Tokios Logo-Drama: Warum das beste Design manchmal aus einer Krise geboren wird

von Mareike Brenner
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Als Designer lernt man eine Sache ganz schnell: Ein Logo ist nie nur ein hübsches Bildchen. Ehrlich gesagt, ist es die verdammte Visitenkarte von allem – einem Unternehmen, einem Event oder sogar einer ganzen Bewegung. Es muss auf einem winzigen Briefkopf genauso knallen wie auf einer gigantischen Stadionleinwand. Und bei kaum einem Projekt lastet so viel Druck auf diesem kleinen Zeichen wie bei den Olympischen Spielen. Ich hab selbst schon bei großen Ausschreibungen mitgemacht, der Druck ist Wahnsinn. Du arbeitest ja nicht nur für einen Kunden, sondern für ein Publikum von Milliarden.

Die Geschichte des Logos für die Olympischen Spiele in Tokio ist dafür ein absolutes Lehrstück. Es ist eine Story über krasse Erwartungen, einen tiefen Fall und einen Neuanfang, der mehr als bemerkenswert war. Das Ganze zeigt besser als jedes dicke Lehrbuch, worauf es im Design wirklich ankommt: Klarheit, kulturelle Tiefe und vor allem Aufrichtigkeit. Als damals die ganze Kontroverse losbrach, hab ich das mit meinen Azubis bis ins kleinste Detail durchgekaut. Denn aus solchen Fehlern, so schmerzhaft sie auch sind, lernen wir am meisten.

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Der erste Versuch: Ein starkes Symbol mit einem fatalen Fehler

Erinnern wir uns mal zurück. Vor einigen Jahren wurde der erste offizielle Entwurf für die Spiele in Tokio vorgestellt. Die Idee dahinter war auf den ersten Blick super modern und klar. Das Logo basierte auf dem Buchstaben „T“ – für Tokio, Team und Tomorrow (Morgen). Klingt erstmal gut, oder?

Das Design war minimalistisch und kraftvoll. Ein dicker, schwarzer senkrechter Balken im Zentrum, daneben geometrische Formen in Grau, Gold und Rot. Der rote Kreis, ein starkes Symbol der japanischen Flagge, sollte für das schlagende Herz jedes Athleten stehen. Die schwarze Hauptfarbe, so die offizielle Erklärung, symbolisierte die Vielfalt, weil Schwarz alle Farben in sich vereint. Aus gestalterischer Sicht hatte das Hand und Fuß. Es war grafisch prägnant und hatte einen hohen Wiedererkennungswert.

Aber, und das ist ein großes Aber, die Schwäche lag nicht im Sichtbaren, sondern im Verborgenen. Kurz nach der Veröffentlichung meldete sich ein belgischer Designer zu Wort. Er wies auf eine verblüffende Ähnlichkeit zu dem Logo hin, das er für ein Theater in Lüttich entworfen hatte. Und ganz ehrlich: Die Ähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen. Stell dir die beiden Logos mal nebeneinander vor: die DNA ist praktisch identisch. Beide basierten auf einer fast gleichen geometrischen Anordnung aus einem senkrechten Balken und einem Kreis.

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Der Skandal: Wenn Vertrauen zerbricht

Was dann folgte, war der absolute Albtraum für jeden Designer und jeden Auftraggeber. Die Plagiatsvorwürfe gingen um die Welt. Das ist in unserer Branche so ziemlich das Schlimmste, was dir passieren kann. Unsere ganze Arbeit baut auf Originalität und Vertrauen auf. Ein Kunde muss sich zu 100 % darauf verlassen können, dass die Identität, für die er oft eine Menge Geld bezahlt, einzigartig und rechtlich wasserdicht ist.

Der verantwortliche Designer bestritt die Vorwürfe natürlich vehement und erklärte, er habe das belgische Logo nie zuvor gesehen. In der Kreativbranche passiert so etwas manchmal, wir nennen es „unbewusste Anlehnung“. Die Grundformen – Kreise, Quadrate, Buchstaben – sind ja begrenzt. Aber hier war die Übereinstimmung einfach zu groß, um als Zufall durchzugehen.

