Mehr als nur bunte Tupfer: Was wirklich hinter Omas altem Ölgemälde steckt

von Angela Schmidt
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In meiner Werkstatt gehen mir täglich die unterschiedlichsten Bilder durch die Hände. Alte Schinken, ganz moderne Stücke, Porträts, Landschaften. Jedes einzelne erzählt eine Geschichte – nicht nur von dem, was es zeigt, sondern auch davon, wie es gemacht wurde. Aber ganz ehrlich? Kaum eine Malweise stellt uns Restauratoren vor so knifflige Aufgaben wie die der sogenannten „Lichtmaler“.

Viele Leute denken, das war nur schnelle, flüchtige Malerei. Ein paar Tupfer hier, ein Strich da, fertig ist die Laube. Die Wahrheit ist aber eine andere: Hinter diesem scheinbar spontanen Stil steckt ein unglaublich tiefes Verständnis von Handwerk, Physik und damals völlig neuen Materialien. Als Malermeister und Restaurator habe ich gelernt, diese Bilder nicht nur anzuschauen, sondern richtig zu lesen. Ich sehe die mutigen Entscheidungen, die technischen Hürden und die stille Revolution, die sich auf diesen Leinwänden abgespielt hat.

Ich erinnere mich gut an ein Gartenbild, das mal zu mir in die Werkstatt kam. Voller Licht, aber über die Jahrzehnte war es stumpf und richtig schmutzig geworden. Der Besitzer war besorgt: „Kann man das nicht einfach reinigen und dann versiegeln?“, fragte er. Tja, und in dieser einfachen Frage steckt das ganze Dilemma. Ein klassischer Firnis, also eine Schutzschicht, hätte die vom Künstler gewollten Lichtreflexe und die feinen Farbnuancen für immer platt gemacht. Vorher dachte man, es sei ein leicht bewölkter Tag im Garten. Nach der vorsichtigen Reinigung spürte man die Sommersonne förmlich auf der Haut! Hier beginnt die echte Arbeit: Man muss die Absicht des Malers verstehen, um sein Erbe zu bewahren.

Impressionismus Kartenspieler Cezanne
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Die Wissenschaft des Augenblicks: Mehr als nur Gefühl

Diese Künstler waren keine Träumer, die einfach drauflos malten. Im Gegenteil, sie waren extrem scharfe Beobachter, und ihre Arbeit baute auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen ihrer Zeit auf. Damals beschäftigten sich Physiker und Chemiker intensiv mit Optik und Farblehre. Eine ganz entscheidende Erkenntnis war, dass sich Farben gegenseitig beeinflussen, je nachdem, wie sie nebeneinander platziert werden. Man nennt das Simultankontrast.

Stell dir mal vor, du willst einen Schatten malen. Die traditionelle Methode, die ich auch noch in der Ausbildung gelernt habe, wäre: Nimm die Grundfarbe und misch Schwarz oder ein dunkles Braun dazu. Das Ergebnis ist aber oft ein toter, lebloser Ton. Die Lichtmaler machten etwas völlig anderes. Sie haben beobachtet, dass ein Schatten auf einer sonnigen Wiese nicht einfach nur dunkelgrün ist. Er hat blaue, violette, manchmal sogar rötliche Töne vom reflektierten Himmelslicht.

Und was haben sie gemacht? Sie setzten reine, ungemischte Farbtupfer nebeneinander, zum Beispiel ein reines Blau direkt neben ein sattes Grün. Aus ein paar Metern Entfernung verschmelzen diese Tupfer dann im Auge des Betrachters zu einem lebendigen, vibrierenden Schatten. Das ist optische Farbmischung, nicht die übliche Mischung auf der Palette. Das Licht wird quasi erst in deinem Auge gemischt, was eine viel höhere Leuchtkraft erzeugt. Reine Physik, angewandt mit dem Pinsel.

Impressionismus edgar degas
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Kleiner Selbstversuch gefällig? Geh doch mal raus in den Garten oder auf den Balkon und schau dir einen Schatten ganz genau an. Ist der wirklich nur grau? Oder siehst du da nicht auch Blau vom Himmel und Reflexionen von der grünen Wiese oder der roten Hauswand? Genau das haben diese Pioniere auch gesehen!

