Erbsenmilch im Klartext: Was steckt wirklich drin & lohnt sich der Hype?
Ich bin von Haus aus Lebensmitteltechniker und habe in meiner Karriere schon so einige Food-Trends kommen und gehen sehen. Ganz ehrlich? Die meisten waren schnell wieder weg. Aber die pflanzlichen Milchalternativen, die sind geblieben und haben die Supermarktregale für immer verändert. Als ich anfing, war Sojamilch noch was für Exoten. Heute? Hafer, Mandel, Kokos und eben auch Erbsenmilch füllen ganze Gänge. Mich fasziniert dabei weniger der Hype, sondern die clevere Technik, die dahintersteckt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Das Geheimnis der gelben Erbse
- 2 Ein Blick in die Werkstatt: Wie aus Erbsen „Milch“ wird
- 3 Nachhaltigkeit: Nur ein Werbeversprechen?
- 4 Erbsenmilch im Alltag: Kaufen oder selber machen?
- 5 Worauf du beim Kauf achten solltest
- 6 Wichtige Hinweise: Sicherheit geht vor!
- 7 Mein Fazit aus der Praxis
- 8 Bildergalerie
Immer wieder werde ich gefragt: „Was hältst du eigentlich von Erbsenmilch?“ Meine Antwort ist immer dieselbe: Kommt ganz drauf an, was du erwartest. Wer eine simple Mischung aus Erbsen und Wasser sucht, wird enttäuscht sein. Die Produkte aus dem Tetra Pak sind das Ergebnis ausgeklügelter Prozesse, die für Cremigkeit, guten Geschmack und Stabilität sorgen. Das hat mit einer einfachen Erbsensuppe absolut nichts zu tun. Und genau das ist der Punkt. Um Erbsenmilch wirklich zu verstehen, müssen wir uns mal ansehen, wie sie gemacht wird. Nur dann kann man einschätzen, was sie kann – und was nicht.

Das Geheimnis der gelben Erbse
Alles fängt mit dem richtigen Rohstoff an. Und nein, hierfür nimmt man nicht die grünen Tiefkühlerbsen. Die Basis sind getrocknete, gelbe Schälerbsen. Diese Wahl ist alles andere als Zufall.
Grüne Erbsen enthalten viel Chlorophyll, was ihnen nicht nur die Farbe, sondern auch einen ziemlich dominanten, gemüsigen Geschmack verleiht – für ein milchähnliches Getränk eher unpassend. Gelbe Schälerbsen sind da viel milder, fast schon leicht nussig. Außerdem wurde die Schale entfernt, was die Verarbeitung erleichtert und Bitterstoffe von vornherein reduziert. Ein cleverer Schachzug der Produktentwickler.
Ein bisschen Chemie muss sein
So eine gelbe Erbse besteht grob aus Stärke, Protein und Ballaststoffen. Für unsere „Milch“ ist nur das Protein der Star. Das Ziel der Profis ist es, dieses wertvolle Protein sauber von Stärke und Ballaststoffen zu trennen. Warum der Aufwand? Stärke würde das Getränk pappig machen, und Ballaststoffe würden für ein sandiges Gefühl im Mund sorgen. Am Ende dieses Prozesses bleibt ein feines, helles Pulver übrig: reines Erbsenproteinisolat. Das ist die Grundlage für so gut wie jede hochwertige Erbsenmilch, die du im Laden findest.

Ein Blick in die Werkstatt: Wie aus Erbsen „Milch“ wird
Die industrielle Herstellung ist ein mehrstufiger Prozess, der mit einem einfachen Küchenmixer nichts zu tun hat. Jeder Schritt hat seinen ganz bestimmten Zweck, und nur im Zusammenspiel entsteht ein stabiles, leckeres Produkt.
Schritt 1: Das Protein isolieren
Zuerst werden die getrockneten Erbsen zu feinem Mehl gemahlen und mit Wasser zu einem Brei vermischt. Durch gezielte Anpassung des pH-Wertes lösen sich die Proteine im Wasser, während Stärke und Fasern zurückbleiben. In riesigen Zentrifugen wird dieser Brei dann geschleudert, sodass sich die schweren Teile absetzen. Übrig bleibt eine proteinreiche Flüssigkeit. Daraus wird das Protein wieder „ausgefällt“, gewaschen und getrocknet. Das Ergebnis ist das erwähnte Proteinisolat mit einem Reinheitsgrad von oft über 80 %. Ein schöner Nebeneffekt: Bei diesem Prozess verschwinden auch die meisten Stoffe, die für den typischen „bohnigen“ Geschmack verantwortlich sind.
Schritt 2: Die Rezeptur zusammenstellen
Jetzt wird aus dem reinen Proteinpulver ein Getränk gemischt. Hier kommen die Zutaten ins Spiel, die für Geschmack und Textur sorgen:

- Pflanzenöl: Meistens Sonnenblumen- oder Rapsöl. Es sorgt für das cremige Mundgefühl. Ohne Fett wäre der Drink einfach nur wässrig.
- Mineralstoffe & Vitamine: Damit die Nährwerte an Kuhmilch herankommen, wird oft Calcium (meist Tricalciumphosphat, weil es stabiler ist) sowie Vitamin D und B12 zugesetzt.
- Stabilisatoren & Co.: Damit sich Öl und Wasser nicht trennen, helfen kleine Mengen von z. B. Gellan oder Sonnenblumenlecithin. In „Barista“-Versionen findet man oft auch Säureregulatoren wie Dikaliumphosphat. Kleiner Einblick aus dem Labor: Ich erinnere mich an wochenlange Tests, bei denen uns die Milch im Kaffee immer wieder ausgeflockt ist. Der Moment, als wir die richtige Balance des Säureregulators gefunden hatten und der Schaum perfekt stand, war ein echter Durchbruch! Genau diese kleinen Helfer machen den großen Unterschied.
Schritt 3: Homogenisieren und erhitzen
Die fertige Mischung wird mit extrem hohem Druck durch winzige Düsen gepresst. Das zerkleinert die Öltröpfchen so stark, dass sie sich perfekt verteilen und nicht mehr oben absetzen. Dadurch wird die Milch vollmundig und cremig. Zum Schluss wird sie für wenige Sekunden ultrahocherhitzt, was sie keimfrei und monatelang haltbar macht.

Nachhaltigkeit: Nur ein Werbeversprechen?
Ein oft gehörter Vorteil von Erbsenmilch ist die gute Ökobilanz. Und ja, da ist was dran, aber man muss genau hinschauen.
Erbsen sind echte Teamplayer für den Boden. Sie binden Stickstoff aus der Luft und düngen sich quasi selbst. Das spart eine Menge energieintensiven Kunstdünger. Auch der Wasserverbrauch ist im Vergleich zu Mandeln oder Kuhmilch (inklusive Futteranbau) deutlich geringer. Da die meisten Erbsen für den europäischen Markt auch hier angebaut werden, sind die Transportwege kurz.
Aber, und das ist das ehrliche Aber: Die Gewinnung des Proteinisolats verbraucht Energie. Mahlen, zentrifugieren, trocknen – das alles braucht Strom. Die Gesamtbilanz ist meist trotzdem positiv, aber es ist eben nicht alles nur heile Welt.
Erbsenmilch im Alltag: Kaufen oder selber machen?
Jetzt wird’s praktisch. Wie schlägt sich der Erbsendrink in deiner Küche?
Der DIY-Versuch: Ein ehrliches Experiment
Klar kann man Erbsenmilch zu Hause machen. Aber Achtung: Das Ergebnis wird sich stark vom gekauften Produkt unterscheiden. Es wird wässriger, trennt sich schnell und schmeckt deutlich „erbsiger“. Trotzdem ein spannendes Projekt!

Du brauchst:
- 100 g getrocknete gelbe Schälerbsen
- 1 Liter Wasser
- Einen leistungsstarken Mixer (ein normaler tut’s auch, das Ergebnis wird aber nicht ganz so fein)
- Ein Passiertuch oder einen Nussmilchbeutel
So geht’s:
- Die Erbsen mindestens 8 Stunden, am besten über Nacht, in Wasser einweichen.
- Einweichwasser wegschütten und die Erbsen gut abspülen. Das spült Stoffe weg, die Blähungen verursachen können.
- Erbsen mit 1 Liter frischem Wasser in den Mixer geben und auf höchster Stufe 2 Minuten lang mixen.
- Die Flüssigkeit durch das Tuch gießen und die Feststoffe (den Trester) gut auspressen.
Deine selbstgemachte Erbsenmilch hält sich 2-3 Tage im Kühlschrank. Vor Gebrauch immer gut schütteln! Kleiner Tipp: Wirf den Trester nicht weg! Du kannst ihn super in Bratlinge, Brotteig oder Gemüsesuppen mischen, um Ballaststoffe und Protein zu ergänzen.
Tipps für den täglichen Gebrauch
- Im Kaffee: Das ist der ultimative Test. Normale Erbsenmilch kann in heißem, säurehaltigem Kaffee ausflocken. Wenn du auf Nummer sicher gehen oder Milchschaum machen willst, greif zu einer „Barista Edition“. Die sind genau dafür gemacht.
- Kochen & Backen: Hier ist Erbsenmilch ein Allrounder. Für eine Béchamelsoße ist sie super, weil sie cremig wird und keinen süßen Beigeschmack hat. Beim Kochen mit Säure (z. B. in einer Tomatensauce) solltest du die Erbsenmilch langsam und unter Rühren zugeben, am besten nicht kochend heiß, um Gerinnung zu vermeiden.
- Müsli & Smoothies: Perfekt! Der neutrale Geschmack passt zu allem.

