Haare natürlich färben: Dein ehrlicher Guide für Pflanzenfarben, der wirklich funktioniert
Ich stehe seit über zwanzig Jahren im Salon und habe wirklich alles gesehen. Haare, die durch Chemie strohig geworden sind, und Haare, die mit der richtigen Pflege wieder aufgeblüht sind. Eines habe ich dabei gelernt: Gesundes Haar hat seinen eigenen Kopf. Immer mehr Leute kommen zu mir und wünschen sich eine Veränderung, sind aber die aggressive Chemie einfach nur leid. Die Frage ist dann fast immer dieselbe: „Geht da nicht auch was mit Pflanzen?“
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Und meine Antwort ist ein klares: Ja, absolut! Aber – und das ist das Wichtigste – es ist ein „Ja“ mit einer kleinen Gebrauchsanweisung.
Pflanzenfarbe ist kein Fast-Food-Produkt für die Haare. Es ist vielmehr ein kleines Ritual, ein Handwerk, das ein bisschen Geduld und das Verständnis für dein eigenes Haar erfordert. Stell es dir so vor: Chemische Farben brechen die Tür zu deinem Haar auf und tauschen die Möbel aus. Pflanzenfarben legen sich dagegen wie eine schützende Lasur um jedes einzelne Haar. Das Ergebnis ist deshalb immer ein einzigartiges Zusammenspiel aus der Pflanzenmischung und deiner Naturhaarfarbe. Kein Kopf gleicht dem anderen. In diesem Guide verrate ich dir alles, was du wissen musst – die Grundlagen, die besten Tricks und die ehrlichen Grenzen dieses wunderbaren Weges.

Wieso Pflanzenfarbe dein Haar (eigentlich) liebt
Um zu kapieren, warum Pflanzenfarben so anders ticken, müssen wir uns ein Haar mal genauer anschauen. Stell es dir wie einen Tannenzapfen vor. Die äußere Schicht besteht aus vielen kleinen, überlappenden Schüppchen. Bei gesundem Haar liegen diese flach an, was für den schönen Glanz sorgt.
Chemische Farben gehen da ziemlich rabiat vor. Stoffe wie Ammoniak spreizen diese Schuppenschicht gewaltsam auf, damit Wasserstoffperoxid eindringen und deine natürlichen Pigmente zerstören kann. Erst dann werden künstliche Farbpigmente eingelagert. Das funktioniert, klar, aber es hinterlässt auf Dauer Spuren. Das Haar wird poröser und trockener.
Pflanzenfarben spielen in einer ganz anderen Liga. Sie enthalten natürliche Gerb- und Farbstoffe, die sich einfach von außen an die Haarstruktur anlagern. Sie dringen gar nicht erst tief ein. Stattdessen füllen sie kleine Lücken in der Schuppenschicht auf und glätten die Oberfläche. Genau deshalb fühlt sich mit Pflanzen gefärbtes Haar oft griffiger, dicker und gesünder an.

Ein kleiner, aber feiner Nebeneffekt: Die meisten Pflanzenmischungen sind leicht sauer. Das hilft der Schuppenschicht, sich wieder schön glatt anzulegen. Übrigens, das ist auch der Grund, warum eine simple Spülung mit Apfelessig nach dem Färben den Glanz nochmal so richtig boostet und die Farbe länger haltbar macht.
Aber seien wir ehrlich: Diese sanfte Methode hat auch klare Grenzen. Eine Pflanzenfarbe kann dein Haar niemals aufhellen. Von Dunkelbraun zu Blond? Keine Chance. Sie kann deine Naturfarbe nur veredeln, abdunkeln oder ihr einen neuen, aufregenden Reflex geben. Das ist aber keine Schwäche, sondern eine Charakterstärke.
Vorbereitung ist alles: Die goldenen Regeln
Bevor du auch nur daran denkst, das Pulver anzurühren, gibt es zwei Dinge, die absolute Pflicht sind. Wer das überspringt, spielt russisches Roulette mit seinen Haaren. Ernsthaft, tu es nicht.
Regel 1: Die Probesträhne – dein persönlicher Spickzettel
Jedes Haar ist ein Unikat. Wie es die Farbe annimmt, hängt von seiner Struktur, Dicke und eventuellen Vorbehandlungen ab. Eine Probesträhne ist deine Glaskugel – sie zeigt dir exakt, wie das Ergebnis aussehen wird. So gibt’s keine bösen Überraschungen.

