Vom Meeresmüll zum Sneaker: Die ehrliche Wahrheit über Kleidung aus Ozeanplastik

von Romilda Müller
Anzeige

In meiner Werkstatt habe ich ja schon so einiges unter den Fingern gehabt. Ich habe mit feinstem Leder gearbeitet, dessen Geruch allein schon Bände spricht, und robuste Segeltuche geflickt. Mein ganzes Handwerk baut darauf auf, ein Material wirklich zu verstehen – es zu fühlen, zu riechen und zu wissen, wie es sich bei Nässe oder unter Zug verhält. Und dann lag da plötzlich etwas völlig Neues auf meinem Tisch: ein Garn, gesponnen aus Plastik, das aus dem Meer gefischt wurde.

Ganz ehrlich? Mein erster Gedanke war: reines Marketing. Müll als Rohstoff für einen Hochleistungsschuh? Für einen alten Hasen wie mich klang das erst mal nach einer schönen Geschichte, aber nicht nach solider Handwerkskunst. Doch das Thema ist viel größer als nur ein paar coole Sneaker. Es ist der Versuch, einen riesigen Fehler zu korrigieren und aus einem Problem einen Wertstoff zu machen. Heute will ich mit dir mal hinter die Kulissen schauen. Wir verfolgen den Weg vom salzigen Abfall bis zum fertigen Faden und klären, was das Material wirklich kann – und wo seine Grenzen liegen. Das ist die ungeschönte Wahrheit, ganz ohne Werbesprüche.

nachhaltige kleidung schuhe aus wiederverwendeten materialien adidas parley
Anzeige

Der Stoff, aus dem die Träume sind? Ein Blick auf den Rohstoff

Um das Ganze zu verstehen, müssen wir ganz am Anfang ansetzen. „Meeresplastik“ ist nämlich nicht gleich Meeresplastik. Die Herkunft ist absolut entscheidend für die Qualität am Ende. Das predige ich auch meinen Lehrlingen immer wieder: Kenne deinen Werkstoff, sonst wird das nichts!

Man unterscheidet im Grunde zwei Hauptquellen:

  • Küstenplastik: Das sind meistens PET-Flaschen und Verpackungen, die an Stränden angespült werden. Dieses Material ist vergleichsweise „frisch“. Klar, es ist dreckig und die Sonne hat es schon etwas spröde gemacht, aber chemisch ist es noch ziemlich einheitlich. Man fängt diesen Müll sozusagen ab, bevor die Wellen ihn in Mikropartikel zermahlen.
  • Geisternetze: Das hier ist die echte Herausforderung. Alte Fischernetze, oft aus Nylon, die seit Jahren im Meer treiben. Die sind voll mit Algen, Muscheln und haben so richtig schön Salz gefressen. UV-Licht und Salzwasser haben die Kunststoffmoleküle schon ordentlich angegriffen. Die Dinger zu reinigen ist ein Riesenaufwand.

Stell dir das einfach so vor: Küstenplastik ist wie ein sauberes, neues Holzbrett. Geisternetze sind wie altes, verwittertes Treibholz. Du kannst aus beidem was bauen, aber der Aufwand ist ein ganz anderer.

nachhaltige kleidung Tag des Ozeans adidas parley
Anzeige

Vom Abfall zum Garn: Ein schmutziger, aber genialer Prozess

Die Aufbereitung ist der teuerste und wichtigste Schritt. Zuerst wird der Müll von Freiwilligen in mühsamer Handarbeit gesammelt und sortiert. Alles, was nicht aus dem Zielkunststoff besteht, muss raus: organische Reste, Metall, anderer Plastikmüll. Danach wird das Ganze in riesigen Anlagen mehrfach gewaschen, geschreddert und zu kleinen Flocken verarbeitet.

Diese „Flakes“ werden dann eingeschmolzen und durch superfeine Filter gepresst. Übrig bleibt ein sauberes Granulat. Kleiner Tipp vom Fachmann: Gutes Granulat hat eine einheitliche Farbe. Siehst du kleine schwarze Pünktchen oder riecht es verbrannt, war die Temperatur zu hoch oder die Reinigung schlampig – das ruiniert später die Faser.

Dieses Granulat wird dann wieder erhitzt und durch eine Spinndüse gepresst, quasi wie bei einer riesigen Spaghettimaschine. Heraus kommen hauchdünne Fäden, die gestreckt und verzwirnt werden. Erst durch dieses Strecken richten sich die Molekülketten aus und der Faden bekommt die nötige Reißfestigkeit, um in einem Schuh zu überleben. Er muss am Ende ähnliche Werte in den genormten Zugtests erreichen wie ein Faden aus neuem Kunststoff.

nachhaltige kleidung schuhe adidas parley wiederverwendete ozean plastik

Wie aus dem Faden ein Schuh wird (und wie er sich anfühlt)

So, wir haben also ein Garn. Aber wie verhält sich das in der Praxis? Ich sag immer: Der Faden hat ein Gedächtnis. Seine Zeit im Ozean hat Spuren hinterlassen. Er ist oft einen Tick steifer und weniger dehnbar als fabrikneues Polyester. Auch beim Färben kann er zickig sein und die Farbe etwas ungleichmäßiger annehmen. Für den Laien kaum sichtbar, für den Kenner ein Echtheitszertifikat.

