ehrliche Haut
Die Treppen sind aus hellem Sichtbeton. Und Sichtbeton, mein Freund, ist gnadenlos. Jeder Fehler in der Schalung, jede Luftblase, jede unsaubere Kante bleibt für immer sichtbar. Die Qualität hier ist außergewöhnlich. Das bedeutet, die Schalung muss ein absolutes Meisterwerk der Zimmerer gewesen sein – Modellbau im Maßstab 1:1. So eine gebogene Sichtbetonwand in dieser Qualität zu erstellen, kostet übrigens locker das Fünf- bis Zehnfache einer normalen, geraden Wand. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Da reicht ein unachtsamer Moment. Ich hatte mal einen Azubi, der mit dem Betonrüttler kurz die Schalung berührt hat. Den kleinen Abdruck siehst du heute noch, Jahre später. Das macht die Leistung der Kollegen dort umso beeindruckender.
Holzfassade: Ein Schutzschild mit Wartungsplan
Außen sind die Spiralen mit Holz verkleidet, was dem kühlen Beton eine wunderbare Wärme gibt. Aber Achtung! Die Lage direkt am Meer ist für Holz der Endgegner. Salz, Feuchtigkeit, Sonne… das frisst sich durch fast alles. Hier wurde sicher eine extrem witterungsbeständige Holzart wie Zeder oder thermisch behandeltes Holz verwendet. In Deutschland würden wir uns an die DIN 68800 halten – das ist quasi unser Grundgesetz dafür, wie man Holz so verbaut, dass es nicht nach fünf Jahren wegfault. Die senkrechte Anordnung der Latten ist schon mal super, so kann Wasser ablaufen. Aber klar ist auch: Holz im Außenbereich braucht Pflege. Das ist wie beim Auto, das muss alle paar Jahre kontrolliert und nachbehandelt werden. Das ist ein Fass ohne Boden, wenn man es vernachlässigt.

Glas: Gelebte Transparenz
Die rahmenlosen Glasflächen sind der Wahnsinn. Aber sie sind auch eine technische Herausforderung. Im Sommer heizt sich so eine Glasbox brutal auf. Da braucht man spezielles Sonnenschutzglas, das einen Teil der Wärmestrahlung reflektiert, sonst sitzt du da drin wie in einer Sauna. Und die Abdichtung zwischen den Scheiben und zum Beton? Ein kritischer Punkt. Eine undichte Fuge kann über die Jahre massive Schäden verursachen. Kleiner Fun-Fact vom Bau: Wusstest du, dass Beton beim Aushärten um Millimeter schwindet? Das müssen die Planer vorher exakt berechnen, sonst passen am Ende die sauteuren, maßgefertigten Glasscheiben nicht mehr. Verrückt, oder?
Ohne die Hände geht gar nichts
Am Ende des Tages kann ein Computer noch so schlau rechnen – den Beton gießen, die Schalung zimmern und das Glas montieren müssen immer noch Menschen. Dieses Gebäude ist ein Denkmal für das Können der Handwerker.
- Die Schalungs- und Betonbauer müssen eine Präzision an den Tag gelegt haben, die man sonst nur von Uhrmachern kennt. Jedes Brett der Schalung war ein Unikat.
- Die Zimmerer und Fassadenbauer, die die Holzfassade an einer gebogenen, geneigten Fläche montiert haben – das ist Millimeterarbeit in luftiger Höhe.
- Und die Glaser und Metallbauer, die diese tonnenschweren Scheiben mit Kränen und Saughebern an ihren Platz gehievt haben… da darf nichts schiefgehen.

Die unsichtbare Technik: Wo ist der ganze Kram?
Was man bei so einem cleanen Design oft vergisst, ist die ganze Technik. Wo laufen die Stromkabel für die Beleuchtung? Die sind mit Sicherheit in Leerrohren direkt in den Beton eingegossen worden. Wehe, du vergisst da eins! Eine Heizung oder Kühlung? Wahrscheinlich eine Fußbodenheizung, denn für Heizkörper ist hier kein Platz. Und wie wird das Dach entwässert? Das Wasser muss über versteckte Rinnen und Fallrohre abgeleitet werden, was eine extrem genaue Planung erfordert.
Was wir daraus lernen können – ganz ehrlich
Für Bauherren: Eine einzigartige Vision hat ihren Preis. Und der ist hier verdammt hoch. So ein Projekt erfordert nicht nur Geld, sondern auch den Mut, den Experten blind zu vertrauen.
Für uns Handwerker: Solche Projekte sind das Salz in der Suppe unseres Berufs. Sie zeigen, was möglich ist, und spornen an, immer besser zu werden. Ich zeige meinen Azubis oft solche Bilder und sage: „Seht her, das ist mehr als nur Steine stapeln. Das ist gebaute Leidenschaft.“