Kleiner Tipp: Sammle einfach ein paar Haare aus deiner Bürste zu einem kleinen Büschel. Rühre einen Teelöffel Pulver mit warmem Wasser an, leg die Probe rein und lass sie in etwas Frischhaltefolie genauso lange einwirken, wie du es für den ganzen Kopf planst. Danach gut ausspülen, an der Luft trocknen lassen und bei Tageslicht begutachten. Achtung: Die Farbe „reift“ in den nächsten 48 Stunden an der Luft noch nach und kann sich leicht verändern!
Regel 2: Der Allergietest – sicher ist sicher
Nur weil „Natur“ draufsteht, heißt das nicht, dass es für jeden harmlos ist. Man kann auch auf Kamille oder Walnuss allergisch sein. Ein kurzer Test gibt dir Sicherheit.
So geht’s: Eine winzige Menge der Paste anrühren und einen Tupfer in die Armbeuge oder hinter das Ohr geben. 48 Stunden warten. Wenn nichts juckt, brennt oder rot wird, hast du grünes Licht.
Dein Haar startklar machen
Pflanzenpigmente brauchen eine saubere „Leinwand“. Viele herkömmliche Shampoos enthalten aber Silikone, die sich wie ein Film ums Haar legen und die Farbe blockieren. Das Ergebnis? Flecken! Um das zu vermeiden, kauf dir ein günstiges Tiefenreinigungs- oder Peelingshampoo (gibt’s in jeder Drogerie) und benutze das eine Woche vor dem Färben ein paar Mal. Direkt vor der Anwendung die Haare damit waschen und auf Spülung oder Kur verzichten. Dein Haar sollte sich fast ein bisschen quietschig anfühlen – dann ist es perfekt vorbereitet.

Rezepte, Tipps & Tricks für deine Wunschfarbe
Bevor wir loslegen, hier eine kleine Einkaufsliste und ein paar Faustregeln. Du brauchst WIRKLICH nur:
- Dein Pflanzenpulver (mehr dazu gleich)
- Eine Schüssel aus Glas oder Keramik (WICHTIG: kein Metall!)
- Einen alten Löffel oder Schneebesen zum Rühren
- Handschuhe (sonst hast du bunte Hände)
- Alte Kleidung und Handtücher
- Eine Duschhaube oder Frischhaltefolie
- Eine fettige Creme (z.B. Vaseline) für den Haaransatz
Wie viel Pulver brauche ich? Als grobe Richtlinie: Für kurze Haare reichen ca. 50-80g, für schulterlanges Haar planst du mit 100g, und für langes oder sehr dickes Haar brauchst du eher 200g oder mehr. Lieber zu viel anrühren als zu wenig!
Und was kostet der Spaß? Ganz ehrlich, es ist unschlagbar günstig. Rechne mal mit 5 bis 15 Euro für 100g hochwertiges Pulver. Gutes Henna (achte auf „BAQ“-Qualität, das steht für Body-Art-Qualität und ist superfein gemahlen) bekommst du online in spezialisierten Shops, im Bioladen oder manchmal sogar im Asia- oder Orientladen. Ein Friseurbesuch zum Färben kostet schnell mal 100 Euro oder mehr – da kannst du dir ausrechnen, was du sparst.

