Kinderbücher, die was aushalten: Ein ehrlicher Blick aus der Werkstatt

von Angela Schmidt
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Ich stehe seit einer gefühlten Ewigkeit in meiner Werkstatt und habe dabei unzählige Kinderbücher in der Hand gehabt. Manche kamen als zerlesene Schätze zur Reparatur, andere waren fabrikneu und doch schon fast kaputt. Ganz ehrlich? Als jemand, der das Handwerk von der Pike auf gelernt hat, sehe ich Bücher einfach anders. Ich sehe das Papier, die Fadenheftung, den Leim im Rücken. Aber ich sehe natürlich auch die Geschichten dahinter.

Und ich habe eines gelernt: Ein gutes Kinderbuch ist ein Werkzeug. Vielleicht sogar eines der wichtigsten, das wir unseren Kindern mit auf den Weg geben können.

Heute stehen wir Eltern vor Regalen, die förmlich überquellen. Bunte Cover schreien uns an, aber vieles davon ist einfach nur billig gemacht. Seichte Storys, austauschbare Bilder und eine Verarbeitung, die den Namen nicht verdient. So ein Buch frustriert, geht sofort kaputt und verfehlt seinen eigentlichen Zweck. Deshalb will ich hier mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern – nicht als Gelehrter, sondern als Handwerker, der die Materie kennt. Worauf kommt es also wirklich an?

Kinderbuch der standhafte Zinnsoldate
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Was beim Vorlesen wirklich im Kinderkopf passiert

Viele denken, Vorlesen ist nur ein gemütliches Abendritual. Ist es auch, aber es ist so viel mehr. Es ist quasi die Grundsteinlegung für die Entwicklung eines Kindes. Wenn du vorliest, passiert im Gehirn deines Kindes etwas Magisches.

Stell dir das Gehirn mal wie einen Klumpen frischen Ton vor. Jedes Wort, jede Geschichte formt diesen Ton. Deine ruhige, vertraute Stimme schafft dabei den sicheren Rahmen. In dieser Geborgenheit lernt dein Kind Zusammenhänge. Es kapiert, dass auf eine Aktion eine Reaktion folgt. Der Wolf frisst Kreide und bekommt eine hohe Stimme – eine simple Lektion über Ursache und Wirkung. Das sind die allerersten Bausteine für logisches Denken.

Gleichzeitig explodiert der Wortschatz. Ein Kind, dem viel vorgelesen wird, schnappt Wörter auf, die im Alltag selten fallen. Wörter wie „listig“, „beherzt“ oder „verwunschen“. Ein guter Text ist hier entscheidend. Er sollte eine schöne Melodie haben, die das Zuhören leicht macht, ohne dabei primitiv zu sein.

Kinderbuch das kleine  Mädchenmit den Schwefelhlzern
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Das Allerwichtigste ist aber vielleicht die Empathie. Wenn ein Kind mit einer Figur mitfiebert oder Mitleid hat, trainiert es seinen „Empathie-Muskel“. Es lernt, sich in andere hineinzuversetzen. Geschichten sind der sicherste Trainingsplatz dafür. Das Kind erlebt Angst, Freude und Mut aus sicherer Entfernung, auf dem Schoß von Mama oder Papa. Das ist unbezahlbar für die Stürme des echten Lebens.

Die Meisterprüfung für Eltern: So erkennst du ein gutes Buch

Ein gutes Kinderbuch ist für mich immer eine Einheit aus drei Dingen: der Geschichte, den Bildern und dem Material. Fällt ein Teil ab, leidet das ganze Werk. Hier ist meine kleine Checkliste aus der Werkstatt, die du gedanklich mit in den Buchladen nehmen kannst.

1. Das Material: Die Geschichte muss man fühlen können

Ein Kinderbuch ist ein Gebrauchsgegenstand. Es wird zerblättert, vollgesabbert und manchmal auch angeknabbert. Die Qualität ist also keine Spinnerei, sondern pure Notwendigkeit.

