Bauen in Island: Warum du dich besser nicht mit Elfen anlegst
Als ich das erste Mal für einen Job nach Island flog, war es ehrlich gesagt nicht die krasse Landschaft, die mich umgehauen hat. Es war ein einziges Gespräch auf einer Baustelle bei Reykjavík. Stellt euch das mal vor: Wir stehen da, ein Team aus Profis, und diskutieren über eine simple Versorgungsleitung. Plötzlich zeigt ein isländischer Vorarbeiter, ein gestandener Kerl, auf einen völlig unspektakulären, moosbewachsenen Felsen und sagt todernst: „Da geht’s nicht lang. Da wohnt eine Familie.“
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Er meinte keine Menschen. Er sprach vom Huldufólk, dem „verborgenen Volk“. Für mich als deutschen Praktiker, der mit DIN-Normen und Millimeterpapier groß geworden ist, war das ein echter Realitätscheck. Man lacht ja gerne über die Elfen-Geschichten aus Island. Aber wenn du vor Ort bist, merkst du schnell: Das ist kein Märchen für Touristen. Das ist tief verwurzelte Kultur, die handfeste Auswirkungen auf Bauprojekte, Stadtplanung und sogar die Politik hat. Ich wollte das unbedingt kapieren.

Woher kommt dieser Glaube eigentlich?
Um zu verstehen, warum ein hypermodernes Land so viel Rücksicht auf unsichtbare Wesen nimmt, musst du die Insel selbst spüren. Die Natur hier ist kein passiver Hintergrund, sie ist ein unberechenbarer Hauptdarsteller.
Denk mal an die ewig langen, dunklen Winter. Das Heulen des Windes klingt oft wie Stimmen in der Ferne. Plötzlich bebt die Erde, ein Vulkan bricht ohne Vorwarnung aus. Das Wetter schlägt innerhalb von Minuten von strahlendem Sonnenschein in einen lebensgefährlichen Schneesturm um. In so einer Umgebung lernst du ganz schnell, dass es Kräfte gibt, die größer sind als du. Der Glaube an das verborgene Volk ist auch eine Art, diese unkontrollierbare Natur greifbar zu machen. Und mal ehrlich: Mit einem unsichtbaren Nachbarn zu verhandeln, fühlt sich machbarer an, als mit der rohen Gewalt eines Gletschers zu diskutieren.
Dazu kommt die lange Isolation. Über Jahrhunderte war Island eine arme Nation von Bauern und Fischern. Geschichten waren Unterhaltung, Wissensspeicher und soziale Regelwerke in einem. Die Sagen vom Huldufólk enthielten oft ganz praktische Warnungen: „Bau dein Haus nicht auf diesem Hügel, sonst wird deine Kuh krank.“ Dahinter steckte vermutlich die simple Erfahrung, dass der Boden dort instabil oder der Platz dem Wind ausgesetzt war. Die Elfen wurden so zu Symbolen für das Wissen der Vorfahren.

Wie Elfen moderne Bauprojekte beeinflussen
Das Spannendste für mich war aber die Frage: Wie läuft das heute in der Praxis ab? Es gibt natürlich kein „Elfen-Baugesetzbuch“. Der Prozess ist viel subtiler und basiert auf einer Mischung aus Respekt, öffentlichem Druck und einer guten Portion Pragmatismus.
Ein berühmtes Beispiel ist der geplante Straßenbau durch ein Lavafeld bei Reykjavík. Dieses Gebiet gilt nicht nur als ökologisch wertvoll, sondern auch als Heimat vieler Huldufólk inklusive einer „Elfenkirche“, einem markanten Felsen. Als die Bagger anrollen sollten, gab es massive Proteste. Und hier wird es typisch isländisch: Umweltschützer und Elfengläubige taten sich zusammen.
Es wurden sogar Leute hinzugezogen, die als besonders sensibel für die unsichtbare Welt gelten. Man kann sie als eine Art Vermittler sehen. Ihre Botschaft war klar: Die Straße stört die Gemeinschaft des verborgenen Volkes. Der Fall landete am Ende vor Gericht und das Projekt wurde gestoppt – offiziell zwar aus Gründen des Umweltschutzes, aber der Auslöser war der öffentliche Aufschrei, der durch den Elfenglauben erst so stark wurde. Am Ende fand man einen Kompromiss und die „Elfenkirche“ wurde gerettet. Das zeigt perfekt, wie Folklore und Naturschutz hier Hand in Hand gehen.