Für das Organisationskomitee war die Situation unhaltbar. Die Olympischen Spiele stehen für Fairplay und Integrität. Ein Logo, das unter Plagiatsverdacht steht, beschädigt diese Werte im Kern. Nach wochenlangen öffentlichen Debatten zogen die Organisatoren die Notbremse und nahmen das Logo offiziell zurück.

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Eine Lektion in Demut und Dokumentation

Dieser Schritt war schmerzhaft, aber absolut richtig. Und er hat gezeigt, wie verdammt wichtig Transparenz im Designprozess ist. Ich predige das meinen Lehrlingen immer wieder: „Dokumentiert euren Kram! Sammelt eure Skizzen, eure Recherche, eure verworfenen Ideen. Ihr müsst jederzeit belegen können, wie ihr zu eurer finalen Lösung gekommen seid.“

Ich hatte selbst mal einen Fall, wo ein Kunde meinte, mein Entwurf für ein Piktogramm-System sähe einer obskuren App zu ähnlich. Ich konnte meine Skizzenbücher auf den Tisch legen und ihm Seite für Seite zeigen, wie sich die Form aus dem Grundraster der Architektur seines eigenen Gebäudes entwickelt hatte. Damit war die Diskussion sofort beendet. Das ist dein bester Schutz.

Kleiner Tipp für den Hausgebrauch: Wenn du selbst mal was gestaltest, mach einen schnellen Plagiats-Check. Das ist kein Rechtsgutachten, aber ein super erster Schritt. Speichere dein Design, öffne Google Lens oder TinEye, lade es hoch und schau, was die Bildersuche ausspuckt. Profis nutzen natürlich die offiziellen Datenbanken des DPMA (Deutsches Patent- und Markenamt) oder des EUIPO, aber für einen ersten Check ist das Gold wert.

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Der Neuanfang: Ein offener Wettbewerb für alle

Die Krise war aber auch eine Chance. Anstatt heimlich einen neuen Designer zu beauftragen, wählten die japanischen Organisatoren einen radikal anderen, sehr mutigen Weg: einen offenen, öffentlichen Wettbewerb. Jeder japanische Staatsbürger über 18 durfte einen Entwurf einreichen.

Unter Profis ist das oft verpönt, weil solche Wettbewerbe meist zu unbezahlter Arbeit für Hunderte von Gestaltern führen und die Qualität der Einreichungen stark schwankt. Gutes Design ist eben ein Handwerk. Aber in dieser speziellen Situation war es genau das richtige Signal. Es schaffte maximale Transparenz.

Übrigens, wusstest du schon? Das Preisgeld für den Siegerentwurf lag bei nur rund einer Million Yen, was damals etwa 8.000 Euro entsprach. Ein Bruchteil dessen, was bei solchen Projekten sonst üblich ist. Das machte klar: Hier ging es um die Ehre und die Beteiligung, nicht ums Geld.

Das finale Logo: Ein Meisterwerk aus Tradition und Moderne

Fast 15.000 Entwürfe gingen ein. Am Ende wurde der Siegerentwurf gekürt, der von einem Künstler stammte, der für seine Arbeiten mit geometrischen Mustern bekannt ist. Sein Entwurf war komplett anders. Auf den ersten Blick vielleicht weniger plakativ, aber bei genauerem Hinsehen unendlich reicher und tiefer.

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Das Logo, genannt „Harmonized Chequered Emblem“, ist ein Kreis aus einem karierten Muster in einem tiefen Indigoblau. Dieses Muster ist in Japan tief verwurzelt und als „Ichimatsu Moyo“ bekannt. Es war schon in einer traditionellen Epoche des Landes sehr beliebt und stand damals schon für Eleganz und Finesse. Allein die Wahl der Farbe Indigo ist eine Verbeugung vor der japanischen Handwerkskunst.