Für Blondtöne & goldene Reflexe (nicht aufhellend!)
Kamillen-Spülung für sanftes Gold: Der Klassiker für Blondinen. Koche einfach 1 Liter Wasser mit einer Handvoll getrockneter Kamillenblüten auf, lass es eine Stunde ziehen, seihe es ab und spüle deine Haare nach dem Waschen mehrmals damit. Nicht auswaschen! Perfekt für einen leichten Schimmer.
Rhabarberwurzel für Honigblond: Das Pulver hat mehr Wumms als Kamille. Rühre ca. 100g Pulver mit 300ml heißem Wasser zu einer joghurtartigen Paste an. Aufs feuchte Haar auftragen, Duschhaube drüber und 30-60 Minuten wirken lassen. Verleiht hellbraunem Haar einen tollen goldenen Stich.
Für feuriges Rot & warmes Kupfer
Hier ist Henna der unangefochtene Star. Echtes, reines Henna färbt IMMER rot-orange. Die Intensität hängt von deiner Ausgangsfarbe ab.
Grundrezept für leuchtendes Henna-Rot:
• Zutaten: 100g reines Henna-Pulver (BAQ-Qualität!), ca. 300ml warmer schwarzer Tee oder Wasser (um die 50°C).
• Zubereitung: Das Pulver langsam mit der Flüssigkeit zu einer glatten Paste verrühren. Ist sie zu fest? Teelöffelweise Wasser dazu. Zu flüssig? Vorsichtig etwas Pulver nachstreuen. Die Konsistenz sollte wie ein cremiger Joghurt sein. Abdecken und an einem warmen Ort 2-4 Stunden „reifen“ lassen, damit sich der Farbstoff entwickelt.
• Anwendung: Großzügig auf das saubere Haar auftragen. Mit Folie einwickeln, ein warmes Handtuch drumherum (Wärme rockt!) und 2 bis 4 Stunden einwirken lassen. Danach NUR mit Wasser ausspülen, bis es klar läuft. Wichtig: 48 Stunden kein Shampoo benutzen, damit die Farbe an der Luft nachdunkeln kann.

Achtung, Falle! Finger weg von Produkten, die „schwarzes Henna“ heißen. Da ist oft der hochallergene chemische Farbstoff PPD beigemischt, der schwere Hautreaktionen auslösen kann. Reines Henna ist niemals schwarz!
Für satte Brauntöne bis Schwarz
Um Braun zu zaubern, mischen die Profis Henna mit anderen Pflanzen, vor allem mit Indigo. Indigo allein würde das Haar bläulich färben, aber in Kombination mit dem Rot von Henna neutralisiert es sich zu einem wunderschönen Braun.
Mischung für ein warmes Mittelbraun:
• Zutaten: 50g Henna, 50g Indigo, lauwarmes Wasser.
• Zubereitung: Zuerst das Henna anrühren und ziehen lassen, wie oben beschrieben. Indigo wird erst DIREKT vor dem Auftragen mit lauwarmem Wasser frisch angerührt (sein Farbstoff ist nicht lange stabil). Dann mischst du die frische Indigo-Paste unter die fertige Henna-Paste.
• Anwendung: Sofort aufs Haar damit! Einwirkzeit ca. 1,5 bis 3 Stunden. Je länger, desto dunkler. Gründlich ausspülen.
Pimp my Mix: Für mehr Pflege kannst du einen Löffel Amla-Pulver dazugeben. Ein Schuss Apfelessig im Anrührwasser kann bei manchen Haartypen den Glanz verstärken.