Zur Langlebigkeit: Hier bin ich als Praktiker immer etwas skeptisch. Ein so filigranes Gebäude an der Küste ist eine Verpflichtung. Die Holzfassade braucht regelmäßig Öl, die Fugen am Glas müssen kontrolliert werden. Das ist kein Bauwerk, das man hinstellt und vergisst.
Mein Fazit: Respekt, Leute!
Bei aller Begeisterung darf man die Sicherheit natürlich nicht vergessen. Die Geländer der Treppen sehen auf den Fotos verdammt niedrig aus. In Deutschland? Undenkbar. Da brauchst du je nach Absturzhöhe mindestens 90 Zentimeter, oft sogar 1,10 Meter. Auch die Windlasten, die auf diese offene Struktur wirken, müssen gewaltig sein.
Am Ende bleibt bei mir ein tiefes Gefühl des Respekts. Respekt vor den Architekten mit ihrer kühnen Vision. Respekt vor den Ingenieuren, die das Ganze sicher gemacht haben. Aber vor allem Respekt vor den Händen der Handwerker, deren Schweiß und Können in jedem Quadratzentimeter dieses Bauwerks stecken. Diese Kapelle ist mehr als nur ein Gebäude. Sie ist ein in Beton gegossenes Versprechen, dass echtes Handwerk auch heute noch die Grundlage für die atemberaubendsten Dinge ist. Und verdammt, es scheint zu halten.

Bildergalerie


Man sieht den weißen, glatten Beton und denkt an Leichtigkeit. Aber das Material, das hier zum Einsatz kam, ist ein Schwergewicht in Sachen Technologie. Es handelt sich um einen hochfesten, selbstverdichtenden Beton (SCC). Der Vorteil: Er fließt wie Honig in die komplexesten Schalungen, ohne dass mechanisch gerüttelt werden muss. Das Ergebnis ist eine porenfreie, makellose Oberfläche, die fast wie polierter Stein wirkt – eine absolute Voraussetzung für die filigrane Ästhetik der Bänder.

„Ein Gebäude wie dieses ist zu 10 % Architektur und zu 90 % brillante Ingenieurskunst.“


Wie haben die Bauleute die extreme Krümmung der Treppen überhaupt geschalt?
Das war eine der größten Hürden. Hier kam keine Standard-Systemschalung zum Einsatz. Die Schalung wurde wahrscheinlich aus Tausenden von individuell CNC-gefrästen Holz- oder Kunststoffteilen zusammengesetzt, ähnlich einem riesigen 3D-Puzzle. Jeder Millimeter musste exakt sitzen, um die fließende Form ohne Knicke oder Wellen zu garantieren. Allein der Auf- und Abbau dieser temporären Stützstruktur war ein eigenes Meisterwerk der Logistik und Präzision.

Das unsichtbare Skelett: Im Kern der beiden Betonschleifen steckt die wahre Kraft. Ein massives Fachwerk aus hochfestem Bewehrungsstahl nimmt die Zug- und Druckkräfte auf. Die äußere Spirale stützt die innere an strategischen Punkten durch horizontale Stahlstangen, die durch die Glasfassade ragen. Ohne dieses präzise berechnete und verschweißte Stahlskelett wäre die gesamte Konstruktion nur eine schöne, aber instabile Skulptur.

Die Wahl der Materialien ist kein Zufall, sondern ein bewusstes Statement.
- Beton: Symbolisiert die Stärke und Beständigkeit der Verbindung.
- Holz: Die vertikale Lattung der Außenwände bringt Wärme und Naturverbundenheit ins Spiel. Oft wird hierfür Zypressenholz (Hinoki) verwendet, das in Japan traditionell für Tempel und Schreine genutzt wird.
- Glas: Steht für Transparenz und Offenheit zwischen den Partnern und zur umgebenden Natur.


- Vermeidung von Schwingungen bei Wind
- Stabilität bei Erdbeben
- Gleichmäßige Lastenverteilung
Das Geheimnis? Die sogenannte Schwingungstilgung. Die beiden Bänder sind nicht nur optisch, sondern auch statisch miteinander verbunden. Sie wirken wie eine riesige Feder und ein Gegengewicht zugleich. Vibrationen in einem Band werden durch das andere ausgeglichen und neutralisiert – ein Prinzip, das man auch bei modernen Wolkenkratzern in Erdbebengebieten anwendet.

