Marokkanisch wohnen: So holst du dir das echte Orient-Gefühl nach Hause – ganz ohne Kitsch
In meiner Werkstatt riecht es fast immer nach Holz. Nach Zeder, Eiche, manchmal nach frisch gesägtem Nussbaum. Über die Jahre habe ich gelernt: Jedes Material hat seine eigene Seele. Vor einiger Zeit kam ein Kunde zu mir, der gerade aus Marokko zurück war. Er hatte keine Fotos dabei, sondern eine Erinnerung, ein Gefühl. Er erzählte vom kühlen Glanz von poliertem Putz an den Wänden, vom gedämpften Licht, das durch Holzgitter tanzte, und vom leisen Plätschern eines Brunnens. Genau das wollte er bei sich zu Hause haben – nicht als Kulisse, sondern als echten Lebensraum.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Die Grundlagen: Warum es nicht nur um Deko geht
- 2 Materialkunde für Herz und Hände
- 3 Jetzt wird’s praktisch: So setzt du es um
- 4 Die Atmosphäre: Licht, Stoffe und die häufigsten Fehler
- 5 Dein Start: Orient-Flair für unter 150 €
- 6 Selber machen oder machen lassen? Eine ehrliche Einschätzung
- 7 Ein letztes Wort aus der Werkstatt
- 8 Bildergalerie
Ganz ehrlich? Viele zucken beim Thema „arabisch einrichten“ erst mal zusammen. Sie denken an überladene Märchenfilme und fürchten, der Stil sei zu bunt und verschnörkelt für unsere moderne Welt. Aber das ist ein riesiges Missverständnis. Im Kern geht es um Rückzug, Geborgenheit und die hohe Kunst des Handwerks. Es geht darum, Räume zu schaffen, die die Sinne beruhigen.
Ich möchte dir hier mal aus der Werkstatt-Perspektive zeigen, worauf es wirklich ankommt. Welche Materialien den Unterschied machen und wie du diesen Stil authentisch umsetzt, ohne dass es am Ende wie ein Themenpark aussieht.
Die Grundlagen: Warum es nicht nur um Deko geht
Bevor wir über Kissen und Lampen reden, müssen wir kurz über die Logik dahinter sprechen. Das predige ich auch meinen Lehrlingen immer wieder: Versteh das Material und seinen Zweck, dann wird deine Arbeit gut. Der arabische Baustil ist in heißen, sonnigen Regionen entstanden. Jedes Element hatte also eine ganz praktische Funktion.
Licht und Schatten: Das Geheimnis der Mashrabiya
Ein absolutes Schlüsselelement sind die berühmten Holzgitter, die Mashrabiyas. Das sind keine simplen Zierblenden, sondern eine geniale, passive Klimaanlage. Das Prinzip ist clever: Statt dass die Sonne als große, heiße Fläche auf ein Fenster knallt, wird das Licht durch die unzähligen kleinen Öffnungen gebrochen. Der Raum bleibt kühler, die Luft kann aber trotzdem zirkulieren. Und als Bonus bekommst du dieses wunderschöne, fast magische Lichtspiel im Inneren.
Bei uns kannst du das super nutzen, um Räume im Sommer vor Überhitzung zu schützen oder einfach als genialen Raumteiler. Die Wirkung ist immer etwas Besonderes. Kleiner Tipp zu den Kosten: Eine CNC-gefräste Platte aus MDF, die das Muster nachbildet, bekommst du je nach Größe schon für 150 bis 300 €. Echte Handarbeit aus Massivholz ist eine andere Liga, da bist du schnell bei 1.000 € und mehr – aber die Tiefe und das Lichtspiel sind unerreicht.
Materialkunde für Herz und Hände
Die Wahl der Materialien ist der Punkt, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Hier entscheidet sich, ob es authentisch wird oder nur dekoriert aussieht.
