Backen mit Urgetreide: Dein Guide für Einkorn, Emmer & Co. – So gelingt’s auch zu Hause!
Manchmal, wenn ich frühmorgens in meiner Backstube stehe und dieser Duft von frisch gebackenem Brot in der Luft liegt, denke ich mir: Das ist es. Das ist echtes Handwerk. Seit Jahrzehnten knete ich Teige und hole Brote aus dem Ofen, aber in den letzten Jahren hat sich etwas Wundervolles getan. Immer mehr Leute fragen gezielt nach Brot aus Einkorn, Emmer oder Waldstaudenroggen. Und ganz ehrlich? Das macht mich richtig froh. Denn das ist keine kurzlebige Mode, sondern eine echte Rückbesinnung auf Geschmack und Qualität.
Inhaltsverzeichnis
Als ich das Backen gelernt habe, waren diese alten Sorten fast komplett von der Bildfläche verschwunden. Da ging es nur um Hochleistungsweizen, der riesige Erträge bringt und Teige super stabil macht. Aber der Geschmack… naja, der blieb oft auf der Strecke. Und viele Menschen vertragen diesen modernen Weizen einfach nicht mehr so gut. Die alten Getreidesorten sind da ein ganz anderes Kaliber. Sie sind anspruchsvoller, ja, aber sie belohnen dich mit einem Aroma, das du nicht mehr vergisst.

Warum Urkorn-Teig anders tickt (und was das für dich bedeutet)
Um zu verstehen, warum ein Teig aus Einkorn sich so anders anfühlt als der gewohnte Weizenteig, müssen wir uns kurz das Innenleben ansehen. Das Zauberwort heißt Gluten, also das Klebereiweiß. Stell es dir wie ein Netz im Teig vor, das die Gase beim Gehen einfängt und dem Brot seine luftige Struktur gibt.
Moderner Weizen wurde darauf getrimmt, ein extrem starkes und dehnbares Gluten-Netz zu bilden – wie ein Bündel Power-Gummibänder. Du kannst den Teig ordentlich in der Maschine kneten, er wird glatt, reißfest und verzeiht auch mal einen Fehler.
Bei alten Sorten wie Einkorn oder Emmer ist dieses Netz viel feiner und empfindlicher. Eher wie ein zartes Spinnennetz. Wenn du hier zu lange oder zu stark knetest, reißt es einfach. Der Teig wird plötzlich weich, klebrig und verliert jegliche Spannung. Ein klassischer Anfängerfehler! Das Brot läuft dir dann im Ofen davon und wird zum Fladen. Lecker, aber eben nicht das, was man wollte.

Deshalb lautet die goldene Regel: sanft und mit Gefühl! Weniger kneten, dafür dem Teig mehr Ruhe gönnen und Techniken wie „Dehnen und Falten“ anwenden. Aber dazu später mehr.
Übrigens spielt auch die Mühle eine riesige Rolle. Ich beziehe meine Mehle am liebsten von kleinen Steinmühlen aus der Region. Dort wird das Korn langsam vermahlen, wodurch mehr wertvolle Nähr- und Geschmacksstoffe aus Keimling und Schale im Mehl bleiben. Dieses Mehl ist lebendiger, aber auch nicht ewig haltbar – für mich als Bäcker aber kein Problem.
Die Urgetreide-Stars im Porträt: Mein Blick aus der Backstube
Jedes dieser Mehle hat seinen eigenen Kopf. Farbe, Geruch, Verhalten im Teig – alles ist einzigartig. Hier sind meine Lieblinge, mit denen ich täglich arbeite.
Einkorn: Das nussig-süße Gold
Schon die Farbe ist der Hammer: ein sattes Goldgelb! Das macht später eine wunderschöne Krume im Brot. Geschmacklich ist es fein, leicht nussig und fast ein wenig süßlich. Aber Vorsicht, es ist eine echte Diva in der Verarbeitung.