Der Fühl- und Riech-Test: Nimm das Buch in die Hand. Fühlt sich das Papier dünn und glatt an? Glänzt es stark im Licht? Das ist oft kein gutes Zeichen. Besser ist ein mattes, griffiges Papier mit einer gewissen Stärke (so um die 150 bis 170 g/m² sind super). Darauf wirken Farben wärmer und die Nachttischlampe blendet nicht. Und dann, ganz wichtig: Riech mal dran! Ein Buch sollte nach Papier riechen, nicht nach einer Chemiefabrik. Siegel wie der „Blaue Engel“ oder FSC sind hier ein guter Hinweis auf eine schadstoffarme Produktion.

Kinderbuch der standhafte Zinnsoldate

Der Bindungs-Check: Das ist mein Spezialgebiet. Die meisten günstigen Bücher sind nur geklebt oder mit Klammern geheftet. Das bricht bei starker Nutzung schnell. Die beste und haltbarste Methode ist die Fadenheftung. Du erkennst sie, wenn du das Buch in der Mitte aufschlägst und genau in den Falz schaust. Siehst du dort die kleinen Schlaufen des Fadens? Perfekt! Ein fadengeheftetes Buch lässt sich wunderbar flach aufschlagen, ohne zu brechen, und hält oft über Generationen. Klar, das kostet mehr. Rechne mal damit, dass ein gutes, fadengeheftetes Bilderbuch oft zwischen 15 € und 25 € kostet, während eine geklebte Version vielleicht schon für 8 € bis 12 € zu haben ist. Aber die Investition lohnt sich!

Der Ecken-Check: Vor allem bei Pappbilderbüchern für die Kleinsten ein Muss. Sind die Ecken abgerundet? Top! Das ist eine simple Sicherheitsmaßnahme, die gute Verlage einfach auf dem Schirm haben.

Kleiner Werkstatt-Tipp: Ist doch mal eine Seite eingerissen, nimm bitte, BITTE kein normales Tesafilm! Das wird mit der Zeit gelb, brüchig und greift das Papier an. Es gibt spezielles, dokumentenechtes Klebeband im Fachhandel oder online. Das ist fast unsichtbar und alterungsbeständig.

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2. Die Illustration: Das Fenster zur Fantasie

Bilder sind die erste Sprache, die ein Kind im Buch versteht. Sie sind keine Deko, sie erzählen mit. Achte mal darauf, ob die Bilder zum Entdecken einladen. Gibt es kleine Details am Rande? Eine Maus hinterm Vorhang, ein lustiges Muster auf der Tapete? Solche Bilder fesseln und fördern die Beobachtungsgabe.

Vorsicht bei Bildern, die wie aus einem billigen Zeichentrickfilm aussehen. Grell, überzeichnet, leere Hintergründe – das schreit Kinder eher an, als sie einzuladen. Zeitlose Illustrationen, wie man sie etwa beim „Grüffelo“ findet, oder die detailverliebten Welten der bekannten Wimmelbücher regen die Fantasie an, ohne sie zu erschlagen. Wichtig ist, dass Text und Bild harmonieren und gemeinsam eine magische Welt erschaffen.

3. Der Inhalt: Das Herzstück der Geschichte

Eine gute Geschichte hat eine klare Struktur, die Kindern Halt gibt. Anfang, Mittelteil mit einem Problem und ein Ende mit einer Lösung. Die Sprache sollte reichhaltig, aber nicht künstlich modern sein – das veraltet nämlich unglaublich schnell. Zeitlose Geschichten sind hier der Schlüssel.

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Die klassischen Märchen sind nicht ohne Grund Klassiker. Sie behandeln die großen Themen des Lebens: Angst, Mut, Gerechtigkeit. Natürlich muss man sie als Eltern begleiten. Man kann nicht einfach „Hänsel und Gretel“ vorlesen und das Kind mit der Hexe allein lassen. Sprecht darüber! Frag doch mal ganz direkt: „Puh, die Hexe war ganz schön fies, oder? Aber Gretel war echt schlau. Was hättest du an ihrer Stelle gemacht?“ So werden die alten Geschichten zu einem Anlass, um über das Leben zu reden.