Worauf du beim Kauf achten solltest
Wenn du im Supermarkt stehst – den Drink findest du mittlerweile nicht nur im Bioladen, sondern auch bei den großen Ketten und oft sogar beim Discounter – wirf mal einen Blick auf die Zutatenliste. Sie verrät dir eine Menge.
Preislich liegst du hier meist zwischen 1,80 € und 2,50 € pro Liter, je nach Marke und ob Bio oder nicht.
Aber wie schlägt sie sich im Vergleich? Ganz gut, ehrlich gesagt. Mit etwa 2-3 g Protein pro 100 ml liegt sie auf dem Niveau von Kuhmilch und deutlich über den meisten Haferdrinks (die oft nur um 1 g haben). Sojamilch hat meist noch etwas mehr Protein. Beim Zuckergehalt gewinnen die ungesüßten Varianten klar gegen Kuhmilch (die von Natur aus Milchzucker enthält) und gesüßte Hafermilch. Achte also auf den Vermerk „ungesüßt“ oder „ohne Zuckerzusatz“.
Wichtige Hinweise: Sicherheit geht vor!
Als jemand, der für Lebensmittelsicherheit brennt, sind mir diese Punkte extrem wichtig:

- Allergien: Erbsenmilch ist eine tolle Option für Leute mit Laktose-, Soja- oder Nussallergien. Eine Allergie gegen Hülsenfrüchte selbst ist zwar selten, aber möglich.
- Verdauung: Gekaufte Erbsenmilch ist in der Regel sehr bekömmlich, da die blähenden Stoffe im Herstellungsprozess entfernt werden. Wenn du einen sehr empfindlichen Magen hast, starte einfach mit kleinen Mengen.
- Absolutes No-Go: Kein Pflanzendrink ist ein Ersatz für Muttermilch oder Säuglingsnahrung! Die Nährstoffzusammensetzung ist für Babys völlig ungeeignet.
Mein Fazit aus der Praxis
Erbsenmilch ist weit mehr als nur ein Trend. Sie ist ein clever entwickeltes Lebensmittel, das eine Lücke füllt. Ihr größter Vorteil ist ihre ernährungsphysiologische Stärke: viel Protein, kein gängiges Allergen und eine gute Ökobilanz. Der neutrale Geschmack macht sie unglaublich vielseitig.
Ja, es ist ein verarbeitetes Produkt. Die Cremigkeit und Stabilität sind das Ergebnis von Know-how und Technik. Aber wenn man eine Alternative sucht, die nicht nur im Kaffee gut aussieht, sondern auch einen echten Nährwertbeitrag leistet, dann ist Erbsenmilch eine der besten Optionen auf dem Markt. Sie zeigt einfach eindrucksvoll, was man aus einer unscheinbaren Erbse alles machen kann.

Bildergalerie


Für die Herstellung von einem Liter Erbsenmilch wird im Durchschnitt bis zu 90% weniger Wasser verbraucht als für einen Liter Mandelmilch.
Dieser beeindruckende Unterschied liegt in der Natur der Pflanze: Erbsen sind Hülsenfrüchte, die Stickstoff im Boden binden und oft ohne zusätzliche Bewässerung in gemäßigten Klimazonen wachsen können. Das macht sie, rein aus landwirtschaftlicher Sicht, zu einer der nachhaltigsten Quellen für pflanzliche Milchalternativen, noch vor Hafer und Soja.

Perfekter Milchschaum für den Kaffee – schafft das die Erbse?
Ja, und zwar erstaunlich gut! Dank ihres hohen Proteingehalts lässt sich Erbsenmilch exzellent aufschäumen. Sie erzeugt einen dichten, stabilen und feinporigen Mikroschaum, der sich ideal für Latte Art eignet. Im Gegensatz zur oft süßlichen Hafermilch bleibt der Geschmack dabei neutraler und verfälscht das Kaffeearoma kaum. Marken wie Vly oder Sproud bieten spezielle Barista-Editionen an, die durch den Zusatz von etwas Öl noch cremiger werden und im Kaffee nicht ausflocken.

Ein kurzer Blick auf die Zutatenliste verrät viel über die Qualität. Eine gute Erbsenmilch sollte kurz und verständlich sein. Worauf Sie achten können:
- Der Proteingehalt: Ein Wert um die 2-3 g pro 100 ml ist ein gutes Zeichen dafür, dass nicht am Erbsenproteinisolat gespart wurde.
- Zucker: Bevorzugen Sie Varianten mit dem Vermerk „ungesüßt“ oder „ohne Zuckerzusatz“, um versteckte Kalorien zu vermeiden.
- Ölzusatz: Ein wenig Raps- oder Sonnenblumenöl ist kein Mangel, sondern dient als Emulgator für eine cremigere Textur.
- Zusätze: Dikaliumphosphat ist ein harmloser Säureregulator, der das Ausflocken im Kaffee verhindert.
Erbsenmilch: Hauptsächlich aus Erbsenproteinisolat hergestellt, daher von Natur aus gluten- und sojafrei. Sie ist reich an Protein und oft mit Kalzium und Vitamin D angereichert, um Kuhmilch ernährungsphysiologisch näher zu kommen.
Hafermilch: Besteht aus fermentiertem Hafer und Wasser. Sie hat eine natürliche Süße und eine cremige Konsistenz, enthält aber weniger Protein und ist nicht immer glutenfrei zertifiziert.
Die Wahl hängt vom Ziel ab: Für den Protein-Boost und einen neutralen Geschmack ist die Erbse vorn, für natürliche Cremigkeit und Süße der Hafer.