Häufige Pannen und wie du sie locker meisterst
Beim ersten Mal läuft nicht immer alles glatt. Aber keine Sorge, für fast alles gibt es eine Lösung.
Problem: „Hilfe, meine grauen Haare sind knallorange!“
Durchatmen! Das ist bei reinem Henna auf grauem Haar völlig normal. Ich hatte mal eine Kundin, die mich panisch anrief. Ich hab sie beruhigt und gesagt, sie soll zwei Tage warten. Und siehe da, sie schickte mir überglücklich ein Foto von ihrem perfekten, satten Kupferrot. Die Farbe oxidiert an der Luft und wird dunkler und natürlicher.
Der ultimative Plan für braune Haare trotz Grauanteil:
Wenn du graue Haare hast und ein braunes Ergebnis möchtest, kommst du um die Zwei-Schritt-Färbung nicht herum. Klingt aufwendig, ist aber genial.
1. Schritt 1 (Vor-Pigmentierung): Färbe dein Haar zuerst nur mit reinem Henna. Eine Stunde Einwirkzeit genügt. Ausspülen. Ja, die grauen Haare sind jetzt orange. Keine Panik, das ist die perfekte Grundlage.
2. Schritt 2 (Die Endfarbe): Direkt im Anschluss (oder am nächsten Tag) rührst du deine gewünschte Braunmischung (z.B. Henna/Indigo 50:50) an und trägst sie auf das gesamte Haar auf. Lass sie 2-3 Stunden einwirken. Das Indigo kann sich jetzt an das vor-gefärbte Haar anlagern und neutralisiert das Orange zu einem satten Braun. Voila!

Problem: „Die Farbe ist fleckig.“
Fast immer sind Silikonrückstände schuld. Da hilft nur, wie oben beschrieben, eine gründliche Vorreinigung und ein neuer Versuch. Oder du warst zu sparsam – bei Pflanzenfarbe gilt: Mehr ist mehr!
Die eine, wirklich wichtige Warnung:
Wenn du einmal mit Indigo gefärbt hast, gibt es kein Zurück zur chemischen Blondierung. Niemals! Wenn Bleichmittel auf Indigo trifft, wird dein Haar schlammgrün. Und diesen Farbton kriegst du nicht mehr raus.
Das ist eine endgültige Entscheidung. Sei dir dessen bitte bewusst.
Ein letzter Gedanke…
Mit Pflanzen zu färben ist mehr als nur eine neue Farbe. Es ist eine Entscheidung, mit deinem Haar zu arbeiten, anstatt gegen es. Die Ergebnisse sind lebendiger, subtiler und natürlicher. Dein Haar wird es dir mit Kraft und Glanz danken. Sei geduldig, hab Spaß am Experimentieren und vielleicht führst du sogar ein kleines „Haar-Tagebuch“ über deine Mischungen. So wirst du mit der Zeit zum absoluten Profi für deinen eigenen Kopf.

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Decken Pflanzenfarben graue Haare wirklich zuverlässig ab?
Ja, aber mit der richtigen Technik! Einzelne graue Haare nehmen die Farbe oft anders an und leuchten wie hellere Strähnchen – ein wunderschöner, natürlicher Effekt. Für eine deckende Färbung, besonders bei dunkleren Tönen, hat sich die Zwei-Schritt-Färbung bewährt. Zuerst wird mit reinem Henna vorpigmentiert (keine Sorge, das wird orange!), und im zweiten Schritt wird mit der eigentlichen Wunschfarbe, z.B. einer Indigo-Mischung von Marken wie Khadi oder Logona, darüber gefärbt. Das Ergebnis ist eine satte, dauerhafte und multidimensionale Farbe.

Henna ist kein Trend, sondern eine Tradition. Archäologische Funde belegen, dass die Blätter des Hennastrauchs bereits vor über 6.000 Jahren im alten Ägypten und in Mesopotamien zum Färben von Haaren und zur Körperbemalung genutzt wurden.
Reines Henna (Lawsonia inermis): Der Klassiker für alle, die sich feurige Rot- und Kupfertöne wünschen. Es färbt intensiv und dauerhaft, stärkt das Haar und verleiht ihm einen unglaublichen Glanz. Das Ergebnis hängt stark von der Ausgangsfarbe ab – auf blondem Haar leuchtet es orangerot, auf braunem Haar wird es ein sattes Kastanienbraun.
Farbloses Henna (Cassia obovata): Perfekt für alle, die keine Farbveränderung, sondern nur Pflege und Volumen wollen. Cassia, oft als „neutrales Henna“ bezeichnet, ist botanisch gesehen gar kein Henna. Es legt sich wie ein Schutzfilm ums Haar, repariert kleine Schäden und kann bei sehr hellem Haar einen zarten, goldenen Schimmer hinterlassen.