Moderne Sportschuhe werden heute ja meistens gestrickt statt genäht. Das Obermaterial entsteht oft in einem Stück auf computergesteuerten Maschinen. Der Vorteil ist genial: Es gibt so gut wie keinen Verschnitt. Man kann sogar verschiedene Zonen direkt einstricken – an der Ferse fester für mehr Halt, am Spann luftiger für die Belüftung. Für das recycelte Garn ist das perfekt, weil es kaum belastete Nähte gibt.

Und wie fühlt sich das Ganze am Fuß an? Anfangs war das Material oft etwas kratzig und steif. Aber die Technik hat sich enorm weiterentwickelt. Heutige Stoffe sind erstaunlich weich und atmungsaktiv. Du schwitzt darin nicht mehr als in einem normalen Synthetik-Schuh. Manchmal fühlt es sich vielleicht minimal „technischer“ oder fester an, aber das ist für den Alltagsgebrauch absolut kein Nachteil.

nachhaltige kleidung schuhe parley adidas

Der letzte kritische Punkt ist die „Hochzeit“ – die Verbindung von Schaft und Sohle. Das passiert meist durch Kleben. Hier braucht es den richtigen Kleber und exakte Kontrolle von Hitze und Druck. Ein häufiger Fehler, den ich bei Reparaturen sehe: Leute stellen ihre nassen Schuhe zum Trocknen auf die Heizung. Das ist der Tod für jeden Schuh! Die Hitze kann den Kleber reaktivieren und die recycelten Fasern schädigen. Ich hatte mal einen Kunden, dem sich so die komplette Sohle gelöst hat. Also: Lernt aus seinen Fehlern!

Augen auf beim Kauf: So entlarvst du Marketing-Tricks

Der Begriff „aus Meeresplastik“ wird leider oft für Greenwashing missbraucht. Sei also kritisch! Hier ein paar Tipps, worauf du achten solltest:

  • Wie viel ist wirklich drin? Manchmal werben Hersteller groß, obwohl nur 5 % des Materials aus recyceltem Garn bestehen. Ein ehrliches Produkt sollte einen deutlich höheren Anteil haben. Seriöse Marken geben das oft an.
  • Achte auf Zertifikate: Der Global Recycled Standard (GRS) stellt sicher, dass das Material wirklich recycelt ist und die Lieferkette stimmt. Für die gesundheitliche Unbedenklichkeit ist der OEKO-TEX Standard 100 ein gutes Zeichen. Er garantiert, dass keine schädlichen Chemikalien im Endprodukt stecken.
  • Sei skeptisch bei Billigangeboten: Der Recyclingprozess ist, wie du jetzt weißt, super aufwendig. Ein T-Shirt für 10 Euro kann kaum aus echtem, zertifiziertem Meeresplastik sein.
nachhaltige kleidung nachhaltige schuhe Tag des Ozeans parley adidas
What's Hot

Faschings-Werkstatt für Zuhause: So bastelt ihr geniale Kostüme, die auch wirklich halten!

Was du wissen musst: Haltbarkeit, Pflege und der ehrliche Preis

Ist ein Schuh aus Meeresmüll genauso haltbar wie einer aus neuem Material? Meine ehrliche Antwort: meistens nicht ganz. Die Faser ist durch ihre Vorgeschichte minimal geschwächt und oft etwas weniger abriebfest. Für den Alltag, den Weg ins Büro oder eine Runde im Park ist das absolut kein Problem. Für eine Extrem-Bergwanderung würde ich aber vielleicht doch zu etwas anderem greifen. Man kauft so ein Produkt ja auch als Statement.

Und warum ist Müll eigentlich so teuer? Viele fragen sich das. Die Antwort ist einfach: Das Sammeln, Sortieren und Reinigen ist extrem teuer und personalintensiv. Es ist viel aufwendiger als neues Plastik aus Erdöl herzustellen. Du bezahlst also nicht den Wert des Mülls, sondern die Kosten für seine Rettung und Verwandlung. Rechne bei guten Schuhen aus diesem Material mal mit Preisen zwischen 120 € und 180 € – alles darunter ist entweder ein Schnäppchen oder eben nicht ganz koscher.

nachhaltige kleidung adidas parley nachhaltige schuhe

Kleiner Pflege-Guide für deine Meeres-Treter:

  1. Groben Dreck immer zuerst trocken abbürsten. Eine alte Zahnbürste ist dafür perfekt.
  2. Flecken mit einem feuchten Tuch und milder Seife (Kernseife geht super) nur abtupfen, nicht wild rubbeln.
  3. Die Waschmaschine ist der absolute Notfall! Wenn, dann nur kalt, im Wäschesack und ohne Schleudern.
  4. Und das Wichtigste: NIEMALS, wirklich NIEMALS, in den Trockner oder auf die Heizung! Immer an der Luft trocknen lassen.