In Japan, einem der erdbebenreichsten Länder der Welt, müssen Gebäude seismischen Kräften standhalten, die oft ein Vielfaches ihres Eigengewichts betragen.
Die fließende, in sich geschlossene Form der Ribbon Chapel ist hier ein genialer Schachzug. Ähnlich wie ein gewundener Bambushalm kann die Struktur seitliche Kräfte aufnehmen und durch ihre Flexibilität ableiten, anstatt starr zu brechen. Das ist traditionelles japanisches Bauwissen in modernster Ausführung.

Entscheidung am Bau: Ortbeton vs. Fertigteile
Ortbeton: Wie hier verwendet, wird der Beton direkt vor Ort in die Schalung gegossen. Das ermöglicht eine fugenlose, monolithische Optik, ist aber extrem aufwendig und witterungsabhängig.
Fertigteile: Vorgefertigte Betonelemente hätten die Bauzeit verkürzt, aber unweigerlich zu sichtbaren Fugen geführt. Die perfekte, fließende Form der Bänder wäre so niemals möglich gewesen.
Für die Vision des Architekten Hiroshi Nakamura war Ortbeton die einzig denkbare Option.


Das strahlende Weiß ist mehr als nur eine Farbwahl. Es entmaterialisiert den schweren Beton und lässt das Gebäude im Sonnenlicht fast schweben. Gleichzeitig dient es als perfekte Leinwand für das Spiel von Licht und Schatten, das durch die gewundene Form und die umgebenden Bäume entsteht. Verwendet wurde hierfür oft ein spezieller Weißzement in der Betonmischung, ergänzt durch einen hochwertigen, schmutzabweisenden Anstrich von Herstellern wie Keim oder Sto, um die makellose Optik dauerhaft zu erhalten.

Der Teufel im Detail: Die Anschlüsse zwischen Beton, Glas und den stählernen Verbindungselementen sind die wahren Knackpunkte. Hier treffen starre und flexible Materialien aufeinander, die sich bei Temperaturschwankungen unterschiedlich ausdehnen. Spezielle Dehnungsfugen und hochelastische Dichtungsprofile, wie sie etwa von Schüco für ihre Fassadensysteme entwickelt werden, sind hier unerlässlich, um Spannungsrisse und Undichtigkeiten über Jahrzehnte zu verhindern.

Warum ist der Aufstieg so lang?
Der Weg zur Aussichtsplattform auf dem Dach ist mit 160 Metern bewusst lang gestaltet. Er symbolisiert den Lebensweg des Paares. Jeder Schritt auf der sanft ansteigenden Rampe bietet neue Perspektiven auf die Umgebung und den Partner auf der gegenüberliegenden Treppe, bis man sich am höchsten Punkt trifft. Es ist eine architektonische Inszenierung des Zusammenfindens.


- Statiker: Der eigentliche Held des Projekts, der die Vision in Zahlen und Lastenpläne übersetzte. In diesem Fall war es das renommierte Büro Arup.
- Schalungsbauer: Die Künstler, die die Negativform des Gebäudes erschufen.
- Betontechnologe: Der Chemiker, der die perfekte Mischung für Festigkeit und Ästhetik entwickelte.
- Metallbauer: Verantwortlich für das innere Stahlskelett und die präzisen Verbindungsbolzen.

Architekten wie Zaha Hadid waren berühmt für ihre fließenden, organischen Betonformen. Der Unterschied zur Ribbon Chapel liegt in der strukturellen Logik. Während Hadids Bauten oft wie erstarrte Flüssigkeiten wirken, die von einem inneren Stahlgerüst getragen werden, ist bei Nakamura die Form selbst das Tragwerk. Die Eleganz entsteht hier nicht nur aus der Ästhetik, sondern aus der sichtbaren und nachvollziehbaren Physik.


„Ich wollte eine Architektur schaffen, die den Akt der Vereinigung segnet und die beiden Leben, die hier eins werden, verkörpert.“ – Hiroshi Nakamura, Architekt

Wichtiger Punkt: Digitale Planung. Ein solches Bauwerk ist ohne modernste Software undenkbar. Mittels Building Information Modeling (BIM) wurde ein komplettes 3D-Modell erstellt. Jeder Balken, jede Schraube und jede Biegung der Schalung wurde digital geplant und auf Kollisionen geprüft, bevor auch nur ein Bagger anrückte. Programme wie Autodesk Revit oder Rhino waren hier das zentrale Werkzeug für Architekten und Ingenieure.

