Impfstoff aus dem Rechner? Was im Labor wirklich abgeht – Ein Blick hinter die Kulissen

von Emma Wolf
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Ich stehe schon eine ganze Weile im Labor. Genug lange, um zu wissen, dass jede neue Technologie-Welle als die „ganz große Revolution“ angekündigt wird. Meistens bleibt davon am Ende nur ein neues, blinkendes Gerät im Regal und ein Haufen Fachjargon übrig. Ehrlich gesagt, wir Praktiker werden da mit der Zeit skeptisch. Wir vertrauen auf das, was wir in den Händen halten, mit eigenen Augen sehen und über Jahre gelernt haben. Präzision und Erfahrung, darauf kommt es an.

Aber vor einiger Zeit stolperte ich über eine Meldung, die mich dann doch aufhorchen ließ. Ein Forscherteam hatte einen vielversprechenden Grippeimpfstoff entwickelt. Das allein ist noch keine Sensation. Der Knüller war: Die eigentliche Knochenarbeit, das Finden des Wirkstoffs, hatte ein Computerprogramm erledigt. Eine sogenannte Künstliche Intelligenz. Mein erster Gedanke? Klar, wieder so ein Marketing-Gag. Doch je mehr ich mich einlas, desto klarer wurde: Das ist kein leeres Gerede. Hier wird gerade ein völlig neues Werkzeug für unsere Zunft geschmiedet. Und als alter Hase im Labor weiß ich: Das richtige Werkzeug zur richtigen Zeit kann absolut alles verändern.

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Lassen Sie uns das mal ganz ohne Werbesprech auseinandernehmen. Ich will Ihnen aus der Praxis erklären, wie wir bisher geschuftet haben, was diese neue KI-Methode wirklich kann und wo die Haken, aber auch die riesigen Chancen liegen. Denn eins ist sicher: Nur wer sein Werkzeug versteht, kann damit auch Meisterwerke schaffen.

Das alte Handwerk: Impfstoff-Entwicklung als Geduldsspiel

Um das Neue zu schätzen, muss man das Alte kennen. Und die Entwicklung eines Impfstoffs war bisher vor allem eines: ein unglaublich zäher und langwieriger Prozess. Ein Marathon aus manuellen Schritten, ständigen Rückschlägen und, ja, manchmal auch einer Prise Glück. Ich habe selbst an solchen Projekten mitgearbeitet – man braucht Nerven aus Stahl.

Schritt 1: Den Gegner einkreisen

Am Anfang steht immer das Virus. Bei der Grippe ist das besonders fies, denn das Influenzavirus ist ein Meister der Tarnung. Es verändert sich ständig. Stell dir vor, ein Einbrecher wechselt jedes Jahr sein komplettes Werkzeug – so ähnlich ist das. Unser Immunsystem lernt eine Variante kennen, doch in der nächsten Saison sieht der Erreger schon wieder anders aus. Deshalb brauchen wir jedes Jahr einen neuen Impfstoff.

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Weltweit sammeln Experten Proben und analysieren, welche Virusstämme gerade die Runde machen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt dann eine Prognose ab, welche Kandidaten die nächste Grippewelle dominieren werden. Das ist eine hochqualifizierte Schätzung, aber es bleibt eben eine Schätzung.

Schritt 2: Den passenden Schlüssel feilen

Ein Impfstoff funktioniert, indem er unserem Immunsystem einen harmlosen Teil des Virus präsentiert, meist ein Protein von seiner Oberfläche. Man nennt das Antigen. Das Immunsystem prägt sich dieses Merkmal ein und schmiedet die passenden Antikörper. Taucht dann das echte Virus auf, wird es sofort erkannt und unschädlich gemacht.

Klingt simpel, ist es aber nicht. Welcher Teil des Virus provoziert die stärkste Abwehr? Und wie produzieren wir diesen Teil in riesigen Mengen, ohne dass er kaputtgeht? Diese Fragen haben wir im Labor mit Tausenden Versuchen beantwortet. Wir haben Viren mühsam in Hühnereiern oder Zellkulturen gezüchtet – eine bewährte, aber quälend langsame Technik, die sich seit Jahrzehnten kaum geändert hat. Allein die Reagenzien und Nährmedien für eine einzige Testreihe können Tausende von Euro kosten.