Auf kleineren Baustellen ist es oft unkomplizierter. Ein Baggerfahrer weigert sich, einen Felsen zu bewegen. Ein Polier verlegt einen Graben um ein paar Meter. Warum? Aus Respekt. Viele Isländer sagen: „Ich weiß nicht, ob es sie gibt, aber ich riskiere es lieber nicht.“ Das ist ein weit verbreiteter „Vielleicht-Glaube“. Geschichten von Baumaschinen, die an solchen Orten ständig unerklärliche Pannen haben, kennt hier jeder. Ob man dran glaubt oder nicht, die ständigen Arbeitsunterbrechungen sind ein reales, teures Problem. Da ist es oft klüger, nachzugeben.
Was kostet der Spaß?
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Eine kleine Planänderung am Reißbrett, bevor der erste Spatenstich getan ist, kostet vielleicht zwischen 500 € und 1.500 €. Das ist oft günstiger, als einen Konflikt mit den Anwohnern oder dem eigenen Team zu riskieren. Muss eine bereits begonnene Baumaßnahme gestoppt und umgeplant werden, kann das schnell in die Tausende gehen. Der Respekt vor dem Unsichtbaren ist also auch eine knallharte wirtschaftliche Abwägung.

Ein kleiner Guide zum verborgenen Volk
Damit du nicht den Überblick verlierst, hier mal eine kurze Zusammenfassung, wer da eigentlich so in Islands Landschaft wohnt. Es gibt nämlich feine Unterschiede:
- Das Huldufólk (Verborgenes Volk): Das sind die bekanntesten. Sie sehen im Grunde aus wie Menschen, leben aber in einer Parallelwelt, die sich mit unserer überschneidet. Ihre Wohnungen sind oft in besonders schönen Felsen oder Hügeln.
- Die Álfar (Elfen): Hier unterscheidet man zwischen Lichtelfen und Dunkelelfen. Sie sind eher die mythischen Wesen aus den alten nordischen Sagen und spielen im Alltag eine geringere Rolle.
- Die Dvergar (Zwerge): Sie gelten als meisterhafte Schmiede und Handwerker, die tief im Gestein leben und arbeiten.
- Die Trolle: Groß, oft nicht sonderlich helle und bekannt dafür, bei Sonnenlicht zu Stein zu erstarren. Viele bizarre Felsformationen in Island werden als versteinerte Trolle gedeutet.
Praktische Tipps für dein Projekt (oder deinen Urlaub)
Okay, was heißt das jetzt konkret für dich, wenn du in Island bauen willst oder auch nur als Tourist respektvoll unterwegs sein möchtest? Hier ist ein kleiner Spickzettel:

