XXL-Strickdecke: Dein ehrlicher Guide zu Wolle, Kosten und warum sie trotzdem jeder will
Man sieht sie überall, oder? Auf Instagram, in schicken Wohnmagazinen und in den gemütlichsten Ecken deines Lieblingscafés: riesige, kuschelige Strickdecken, die förmlich „Komm, kuschel dich ein!“ rufen. Sie sind der Inbegriff von Gemütlichkeit. Aber als jemand, der seit Ewigkeiten mit Textilien arbeitet, sehe ich diese Schönheiten mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Inhaltsverzeichnis
Lass uns mal ganz offen darüber reden. Nicht als Verkäufer, sondern als jemand, der die Wolle, die Technik und vor allem die Tücken kennt. Wir klären, welches Material das richtige für dich ist, wie du so ein Teil selbst machst und was die brutale Wahrheit bei der Pflege ist. Denn genau da entscheidet sich, ob du lange Freude an deiner Decke hast.
Das Herzstück: Die richtige Wolle finden (oder eine schlaue Alternative)
Alles steht und fällt mit dem Material. Die chunky Optik kommt von extrem dickem „Garn“. Doch halt, hier müssen wir schon aufpassen. Was du meistens siehst, ist gar kein richtiges Garn, sondern sogenannter Wollkammzug.

Der feine Unterschied: Kammzug vs. Echtes Garn
Stell dir mal frisch gekämmte, rohe Schafwolle vor. Alle Fasern liegen ganz brav parallel nebeneinander. Das ist Kammzug (manchmal liest man auch den englischen Begriff „Roving“). Er ist unfassbar weich und voluminös. Normalerweise ist das die Vorstufe, um Garn zu spinnen. Beim Spinnen werden die Fasern fest miteinander verdreht. Dieser Drall gibt dem Garn erst seine Stabilität.
Ohne diesen Drall ist Kammzug nur ein lockerer Faserhaufen. Zieht man dran, reißt er. Warum also nimmt man ihn für die Decken? Ganz einfach: Weil es mega aussieht und sich himmlisch anfühlt. Der Star unter den Kammzügen ist ganz klar Merinowolle.
Merinowolle: Die Königin mit Ansprüchen
Merinowolle ist deshalb so beliebt, weil ihre Fasern extrem fein sind und sich bei Hautkontakt biegen, anstatt zu piksen – daher kratzt sie nicht. Außerdem isoliert sie fantastisch durch die vielen kleinen Lufteinschlüsse und kann eine Menge Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen.

Aber, und das ist ein großes Aber: Reiner Merino-Kammzug ist teuer und empfindlich. Ganz ehrlich, du musst mit Preisen zwischen 25 € und 40 € pro Kilogramm rechnen. Für eine mittelgroße Decke (ca. 1,20 m x 1,50 m) brauchst du schnell mal 4 Kilo. Du kannst dir also ausrechnen, dass da locker 100 bis 160 Euro nur für die Wolle zusammenkommen.
Die schlauen Alternativen für den echten Alltag
Keine Sorge, es gibt auch andere Optionen, die oft praktischer sind:
- Filzwolle oder Filzband: Das ist im Grunde Kammzug, der schon ganz leicht angefilzt wurde. Die Fasern haften dadurch besser aneinander. Das Material ist etwas weniger flauschig, aber DEUTLICH robuster und neigt viel weniger zu Knötchenbildung (Pilling). Ein super Kompromiss zwischen Optik und Haltbarkeit.
- Schlauchgarn (Tube Yarn): Meine persönliche Empfehlung für alle mit Kindern, Haustieren oder einem Faible für Rotwein auf dem Sofa. Das ist ein gestrickter Baumwollschlauch, der mit weichen Fasern gefüllt ist. Sieht von Weitem fast genauso aus, ist aber super robust, pillt null und ist oft sogar waschbar. Der Griff ist etwas anders, weniger „organisch“, aber die Funktionalität ist unschlagbar. Preislich liegt es oft bei 20 € bis 30 € pro Kilo.
- Kunstfasern wie Acryl: Gibt es auch, aber ich bin kein Fan. Es fühlt sich einfach nicht so hochwertig an, knistert gerne mal (statische Aufladung) und ist weniger atmungsaktiv. Ein wichtiger Punkt ist auch der Brandschutz: Wolle ist von Natur aus schwer entflammbar, sie verkohlt eher. Kunstfasern können bei Hitze schmelzen, was man im Wohnbereich nicht unterschätzen sollte.
Wo bekommst du das alles? Schau mal in gut sortierten Woll-Onlineshops, auf Kreativ-Plattformen wie Etsy oder gib bei deiner Suche „Chunky Knit Yarn“ oder „Riesengarn“ ein.

