Der Meister-Look für Zuhause: So malst (oder fotografierst) du Porträts mit Seele
In meiner Werkstatt riecht es oft nach Leinöl und Terpentin – ein Duft, der für mich pures Handwerk bedeutet. Hier hängt altes Werkzeug neben modernem Kram, und über die Jahre habe ich eins gelernt: Gutes Handwerk ist zeitlos. Es geht immer um das Gefühl für Material, Technik und vor allem Licht.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Das Geheimnis des Lichts: Warum diese Porträts so lebendig wirken
- 0.2 Die Technik der Meister: Schicht für Schicht zum Meisterwerk
- 0.3 Typische Anfängerfehler – und wie du sie locker vermeidest
- 0.4 Die Inszenierung: Kostüm, Haltung und Hintergrund
- 0.5 Die digitale Übersetzung: Photoshop als moderne Lasurtechnik
- 0.6 Ein Wort zur Sicherheit: Die dunkle Seite der Farbpalette
- 0.7 Fazit: Zeitloses Handwerk ist für jeden erlernbar
- 1 Bildergalerie
Kürzlich bin ich online über ein Fotoprojekt gestolpert, das mich sofort gepackt hat. Ein Team von Kreativen hat moderne Popkultur-Helden so in Szene gesetzt, als wären sie direkt aus einem alten, flämischen Porträtgemälde gefallen. Das Ergebnis ist weit mehr als nur eine witzige Idee. Es ist eine brillante Studie darüber, wie Licht, Stofflichkeit und Haltung ein Bild zum Leben erwecken.
Viele sehen da nur Kostüme und ernste Mienen. Aber als Malermeister und Restaurator sehe ich dahinter die tiefgreifende Auseinandersetzung mit Techniken, die schon vor Jahrhunderten perfektioniert wurden. Diese Bilder beweisen, dass die Prinzipien, die ein altes Gemälde zum Leuchten bringen, heute noch genauso gelten. In diesem Artikel nehme ich dich mit auf eine Reise in die Werkstatt der alten Meister und zeige dir, wie du diesen Look selbst erschaffen kannst – egal, ob mit Pinsel oder Kamera.

Das Geheimnis des Lichts: Warum diese Porträts so lebendig wirken
Jedes gute Porträt lebt vom Licht. In den alten Ateliers gab es keinen Strom, nur das berühmte Nordlicht. Ein einziges, nach Norden ausgerichtetes Fenster lieferte ein helles, aber diffuses und gleichmäßiges Licht. Perfekt, um Farben naturgetreu zu sehen und harte Schatten zu vermeiden. Genau dieses sanfte, modellierende Licht ist das Herzstück des flämischen Stils.
Man nennt dieses Spiel von Hell und Dunkel „Chiaroscuro“. Aber es ist ein leises Chiaroscuro, nicht so dramatisch und hart wie bei manchen italienischen Meistern. Es legt sich sanft auf die Haut, lässt einen Bart weich erscheinen und gibt Samt eine unglaubliche Tiefe. Du hast das Gefühl, die Person im Bild atmet fast.
Kleiner Test gefällig? Probier’s sofort aus: Nimm dein Handy, schnapp dir einen Apfel und geh in einen dunklen Raum. Leuchte den Apfel jetzt nur mit der Handy-Taschenlampe von schräg oben an. Mach ein Foto. Siehst du, wie die Form plötzlich da ist, mit klaren Licht- und Schattenseiten? Das ist der Anfang vom Chiaroscuro!

Um diesen Look nachzubauen, brauchst du kein teures Studio. Ehrlich gesagt, das meiste hast du wahrscheinlich schon zu Hause.
So baust du dir dein eigenes „Nordlicht-Studio“ für unter 5 Euro:
- Schnapp dir eine starke Schreibtischlampe.
- Klebe ein Blatt Backpapier mit etwas Klebeband davor. Das wirkt wie ein professioneller Diffusor und macht das Licht schön weich.
- Hänge hinter dein Modell (oder Objekt) einfach ein dunkles T-Shirt, ein schwarzes Bettlaken oder ein Stück Pappe.
- Positioniere die Lampe schräg von oben seitlich zum Gesicht. Voilà!
Achtung! Der häufigste Fehler bei Fotografen ist, dass sie vergessen, alle anderen Lichtquellen auszuschalten. Das Deckenlicht oder das Fenster von der anderen Seite zerstört den Effekt sofort. Also: Raum komplett abdunkeln, nur dein Hauptlicht zählt!
Die Technik der Meister: Schicht für Schicht zum Meisterwerk
Ein flämisches Gemälde ist kein spontaner Pinselstrich, sondern das Ergebnis eines geduldigen, methodischen Prozesses. Die unglaubliche Tiefe und Leuchtkraft entstehen durch den schichtweisen Aufbau. Das erfordert Geduld, aber die Kontrolle, die man dadurch gewinnt, ist unbezahlbar.