Übrigens, es lohnt sich, auch mal abseits der Bestsellerlisten zu schauen. Es gab in Deutschland mal eine Zeit mit zwei sehr unterschiedlichen Buchkulturen. Die Bücher aus dem Osten hatten oft einen starken Gemeinschaftssinn und waren künstlerisch von unglaublich hoher Qualität. Viele dieser Schätze wie „Alfons Zitterbacke“ werden heute zum Glück neu aufgelegt. Auch regionale Sagenwelten von der Küste oder aus den Bergen sind fantastisch, um eine Verbindung zur eigenen Heimat zu schaffen. Frag einfach mal in deiner lokalen Buchhandlung danach!

Kinderbuch Däumling

Praktische Tipps für den Familienalltag

Wie findet man nun das Richtige, ohne ein Vermögen auszugeben?

  • Für die Allerkleinsten (0-2 Jahre): Hier geht’s um Fühlen, Schauen, Greifen. Stabile Pappbilderbücher, Fühlbücher oder einfache Bildwörterbücher sind ideal. Achtet auf speichelfeste Pappe und darauf, dass sich keine Kleinteile lösen können (die Norm DIN EN 71 ist hier ein guter Anhaltspunkt).
  • Fürs Kindergartenalter (3-5 Jahre): Die Geschichten werden wichtiger. Kurze Texte, große Bilder. Themen aus dem Alltag wie Freundschaft, Teilen oder die Angst vorm Kindergarten kommen super an. Wimmelbücher sind in diesem Alter Gold wert!
  • Für Vorschul- und Grundschulkinder (6-8 Jahre): Der Übergang zum Selberlesen beginnt. Große Schrift, kurze Kapitel und spannende Abenteuer sind jetzt gefragt. Das ist die Zeit für die großen Klassiker über mutige Hexen oder starke Mädchen mit roten Zöpfen.

Mein allerbester Tipp: Nutzt die örtliche Bibliothek! Das ist die perfekte Werkbank. Dort könnt ihr unzählige Bücher ausprobieren. Was dein Kind über Wochen immer wieder ausleiht, das ist den Kauf wirklich wert. So baut ihr eine Bibliothek auf, die geliebt wird.

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Und was ist mit Lesemuffeln?

„Mein Kind will einfach nicht lesen.“ Den Satz höre ich oft. Meistens hilft der richtige Köder. Ein Junge, der Fußball liebt, liest vielleicht kein Märchen, aber ein Sachbuch über Dinos oder die Feuerwehr verschlingt er. Ein Mädchen, das gerne zeichnet, ist vielleicht von Comics oder Graphic Novels begeistert. Super, das ist auch Lesen! Auch Hörbücher sind ein fantastischer Einstieg in die Welt der Geschichten. Es geht darum, die Freude daran zu wecken, der Weg ist erstmal zweitrangig. Bloß keinen Druck machen!

Ein letztes Wort…

Die Auswahl eines Kinderbuches ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, aber auch eine riesige Chance. Mit jedem Buch prägst du die Welt deines Kindes. Nimm dir also die Zeit im Laden. Fühle das Papier, schau dir die Bindung an, lies die ersten Zeilen. Vertrau auf dein Gefühl und halte Ausschau nach Verlagen, die für ihre Qualität bekannt sind, zum Beispiel der Moritz Verlag, Gerstenberg, Aladin oder Beltz & Gelberg. Ein gutes Buch ist wie gutes Werkzeug: Es ist mit Sorgfalt, Wissen und Liebe gemacht. Und das spürt man einfach.