- Holz: Traditionell wird oft Zedernholz oder Nussbaum verwendet. Zeder duftet fantastisch und ist von Natur aus resistent gegen Schädlinge. Nussbaum hat diese tiefe, warme Farbe und eine Maserung, die wie für Schnitzereien gemacht ist. Wenn das Budget kleiner ist, kann auch geölte Eiche eine tolle, langlebige Alternative sein. Wichtig ist nur: Das Holz muss sich echt anfühlen. Eine offenporige Behandlung mit Öl oder Wachs ist immer wärmer und authentischer als eine dicke, tote Lackschicht.
- Putz: Die Wände sind hier selten einfach nur weiß gestrichen. Das Zauberwort heißt Tadelakt. Das ist ein marokkanischer Kalkputz, der mit Steinen poliert und verdichtet wird. Dadurch entsteht eine seidig glänzende, wasserabweisende Oberfläche. Wusstest du schon? Tadelakt wurde ursprünglich für Zisternen und Hamams entwickelt, weil es komplett wasserdicht ist. Deshalb fühlt es sich im Bad auch so authentisch an! Aber Achtung: Die Verarbeitung ist eine Kunst für sich und gehört in die Hände eines Profis.
- Keramik: Handgefertigte Fliesen, die berühmten Zellige, sind ein weiteres Markenzeichen. Jede Fliese ist ein Unikat mit kleinen Macken in Form und Farbe. Genau das macht ihren Charme aus! An der Wand reflektieren sie das Licht auf tausend verschiedene Weisen. Perfekt für einen Fliesenspiegel in der Küche oder als Akzentwand im Bad. Echte Zellige findest du bei spezialisierten Online-Händlern oder in Fliesengeschäften, die sich auf mediterrane Stile fokussieren.
Geometrie: Die Ordnung hinter dem Ornament
Die komplexen geometrischen Muster basieren auf einer tiefen mathematischen Tradition. Sie sind nicht einfach nur hübsch, sondern folgen präzisen Rastern. Für uns Handwerker bedeutet das: Präzision ist alles. Nur wenn das Muster exakt stimmt, entsteht diese harmonische, beruhigende Wirkung.
Jetzt wird’s praktisch: So setzt du es um
Okay, genug der Theorie. Wie kriegen wir das Gefühl jetzt in deine Wohnung? Der Trick ist, einzelne Elemente gezielt einzusetzen, anstatt den Raum zu überladen.
Wandgestaltung: Mehr als nur Farbe
Die Wände sind die Leinwand. Statt Raufaser solltest du über lebendige Oberflächen nachdenken. Aber was kostet der Spaß eigentlich?
Also, Tadelakt ist die absolute Königsdisziplin. Rechne hier mal mit Kosten zwischen 150 und 250 € pro Quadratmeter, wenn es ein Meister macht. Eine sehr gute Alternative ist Kalk-Marmor-Putz (auch als Stuccolustro bekannt), der eine ähnliche glänzende Optik hat, aber mit 80 bis 120 € pro qm etwas erschwinglicher ist. Und für Selbermacher? Eine hochwertige Kalkfarbe oder eine Farbe mit leichter Sandstruktur schafft auch eine tolle Lebendigkeit. Da bist du mit Materialkosten von vielleicht 10-15 € pro qm dabei. Und die Pflege? Eine echte Tadelakt-Wand reinigst du am besten nur mit lauwarmem Wasser und einer speziellen Olivenseife, die die Oberfläche rückfettet und pflegt. Bitte keine scharfen Reiniger!
Bei den Farben gilt: Vergiss grelle Töne. Die authentische Palette ist von der Natur inspiriert: Erdtöne der Wüste, das tiefe Blau des Nachthimmels (das berühmte Majorelle-Blau), sattes Terrakotta oder das strahlende Weiß gekalkter Häuser. Mein Tipp: Halte die Wände in einem ruhigen Ton wie Sand oder Greige und setze dann mit Textilien und Deko kräftige Akzente.
Bodenbeläge: Die Basis für alles
Kühle Materialien erden den Raum. Terrakotta-Fliesen oder Zementfliesen mit geometrischen Mustern sind eine fantastische Wahl. Sie sind robust und bekommen mit der Zeit eine wunderschöne Patina. Gut zu wissen: Diese Fliesen sind oft dicker als Standardware, das musst du bei der Planung der Bodenhöhe bedenken. Einmal verlegt, sollten Terrakotta-Böden gut imprägniert werden, damit sie keine Flecken annehmen. Danach reicht zur Reinigung meist klares Wasser.