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Schritt 3: Der Weckruf fürs Immunsystem

Oft reicht das Antigen allein nicht aus, um eine robuste Immunantwort auszulösen, besonders bei älteren Menschen. Hier kommt ein Helfer ins Spiel: ein sogenanntes Adjuvans. Das ist eine Substanz, die man dem Impfstoff beimischt, um das Immunsystem wachzurütteln. Man kann es sich vorstellen wie einen lauten Ruf: „Hey, hierher schauen! Das hier ist wichtig, merk es dir gut!“

Die Suche nach dem perfekten Adjuvans war reine Fleißarbeit. Wir haben Hunderte bekannter Substanzen in unzähligen Konzentrationen getestet. Das hat Unsummen an Zeit und Geld verschlungen. Ein einzelner Fehlschlag konnte ein ganzes Projekt um Monate zurückwerfen.

Dieser gesamte Prozess, von der ersten Analyse bis zu einem vorzeigbaren Kandidaten, dauerte nicht selten 5 bis 10 Jahre und konnte bis zu einer Milliarde Euro verschlingen. Ohne Erfolgsgarantie. Das war unsere Realität.

Die neue Werkbank: Wie KI den Spieß umdreht

Und jetzt kommt die KI ins Spiel. Man muss sich das so vorstellen: Ein Computer „denkt“ nicht wie ein Mensch. Er rechnet. Aber er tut das in einer Geschwindigkeit und mit einer Mustererkennung, die für uns unvorstellbar ist.

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Der Prozess lässt sich eigentlich ganz gut in vier Schritten erklären:

  1. Füttern & Lernen: Zuerst haben die Forscher ein KI-System mit einer gigantischen Datenbank gefüttert. Darin enthalten: Informationen über Millionen von chemischen Verbindungen und deren Wirkung auf das Immunsystem. Die KI lernte, welche molekularen Strukturen eine starke Abwehrreaktion auslösen und welche Rohrkrepierer sind. Wie ein Azubi, der Tausende Baupläne studiert und irgendwann instinktiv weiß, welcher Entwurf hält und welcher zusammenbricht.
  2. Kreativ werden & Entwerfen: Danach bekam ein zweites Programm, ein sogenannter Generator-Algorithmus, eine verrückte Aufgabe: Entwirf am Computer völlig neue Moleküle! Es erzeugte virtuell Billionen von denkbaren chemischen Verbindungen – eine Zahl mit zwölf Nullen! Kein Mensch könnte das jemals auch nur überfliegen.
  3. Filtern & die Perlen finden: Jetzt kam die erste KI wieder zum Einsatz. Sie durchforstete diese Billionen virtueller Moleküle und prüfte jedes einzelne: Passt es zu den gelernten Mustern eines Top-Adjuvans? Das ist, als würde ein Meister eine riesige Kiste voller Schlüssel durchsuchen, um die drei oder vier zu finden, die perfekt ins Schloss passen.
  4. Prüfen & ins Labor schicken: Am Ende spuckte das System eine kurze Liste mit den absolut vielversprechendsten Kandidaten aus. Nur diese wenigen wurden dann tatsächlich im Labor hergestellt und getestet.

Dieser Ansatz ist revolutionär, weil er den alten Prozess komplett auf den Kopf stellt. Statt im Labor hunderte Substanzen über Jahre mühsam zu testen, prüft der Computer Billionen Möglichkeiten virtuell in wenigen Wochen. Er sortiert den ganzen Schrott sofort aus. Das spart nicht nur Jahre an Entwicklungszeit, sondern potenziell auch 30-40% der horrenden Kosten, weil man Fehlschläge im Labor drastisch reduziert.

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Ein „aufgeladener“ Impfstoff als Ergebnis

Mit dieser Methode wurde nicht einfach nur irgendein Impfstoff entworfen. Das Ziel war ein „turbo-aufgeladener“ Impfstoff. Das von der KI entworfene Adjuvans soll eine so starke Immunantwort hervorrufen, dass der Schutz gerade für Risikogruppen wie Senioren oder Menschen mit Vorerkrankungen deutlich besser ist. Deren Immunsystem braucht oft einen kräftigeren Anstoß, und genau den soll dieser neue Wirkverstärker liefern.

Übrigens: Auch bei der rasanten Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe spielte KI eine entscheidende Rolle. Sie half dabei, das Spike-Protein des Virus in Rekordzeit zu analysieren und die Struktur für die mRNA-Impfstoffe zu optimieren. Was wir hier sehen, ist also keine ferne Zukunftsmusik, sondern eine Technologie, die schon mitten in unserem Leben angekommen ist.

