Steine stapeln? Warum du damit der Natur mehr schadest, als du denkst

von Augustine Schneider
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Ich war vor einer Weile beruflich in einem Alpental unterwegs, um einen Wanderweg zu inspizieren. Aber was ich dort an einer weiten Kiesbank neben einem Gebirgsbach sah, hat mich ehrlich gesagt ziemlich schockiert. Hunderte, vielleicht sogar tausende dieser kleinen Steintürme. Steinmännchen, so weit das Auge reichte. Für viele mag das ein hübscher, fast künstlerischer Anblick sein. Für mich als Landschaftsbauer war es ein Alarmsignal.

Ganz ehrlich? Ich hab da keine Kunst gesehen. Ich sah nackte Erde, zerstörte Mini-Lebensräume und ein tiefes Missverständnis für die Natur. In all den Jahren meiner Arbeit habe ich gelernt, eine Landschaft zu „lesen“ – und diese hier schrie förmlich um Hilfe.

Diese gestapelten Steine sind eben mehr als ein harmloser Zeitvertreib am Urlaubsort. Sie sind ein echter Eingriff in ein oft super empfindliches Gleichgewicht. Mir geht’s hier nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Ich will einfach mal aus der Praxis erzählen, warum dieser Trend aus fachlicher Sicht ein echtes Problem ist. Denn nur was wir verstehen, können wir am Ende auch schützen.

steinmännchen auf teneriffa plage
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Wegweiser oder Touri-Türmchen? Das ist hier die Frage!

Um das Problem zu kapieren, müssen wir uns kurz anschauen, wozu diese Dinger ursprünglich da waren. Ein echtes, traditionelles Steinmännchen – im Alpenraum sagen wir oft einfach „Steinmann“ – ist kein zufälliger Haufen. Es ist ein sorgfältig gebautes Wegzeichen, das in unübersichtlichem Gelände überlebenswichtig sein kann. Stell dir vor, du bist oberhalb der Baumgrenze, es zieht Nebel auf oder Schnee verdeckt den Pfad. Genau dann rettet dir so ein Steinmann den Tag.

Aber Achtung: Wie unterscheidet man jetzt einen wichtigen Wegweiser von einem sinnlosen Touri-Turm? Das ist zum Glück einfacher, als du denkst.

Ein echter Steinmann:

  • Steht allein und an strategischen Punkten: Du findest ihn an Wegkreuzungen, unübersichtlichen Graten oder dort, wo der Pfad schwer zu erkennen ist. Er steht nie in einer riesigen Gruppe.
  • Ist extrem stabil gebaut: Die Steine sind sorgfältig ausgewählt und ineinander verkeilt, nicht nur lose aufeinandergelegt. Oft bildet ein großer, flacher Stein die Basis. So ein Bauwerk hält Wind und Wetter über Jahrzehnte stand.
  • Hat eine klare Funktion: Manchmal zeigt ein länglicher Stein oben drauf sogar in die Richtung, in die der Weg weitergeht. Er ist Teil eines Leitsystems, das von Profis wie dem Alpenverein gepflegt wird.

Ein Touri-Türmchen hingegen:

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  • Tritt in Massen auf: Wo eins steht, stehen oft hunderte. Beliebte Orte sind Flussufer, Strände oder Aussichtspunkte.
  • Ist wackelig und instabil: Die Steine sind meist wahllos aufeinandergestapelt und fallen beim ersten Windstoß oder einer unachtsamen Berührung um.
  • Ist reiner Selbstzweck: Es dient keinem anderen Zweck als dem Foto, das davon gemacht wird.

Gut zu wissen, oder? So läufst du nicht Gefahr, aus Versehen eine wichtige Wegmarkierung abzubauen.

Der unsichtbare Schaden: Was unter den Steinen passiert

Der größte Schaden, den diese modernen Steinmännchen anrichten, ist für die meisten von uns unsichtbar. Er passiert im Mikrokosmos unter jedem einzelnen Stein, den wir aufheben.

Ein Zuhause wird zerstört

Heb doch bei deiner nächsten Wanderung mal ganz vorsichtig einen Stein an (und leg ihn danach wieder genauso zurück!). Du wirst staunen, was da alles krabbelt: Käferlarven, Spinnen, Asseln, vielleicht sogar der Nachwuchs eines Feuersalamanders. Für diese Tiere ist der Stein wie ein Dach. Er schützt sie vor der Sonne, vor dem Austrocknen und vor Fressfeinden. Wenn wir diesen Stein wegnehmen, um ihn auf einen Turm zu packen, machen wir quasi zehn Kleinstlebewesen obdachlos. Ihre Eier und Larven vertrocknen in der Sonne. Ein kleiner Turm aus zehn Steinen bedeutet das Aus für zehn solcher Mini-Ökosysteme.

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Die Haut der Erde wird aufgerissen

In vielen Landschaften, besonders im Gebirge oder an Küsten, bilden Steine eine Art natürlichen Schutzpanzer für den Boden darunter. Stell dir einen heftigen Regenschauer vor. Wo der Boden nackt ist, wird die Erde weggespült. Liegen aber Steine darauf, fangen sie die Wucht der Tropfen ab und das Wasser kann langsam versickern. Das ist ein super wichtiger Schutz vor Erosion. Dasselbe gilt für Wind.

Wenn wir jetzt Hunderte Steine von einer Fläche entfernen, um Türme zu bauen, reißen wir Löcher in diesen Schutzschild. Der Boden liegt blank und wird beim nächsten Sturm einfach weggeweht. Und jetzt kommt’s: Es dauert Jahrhunderte, bis sich auch nur ein Zentimeter neuer Boden bildet. Mit jedem Steinturm beschleunigen wir also aktiv die Zerstörung.

