Lesen vs. Binge-Watching: Was wirklich in deinem Kopf passiert

von Mareike Brenner
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In all den Jahren, die ich nun schon meine Buchhandlung betreibe, habe ich unzählige Gespräche geführt. Mit Eltern auf der Suche nach dem perfekten Buch für ihr Kind. Mit jungen Leuten, denen ich das alte Handwerk des Buchbindens gezeigt habe. Und mit Menschen jeden Alters, die einfach nur eine kleine Flucht aus dem Alltag suchten. Eine Frage schwingt dabei fast immer mit: Warum sollte ich heute noch zu einem Buch greifen, wenn mir die ganze Welt auf einem Bildschirm serviert wird?

Und ganz ehrlich? Die Frage ist absolut berechtigt. Ich bin kein Technikfeind. Ein brillanter Dokumentarfilm kann Wissen und Faszination auf eine Weise vermitteln, wie es ein Buch manchmal nicht kann. Aber als jemand, der sein Leben den Büchern gewidmet hat, sehe ich einen fundamentalen Unterschied. Es geht nicht nur darum, was wir konsumieren, sondern wie wir es tun.

Der Prozess des Lesens ist für unser Gehirn eine völlig andere Aufgabe als das passive Zuschauen. Stell es dir so vor: Lesen ist, als würdest du einen Muskel gezielt trainieren. Zuschauen ist eher wie eine Massage. Beides kann sich gut anfühlen, aber nur das eine macht dich auf Dauer wirklich stärker.

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Lass uns mal ohne Panikmache, aber mit klarer Sicht darauf schauen, was da oben im Kopf eigentlich passiert. Das hier ist keine Moralpredigt, sondern eine ehrliche Einordnung, die dir helfen soll, bewusste Entscheidungen für dich und deine Familie zu treffen.

Was im Gehirn passiert: Workout vs. Standby-Modus

Um zu verstehen, warum das so verschieden auf uns wirkt, müssen wir uns ansehen, welche Arbeit das Gehirn in beiden Fällen leistet. Im Grunde ist es der Unterschied zwischen Aktivität und Passivität.

Der passive Konsum beim Fernsehen

Wenn du eine Serie schaust, bekommst du ein komplettes Paket geliefert. Bilder, Geräusche, Sprache, Musik – alles fertig zubereitet. Dein Gehirn muss das zwar verarbeiten, wird aber quasi an der Hand geführt. Die Kamera sagt dir, was wichtig ist. Die Musik verrät dir, ob du dich fürchten oder freuen sollst. Die Gesichter der Schauspieler zeigen dir die Emotionen fix und fertig.

Experten nennen das eine „reizgesteuerte“ Aktivität. Dein Gehirn reagiert nur auf das, was von außen kommt. Hirnscans zeigen, dass dabei vor allem die Areale für visuelle und auditive Verarbeitung aktiv sind. Die Bereiche für Sprache, Vorstellungskraft und kritisches Denken? Die lehnen sich entspannt zurück und schalten in den Energiesparmodus.

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Das erklärt übrigens auch, warum man sich nach stundenlangem Binge-Watching oft so seltsam leer und erschöpft fühlt. Das Gehirn wurde zwar mit Reizen bombardiert, aber nicht wirklich gefordert. Das ist eine Art mentale Inaktivität, die auf Dauer die Aufmerksamkeitsspanne verkürzen kann – besonders bei Kindern, deren Gehirne sich ja noch im Aufbau befinden.

Die aktive Arbeit beim Lesen

Ein Buch hingegen gibt dir nur schwarze Zeichen auf Papier. Den ganzen Rest musst du selbst erledigen. Das ist anstrengend, ja, aber auch unglaublich wertvoll.