1. Die Vorbereitung: Damals vs. Heute
Früher wurde auf Eichenholztafeln gemalt, die mit einer spiegelglatten Grundierung aus Kreide und Tierleim präpariert wurden. Darauf kam oft eine dünne, farbige Isolierschicht (Imprimitur) in einem warmen Ocker- oder Grauton. Diese Schicht harmonisiert das Bild und lässt es von innen heraus wärmer wirken.
Für deine Werkstatt heute: Du brauchst keine Eichentafel. Eine einfache Leinwand aus dem Künstlerbedarf (ab ca. 10 Euro bei Boesner oder Gerstaecker) tut es auch. Statt Kreidegrund nimmst du Acryl-Gesso. Kleiner Profi-Tipp: Mische einen winzigen Klecks Acrylfarbe (Umbra oder Ocker) in dein weißes Gesso. So erhältst du diesen warmen Unterton der alten Meister und das grelle Weiß der Leinwand stört dich nicht beim Malen.
2. Die „Totschicht“: Das Fundament aus Licht und Schatten
Nach einer groben Vorzeichnung kam die monochrome Untermalung, auch „Totschicht“ genannt. Hier wurde das gesamte Bild in Grau- (Grisaille) oder Braun-Grün-Tönen (Verdaccio) ausgearbeitet. In diesem Stadium sah das Bild aus wie eine Schwarz-Weiß-Fotografie. Der riesige Vorteil: Du kannst dich voll und ganz auf Form, Volumen und die Lichtverhältnisse konzentrieren, ohne von Farben abgelenkt zu werden.

So machst du’s selbst: Für eine klassische Grisaille-Untermalung brauchst du nur zwei Farben: Titanweiß und Elfenbeinschwarz. Damit mischst du dir alle Grautöne, die du brauchst. Wenn du es etwas wärmer magst, nimm stattdessen Umbra gebrannt und Weiß. Das ist der ganze Trick. Male dein ganzes Motiv damit und lass es gut trocknen. Und mit gut trocknen meine ich GUT trocknen!
3. Die Lasurtechnik: Das Geheimnis des inneren Leuchtens
Jetzt kommt die Magie! Auf die trockene Untermalung werden hauchdünne, transparente Farbschichten (Lasuren) aufgetragen. Eine Lasur besteht aus viel Malmittel (z. B. Leinöl) und nur wenig Farbpigment. Das Licht dringt durch diese durchsichtige Farbschicht, wird von der helleren Untermalung darunter reflektiert und leuchtet quasi durch die Farbe zurück. So entstehen Farben mit einer Brillanz, die du mit deckend aufgetragener Farbe niemals erreichen könntest.
Gut zu wissen: Für Anfänger sind Ölfarben und ihre langen Trocknungszeiten oft eine Geduldsprobe. Eine Ölschicht kann je nach Dicke und Pigment Tage bis Wochen brauchen, um komplett durchzutrocknen. Mach die Fingerprobe: Fühlt sich die Oberfläche noch kühl an, auch wenn sie nicht mehr klebt? Dann ist sie innen noch nicht trocken. Wer hier zu früh weitermalt, riskiert eine matschige Enttäuschung.

Die schnellere Alternative: Probiere es für den Anfang mit Acrylfarben! Es gibt spezielle Acryl-Lasurmedien (eine Flasche kostet ca. 8–15 Euro), die du deinen Farben beimischen kannst, um sie transparent zu machen. Der Vorteil: Acryl trocknet in Minuten oder Stunden, nicht in Tagen.
Typische Anfängerfehler – und wie du sie locker vermeidest
Ganz ehrlich, am Anfang geht immer was schief. Aber aus den häufigsten Fehlern kann man am besten lernen. Hier sind meine Top 2:
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Falle
1: Die Ungeduld (für Maler). Die Untermalung ist noch nicht 100% trocken, und du legst die erste Farblasur darüber. Ergebnis: Matsch. Die Schichten vermischen sich unkontrolliert. Die Lösung: Die bereits erwähnte Fingerprobe. Und im Zweifel: Lieber einen Tag länger warten. Dein Bild wird es dir danken.
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Falle
2: Zu viel gewollt (für Fotografen).
Du baust dein Hauptlicht auf, aber das Deckenlicht ist noch an und von rechts scheint noch eine andere Lampe. Ergebnis: Das Licht wirkt flach, die Schatten sind nicht klar definiert, die Magie ist weg. Die Lösung: Disziplin! Schalte jede andere Lichtquelle im Raum aus. Arbeite in völliger Dunkelheit, nur dein bewusst gesetztes Licht zählt.