Die Revolution in der Farbtube: Ein technischer Kniff

Man kann über diese Malerei nicht sprechen, ohne die Materialien zu verstehen. Früher mussten Maler ihre Farben oft mühsam selbst aus Pigmenten und Öl anreiben. Das machte das Malen im Freien, unter freiem Himmel, fast unmöglich. Doch dann kam eine geniale Erfindung auf den Markt: die wiederverschließbare Zinntube. Plötzlich konnte man fertig angemischte Ölfarben kaufen und überallhin mitnehmen. Das war die technische Eintrittskarte für die Freilichtmalerei.

Gleichzeitig brachte die industrielle Chemie eine Welle neuer, strahlender Pigmente hervor. Farben, von denen die alten Meister nur träumen konnten:

  • Intensive Blautöne: Perfekt für einen leuchtenden Himmel, den es so vorher in der Malerei nicht gab.
  • Stabile Grüntöne: Ein kühles, kräftiges Grün, das nicht wie ältere Grünpigmente mit der Zeit hässlich nachdunkelte.
  • Leuchtendes Gelb und Rot: Kräftige, deckende Farben, die das Sonnenlicht auf der Leinwand regelrecht einfangen konnten.

Diese neuen Farben waren der Treibstoff für die Bewegung. Sie ermöglichten diese helle, intensive Palette, die wir heute so lieben. Schwarz wurde übrigens fast komplett von der Palette verbannt. Dunkle Töne mischten sie lieber aus Komplementärfarben, also zum Beispiel aus Rot und Grün. Das Ergebnis waren viel lebendigere, farbigere Schatten.

Impressionismus Paul Gauguin haiti

Ach ja, eine kleine Schattenseite gab es da aber auch. Einige dieser neuen Pigmente waren hochgiftig, zum Beispiel arsenhaltige Grünpigmente oder das brillante Bleiweiß. Bei der Restaurierung solcher Werke sind Handschuhe und Atemschutz für mich absolute Pflicht. Gut zu wissen: Solange die Farbe auf deinem alten Bild fest gebunden ist und nicht abplatzt, geht davon heute aber keine Gefahr mehr aus. Anfassen sollte man lose Farbpartikel trotzdem nie.

Die Maltechnik: Wie die Farbe auf die Leinwand kam

Die Art, wie die Farbe aufgetragen wurde, war ebenfalls radikal neu. Statt feiner, glatter und durchscheinender Schichten, wie es die akademische Malerei vorschrieb, setzten die Lichtmaler auf einen direkten, oft dicken und pastosen Farbauftrag. Man spricht hier von der „Alla-prima-Malerei“, also alles in einer Sitzung, nass in nass. Das erfordert enormes Können und blitzschnelle Entscheidungen, denn große Korrekturen sind da kaum noch möglich.

Um den Unterschied klarzumachen, hier mal ein kleiner Vergleich zur traditionellen Malerei:

Impressionismus Renoir Mittagsessen am Board
  • Grundierung: Traditionell malte man auf dunklen, rötlichen Grundierungen, die für Tiefe sorgten. Die Impressionisten wollten aber maximale Leuchtkraft und nutzten daher fast immer strahlend weiße Grundierungen. Manchmal ließen sie die weiße Grundierung sogar absichtlich stehen, um gleißendes Sonnenlicht darzustellen.
  • Farbauftrag: Statt glatter, unsichtbarer Pinselstriche wurde der Pinselduktus selbst zum sichtbaren Teil des Kunstwerks. Man sieht die Spuren des Pinsels, die Bewegung der Hand, die Energie des Moments.
  • Schatten: Wie schon gesagt, keine stumpfen Mischungen mit Schwarz, sondern lebendige Schatten aus reinen, komplementären Farben.

Diese Vielfalt an Techniken, von kurzen, komma-artigen Strichen bis hin zu dichten Netzen aus Farbpunkten, zeigt: Es war kein starrer Stil, sondern eine gemeinsame Idee, die jeder auf seine Weise umsetzte.

Dein Bild zu Hause? So schützt du es richtig (und was du besser lässt)

Vielleicht hast du ja das Glück, so ein impressionistisch gemaltes Werk zu besitzen, vom Flohmarkt oder als Erbstück. Um es zu schützen, braucht es keine Wissenschaft, sondern nur ein bisschen gesunden Menschenverstand aus der Werkstatt.