- Backeigenschaften: Sehr anspruchsvoll. Das Glutengerüst ist schwach, der Teig wird schnell weich und klebrig. Hier arbeite ich mit einem hohen Wasseranteil – in der Fachsprache „hohe Teigausbeute“ (TA) – und knete nur ganz kurz. Lange, kalte Reife im Kühlschrank und mehrfaches Falten sind hier der Schlüssel.
- Tipp für Einsteiger: Starte mit einem Mischbrot! Ersetze 20-30 % deines gewohnten Dinkel- oder Weizenmehls durch Einkorn. Das gibt schon ein fantastisches Aroma, ohne dass du am Teig verzweifelst.
- Wo & wie teuer? Einkornmehl findest du in guten Bioläden oder online direkt bei Mühlen. Rechne mal mit Preisen zwischen 5 und 8 € pro Kilo. Es ist eben etwas Besonderes.
Emmer: Der kräftige, würzige Urahn
Emmer, auch Zweikorn genannt, ist dunkler und kräftiger im Geschmack. Richtig schön herzhaft, erdig und aromatisch. Er war schon in der Antike ein wichtiges Grundnahrungsmittel.
- Backeigenschaften: Mittel bis anspruchsvoll. Er hat etwas mehr „Stand“ als Einkorn, aber der Teig neigt trotzdem dazu, mit der Zeit weicher zu werden. Ein Gärkorb, der ihm Form gibt, ist eine gute Idee. Am besten backst du ihn in einem gusseisernen Topf, das sorgt für einen super Ofentrieb.
- Mein Tipp: Emmer und Sauerteig sind das absolute Dream-Team. Die feine Säure des Sauerteigs kitzelt die würzigen Aromen des Emmers erst so richtig heraus.
- Wo & wie teuer? Emmer ist etwas leichter zu finden als Einkorn und liegt preislich meist so zwischen 4 und 6 € pro Kilo.

Urdinkel: Der sensible Alleskönner
Achtung, hier gibt es einen wichtigen Unterschied: Vieles, was als Dinkel im Supermarkt steht, ist eine moderne Züchtung, die mit Weizen gekreuzt wurde. Ich spreche hier von echten, alten Urdinkel-Sorten. Die sind unglaublich reich an Nährstoffen und für viele bekömmlicher.
- Backeigenschaften: Eine Diva, aber eine liebenswerte. Der Teig ist extrem dehnbar, fast wie Kaugummi, kann aber von einer Sekunde auf die andere überknetet sein und dann zerfließen. Also: nur kurz und langsam kneten! Starte lieber mit etwas weniger Wasser und gib bei Bedarf noch einen Schluck dazu.
- Mein Tipp: Gönn dem Teig eine lange, kalte Nacht im Kühlschrank. Das entwickelt ein unfassbar nussiges, komplexes Aroma.
- Wo & wie teuer? Gutes Urdinkelmehl (achte auf Bezeichnungen wie „nicht mit Weizen gekreuzt“) kostet im Bioladen oder bei der Mühle deines Vertrauens etwa 4 bis 6 € pro Kilo.
Waldstaudenroggen: Die intensive Ur-Kraft
Diese ursprüngliche Roggenform, manchmal auch Johannisroggen genannt, ist geschmacklich eine Wucht. Viel intensiver, malzig-süßer und komplexer als normaler Roggen.

- Backeigenschaften: Typisch Roggen – klebrig! Hier gibt es quasi kein Glutengerüst. Die Stabilität kommt von Schleimstoffen (Pentosane), die extrem viel Wasser binden. Roggenteige werden daher eher gemischt als geknetet. Das A und O ist ein aktiver Sauerteig. Ohne dessen Säure wird die Krume klebrig und, wie wir Bäcker sagen, „klitschig“.
- Tipp für Einsteiger: Ein 100%iges Waldstaudenroggenbrot ist was für Fortgeschrittene. Mische es am Anfang im Verhältnis 70/30 oder 60/40 mit Dinkel- oder Weizenmehl für ein lockeres Ergebnis.
- Wo & wie teuer? Dieses Spezialmehl findest du am ehesten online oder bei sehr gut sortierten Mühlen für ca. 4 bis 7 € pro Kilo.
Dein erstes Urkorn-Brot: Ein Rezept, das garantiert klappt
Jetzt hast du Lust bekommen, oder? Perfekt! Hier ist ein super einfaches Rezept, mit dem du starten kannst. Es verzeiht kleine Fehler und das Ergebnis ist einfach nur lecker.
Simples Emmer-Dinkel-Mischbrot
Zutaten:
- 350g Urdinkelmehl (Type 630 oder 1050)
- 150g Emmer-Vollkornmehl
- 380g lauwarmes Wasser (ca. 30°C)
- 10g Salz
- 3g Frischhefe (ja, so wenig!)
Anleitung:

- Alle Zutaten in eine Schüssel geben und mit einem Löffel oder den Händen nur so lange mischen, bis keine trockenen Mehlreste mehr zu sehen sind. Nicht groß kneten! Das dauert vielleicht 2 Minuten.
- Den Teig abgedeckt bei Raumtemperatur für ca. 3 Stunden stehen lassen.
- Jetzt kommt der Trick: In diesen 3 Stunden machst du 2x „Dehnen und Falten“ (siehe nächste Sektion). Einmal nach 60 Minuten und einmal nach 120 Minuten.
- Nach den 3 Stunden den Teig vorsichtig auf eine bemehlte Arbeitsfläche geben und zu einem runden oder länglichen Laib formen. Mit dem Schluss nach oben in einen gut bemehlten Gärkorb legen.
- Jetzt ab damit, abgedeckt in den Kühlschrank. Für mindestens 12, maximal 24 Stunden. Das ist die „kalte Gare“, die den Geschmack macht.
- Backofen mit einem gusseisernen Topf (inkl. Deckel) auf 250°C Ober-/Unterhitze vorheizen. Das dauert gut 45 Minuten.
- Den heißen Topf aus dem Ofen holen, das Brot direkt aus dem Kühlschrank vorsichtig hineinstürzen, Deckel drauf und ab in den Ofen.
- 20 Minuten bei 250°C mit Deckel backen.
- Deckel abnehmen, Temperatur auf 220°C reduzieren und weitere 20-25 Minuten backen, bis es eine schöne dunkle Farbe hat und beim Klopfen auf die Unterseite hohl klingt. Fertig!

SOS-Tipps & Profi-Tricks für deine Backstube
Keine Sorge, auch bei mir geht mal was schief. Ich wollte mal ein 100%iges Einkornbrot freischieben… am Ende hatte ich den leckersten, aber auch flachsten Brot-Fladen der Welt. Passiert! Hier ein paar Helferlein:
- Problem: Mein Teig ist ein klebriges Monster und fließt weg!
Lösung vom Meister: Keine Panik! Das ist bei Urkorn-Teigen oft normal. Benutze nasse Hände oder einen Teigschaber, um ihn zu bändigen. Beim nächsten Mal startest du einfach mit 10-20g weniger Wasser. Jeder Sack Mehl ist anders! - Profi-Technik: „Dehnen und Falten“ entmystifiziert
Das klingt komplizierter, als es ist. Es baut Spannung im Teig auf, ohne das empfindliche Gluten zu zerstören.
So geht’s: Mach deine Hände leicht nass. Greife an einer Seite unter den Teig, ziehe ihn sanft nach oben (ohne dass er reißt) und falte ihn über die Mitte. Drehe die Schüssel um 90 Grad und wiederhole das 3-4 Mal, bis der Teig eine Runde gemacht hat. Das war’s schon! - Saftigkeits-Booster: Das Brühstück
Ein genialer Trick, um mehr Wasser im Brot zu binden. Es bleibt dadurch länger frisch.
Die Faustformel: Nimm etwa 10% der Gesamtmehlmenge (in unserem Rezept wären das 50g) und übergieße sie mit der doppelten Menge kochendem Wasser (also 100g). Gut verrühren, abdecken und komplett abkühlen lassen. Dieses „Brühstück“ gibst du dann einfach mit den restlichen Zutaten zum Hauptteig.

Noch ein wichtiges Wort zur Verträglichkeit
Viele Leute, die bei modernem Weizen Bauchgrummeln bekommen, vertragen Brote aus Urdinkel oder Emmer oft besser. Das liegt nicht nur an der anderen Glutenstruktur, sondern vor allem an der langen Teigführung, wie in meinem Rezept. In dieser Zeit werden schwer verdauliche Zuckerarten abgebaut.
Aber Achtung, ganz wichtig: Einkorn, Emmer, Dinkel und Co. enthalten ALLE Gluten! Für Menschen mit Zöliakie sind sie absolut tabu. Wenn du nur eine leichte Weizensensitivität hast, kannst du dich nach Rücksprache mit einem Arzt vielleicht langsam herantasten. Echte glutenfreie Alternativen wären zum Beispiel Teff, Buchweizen oder Hirse, aber das ist eine ganz andere Welt des Backens.
Die Arbeit mit diesen alten Getreidesorten ist so viel mehr als nur Backen. Es ist eine Verbindung zur Natur und eine Übung in Geduld. Wenn du das erste Mal in dein selbstgebackenes Emmerbrot beißt und dieses tiefe, ehrliche Aroma schmeckst… dann weißt du ganz genau, warum sich die kleine Mühe gelohnt hat. Trau dich ran!