Die Technik: Mit Armen oder riesigen Nadeln?
Hast du dein Material, geht’s ans Stricken. Die zwei gängigsten Methoden sind das Armstricken und das Stricken mit riesigen Nadeln.
Armstricken: Schnell, aber tricky
Hier sind deine Arme die Stricknadeln. Das geht unfassbar schnell, und eine kleine Decke ist in unter einer Stunde fertig. Der Haken? Das Maschenbild wird oft ungleichmäßig, und eine Pause machen ist fast unmöglich. Du kannst die Arbeit ja schlecht mitsamt deinen Armen in die Ecke legen. Auf Toilette gehen wird zur logistischen Herausforderung.
Kleiner Tipp: Wenn du es versuchst, setz dich an einen großen Tisch. So kann das Gewicht der Decke auf dem Tisch ruhen, was deine Arme entlastet und hilft, die Spannung gleichmäßiger zu halten.
Riesennadeln: Mehr Kontrolle, besseres Ergebnis
Als Handwerker mag ich Werkzeug, das mir Kontrolle gibt. Riesige Stricknadeln (wir reden von 40-50 mm Durchmesser!) sind da klar im Vorteil. Das Maschenbild wird viel gleichmäßiger, und du kannst die Arbeit jederzeit weglegen.

Die Nadeln selbst kosten einmalig zwischen 20 € und 50 € und sind meist aus leichtem Holz oder PVC. Du findest sie online unter „Jumbo Knitting Needles“ oder eben dort, wo du auch die Wolle kaufst.
Die wichtigsten Schritte zum Erfolg
- Menge berechnen: Die Faustregel sind ca. 4 kg für eine Decke von 1,20 m x 1,50 m. Planst du nur ein Sitzkissen (ca. 40×40 cm), reicht oft schon 1 kg. Für eine riesige Tagesdecke für dein Bett (ca. 2,00 x 2,00 m) musst du aber locker mit 7-8 kg Wolle rechnen. Kauf lieber etwas zu viel!
- Maschen anschlagen: Mach das unbedingt locker! Ganz ehrlich, bei meinem allerersten Versuch habe ich die Anfangsmaschen so fest gezogen, dass die Kante hart wie ein Brett war. Musste alles wieder aufribbeln. Also: Sei lieb zu deiner ersten Reihe!
- Stricken: Das einfachste Muster ist „kraus rechts“ (jede Reihe nur rechte Maschen stricken). Das hat den riesigen Vorteil, dass sich die Decke an den Rändern nicht einrollt – ein häufiges Problem beim „glatt rechts“ Stricken.
- Wolle ansetzen: Wenn ein Knäuel zu Ende geht, die Enden niemals verknoten! Das gibt einen harten Knubbel. Die Profi-Technik ist das Anfilzen: Zupfe die beiden Enden etwas aus, lege sie überlappend aufeinander, mach sie mit warmem Wasser und einem Hauch Seife feucht und reibe sie kräftig zwischen den Händen. Die Fasern verfilzen sich zu einem nahtlosen Übergang. Üb das vorher mal an einem Reststück!
- Abketten: Auch hier gilt: Locker bleiben, damit die Kante schön elastisch wird.
Ach ja, und wenn dir mal eine Masche von der Nadel rutscht – keine Panik! Das passiert jedem. Mit den Fingern oder einer großen Häkelnadel kannst du sie ganz einfach wieder „einfangen“ und eine Etage höher heben.