Die Inszenierung: Kostüm, Haltung und Hintergrund
Um den Stil zu treffen, muss die gesamte Inszenierung stimmen. Die Kleidung war damals ein Statussymbol. Teure Stoffe wie Samt oder Seide und vor allem die steife Halskrause zeigten Reichtum und Stand. Für dein Projekt musst du nicht zum Schneider werden. Ein Samtschal, ein dunkler Rollkragenpullover oder ein schlichtes Hemd können schon den richtigen Ton treffen.
Die Haltung ist meist formal und aufrecht, oft in der Dreiviertel-Ansicht, die dem Gesicht mehr Volumen verleiht. Lass dein Modell dich direkt ansehen. Diese Mischung aus direktem Blickkontakt und steifer Haltung erzeugt eine faszinierende Spannung. Achte auf die Hände! Sie verraten oft genauso viel wie das Gesicht. Lass sie ruhig im Schoß liegen oder ein schlichtes Objekt halten.
Der Hintergrund ist fast immer dunkel und neutral. Eine dunkle Wand oder ein Tuch reicht völlig aus. Nichts soll von der Person ablenken. Der Mensch steht im absoluten Mittelpunkt.
Die digitale Übersetzung: Photoshop als moderne Lasurtechnik
Was der Maler mit Pinsel und Öl macht, kann der Fotograf und Bildbearbeiter mit Software nachbilden. In Programmen wie Photoshop entsprechen die Ebenen der Schichtmalerei. Du kannst eine separate Schwarz-Weiß-Ebene als Grisaille-Untermalung nutzen, um die Helligkeitswerte zu definieren. Darüber legst du dann Farbebenen mit geringer Deckkraft, die wie Lasuren wirken.

Mit Werkzeugen wie „Abwedler“ und „Nachbelichter“ (Dodge and Burn) kannst du Lichter und Schatten gezielt verstärken – im Grunde nichts anderes als das, was die alten Meister mit einem feinen Pinsel und etwas heller oder dunklerer Farbe taten, um ein Gesicht zu modellieren.
Ein Wort zur Sicherheit: Die dunkle Seite der Farbpalette
Die Romantik der alten Ateliers hatte auch ihre Schattenseiten. Viele historische Pigmente waren hochgiftig. Bleiweiß (Nervengift), Zinnober (Quecksilber) oder Schweinfurter Grün (Arsen) – furchtbares Zeug. Als Restaurator arbeite ich mit solchen Materialien nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen.
Aber keine Sorge: Heutzutage ist das alles kein Problem mehr. Die Farben, die du im Künstlerbedarf kaufst, sind in der Regel sicher und ungiftig. Es gibt moderne, unbedenkliche Ersatzpigmente für alle historischen Töne. Achte beim Kauf einfach auf die Hinweise auf der Tube. Wenn du mit Ölfarben und Lösungsmitteln wie Terpentinersatz arbeitest, sorge aber bitte immer für eine gute Belüftung. Fenster auf, das reicht oft schon.

Fazit: Zeitloses Handwerk ist für jeden erlernbar
Dieses faszinierende Fotoprojekt ist eine wunderbare Hommage an die Grundlagen der Malkunst. Es lehrt uns, wieder genau hinzusehen und zu verstehen, dass ein starkes Bild auf zeitlosen Prinzipien beruht: einer klaren Komposition, einer bewussten Lichtführung und einem tiefen Verständnis für Textur.
Und das Beste ist: Du musst kein Meister sein, um damit anzufangen. Es geht nicht darum, alte Stile perfekt zu kopieren. Es geht darum, von den Besten zu lernen, ihre Methoden zu verstehen und sie für dich neu zu interpretieren. Ob du nun einen Pinsel in der Hand hältst oder eine Kamera – gutes Handwerk ist eine Fähigkeit, die man lernen kann. Und das ist eine Erkenntnis, die, ehrlich gesagt, wertvoller ist als jedes Superhelden-Cape.
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„Der teuerste Farbstoff für die flämischen Meister war nicht Rot oder Gold, sondern Blau. Das aus Lapislazuli gewonnene Ultramarin war zeitweise wertvoller als sein Gewicht in Gold.“
Dieser unglaubliche Luxus war der Grund, warum Blau oft für die heiligsten Gewänder reserviert war, wie das der Jungfrau Maria. Wenn Sie heute malen, können Sie mit synthetischem Ultramarinblau (wie dem von Royal Talens‘ Rembrandt-Serie) diesen tiefen, leuchtenden Ton für einen Bruchteil der Kosten erzielen und so einen Hauch von historischem Luxus in Ihr Werk bringen.