Der Prozess ist ein echtes Workout für den Kopf:

  1. Entschlüsseln: Deine Augen nehmen Symbole wahr, und dein Gehirn muss sie blitzschnell zu Wörtern und Sätzen zusammensetzen. Allein das ist schon ein komplexer Vorgang, der verschiedene Hirnregionen vernetzt.
  2. Bedeutung erschaffen: Dein Kopf greift auf deinen gesamten Wortschatz und dein Grammatikwissen zurück, um aus den Sätzen einen Sinn zu konstruieren. Du bist der Regisseur!
  3. Kopfkino anschalten: Das ist der magische Teil. Das Buch beschreibt eine Landschaft. Probier’s doch direkt mal aus: Lies den nächsten Satz, schließ kurz die Augen und stell es dir vor. „Der moosbewachsene Waldboden war weich unter seinen Füßen, und das Licht fiel in goldenen Streifen durch das dichte Blätterdach.“ Spürst du, wie dein Kopfkino anspringt? Diese kreative Leistung gibt es beim Fernsehen nicht. Deine Version des Waldes ist einzigartig.
  4. Empathie trainieren: Wenn eine Figur im Buch leidet, musst du das aus den Worten, den Handlungen und den Gedanken ableiten. Du versetzt dich in sie hinein, verstehst ihre Motive. Das ist pures Empathie-Training. Ein Film nimmt dir diese Arbeit oft ab, indem er dir einfach ein weinendes Gesicht zeigt.

Lesen ist echtes Gehirnjogging. Es stärkt die Verbindungen zwischen den Nervenzellen und hält das Gehirn flexibel. Ein Gehirn, das liest, ist ein fittes Gehirn.

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Mehr als nur Buchstaben: Die Kunst des Eintauchens

Ein Buch ist mehr als sein Inhalt. Und Lesen ist mehr als nur das Erkennen von Wörtern. Es ist eine Fähigkeit, die man verfeinern kann. Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen dem Überfliegen einer News-Meldung und dem tiefen Versinken in einem Roman.

Tiefes Lesen statt oberflächliches Scannen

Unsere digitale Welt hat uns auf Geschwindigkeit getrimmt. Wir scannen nach Schlüsselwörtern, wollen Infos so schnell wie möglich. Das ist praktisch, aber es ist nicht die Art von Lesen, die uns wirklich weiterbringt.

Tiefes Lesen, wie es bei einem guten Buch nötig ist, braucht Geduld. Man muss sich auf den Text einlassen, auch wenn er mal langsam ist. Man muss komplexe Sätze entwirren. Das ist die Grundlage für kritisches Denken und die Fähigkeit, sich eine eigene, fundierte Meinung zu bilden.

Kleiner Tipp von mir: Nimm einen Bleistift zur Hand, wenn du liest. Ernsthaft! Unterstreiche Sätze, die dich beeindrucken, oder mach dir eine Notiz an den Rand. So trittst du in einen Dialog mit dem Text. Du verwandelst den Konsum in eine aktive Auseinandersetzung.

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Ein Fest für die Sinne (und für den Fokus)

Man vergisst das oft, aber ein Buch ist auch ein Gegenstand. Das Gefühl des Papiers, das leise Rascheln beim Umblättern, der Geruch von Druckfarbe… das alles gehört zum Erlebnis. Es erdet uns und hilft uns, uns auf eine einzige Sache zu konzentrieren. Ein Tablet ist praktisch, keine Frage. Aber es ist ein kaltes, glattes Gerät, das uns jederzeit mit einer Benachrichtigung aus der Konzentration reißen kann. Ein Buch verlangt deine ungeteilte Aufmerksamkeit und belohnt dich dafür mit einer tiefen, erholsamen Ruhe.

Ach ja, und was ist eigentlich mit Comics und Graphic Novels? Eine super Frage! Sie sind eine fantastische Brücke. Sie kombinieren visuelles Storytelling mit Text und können gerade für Lesemuffel ein genialer Einstieg sein. Die Kunst, Bilder und Worte im Kopf zu einer Geschichte zu verweben, ist ebenfalls eine anspruchsvolle Leistung für das Gehirn. Absolut vollwertiges Lesen!