Impressionismus Renoir Tanz in
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Faschings-Werkstatt für Zuhause: So bastelt ihr geniale Kostüme, die auch wirklich halten!

Der 5-Minuten-Check für zu Hause: Nimm eine Taschenlampe und leuchte mal flach von der Seite über das Bild (das nennen wir Profis „Streiflicht“). Siehst du kleine Risse, die wie ein Spinnennetz aussehen? Wölbt sich die Farbe an manchen Stellen nach oben? Das sind erste Warnsignale, dass die Malschicht spröde wird.

Was du unbedingt lassen solltest: Versuche NIEMALS, ein Ölgemälde selbst zu reinigen. Weder mit Wasser, Spucke, Brot oder Kartoffelscheiben – ich habe die schlimmsten Schäden davon schon gesehen. Du reibst den Schmutz nur tiefer in die poröse Farbe und riskierst, die Malschicht aufzulösen. Auch Staubwischen ist heikel. Wenn überhaupt, dann nur GANZ vorsichtig mit einem superweichen, sauberen Künstlerpinsel (z.B. aus Fehhaar) abfegen, aber niemals mit einem Tuch oder Staubwedel!

Ein paar goldene Regeln:

  • Lichtschutz: Häng das Bild niemals in die pralle Sonne. UV-Strahlung ist der schlimmste Feind für Farbpigmente und bleicht sie unumkehrbar aus. Eine Wand ohne direkte Sonneneinstrahlung ist ideal.
  • Stabiles Klima: Nicht über die Heizung, den Kamin oder in einen feuchten Keller hängen. Starke Schwankungen bei Temperatur und Luftfeuchtigkeit lassen Leinwand und Holz arbeiten, was zu Rissen führt. Konstante 20°C und 50-55% Luftfeuchtigkeit wären der Traum.
  • Die Frage mit dem Glas: Ein Rahmen mit Glas kann schützen, aber Achtung! Es muss unbedingt ein Abstand zwischen Bildoberfläche und Glas sein, am besten durch ein Passepartout oder spezielle Abstandshalter. Sonst klebt die dicke Farbe am Glas fest. Wenn du investieren willst, ist entspiegeltes Museumsglas mit UV-Schutz die absolute Luxuslösung.
Impressionismus toulous  Lautrec bar

Die Herausforderung der Restaurierung: Wenn der Profi ran muss

Wenn du bei deinem 5-Minuten-Check Probleme entdeckt hast, ist es Zeit für den Fachmann. Aber was erwartet dich da?

Ein häufiges Problem ist, dass diese Bilder keinen schützenden Firnis haben. Der Schmutz sitzt also direkt auf der Farbe. Die Reinigung ist Millimeterarbeit mit speziellen Gelen, die wir auftragen und nach kurzer Zeit wieder abnehmen. Das ist absolut nichts für Laien.

Auch die dicke Farbschicht selbst kann über die Jahrzehnte brüchig werden. Ganze Farbschollen können abplatzen. Diese zu sichern oder zu ergänzen, ist eine Kunst für sich. Man muss die Struktur des Pinselstrichs exakt nachahmen, damit die Reparatur unsichtbar ist.

Was kostet sowas und wie lange dauert es? Das ist natürlich immer die große Frage. Eine erste professionelle Begutachtung bei mir in der Werkstatt, oft schon unterm Mikroskop, liegt meistens zwischen 80€ und 150€. Da kann ich dir dann genau sagen, was los ist. Eine einfache Oberflächenreinigung für ein mittelgroßes Bild fängt bei ca. 400€ an, kann aber je nach Größe und Verschmutzung auch deutlich mehr werden. Klingt erstmal viel, ist aber oft weniger als der Wertverlust durch Nichtstun. Plan für so eine Arbeit auch Zeit ein – wir reden hier nicht von Stunden, sondern je nach Aufwand von mehreren Tagen bis Wochen.

Impressionismus wasserlilien Monet
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Wo findet man einen guten Restaurator? Eine verlässliche Anlaufstelle ist der Verband der Restauratoren (VDR). Die haben online eine Mitgliedersuche, da findest du qualifizierte Fachleute in deiner Nähe.