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  • Der Pappe-Test: Drücken Sie sanft auf den Buchdeckel. Hochwertige Hartpappe gibt kaum nach. Billige, dünne Pappe fühlt sich weich und biegsam an.
  • Der Eck-Check: Fahren Sie mit dem Finger über die Buchecken. Sind sie sauber verarbeitet und robust oder schon im Laden angestoßen und faserig?
  • Der Aufschlag-Trick: Schlagen Sie das Buch in der Mitte auf. Bleibt es von selbst offen liegen? Das ist oft ein Zeichen für eine flexible und haltbare Fadenheftung.
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Fadenheftung: Hier werden die Seiten in kleinen Bündeln (Lagen) mit einem Faden vernäht und dann zusammengefügt. Das Buch ist extrem langlebig, flexibel und liegt flach auf. Ein Qualitätsmerkmal, das man oft bei gebundenen Ausgaben von Verlagen wie dem Moritz Verlag oder Beltz & Gelberg findet.

Klebebindung: Die Seiten werden am Rücken nur durch Leim zusammengehalten. Das ist günstiger, aber auch brüchiger. Bei starker Beanspruchung können sich einzelne Seiten lösen – der Albtraum jedes Kinderbuchs.

Achten Sie auf die kleinen Faden-Stiche in der Mitte der aufgeschlagenen Seiten, um den Unterschied zu erkennen.

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Laut der Vorlesestudie 2023 der Stiftung Lesen haben Kinder, denen selten oder nie vorgelesen wird, später deutlich mehr Schwierigkeiten in der Schule.

Diese Investition in die gemeinsame Zeit zahlt sich also doppelt aus. Ein stabiles, haptisch ansprechendes Buch wird dabei vom reinen Informationsträger zum geliebten Begleiter. Es übersteht unzählige Vorlese-Runden, klebrige Finger und wird so zu einem physischen Anker für die schönsten Erinnerungen.

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Eine Eselsohr-Epidemie im Kinderzimmer oder eine lose Seite im Lieblingsbuch?

Kein Grund zur Panik! Für kleine Reparaturen brauchen Sie keine Werkstatt. Ein säurefreier, lösungsmittelfreier und flexibel trocknender Buchbinderleim ist ideal, um eine gelöste Seite vorsichtig wieder am Buchrücken zu fixieren. Für Risse im Papier ist spezielles, transparentes Filmoplast P von Neschen die erste Wahl für Profis und ambitionierte Laien. Es vergilbt nicht und bleibt fast unsichtbar.

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Lassen Sie sich nicht allein vom Cover blenden. Die wahre Kunst liegt oft im Inneren. Achten Sie auf Illustrationen, die eine eigene Geschichte erzählen und zum Entdecken einladen. Künstler wie Axel Scheffler („Der Grüffelo“) oder Rotraut Susanne Berner (Wimmelbücher) schaffen ganze Welten, die über den reinen Text hinausgehen. Ein gutes Layout lässt dem Text und den Bildern Raum zum Atmen und überfordert kleine Kinderaugen nicht mit zu viel Unruhe auf einer Seite.

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  • Sie fördern die lokale Gemeinschaft und Nachhaltigkeit.
  • Sie entdecken verborgene Schätze, die nicht mehr gedruckt werden.
  • Sie vermitteln Ihrem Kind den Wert von gebrauchten Dingen.

Das Geheimnis? Der Gang in die örtliche Bibliothek oder zum Flohmarkt! Hier finden sich oft stabile, fadengeheftete Klassiker aus den 70er- und 80er-Jahren für kleines Geld – eine Qualität, die man bei heutigen Neuerscheinungen oft teuer bezahlen muss.

Ein untrügliches Zeichen für Qualität: der Geruch. Ein gut gemachtes Buch duftet dezent nach Papier, Druckfarbe und vielleicht ein wenig nach dem Leim der Bindung. Es ist ein warmer, einladender Geruch. Riecht ein Buch hingegen stechend chemisch oder nach billigem Plastik, ist das oft ein Warnsignal für minderwertige Materialien und aggressive Farbstoffe, die in kleinen Kinderhänden nichts zu suchen haben.

Angela Schmidt

Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.