Und natürlich Teppiche! Ohne sie geht gar nichts. Sie bringen Wärme und Gemütlichkeit auf die kühlen Fliesen. Klassiker sind Berberteppiche oder farbenfrohe Kelims. Ein Profi-Trick ist das „Layering“: Ein großer, neutraler Teppich als Basis und darauf ein kleinerer, farbiger Läufer. Gute Stücke findest du bei Fachhändlern für Orientteppiche (die können dich auch zur Qualität beraten) oder mit etwas Glück auf dem Flohmarkt.
Die Atmosphäre: Licht, Stoffe und die häufigsten Fehler
Jetzt kommen die Details, die einen Raum lebendig machen. Und hier lauern auch die typischen Anfängerfallen.
Fehler
1: Der Themenpark-Look. Du willst nicht in einer Filmkulisse wohnen. Die Lösung ist einfach: Konzentriere dich auf zwei oder drei starke Elemente. Vielleicht eine genial gestaltete Wand, ein wirklich guter Teppich und eine besondere Lampe. Der Rest bleibt ruhig und zurückhaltend.
Fehler
2: Die falsche Beleuchtung. Eine einzige, grelle Deckenlampe killt jede Atmosphäre. Denk in Lichtinseln! Orientalische Laternen aus Metall werfen zauberhafte Muster an die Wände. Kombiniere sie mit indirektem Licht aus LED-Bändern in Nischen und mehreren kleinen Tisch- oder Stehleuchten. Achtung, Sicherheit! Bei Lampen, die direkt vom Basar importiert wurden, fehlt oft die CE-Kennzeichnung. Frag den Verkäufer explizit nach der Zulassung für Deutschland. Im Zweifel: Finger weg! Und die Installation sollte immer ein Elektriker übernehmen, besonders bei schweren Metalllaternen, die eine solide Verankerung in der Decke brauchen.
Textilien sind dein bester Freund für schnelle Gemütlichkeit. Schwere Samtvorhänge, viele Kissen aus Baumwolle, Leinen oder Wolle auf dem Sofa, ein weicher Plaid… Mische dabei ruhig Muster, aber bleib in einer Farbfamilie, dann wirkt es harmonisch.
Dein Start: Orient-Flair für unter 150 €
Du musst nicht gleich dein ganzes Haus umbauen. Manchmal reichen schon ein paar gezielte Handgriffe. Hier ist eine kleine „Einkaufsliste“ für den Anfang:
- Eine marokkanische Metall-Laterne: Findest du online oder in Ethno-Läden. Plane mal so 60-80 € für ein schönes Stück ein.
- Zwei Kissenhüllen aus schwerem Samt oder mit Kelim-Muster: Die bringen sofort Farbe und Textur ins Spiel. Kostenpunkt: ca. 40-50 € für beide.
- Ein rundes Messing-Tablett: Perfekt als Deko auf einem Hocker oder als Servierplatte. Auf dem Flohmarkt oft schon für 20-30 € zu finden.
Und schon hast du mit kleinem Budget einen riesigen Effekt erzielt!
Selber machen oder machen lassen? Eine ehrliche Einschätzung
Ich bin ein riesen Fan vom Selbermachen, aber man muss seine Grenzen kennen. Ein schlecht gemachtes Projekt kostet am Ende mehr Geld und Nerven.
Was du locker selbst schaffst: Wände streichen, Textilien und Deko auswählen, Möbel aufstellen, einen Teppich auslegen.
Wofür du einen Profi brauchst: Für Tadelakt oder andere Edelputze (Stuckateur), für maßgefertigte Holzarbeiten wie eine Mashrabiya (Tischler), für das knifflige Verlegen von Zellige-Fliesen (Fliesenleger) und natürlich für alles, was mit Strom zu tun hat (Elektriker). Und ganz wichtig: Sobald du eine Wand auch nur schief anschaust, die tragend sein könnte, ruf IMMER einen Statiker an!