Der Blick wirkt nicht lebendig genug?
Achten Sie auf das Glanzlicht im Auge, auch „Spitzlicht“ genannt. Es ist der winzige weiße Punkt, der die Reflexion der Lichtquelle zeigt. Ohne dieses Detail wirken Augen oft flach und leblos. Bei der Malerei wird es als letzter, winziger Pinselstrich mit reinem Titanweiß gesetzt. In der Fotografie ist es entscheidend, die Lichtquelle so zu positionieren, dass sie sich in der Pupille oder Iris spiegelt. Platzieren Sie das Licht leicht oberhalb und seitlich des Motivs, um einen natürlichen, leuchtenden Blick wie bei Vermeer zu erzeugen.

- Eine fast greifbare Stofflichkeit
- Warme, harmonische Hauttöne
- Ein Gefühl von zeitloser Ruhe
Das Geheimnis? Die richtige Grundierung. Die alten Meister malten selten auf eine rein weiße Leinwand. Sie nutzten eine „Imprimitur“, eine dünne, transparente Farbschicht – oft in Ocker, Umbra oder einem warmen Grau. Diese Schicht bricht das harte Weiß, schafft sofort eine harmonische Farbbasis und lässt die später aufgetragenen Lichter stärker leuchten. Ein einfacher Trick mit großer Wirkung.

Die Stoffe sind das A und O, um den Look der alten Meister zu imitieren. Sie müssen nicht in einen Kostümverleih rennen. Suchen Sie in Ihrem Kleiderschrank oder auf dem Flohmarkt nach Stücken mit der richtigen Haptik und dem richtigen Fall. Besonders gut funktionieren:
- Samt (auch abgenutzter) für tiefe, satte Schatten.
- Leinen oder grobe Baumwolle für authentische Faltenwürfe.
- Kunstpelz oder Wolle für Kragen und Manschetten.
- Satin oder Seide für schimmernde Akzente.

Für Fotografen – Licht-Setup im Vergleich:
Professionelle Option: Ein großer Softbox-Lichtformer (z.B. ein Godox QR-P90) mit Wabe, positioniert im 45-Grad-Winkel zum Modell. Erzeugt ein extrem weiches, gerichtetes Licht, das dem Nordlicht eines Ateliers sehr nahekommt.
DIY-Option: Ein großes, nach Norden ausgerichtetes Fenster an einem bewölkten Tag. Hängen Sie bei zu starkem Licht ein dünnes weißes Bettlaken davor. Positionieren Sie Ihr Modell seitlich zum Fenster, um die charakteristischen sanften Schatten zu erzielen.
Beide Wege führen zum Ziel – es geht um weiche Übergänge, nicht um hartes Drama.

Der Pinselstrich macht den Unterschied: In der Malerei sollten Sie den Farbauftrag variieren. Für Hautpartien, die im Licht liegen, verwenden Sie dickere, pastose Farbe (Impasto), um das Licht physisch einzufangen. Für die Schattenbereiche hingegen nutzen Sie dünne, transparente Lasuren. Diese Technik lässt die Haut atmen und verleiht ihr eine unglaubliche Tiefe und Leuchtkraft von innen heraus.
In der digitalen Nachbearbeitung liegt der Schlüssel oft in der Reduktion. Anstatt Filter und Effekte hinzuzufügen, versuchen Sie, die Sättigung global leicht zu senken, aber gezielt die Wärme in den Gelb- und Rottönen anzuheben. Ein Hauch von Kühle in den Schatten (via Farbtonung in Lightroom oder Capture One) simuliert den bläulichen Schimmer des Nordlichts und schafft die typisch melancholische, ruhige Atmosphäre.