- Erst reden, dann planen: Bevor du ein Grundstück kaufst, sprich mit den Nachbarn und älteren Leuten. Aber frag nicht plump: „Wohnen hier Elfen?“ Das kommt nicht gut an. Ein viel besserer Ansatz ist: „Was für ein wunderschönes Stück Land! Gibt es hier irgendwelche besonderen Orte oder alte Geschichten, die man kennen sollte?“ Das öffnet Türen.
- Integrieren statt zerstören: Wenn auf deinem Grundstück ein markanter Felsen oder Hügel steht, sprenge ihn nicht weg. Plane um ihn herum! Ein Freund von mir, ein isländischer Architekt, hat mal eine Holzterrasse elegant um so einen Felsen herumgebaut. Das wurde zum absoluten Highlight des Gartens und hat ihm den Respekt der ganzen Nachbarschaft eingebracht.
- Hilfe von Experten holen: Wenn es bei einem Bauprojekt zu unerklärlichen Problemen kommt, ist es nicht unüblich, einen Folklore-Kundigen um Rat zu fragen. Eine offizielle Liste gibt es nicht, das läuft über Kontakte. Aber die bekannte „Elfenschule“ (Álfaskólinn) in Reykjavík ist ein guter Startpunkt, um sich zu informieren oder Kontakte zu knüpfen. Eine solche Konsultation ist oft überraschend erschwinglich, meist liegt sie zwischen 150 € und 300 € oder läuft auf Spendenbasis.
- Als Tourist respektvoll sein: Klettere nicht auf auffälligen, alleinstehenden Felsen oder Hügeln herum. Hinterlasse absolut keinen Müll und – ganz wichtig – nimm keine Steine als Souvenir mit. Das gilt als extrem respektlos. Ach ja, und das Bauen von kleinen Steintürmchen, das man überall sieht, ist zwar eine neuere Touristen-Marotte, wird aber von vielen Einheimischen und Naturschützern gar nicht gern gesehen, weil es die empfindliche Vegetation stört.

Warum das System wirklich funktioniert
Ganz ehrlich? Die größte Gefahr auf einer isländischen Baustelle ist nicht der Zorn der Elfen. Die größte Gefahr ist ein verängstigter oder demotivierter Mitarbeiter, der sich weigert, seine Arbeit zu machen. Wenn ein Baggerfahrer Bedenken hat, einen bestimmten Felsen zu entfernen, und man ihn ignoriert, leidet die Arbeitsmoral und die Sicherheit des ganzen Teams. Der pragmatische Weg ist oft der einfachere.
Der Glaube an das Huldufólk ist auch ein unglaublich wirksames Ventil. Wenn eine unbeliebte Baumaßnahme verhindert werden soll, ist das Argument „Die Elfen wollen das nicht“ oft schlagkräftiger als jede rationale Begründung. Es ist einfach verdammt schwer, gegen Elfen zu argumentieren.
Rechtlich wird der Schutz dieser Orte übrigens oft über das isländische Naturschutzgesetz durchgesetzt. Viele der „Elfenfelsen“ gelten gleichzeitig als schützenswerte Naturdenkmäler. Der kulturelle Wert eines Ortes kann dabei durchaus eine Rolle spielen.
Und ein letzter Tipp: Mach dich niemals, wirklich NIEMALS, öffentlich darüber lustig. Selbst Isländer, die von sich sagen, sie glauben nicht daran, empfinden das als Angriff auf ihre Kultur. Das ist ein absolutes No-Go und kann dir geschäftliche und soziale Türen für immer verschließen.

Am Ende nur Aberglaube?
Nach all den Jahren sehe ich das nicht mehr als Kuriosität. Für mich ist es eine geniale Form der kulturellen Anpassung an eine extreme Umwelt. Es ist eine Sprache, um über Respekt vor der Natur, die eigene Geschichte und das Zusammenleben zu sprechen. Und wer einmal allein an einem stürmischen Abend im isländischen Hochland stand und dem Wind gelauscht hat, der versteht vielleicht, warum der Gedanke an unsichtbare Nachbarn gar nicht so verrückt ist. Manchmal ist es einfach besser, auf Nummer sicher zu gehen.
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Der Preis der Ignoranz: Als 1971 der Bau einer Straße bei Álftanes immer wieder durch unerklärliche Pannen und Unfälle gestoppt wurde – von Bulldozern, die versagten, bis hin zu Bohrern, die zerbrachen – war für viele klar: Ein heiliger Elfenfelsen stand im Weg. Erst nachdem der Felsen versetzt wurde, konnten die Arbeiten reibungslos fortgesetzt werden. Ein teurer Lernprozess für die isländische Straßenbaubehörde (Vegagerðin).