So stylst du die Decke richtig
Diese Decken sind mehr als nur Wärmespender, sie sind ein echtes Statement-Piece. Im skandinavischen „Hygge“-Look liegen sie lässig in Naturtönen wie Wollweiß oder Grau über einem Sessel. In modernen Wohnungen setzen sie als Farbtupfer in Senfgelb oder Petrol tolle Akzente. Hier passen oft die klaren Linien von Schlauchgarn besonders gut. Im rustikalen Landhausstil darf die Wolle auch mal etwas rauer sein, vielleicht sogar von einer regionalen Schafrasse für den ganz authentischen Look.
Die ehrliche Wahrheit: Pflege, Pilling und Haltbarkeit
So, jetzt mal Butter bei die Fische. Eine Decke aus ungesponnenem Kammzug ist ein Pflegefall. Sie ist eher ein Deko-Objekt als eine Alltags-Kuscheldecke.
Das unvermeidliche Pilling
Durch Reibung lösen sich immer einzelne Fasern und bilden kleine Knötchen an der Oberfläche. Das ist kein Qualitätsmangel, sondern liegt in der Natur des losen Materials. Was tun? Die Knötchen NIEMALS abzupfen, damit ziehst du nur noch mehr Fasern raus. Schneide sie stattdessen vorsichtig mit einer kleinen, scharfen Schere ab.

Achtung, Minenfeld Reinigung!
Ich kann es nicht oft genug sagen: Wasche eine Decke aus Merino-Kammzug NIEMALS in der Waschmaschine. Auch nicht im Wollwaschgang. Niemals. Das Ergebnis ist eine harte, verfilzte und eingelaufene Platte. Deine Decke wäre ruiniert und deine Waschmaschine vielleicht auch (so eine nasse Decke kann 15-20 kg wiegen!).
Die einzig sicheren Methoden sind:
- Lüften: Wolle ist selbstreinigend. Häng die Decke einfach regelmäßig an die frische Luft (nicht in die pralle Sonne). Das wirkt Wunder.
- Fleckentfernung: Flecken sofort behandeln. Flüssigkeit abtupfen, nicht reiben. Bei festem Schmutz vorsichtig abkratzen und die Stelle mit einem feuchten Tuch und etwas Wollwaschmittel betupfen.
- Professionelle Reinigung: Wenn es wirklich sein muss, bring sie zu einer Reinigung, die sich mit solchen empfindlichen Textilien auskennt. Sag ausdrücklich, dass es sich um ungesponnene Wolle handelt.
Fazit: Eine bewusste Entscheidung für oder gegen den Traum
Puh, das war viel Input, ich weiß. Aber es ist mir wichtig, dass du eine ehrliche Wahl triffst. Eine XXL-Decke aus reinem Kammzug ist wunderschön, sinnlich, aber eben auch eine kleine Diva.

Bevor du also ein kleines Vermögen in Wolle investierst, probier doch mal ein kleines Testprojekt. Schnapp dir 1 kg Wolle und stricke einen Kissenbezug. Daran kannst du die Technik perfekt üben und siehst, ob du mit dem empfindlichen Material klarkommst.
Wenn du die atemberaubende Optik liebst und bereit bist, deine Decke wie ein Kunstwerk zu behandeln, dann go for it! Es ist eine wunderbare Bereicherung. Wenn du aber eine Decke suchst, die den Alltag mitmacht, robust und pflegeleicht ist, dann greif lieber zum Schlauchgarn oder einer klassisch gestrickten Decke. So oder so, du weißt jetzt, worauf du dich einlässt.
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Träumst du von deiner eigenen XXL-Decke, bist aber unsicher bei der Wollmenge?
Das ist die häufigste Frage beim DIY-Start! Die benötigte Menge hängt stark von der Dicke des Kammzugs und der Festigkeit deiner Maschen ab. Als Faustregel für reinen Merino-Kammzug (ca. 4-5 cm Durchmesser) kannst du dich an diesen Werten orientieren:
- Kleine Babydecke (ca. 60×80 cm): ca. 1 kg
- Klassischer Plaid (ca. 80×130 cm): ca. 2 kg
- Großzügige Sofadecke (ca. 120×170 cm): ca. 4 kg
Lieber etwas mehr einplanen, damit du am Ende nicht mit einer zu kurzen Decke dastehst.