Die verborgene Genialität: Mehr als nur ein Muster

Jetzt kommt der Teil, der mich als Gestalter wirklich begeistert. Dieser Entwurf ist nicht nur ein Logo, es ist ein komplettes, atmendes Designsystem. Lass uns das mal auseinandernehmen:

  • Die Bausteine: Das Muster besteht aus nur drei verschiedenen Arten von rechteckigen Formen. Diese drei Bausteine stehen für die Vielfalt der Länder, Kulturen und Denkweisen.
  • Die Zusammensetzung: Sowohl das Logo für die Olympischen als auch für die Paralympischen Spiele besteht aus genau 45 dieser Rechtecke. Obwohl sie unterschiedlich angeordnet sind, ist die Anzahl gleich – ein starkes Symbol für Gleichheit und Respekt.
  • Die Botschaft: Offiziell heißt es „Einheit in der Vielfalt“. Die verschiedenen Formen fügen sich zu einem harmonischen Kreis zusammen. Genial einfach, oder?

Dieses Logo ist das genaue Gegenteil eines statischen Symbols. Stell dir mal vor, wie dieses indigoblaue Muster sich als dezenter Streifen über ein T-Shirt zieht, als animierter Hintergrund auf einer Webseite läuft oder als vollflächiges Design eine Tragetasche ziert. Die visuelle Identität bleibt immer erhalten. Das ist die hohe Kunst des Brandings: ein System zu schaffen, das streng und flexibel zugleich ist.

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Praktische Lehren für uns alle

Die ganze Saga ist voll von wertvollen Lektionen, die ich in meiner Arbeit jeden Tag lebe.

Für uns Gestalter:

  1. Originalität ist heilig. Das ist die oberste Regel. Es geht nicht nur darum, Klagen zu vermeiden, es geht um unsere Berufsehre.
  2. Dokumentiere deinen Prozess. Ich kann es nicht oft genug sagen. Deine Skizzen sind dein Alibi und der Beweis deiner Kreativität.
  3. Verstehe den Kontext. Design existiert nicht im luftleeren Raum. Ein Logo für die Olympiade in Japan muss sich anders anfühlen als eines für die Fußball-WM in Brasilien. Tauche in die Kultur ein!

Für Auftraggeber (und alle, die ein Logo brauchen):

  1. Gutes Design braucht Zeit. Ein gründlicher Prozess von der Recherche über Workshops bis zu den finalen Entwürfen kann leicht 2 bis 3 Monate dauern. Ein überhasteter Prozess führt zu Fehlern.
  2. Transparenz schafft Vertrauen. Auch wenn man nicht immer einen öffentlichen Wettbewerb machen kann – ein offener Dialog über Kriterien und Entscheidungen ist entscheidend.
  3. Billig wird oft verdammt teuer. Okay, mal Tacheles: Was kostet ein gutes Logo wirklich? Das ist keine Pizza für 10 Euro. Bei einem erfahrenen Freelancer solltest du mit 1.500 bis 8.000 Euro rechnen. Eine gute Agentur startet oft erst bei 15.000 Euro. Dafür bekommst du aber nicht nur ein Bild, sondern Recherche, Strategie, mehrere Entwurfsrunden, Reinzeichnung und im besten Fall eine rechtliche Prüfung. Wer hier spart, riskiert eine Katastrophe, die am Ende ein Vielfaches kostet – nicht nur an Geld, sondern auch an Reputation.
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Fazit: Aus der Krise zu einer zeitlosen Ikone

Die Geschichte des Tokio-Logos ist mehr als nur eine Anekdote. Sie ist ein Beispiel für Widerstandsfähigkeit. Die Organisatoren haben einen schweren Fehler gemacht, ihn aber mit Mut korrigiert. Sie haben einen riskanten Prozess gewagt und wurden mit einem Ergebnis belohnt, das in die Geschichte der olympischen Gestaltung eingehen wird.

Der finale Entwurf ist intelligent, wunderschön und zutiefst respektvoll gegenüber der eigenen Kultur. Er beweist, dass modernes Design nicht kalt oder seelenlos sein muss. Es kann Tradition und Zukunft verbinden. Für mich als Gestalter ist das die größte Erkenntnis: Am Ende gewinnt immer die Substanz. Ein ehrlicher, durchdachter und kulturell verwurzelter Entwurf wird kurzlebige Trends und oberflächliche Effekte immer überdauern. Und genau das ist das Ziel unseres Handwerks.