Der ultimative Test: Wo der Computer passen muss

Ein Molekül am Bildschirm zu designen ist eine Sache. Aber zu beweisen, dass es im menschlichen Körper sicher und wirksam ist? Das ist eine völlig andere Welt. An diesem Punkt endet die Arbeit der KI, und die knallharte, traditionelle Prüfung am Menschen beginnt. Und das ist auch gut so.

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Kein Computer der Welt kann die unendliche Komplexität des menschlichen Körpers simulieren. Deshalb durchläuft jeder neue Impfstoffkandidat strenge klinische Studien, die von Behörden wie dem Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland oder der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) überwacht werden.

  • Phase I: Sicherheit zuerst. Eine kleine Gruppe gesunder Freiwilliger erhält den Impfstoff, um die Verträglichkeit zu testen. Hier geht es nur darum: Gibt es unerwünschte Reaktionen?
  • Phase II: Wie gut wirkt’s? Eine größere Gruppe wird einbezogen. Jetzt schaut man: Löst der Impfstoff die gewünschte Immunantwort aus? Welche Dosis ist optimal?
  • Phase III: Die Feuerprobe. Tausende Menschen nehmen teil. Jetzt muss der Impfstoff im echten Leben zeigen, was er kann. Schützt er wirklich besser vor einer Erkrankung als bisherige Mittel? Hier fallen auch seltene Nebenwirkungen auf.

Dieser Weg dauert Monate, manchmal Jahre, und er ist das Fundament unseres Vertrauens in die moderne Medizin. Ich erinnere mich an einen Wirkstoff, an dem wir vor langer Zeit gearbeitet haben. Im Labor sah alles perfekt aus. Aber in der ersten Phase am Menschen zeigten sich plötzlich ernste Nebenwirkungen. Das Projekt wurde sofort gestoppt. Das zeigt: Der Computer ist ein brillanter Berater, aber die letzte Prüfung findet immer im echten Leben statt.

Blick in die Werkstatt der Zukunft

Auch wenn der Weg für jeden einzelnen Kandidaten lang bleibt, die Richtung ist klar. KI wird ein Standardwerkzeug im Labor, so wie heute das Mikroskop. Was heißt das für uns?

Stellen Sie sich vor, ein neues, gefährliches Virus taucht auf. Früher dauerte es Monate, allein die Struktur zu analysieren. Mit KI könnte dieser Prozess auf wenige Tage schrumpfen. Wir könnten viel schneller reagieren und im Kampf gegen Pandemien wertvolle Zeit gewinnen.

Langfristig ist sogar personalisierte Medizin denkbar. Zum Beispiel ein Krebsimpfstoff, dessen Wirkstoff von einer KI exakt auf die Tumorzellen eines einzelnen Patienten zugeschnitten wird. Das klingt heute noch nach Science-Fiction, aber die Grundlagen dafür werden gerade gelegt.

Ein abschließendes Wort aus der Werkstatt

Die Nachricht vom KI-Impfstoff ist mehr als eine Schlagzeile. Sie ist ein Zeichen, dass menschlicher Erfindergeist und pure Rechenpower eine unschlagbare Kombination sind. Für uns im Labor ist das keine Bedrohung. Ganz im Gegenteil. Wir bekommen ein schärferes, präziseres Werkzeug an die Hand.

Es nimmt uns nicht die Arbeit ab. Aber es hilft uns, die Nadel im Heuhaufen zu finden, wo wir früher den ganzen Haufen mühsam von Hand umgraben mussten.

Am Ende des Tages bleibt unsere Verantwortung dieselbe: die für Qualität und Sicherheit zu sorgen. Das erfordert Sorgfalt, Erfahrung und ein gesundes Misstrauen gegenüber zu einfachen Lösungen. Daran wird auch die beste KI der Welt nichts ändern. Und ganz ehrlich? Das ist auch gut so.

Was meint ihr dazu? Seht ihr in der KI einen Segen für die Medizin oder wird euch bei dem Gedanken an einen „Computer-Doktor“ eher mulmig? Schreibt eure Meinung doch mal in die Kommentare!

Emma Wolf

Ich liebe es, unseren Lesern und Leserinnen praktische und einzigartige Informationen, Tipps und Life Hacks über allmögliche Themen zu geben, die sie in ihrem Alltag auch tatsächlich anwenden können. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem – neuen Trends, neuen Techniken, Projekten und Technologien.