Eine Umfrage der Universität Island aus dem Jahr 2007 ergab, dass 62 % der Befragten die Existenz von Elfen nicht ausschließen würden.
Dieser Wert zeigt, dass es sich nicht um eine Randerscheinung handelt. Der Glaube an das Huldufólk durchdringt die Gesellschaft und wird als Teil der nationalen Identität und des Respekts vor der unberechenbaren Natur des Landes gesehen, selbst von jenen, die sich nicht als fest „gläubig“ bezeichnen würden.

Woran erkennt man eigentlich einen Elfenstein?
Es gibt keine Checkliste. Ein „Álfasteinn“ ist oft kein spektakulärer Monolith, sondern ein unscheinbarer, moosbewachsener Fels, der sich harmonisch in die Landschaft fügt. Seine Bedeutung ergibt sich aus der lokalen Überlieferung und den Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Manchmal werden auch Seher konsultiert, um die Wohnorte des Huldufólk zu identifizieren und Konflikte zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt zu vermeiden.

Man muss es selbst gespürt haben: das Gefühl, an einem dieser moosbewachsenen Orte in der Weite Islands zu stehen. Der Wind trägt Geräusche heran, die wie Flüstern klingen, das Licht der Mitternachtssonne taucht die Lavafelder in ein unwirkliches Licht. In diesen Momenten der Stille und Ehrfurcht vor der Natur fällt es plötzlich gar nicht mehr schwer zu glauben, dass man nicht ganz allein ist. Es ist weniger ein Glaube, mehr ein Gefühl der Möglichkeit.

Wie man Respekt zeigt, ohne gleich das ganze Bauprojekt zu stoppen? Oft sind es kleine Gesten, die von den Einheimischen geschätzt werden:
- Kleine, bunte Türen am Fuße von Felsen anbringen.
- Winzige Gärten oder Möbel um die Steine herum arrangieren.
- Zu Weihnachten oder Neujahr kleine Speisen wie Milch oder Gebäck als Opfergabe hinterlassen.
- Einfach einen respektvollen Bogen um den Ort machen und die Stille wahren.

Option A – Der direkte Weg: Man ignoriert die Warnungen, riskiert unerklärliche technische Pannen, schlechte Presse und den Zorn der lokalen Gemeinschaft. Der Zeit- und Kostenaufwand durch die Störungen übersteigt oft die geplante Ersparnis.
Option B – Der kulturelle Umweg: Man plant um den Felsen herum, konsultiert eventuell einen Elfen-Beauftragten und respektiert die Kultur. Dies mag auf dem Papier teurer erscheinen, führt aber zu einem reibungslosen Bauablauf und gesellschaftlicher Akzeptanz.
Erfahrene Bauleiter in Island wählen fast immer Option B.

Der Glaube ist keineswegs nur Folklore. Das isländische Straßen- und Küstenamt (Vegagerðin) hat seit Jahren eine offizielle Standardantwort auf Anfragen bezüglich Elfen und Bauprojekten, in der erklärt wird, dass man versucht, die Arbeiten zu verzögern, bis die Elfen vermutlich umgezogen sind.
- Projekte werden pünktlich und ohne mysteriöse Pannen fertiggestellt.
- Die lokale Bevölkerung unterstützt das Bauvorhaben aktiv.
- Die einzigartige isländische Landschaft bleibt in ihrer Ästhetik erhalten.
Das Geheimnis? Es ist die Kunst des Zuhörens. Indem Bauherren und Ingenieure auf die jahrhundertealten Geschichten und die tief verwurzelte Naturverbundenheit der Isländer hören, vermeiden sie nicht nur Konflikte mit dem „verborgenen Volk“, sondern schaffen nachhaltigere und harmonischere Lösungen für alle.