So klappt’s auch bei dir: Das Lesen wieder in den Alltag holen

„Ich würde ja gern, aber ich habe einfach keine Zeit.“ Diesen Satz höre ich fast täglich. Ich verstehe das. Aber oft ist es keine Frage der Zeit, sondern der Gewohnheiten. Niemand muss über Nacht zum Bücherwurm werden. Kleine Schritte bringen am meisten.

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Faschings-Werkstatt für Zuhause: So bastelt ihr geniale Kostüme, die auch wirklich halten!

  • Die 15-Minuten-Regel: Nimm dir vor, jeden Abend nur 15 Minuten zu lesen, bevor du das Licht ausmachst. Das ist besser für den Schlaf als das blaue Licht vom Handy und schafft eine Routine.
  • Das „Eine-Folge-weniger“-Prinzip: Verzichte einmal pro Woche bewusst auf eine Folge deiner Lieblingsserie. Das sind 30-45 Minuten geschenkte Lesezeit.
  • Das Wartezimmer-Buch: Hab immer ein Buch dabei. In der Bahn, beim Arzt, in der Mittagspause. Diese kleinen Zeitfenster summieren sich erstaunlich schnell. Ein Taschenbuch wiegt fast nichts.

Das richtige Buch finden – Die „Keine-Ausreden-mehr“-Liste

Der häufigste Grund, warum Leute das Lesen aufgeben: Sie haben sich das falsche Buch geschnappt. Zwing dich niemals durch etwas, das dich langweilt. Hier ein paar Ideen, je nachdem, welcher Typ du bist:

  • Für den Adrenalin-Junkie: Du hast ewig nichts gelesen und brauchst Spannung? Schnapp dir einen dieser modernen Pageturner-Thriller mit kurzen Kapiteln und fiesen Cliffhangern. Du wirst nicht aufhören können, versprochen!
  • Für den Wissensdurstigen: Du magst Fakten lieber als Fiktion? Es gibt geniale Sachbücher, die komplexe Themen wie Geschichte oder Wissenschaft so spannend erzählen wie ein Abenteuerroman.
  • Für den Gestressten: Du willst einfach nur abschalten und lachen? Greif zu einem humorvollen Roman oder einer Sammlung von witzigen Kurzgeschichten über die Absurditäten des Alltags.

Gut zu wissen: Der Gang zur örtlichen Bibliothek ist der beste Trick. Eine riesige Auswahl, gute Beratung und das alles kostet fast nichts. Ein Jahresausweis ist meist günstiger als zwei Monate bei einem Streaming-Dienst. Und mit Diensten wie der „Onleihe“ kannst du E-Books sogar kostenlos und digital ausleihen. Für Sparfüchse sind Antiquariate und Flohmärkte wahre Schatzkammern, wo man gute Taschenbücher oft schon für 2-5 € findet.

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Ein Wort zur Vorsicht: Unsere Kinder und die Bildschirme

Dieses Thema liegt mir besonders am Herzen. Kindergehirne sind eine Baustelle. Was sie in den ersten Jahren erleben, legt das Fundament für ihr ganzes Leben. Übermäßiger Bildschirmkonsum kann in diesem Alter nachweislich die Entwicklung bremsen.

Was Kinderärzte und Pädagogen immer wieder betonen, ist ziemlich eindeutig:

  • Unter 3 Jahren: So wenig Bildschirmzeit wie möglich, am besten gar keine. In diesem Alter lernt ein Kind durch Anfassen, Fühlen und die direkte Interaktion mit Menschen.
  • Von 3 bis 6 Jahren: Maximal 30 Minuten pro Tag, und immer gemeinsam mit einem Erwachsenen, der erklärt und einordnet.
  • Im Grundschulalter: Etwa eine Stunde pro Tag, wobei die Inhalte und klare Regeln entscheidend sind.