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Für den zweiten, offenen Designwettbewerb des Tokio-Logos wurden 14.599 Entwürfe eingereicht.

Diese gewaltige Zahl ist mehr als nur eine Statistik. Sie zeigt den Druck und die Hoffnung, die in einem solchen nationalen Projekt stecken. Für das Auswahlkomitee war es eine logistische Herkulesaufgabe. Für die Designer bedeutete es, dass ihre Idee nicht nur kreativ brillant, sondern auch strategisch so durchdacht sein musste, dass sie aus einer Flut von Alternativen heraussticht. Ein Kampf um Aufmerksamkeit, bevor der eigentliche kreative Wettstreit überhaupt beginnt.

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Wo genau liegt die Grenze zwischen Inspiration und Plagiat?

Eine Frage, die Juristen und Designer seit jeher beschäftigt. Inspiration ist der Funke der Kreativität – man analysiert Stile und Werke, um Neues zu schaffen. Ein Plagiat ist der Diebstahl einer konkreten kreativen Leistung. Im Logodesign wird es heikel, wenn nicht nur eine Grundidee (wie ein Buchstabe), sondern eine spezifische Anordnung, Proportion und ein einzigartiger Stil kopiert werden. Beim Logo des Théâtre de Liège war die geometrische DNA fast identisch mit dem Sano-Entwurf – das war mehr als nur eine zufällige Ähnlichkeit einfacher Formen.

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München 1972: Das Logo von Otl Aicher ist ein Meisterwerk des abstrakten Designs. Seine „Strahlenspirale“ verkörpert Dynamik und Optimismus, vermeidet aber bewusst jede nationale Symbolik – eine klare Abgrenzung zur propagandistischen Ästhetik der Spiele von 1936 in Berlin.

London 2012: Das zackige, fast graffiti-artige Logo von Wolff Olins war extrem umstritten. Es brach radikal mit traditionellen Konventionen und zielte auf eine junge, urbane Zielgruppe ab. Trotz der Kritik war es kommerziell extrem erfolgreich.

Zwei Ikonen, die zeigen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt.

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Das finale Tokio-Logo von Asao Tokolo ist mehr als nur ein schönes Muster. Es basiert auf dem „Ichimatsu Moyo“, einem traditionellen Karomuster aus der Edo-Zeit (1603-1868), das in Japan sofort wiedererkannt wird. In der japanischen Kultur symbolisiert dieses Muster Wohlstand und Erfolg. Durch die Verwendung von drei verschiedenen Rechteck-Typen wird zudem die Botschaft „Einheit in der Vielfalt“ transportiert – eine meisterhafte Verbindung von tiefgründiger Tradition und moderner, globaler Botschaft.

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Fasching mit Kids: Eure Bastel-Anleitung gegen Langeweile (und für wenig Geld)

  • Kulturelle Relevanz: Spiegelt die Identität des Gastlandes wider, ohne klischeehaft zu sein.
  • Zeitlose Ästhetik: Wirkt auch in Jahrzehnten noch modern und nicht wie ein kurzlebiger Trend.
  • Dynamik & Emotion: Verkörpert den sportlichen Geist von Bewegung und Leidenschaft.
  • Maximale Skalierbarkeit: Muss auf einer winzigen App-Ikone genauso klar erkennbar sein wie auf riesigen Stadionbannern.
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Der heimliche Held jedes Designprojekts: ein wasserdichtes Briefing. Bei Aufträgen dieser Größenordnung hätte es die Anforderung „garantierte rechtliche Unbedenklichkeit“ von Anfang an zementieren müssen. Oft wird hierfür eine professionelle Ähnlichkeitsrecherche durch spezialisierte Dienstleister wie Corsearch oder CompuMark vorgeschrieben, bevor ein Logo überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert wird – ein Standardverfahren, das globale Marken schützt und peinliche Rückzieher verhindert.

„Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.“ – Dieter Rams

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.