Die Malerei der Lichtfänger war also viel mehr als nur eine Stilrichtung. Sie war ein neuer Blick auf die Welt, ermöglicht durch Neugier und neue Technologien. Wenn man heute vor einem dieser Werke steht, sieht man nicht nur eine schöne Szene. Man sieht den Mut, die Experimentierfreude und eine meisterhafte Beherrschung des Handwerks. Und genau diese Mischung macht die Bilder auch heute noch so unglaublich lebendig.

Bildergalerie

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Was war die wahre Revolution der Impressionisten – die Technik oder das Material?

Beides ging Hand in Hand. Die entscheidende Erfindung, die das Malen im Freien („en plein air“) überhaupt erst in großem Stil ermöglichte, war die Farbtube. 1841 patentiert, befreite sie Künstler wie Monet oder Renoir von der Mühsal, im Atelier Pigmente mit Bindemittel anreiben zu müssen. Plötzlich war die Farbe portabel und stabil. Marken wie Lefranc & Bourgeois oder das britische Unternehmen Winsor & Newton boten eine stetig wachsende Palette an neuen, leuchtenden Farbtönen an, die perfekt für das Einfangen flüchtiger Lichtstimmungen geeignet waren.

Impressio nismus Paul Gauguin

„Farbe ist meine tägliche Besessenheit, Freude und Qual.“ – Claude Monet

Dieses Zitat fasst die intensive Beziehung der Lichtmaler zu ihrem Medium perfekt zusammen. Es ging nicht mehr nur darum, ein Motiv abzubilden. Die Farbe selbst, ihre Wechselwirkungen und ihre Fähigkeit, Licht und Emotion zu transportieren, wurden zum eigentlichen Thema des Bildes. Jede Leinwand wurde zu einem Experimentierfeld für optische Phänomene.

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Der größte Feind des Lichts: Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass ein altes Ölgemälde immer eine neue, glänzende Firnisschicht braucht. Bei impressionistischen Werken ist das fatal. Die Künstler verzichteten oft bewusst auf diesen traditionellen Schutzlack, weil er die von ihnen mühsam erzeugten matten und schimmernden Effekte zerstört und die einzelnen, reinen Farbtupfer zu einer homogenen Masse „verschmelzen“ würde. Die vom Maler gewollte Lichtvibration ginge für immer verloren.

Impressi onismus edgar degas tanz

Die japanische Kunst, insbesondere der Ukiyo-e-Holzschnitt, hatte einen enormen Einfluss auf die Impressionisten. Man spricht vom „Japonismus“. Plötzlich sahen die Pariser Maler ganz neue Möglichkeiten:

  • Radikale Bildausschnitte, die Figuren am Rand abschneiden (typisch für Degas).
  • Steile Aufsichten und eine flächige Perspektive ohne traditionellen Fluchtpunkt.
  • Die Betonung von leeren Flächen als eigenständiges Kompositionselement.

Das Geheimnis? Eine völlig andere visuelle Sprache, die den Fokus von der realistischen Tiefe auf die dekorative Wirkung der Oberfläche lenkte.

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Akademischer Schatten: Die Grundfarbe des Objekts wird einfach mit Schwarz oder Umbra abgedunkelt. Das Ergebnis ist oft ein lebloser, fast „schmutziger“ Ton, dem jegliche Leuchtkraft fehlt.

Impressionistischer Schatten: Er wird aus reinen Farben gemalt, oft aus der Komplementärfarbe des Lichts. Fällt gelbes Sonnenlicht auf eine Fläche, wird der Schatten nicht grau, sondern mit Violett- und Blautönen gemalt. Das schafft eine unglaubliche Lebendigkeit und lässt den Schatten selbst leuchten.

Möchten Sie selbst die Welt mit den Augen eines Impressionisten sehen? Versuchen Sie diese kleine Übung:

  • Schauen Sie nicht auf einen Baum, sondern kneifen Sie die Augen zusammen, bis nur noch Farbflächen übrig bleiben. Welche Farben sehen Sie wirklich?
  • Betrachten Sie den Schatten eines Gegenstandes. Ist er wirklich nur grau oder schwarz? Suchen Sie aktiv nach Blau-, Violett- oder sogar Grüntönen.
  • Beobachten Sie ein und dasselbe Motiv morgens, mittags und abends. Notieren Sie, wie sich nicht die Form, sondern die Farben radikal verändern.
Angela Schmidt

Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.