Wusstest du, dass eine einzelne Merinofaser nur etwa 16,5 bis 24 Mikrometer dick ist? Das ist feiner als ein menschliches Haar und der Grund, warum sie sich auf der Haut biegt, anstatt zu piksen.

Der Kardinalfehler bei der Pflege: Deine Decke aus reinem Wollkammzug in die Waschmaschine stecken. Selbst im Wollwaschgang führt das zu einem Desaster – die losen Fasern verfilzen und schrumpfen zu einem steifen Klumpen. Merinowolle hat von Natur aus selbstreinigende Eigenschaften. Kräftiges Auslüften an der frischen Luft ist die beste Pflege. Flecken sollten nur sehr vorsichtig und punktuell mit einem feuchten Tuch und spezieller Wollseife betupft werden.

Keine riesigen Stricknadeln zur Hand?
Kein Problem! Das Geheimnis hinter vielen dieser Decken ist das sogenannte „Armstricken“. Dabei dienen deine eigenen Unterarme als Stricknadeln. Die Technik ist verblüffend einfach zu lernen und das Ergebnis entsteht beeindruckend schnell – eine mittelgroße Decke kann an einem einzigen Nachmittag fertig sein. Du hebst die Maschen einfach von einem Arm auf den anderen. Zahlreiche Video-Tutorials online zeigen dir Schritt für Schritt, wie es geht.

Eine riesige Strickdecke ist ein starkes Statement. Damit sie den Raum nicht erdrückt, setze auf Kontraste in der Textur. Lege die weiche, voluminöse Decke über ein glattes Ledersofa, einen minimalistischen Sessel aus Leinen oder lasse sie lässig über eine harte Holzkante am Bettende fallen. Besonders edel wirkt es, wenn du eine neutrale Farbe wie Anthrazit oder Greige wählst, die sich harmonisch in dein Wohnkonzept einfügt, anstatt mit ihm zu konkurrieren.

- Die gleiche angesagte Chunky-Ästhetik.
- Ein Hauch von Luxus auf dem Sofa oder Sessel.
- Ein schnelles und befriedigendes DIY-Projekt.
Die Lösung für ein kleineres Budget? Ein XXL-Strickkissen! Dafür benötigst du nur etwa 1 kg Wolle oder Schlauchgarn und ein passendes Innenkissen. So holst du dir den gemütlichen Trend nach Hause, ohne tief in die Tasche greifen zu müssen, und schaffst einen tollen visuellen Ankerpunkt.

Alternative zu reinem Merino-Kammzug: Schlauchgarn.
Alternative zu reinem Merino-Kammzug: Schlauchgarn. Dabei handelt es sich um einen gestrickten Baumwoll- oder Synthetikschlauch, der mit weichen Polyester- oder Silikonfasern gefüllt ist. Es imitiert die dicke Optik von Kammzug, ist aber deutlich robuster, pilling-resistenter und oft sogar maschinenwaschbar. Marken wie Oeko-Tex-zertifizierte Anbieter garantieren zudem schadstofffreie Materialien. Die Haptik ist etwas fester und weniger flauschig als bei reiner Wolle, aber für Haushalte mit Kindern oder Haustieren ist es eine unschlagbare, pflegeleichte Alternative.
Der globale Markt für Wolle wurde 2022 auf 37,2 Milliarden US-Dollar geschätzt und wächst weiter.
Was bedeutet das für dich? Die steigende Nachfrage nach Naturfasern und gemütlichen Heimtextilien, angetrieben durch Trends wie „Hygge“ und „Cocooning“, hält die Preise für hochwertige Wolle wie Merino stabil hoch. Gleichzeitig fördert es aber auch die Entwicklung innovativer und nachhaltigerer Alternativen, wie zum Beispiel recycelte Wollgarne oder pflanzliche Fasermischungen im Chunky-Look.