Die Verglasung zwischen den Bändern ist kein Standardfenster. Es handelt sich um eine Pfosten-Riegel-Konstruktion, bei der die Glasscheiben die eigentliche Wand bilden. Jede einzelne Scheibe ist ein Unikat mit trapezförmigem Zuschnitt, um der doppelten Krümmung der Betonbänder exakt zu folgen. Eine logistische und montagetechnische Meisterleistung.


Schaut man genau hin, erkennt man die feine vertikale Textur der Holzverschalung an den Wänden im Erdgeschoss. Diese simple, aber effektive Technik erzeugt ein subtiles Linienspiel, das einen schönen Kontrast zur glatten, horizontalen Bewegung der Betontreppen bildet. Es ist ein Dialog zwischen Ruhe und Dynamik.

Wie hält man so ein Gebäude sauber?
Die selbstreinigende Wirkung der weißen Farbe (oft mit Titandioxid-Partikeln versehen) hilft, aber die ausladenden, schwer zugänglichen Flächen sind eine Herausforderung. Die Wartung erfolgt wahrscheinlich durch spezialisierte Industriekletterer, die sich von oben abseilen, um Glas und Beton zu reinigen – ein Aufwand, der bei der Planung bereits berücksichtigt werden muss.

- Reduziert den Nachhall im Innenraum
- Sorgt für eine angenehme, feierliche Akustik
- Bricht Schallwellen auf unregelmäßige Weise
Der Grund? Die ständige Krümmung. Im Gegensatz zu Räumen mit flachen, parallelen Wänden gibt es hier kaum ein stehendes Echo. Der Schall wird von den gebogenen Oberflächen sanft im Raum verteilt, was für eine außergewöhnlich klare und gleichzeitig gedämpfte Klangatmosphäre sorgt.


Licht als Baustoff: Der Architekt hat nicht nur mit Beton, sondern vor allem mit Tageslicht gearbeitet. Die großen Glasflächen und die offene Struktur fluten den Innenraum mit Licht. Je nach Tageszeit und Sonnenstand wandern die Schatten der Bänder und der umstehenden Bäume durch den Raum und machen die Architektur lebendig. Das Gebäude verändert seinen Charakter mit jeder Stunde.

Der Verbrauch an Bewehrungsstahl in komplexen Stahlbetonbauten kann bis zu 300 kg pro Kubikmeter Beton betragen – mehr als das Dreifache eines Standard-Wohnbaus.
Diese enorme Menge Stahl ist das, was dem Beton seine Fähigkeit gibt, Zugkräfte aufzunehmen. Bei der Ribbon Chapel ist dieser Wert vermutlich sogar noch höher, um die schlanken Bänder trotz der gewaltigen Spannweiten zu realisieren.

Man könnte meinen, die Fundamente müssten riesig sein. Tatsächlich ist die Gründung erstaunlich filigran. Durch die sich selbst tragende und ausbalancierte Spiralform werden die Lasten sehr zentriert und senkrecht in den Boden abgeleitet. Es gibt kaum seitliche Schubkräfte auf das Fundament, was eine massive Verankerung überflüssig macht. Auch hier zeigt sich die Effizienz des Designs.


Miyadaiku-Prinzip: Die Präzision und die Ehrfurcht vor dem Material erinnern an die „Miyadaiku“, die traditionellen japanischen Tempel- und Schrein-Zimmerleute. Ihre Philosophie, dass ein Bauwerk Jahrhunderte überdauern soll und jedes Detail perfekt sein muss, findet sich in der makellosen Ausführung der Ribbon Chapel wieder – eine Brücke zwischen altem Handwerksethos und modernster Bautechnik.

Gab es einen Plan B?
Bei einem derart experimentellen Bau gibt es immer Risiken. Der kritischste Moment war das „Ausschalen“ – das Entfernen der stützenden Schalungskonstruktion. Hätten die Berechnungen nicht gestimmt, wäre das Gebäude in diesem Moment in sich zusammengesackt. Die Ingenieure von Arup haben die Verformung beim Entfernen der Stützen per Computersimulation auf den Millimeter genau vorhergesagt. Als die realen Messwerte mit der Prognose übereinstimmten, war das der ultimative Beweis für die Korrektheit des statischen Modells.
Die elegante Wendung der Treppen hat auch einen ganz praktischen klimatischen Vorteil. Im Sommer wirkt die massive Betonstruktur wie ein Kältespeicher, während die offene Form und die Höhe einen Kamineffekt erzeugen: Warme Luft steigt nach oben und entweicht, was für eine natürliche Kühlung sorgt. Ein frühes Beispiel für passives, nachhaltiges Design.