Das sind keine willkürlichen Zahlen. Zu viel Bildschirmzeit kann die Sprachentwicklung verzögern und die Konzentration schwächen. Das Gehirn wird mit Reizen überflutet, die es noch nicht verarbeiten kann.

Was du als Elternteil tun kannst? Sei ein Vorbild. Wenn du selbst ständig aufs Handy starrst, wird dein Kind kaum zum Buch greifen. Schafft euch eine gemütliche Leseecke. Und das Wichtigste: Lest vor! Die gemeinsame Zeit, die Nähe und die Abenteuer im Kopf sind das größte Geschenk, das ihr machen könnt. Es schafft eine lebenslange, positive Verbindung zu Büchern.

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Achtung: Ich bin Buchhändler-Meister, kein Mediziner. Diese Ratschläge basieren auf meiner Erfahrung. Wenn du ernsthafte Sorgen hast, sprich bitte immer mit deinem Kinderarzt.

Abschließende Gedanken

Am Ende geht es nicht darum, das Fernsehen zu verteufeln. Es geht um Balance und Bewusstsein. Darum zu verstehen, dass verschiedene Medien verschiedene Dinge mit uns machen.

Ich hatte mal einen Kunden, ein Mann mittleren Alters, der meinte, er hätte seit der Schulzeit kein Buch mehr angerührt. Ich hab ihm einen richtig packenden Thriller in die Hand gedrückt. Eine Woche später stand er wieder im Laden, hielt mir das Buch hin und sagte nur: „Was hab ich die ganze Zeit verpasst? Geben Sie mir das Nächste.“ Solche Momente sind der Grund, warum ich meinen Job liebe.

Also, wenn du das nächste Mal nach einem langen Tag nach Hause kommst, nimm dir einen Moment. Bevor du zur Fernbedienung greifst, frag dich: Womit möchte ich mein Gehirn heute füttern? Mit schneller, leicht verdaulicher Kost? Oder mit etwas Nahrhaftem, das mich wirklich stärkt?

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Greif zu einem Buch. Nur für ein paar Seiten. Gib deinem Gehirn etwas Gutes zu tun. Du wirst den Unterschied spüren. Das verspreche ich dir aus langer, langer Erfahrung.

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Serien-Cliffhanger sind so konzipiert, dass sie im Gehirn eine Dopamin-Ausschüttung auslösen – das gleiche Belohnungshormon, das uns nach einer guten Mahlzeit oder einem erfolgreichen Workout zufrieden macht.

Dieses ständige Verlangen nach dem nächsten „Kick“ macht Binge-Watching so fesselnd. Der kurze, intensive Rausch am Ende einer Episode ist jedoch flüchtig. Lesen hingegen fördert eine nachhaltigere Form der Zufriedenheit. Das langsame Entschlüsseln einer komplexen Handlung und das Erreichen des Buchendes schaffen ein tiefes Gefühl der Erfüllung, das weit über den Moment hinaus anhält – eine Belohnung, die man sich selbst erarbeitet hat, anstatt sie serviert zu bekommen.

Der ultimative Empathie-Booster?

Wenn wir eine Serie schauen, liefert uns der Schauspieler die Emotionen fixfertig. Wir sehen die Träne, hören den Seufzer. Ein Buch verlangt mehr von uns: Wir müssen uns die Gefühle einer Figur aus reinen Worten selbst zusammenbauen. Diese kognitive Anstrengung, sich in eine andere Perspektive hineinzuversetzen, ohne visuelle Hilfe, ist ein intensives Training für die Empathie-Zentren im Gehirn. Studien, wie die der New School for Social Research, haben gezeigt, dass Leser von literarischer Fiktion besser darin sind, die Emotionen und Absichten anderer Menschen zu deuten – eine Fähigkeit, die im echten Leben unbezahlbar ist.

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.