Ein ehrlicher Blick nach vorn

Als Handwerker bin ich Optimist, aber auch Realist. Jedes Produkt aus Meeresplastik ist ein kleiner Sieg und macht unsere Ozeane ein Stück sauberer. Aber es ist Symptombekämpfung. Die eigentliche Aufgabe ist, zu verhindern, dass der Müll überhaupt erst im Meer landet.

Ach ja, eine Sache noch: das Mikroplastik-Problem. Jedes Synthetik-Textil verliert beim Waschen winzige Fasern. Das ist bei recyceltem Garn nicht anders. Eine gute Maßnahme zur Schadensbegrenzung sind spezielle Waschbeutel (einfach mal nach „Guppyfriend“ suchen), die einen Großteil der Fasern auffangen.

nachhaltige kleidung nachhaltige schuhe ozean plastik
What's Hot

Gruppenkostüme, die rocken: Euer ultimativer Guide von der Idee bis zum Umzug

Die Schuhe und Klamotten sind also ein wichtiges Symbol und ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie allein werden die Welt nicht retten. Das müssen wir schon selbst tun.

Und jetzt du: Hast du selbst schon Schuhe oder vielleicht einen Rucksack aus dem Zeug? Wie sind deine Erfahrungen? Hält es, was es verspricht? Schreib’s mir doch mal in die Kommentare!

Bildergalerie

nachhaltige kleidung adidas parley schuhe wiederverwendete materialien
nachhaltige kleidung schuhe trenige sportschuhe adidas parley
What's Hot

Klangwunder selber machen: Der ultimative Guide zum Rasseln bauen – sicher, kreativ und mit Geling-Garantie

Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge landen jedes Jahr zwischen 8 und 12 Millionen Tonnen Plastik in unseren Ozeanen.

Diese unvorstellbare Menge relativiert die Frage, ob ein einzelner Sneaker die Welt rettet. Er tut es nicht allein. Aber er macht ein riesiges, unsichtbares Problem sichtbar und tragbar – und verwandelt Abfall in einen begehrten Rohstoff, der zum Umdenken anregt.

nachhaltige kleidung schuhe adidas parley sportschuhe

Aber fühlt sich ein Schuh aus recyceltem Plastik nicht an wie eine schwitzige Tüte am Fuß?

Eine berechtigte Sorge, die aber von moderner Textiltechnik längst überholt wurde. Der Prozess vom PET-Schnipsel zum Garn ist hochentwickelt. Recyceltes Material, oft unter Namen wie Econyl® (aus Nylon-Abfällen wie Fischernetzen) oder Repreve® (aus PET-Flaschen) bekannt, wird zu extrem feinen Fasern versponnen. Diese werden zu Funktionsgeweben verwoben, die nicht nur leicht und strapazierfähig sind, sondern auch überraschend atmungsaktiv und weich. Das Tragegefühl ist heute kaum noch von einem herkömmlichen Hightech-Sneaker zu unterscheiden – nur das Gewissen ist leichter.

Adidas & Parley: Der Fokus liegt auf Performance-Textilien für Schuhe und Sportbekleidung, die direkt aus Küsten- und Meeresplastik hergestellt werden. Ein technologischer Ansatz für den Massenmarkt.

Patagonia & NetPlus: Hier konzentriert man sich auf einen speziellen Abfallstrom – alte Fischernetze. Das daraus gewonnene „NetPlus“-Material wird für robuste Produkte wie Jacken-Krempen oder Rucksack-Schnallen genutzt.

Zwei Wege, ein Ziel: dem Müll im Meer einen neuen Wert geben.

Romilda Müller

Mein Beruf macht mir echt viel Spaß! Selbst indem ich jeden Tag Beiträge über Themen aus den Bereichen Gartengestaltung, Dekoration, Innendesign, Mode und Lifestyle schreibe, entdecke ich viele interessante Tatsachen. Auch für mich selbst. Zudem schöpfe ich Inspiration für meine eigene Freizeit. Mein Ziel ist es, unserer Leserschaft nützliche Information und unendliche Anregung anzubieten und damit behilflich zu sein. Es freut mich, durch meine Artikel eine große Anzahl von Lesern für unterschiedliche Themen zu begeistern und zu neuen Projekten im Haus und Garten zu ermutigen. Außerdem will ich ihnen gleichzeitig damit Optionen für eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung bieten.