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Der entscheidende Moment: Anders als robuster Weizenteig reagiert Teig aus Urgetreide extrem empfindlich auf Wärme. Zu warmes Wasser oder eine zu lange Knetzeit in der Maschine können das empfindliche Klebergerüst irreparabel zerstören. Die Folge: Der Teig wird schmierig und verliert jede Spannung. Profis arbeiten daher oft mit kühlerem Wasser (ca. 20-22°C) und verlassen sich lieber auf sanftes Dehnen und Falten von Hand als auf intensive Maschinenknetung.

„Der Anbau von Einkorn in Deutschland hat sich zwischen 2016 und 2020 fast verdreifacht.“ – Quelle: Statistisches Bundesamt
Diese beeindruckende Zahl zeigt: Urgetreide ist weit mehr als ein Nischenprodukt. Diese wiederentdeckte Vielfalt bedeutet für uns Hobbybäcker, dass hochwertige, regionale Mehle immer einfacher zu finden sind. Halten Sie Ausschau nach kleinen Mühlen oder Bio-Marken wie Spielberger Mühle oder Drax Mühle, die sich auf den Erhalt dieser alten Sorten spezialisiert haben und oft auch wertvolle Verarbeitungstipps mitliefern.

Kann ich mein Lieblingsrezept einfach mit Urkornmehl backen?
Ein direkter 1:1-Austausch funktioniert selten. Urgetreide verhält sich durstiger, benötigt also mehr Flüssigkeit als Weizenmehl. Tasten Sie sich langsam heran: Ersetzen Sie zunächst 20-30% des Weizenmehls durch Einkorn- oder Emmermehl und erhöhen Sie die Wassermenge um etwa 5-10%. Beobachten Sie den Teig genau. Er wird weicher sein und weniger geknetet werden wollen. Mit etwas Übung finden Sie schnell das perfekte Verhältnis für saftige, aromatische Ergebnisse.

- Verleiht Gebäck eine goldgelbe Farbe und einen Hauch von Süße.
- Sorgt für eine zarte, fast kuchenähnliche Krume.
- Entwickelt ein unvergleichlich nussiges Aroma.
Das Geheimnis? Einkorn, das älteste kultivierte Getreide der Welt. Es besitzt einen hohen Anteil an Carotinoiden (daher die Farbe) und einen von Natur aus weicheren Kleber. Perfekt für Waffeln, Pfannkuchen oder feine Mürbeteige, wo seine zarte Struktur voll zur Geltung kommt.

Die Welt der Urkörner ist eine Entdeckungsreise für den Gaumen. Schließen Sie die Augen und stellen Sie sich den Duft vor: Emmer duftet kräftig, erdig und würzig – ideal für dunkle, herzhafte Brote, die wunderbar zu Käse und Schinken passen. Kamut (Khorasan-Weizen) hingegen verströmt ein buttrig-nussiges Aroma mit einer leichten Süße. Seine bernsteinfarbene Krume macht sich nicht nur in hellen Broten, sondern auch in Pasta oder Couscous hervorragend.

Kamut® Khorasan: Ein Hartweizen-Vorfahre mit auffallend großen Körnern. Sein Mehl ist goldgelb und hat einen reichen, buttrigen Geschmack. Dank seines relativ starken Glutens ist er für Anfänger im Urkorn-Backen oft einfacher zu handhaben.
Waldstaudenroggen: Oft als „Ur-Roggen“ bezeichnet, hat er kleine, grünliche Körner und einen intensiven, würzig-erdigen Geschmack. Er benötigt eine reine Sauerteigführung und ergibt extrem saftige, dunkle Brote, die sehr lange frisch halten.
Die Wahl hängt vom gewünschten Charakter des Brotes ab: hell und nussig oder dunkel und kräftig?

- Frische Einkorn-Waffeln zum Sonntagsfrühstück
- Ein cremiges Emmer-Risotto (in Italien als „Farrotto“ bekannt)
- Herzhafte Bratlinge aus gekochtem Purpurweizen
- Glutenfreie äthiopische Fladenbrote (Injera) aus Teffmehl
- Süßer Frühstücksbrei aus zarten Dinkel- oder Emmerflocken
Schon mal was von der „Autolyse“ gehört?
Diese simple Technik ist bei Urkorn-Teigen pures Gold wert. Mischen Sie lediglich das Mehl und das Wasser des Rezepts grob zusammen und lassen Sie diese Mischung für 30 bis 60 Minuten ruhen, bevor Sie Salz und Sauerteig/Hefe hinzufügen. In dieser Zeit kann das Mehl quellen und das empfindliche Klebergerüst entwickelt sich ganz ohne mechanische Belastung. Der Teig wird geschmeidiger, lässt sich besser formen und das fertige Brot bekommt eine bessere Krume.