Ein letztes Wort aus der Werkstatt
Einen Raum in diesem Stil zu gestalten, ist mehr als nur Bilder nachzubauen. Es ist ein Prozess. Es geht darum, eine Atmosphäre zu schaffen, die zu dir passt. Ein Ort des Rückzugs, der Wärme und Inspiration. Nimm dir Zeit, die Materialien zu fühlen und die Elemente mit Bedacht auszuwählen. Gutes Handwerk braucht Geduld – genau wie das Schaffen eines Zuhauses. Wenn du es richtig angehst, bekommst du nicht nur einen schönen Raum, sondern ein echtes Stück Lebensqualität.
Bildergalerie
„Kein Zellige-Plättchen gleicht dem anderen. Jedes wird von Hand aus Ton geformt, glasiert und mit einem scharfkantigen Hammer, dem ‚Menqach‘, auf die perfekte Form zugeschnitten.“
Diese jahrhundertealte Handwerkskunst aus Fès ist der Grund, warum echte marokkanische Fliesen so lebendig wirken. Die minimalen Unregelmäßigkeiten in Form und Farbe fangen das Licht auf einzigartige Weise ein und erzeugen eine schimmernde, fast flüssig wirkende Oberfläche. Im Gegensatz zu industriell gefertigten Fliesen erzählt hier jedes einzelne Stück eine Geschichte von menschlicher Fertigkeit – genau das macht den authentischen Charme aus.
Was ist das Geheimnis dieser fugenlosen, seidig-glänzenden Wände?
Die Antwort heißt Tadelakt. Dieser traditionelle marokkanische Kalkputz wird in einem aufwendigen Verfahren mit Flusssteinen poliert und mit einer Olivenölseife wasserabweisend versiegelt. Das Ergebnis ist eine atmungsaktive, leicht wellige Oberfläche mit einer unglaublichen Tiefe, die sich kühl und sanft anfühlt. Ursprünglich für Hamams und Badezimmer entwickelt, bringt Tadelakt als Akzentwand oder in einer Nische sofort das Gefühl eines Riads in den Raum – eine Investition in pures Handwerk.
Die authentische marokkanische Farbpalette ist erdiger und subtiler als oft angenommen. Statt greller Töne, denken Sie in Gewürzen und Landschaften:
- Majorelle-Blau: Ein intensives, elektrisierendes Kobaltblau, benannt nach dem berühmten Garten in Marrakesch. Perfekt für ein einzelnes Möbelstück oder eine markante Wand.
- Wüstensand & Lehm: Warme, staubige Beige-, Terrakotta- und Ockertöne, die an die Mauern alter Kasbahs erinnern. Kalkfarben, etwa von Bauwerk Colour, erzeugen hier die richtige matte Textur.
- Safran & Kurkuma: Leuchtende Gelb- und Orangetöne als gezielte Akzente auf Kissen, Decken oder in Mustern.
Der häufigste Fehler: Ein einzelner, verwaister Lederpouf macht noch keinen marokkanischen Stil aus. Oft wirkt er wie ein Fremdkörper. Das Geheimnis liegt im Kontext und in der Gruppierung. Statt eines Solisten setzen Sie auf ein Ensemble: Kombinieren Sie zwei oder drei Poufs in unterschiedlichen, aber harmonierenden Naturtönen um einen niedrigen Messing-Tabletttisch. In Verbindung mit einem Beni-Ourain-Teppich und bodennahen Kissen entsteht so eine einladende, kommunikative Sitzlandschaft statt eines deplatzierten Souvenirs.
Schließen Sie die Augen und denken Sie an Marokko. Was riechen Sie? Der Duft ist ein entscheidender, oft vergessener Teil der Atmosphäre. Holen Sie sich das Gefühl mit schweren, warmen Noten nach Hause. Statt leichter blumiger Düfte setzen Sie auf Raumdüfte oder Kerzen mit Zedernholz aus dem Atlasgebirge, süßlichem Ambra, würzigem Weihrauch oder dem Aroma von frischem Minztee mit Orangenblüte. So wird der orientalische Rückzugsort zu einem Erlebnis für alle Sinne.