Ganz besonders heikle Zonen

An manchen Orten ist das Steine-Stapeln nicht nur schädlich, sondern eine absolute Katastrophe für die Umwelt.

An Flüssen und Bächen: Das Kiesbett eines Flusses ist die Kinderstube für Fische. Eine Bachforelle legt ihre Eier zwischen die Kiesel, wo sie geschützt sind und trotzdem frisches Wasser bekommen. Unzählige Insektenlarven – das Hauptfutter der Fische – leben ebenfalls dort. Wenn wir Steine aus dem Wasser holen und im Bachbett herumlaufen, zerstören wir nicht nur direkt diesen Lebensraum, sondern verdichten auch den Boden. Die wichtigen Lücken für den Laich werden mit Schlamm zugespült. Das war’s dann mit dem Fischnachwuchs.

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An den Küsten: Am Meer ist es ganz ähnlich. Unter den Steinen in der Gezeitenzone verstecken sich Krebse und andere Kleintiere vor den Wellen und der Sonne bei Ebbe. Jeder Stein, den du aus dem Wasser holst und am trockenen Strand aufstapelst, bedeutet den sicheren Tod für alles, was auf und unter ihm gelebt hat.

Wenn aus Spaß tödlicher Ernst wird

Es geht aber nicht nur um die Natur. Die Türmchen können auch für uns Menschen gefährlich werden und unser kulturelles Erbe zerstören.

Gefahr durch Irreführung

Stell dir die Situation im Hochgebirge vor, die ich oben beschrieben habe. Du bist im Nebel unterwegs und auf die echten Wegzeichen angewiesen. Aber plötzlich siehst du überall Steintürme. Welcher ist der richtige? Du folgst dem falschen und landest im absturzgefährdeten Gelände. Das ist keine Übertreibung – die Bergwacht berichtet immer wieder von solchen Fällen. Zusätzliche, irreführende Steintürme in den Bergen zu bauen, ist grob fahrlässig und gefährdet Menschenleben.

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Zerstörung von Kulturgut

Oft werden die Steine für die Türme nicht einfach nur vom Boden aufgesammelt. Sie werden aus alten Trockenmauern herausgebrochen. Diese Mauern sind oft hunderte Jahre alt und stehen teilweise unter Denkmalschutz. Sie sind Zeugen alter Handwerkskunst. Wenn man da einen Stein rauszieht, schwächt das die ganze Statik. Kleiner Tipp am Rande: Einen einzigen Stein aus so einer Mauer zu brechen, kann eine aufwendige Reparatur nach sich ziehen, die schnell mehrere hundert Euro kostet, weil ein Profi die Mauer an der Stelle neu setzen muss. Das ist es für ein Urlaubsfoto doch wirklich nicht wert, oder?

Okay, verstanden. Und was mache ich jetzt?

Super, dass du bis hierhin gelesen hast! Nur das Problem zu kennen, reicht ja nicht. Hier sind ein paar ganz konkrete Tipps, was du tun kannst.

Der wichtigste Grundsatz lautet: Hinterlasse keine Spuren. Die schönste Art, die Natur zu genießen, ist, sie einfach so zu lassen, wie sie ist. Mach Fotos, setz dich hin, atme tief durch – das ist eine viel tiefere Verbindung als jeder Steinturm.

wilder strand ohne steinmännchen

So baust du einen Turm richtig ab

Wenn du so ein Touri-Türmchen siehst (und dir sicher bist, dass es kein Wegweiser ist!), dann tritt es bitte nicht einfach um. Das verdichtet den Boden darunter nur noch mehr.

Mach es besser so:

  1. Sichergehen: Prüfe kurz nochmal, ob es wirklich kein offizieller Steinmann ist (siehe Checkliste oben).
  2. Stein für Stein: Baue den Turm vorsichtig ab, Stein für Stein.
  3. Natürlich verteilen: Lege die Steine wieder flach und mit etwas Abstand zueinander auf den Boden. Wenn du eine Seite mit Moos oder Flechten siehst, leg diese wieder nach oben. So haben die kleinen Organismen eine Chance, weiterzuleben.

Wann du Hilfe holen solltest

Wenn du vor einem ganzen Feld mit hunderten Türmen stehst, ist es als Einzelperson natürlich sinnlos. Hier braucht es eine größere Aktion. Mach am besten ein Foto, merk dir den genauen Standort (z.B. per GPS-Pin auf dem Handy) und informiere die zuständige Stelle. Das können sein:

  • Die Verwaltung des Nationalparks oder Naturschutzgebiets (z.B. im Harz, in der Sächsischen Schweiz oder im Schwarzwald).
  • Die lokale Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV).
  • Manchmal auch einfach die Touristeninformation oder die Gemeinde vor Ort.

Ein kleines Fazit zum Schluss

Als Handwerker weiß ich: Die beste Arbeit ist oft die, die man am Ende kaum sieht. Sie fügt sich einfach perfekt in die Umgebung ein. Genau dieser Respekt sollte uns auch in der Natur leiten. Respekt vor dem winzigen Leben unter einem Stein, vor den Gesetzen der Natur und vor den Menschen, die nach uns kommen.

Die Natur braucht unsere Deko nicht. Sie ist selbst der beste Künstler. Das nächste Mal, wenn du einen schönen Stein siehst, heb ihn auf, bewundere ihn – und leg ihn dann genau dorthin zurück, wo du ihn gefunden hast. Das ist das größte Geschenk, das du der Natur machen kannst.

Deine kleine Mission für den nächsten Ausflug: Finde einen Stein, heb ihn ganz vorsichtig hoch und schau dir an, was darunter los ist. Vielleicht entdeckst du ja eine ganze kleine Welt! Leg ihn danach sanft wieder zurück. Erzähl doch mal in den Kommentaren, was du gefunden hast!

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.