Mehr als nur Glas und Beton: Was dieses preisgekrönte Konzerthaus wirklich kann

von Mareike Brenner
Anzeige

Als Handwerksmeister habe ich über die Jahre unzählige Pläne gewälzt und noch mehr Baustellen mit eigenen Augen gesehen. Man bekommt einfach einen Blick dafür, was in der Praxis funktioniert – und was nur auf dem Papier gut aussieht. Als die Philharmonie in Stettin vor einiger Zeit einen der renommiertesten europäischen Architekturpreise abgeräumt hat, war das in unseren Kreisen natürlich ein Thema. So eine Auszeichnung gibt’s nicht für irgendeinen modischen Schnickschnack. Da werden Bauwerke geehrt, die clever auf ihre Umgebung reagieren, technisch was draufhaben und vor allem den Menschen dienen. Und genau das trifft hier den Nagel auf den Kopf.

Ich weiß noch, wie die ersten Bilder in den Fachzeitschriften die Runde machten: ein leuchtender, fast kristalliner Bau, dessen Dach an die alten Giebelhäuser der Hansestädte erinnert. Meine erste Reaktion war, ehrlich gesagt, eine Mischung aus Staunen und professioneller Skepsis. Wie zum Teufel haben die das konstruktiv gelöst? Wie soll die Akustik in so einem strengen Kasten funktionieren? Und hält diese strahlend weiße Haut dem rauen Ostseewetter stand? Das sind die Fragen, die uns Praktiker nachts wachhalten. Also, schauen wir mal gemeinsam hinter die Fassade und auf die Details, die aus einem guten Entwurf ein echtes Meisterstück machen.

ludwig mies van der rohe preis Philharmonie Stettin polen
Anzeige

Die Hülle: Ein leuchtender Eisberg mit cleverem Innenleben

Das Erste, was einem ins Auge sticht, ist natürlich diese spektakuläre, leuchtende Außenhaut. Sieht auf den ersten Blick aus wie gefaltetes Milchglas, aber dahinter steckt ein Prinzip, das wir im Bauwesen lieben: eine doppelschalige Fassade. Das ist nicht nur schick, sondern ein echtes Multitalent.

  • Wärmeschutz de luxe: Die äußere Glasschicht ist der Regenmantel, der Wind und Wetter abhält. Der Hohlraum dazwischen wirkt wie eine riesige Luftpolsterfolie. Im Winter geht weniger Wärme verloren, im Sommer heizt sich das Gebäude nicht so stark auf. Das spart Energiekosten in einer Größenordnung, die dem Jahresverbrauch von locker 20 Einfamilienhäusern entsprechen könnte.
  • Himmlische Ruhe: Stettin ist eine lebendige Stadt, und Straßenlärm ist Gift für ein Konzerthaus. Die doppelte Hülle bricht die Schallwellen extrem effektiv und sorgt drinnen für die nötige Stille. Ein absolutes Muss für jeden Ort, an dem es auf feine Töne ankommt.
  • Die große Lichtshow: Tagsüber wirkt der Bau fast wie ein Eisberg. Aber nachts passiert die Magie. Zwischen den beiden Glasschalen ist eine komplexe LED-Beleuchtung versteckt, die den ganzen Körper von innen heraus glühen lässt. Kleiner Fun Fact: Diese Beleuchtung kann sogar die Farbe wechseln und wird für besondere Anlässe in der Stadt genutzt. So was zu installieren, ist Millimeterarbeit – die LEDs müssen exakt ausgerichtet sein, damit es keine hässlichen Lichtpunkte gibt.

Getragen wird das Ganze von einer massiven Stahlkonstruktion. Aber Achtung, hier lauert eine fiese Falle: die Wärmebrücke. Jede Metallverbindung von innen nach außen ist quasi ein kleines Loch in der Thermo-Jacke des Hauses. Deshalb muss man hier mit speziellen thermischen Trennungen arbeiten. Ein Detail, das man nicht sieht, das aber über die Energieeffizienz des ganzen Projekts entscheidet.

mies van der rohe preis Philharmonie landschaft
Anzeige

Innen: Warum Gold und Beton so verdammt gut klingen

Tritt man ein, erlebt man einen krassen Kontrast. Die Foyers und Gänge sind in schlichtem, fast brutalem Sichtbeton gehalten. Ein ehrliches, robustes Material. Qualitativ hochwertigen Sichtbeton hinzubekommen, ist übrigens eine Kunst für sich. Die Schalung muss absolut perfekt sein, denn jeder noch so kleine Fehler zeichnet sich später gnadenlos ab. Ich hab meine Lehrlinge früher stundenlang Schalbretter putzen lassen, damit sie genau das kapieren.

Die Konzertsäle selbst sind dann die wahren Schmuckstücke. Der große Symphoniesaal mit seinen fast 1000 Plätzen ist eine klassische „Schuhschachtel“. Diese simple rechteckige Form lieben Akustiker, weil sie für einen warmen, vollen Klang sorgt, der sich gleichmäßig im Raum verteilt. Ideal für große Orchester.

Und dann diese Wände! Die sind mit Tausenden von dreieckigen, goldfarbenen Elementen verkleidet. Das ist natürlich kein Blattgold, das wäre unbezahlbar. Es handelt sich um speziell geformte Verbundplatten, die mit einer hauchdünnen Metallfolie beschichtet sind. Ihre gefaltete Form ist aber nicht nur Deko. Sie bricht und streut die Schallwellen ganz gezielt und verhindert so fiese Echos. Jeder einzelne Winkel ist hier berechnet. Kleiner Tipp: Sucht mal online nach Videos aus dem Konzertsaal, dann hört ihr, wovon ich spreche!

mies van der rohe preis Philharmonie Stettin

Ordnung im System: Der Trick mit dem „Technik-Ring“

Ein Gebäude mit dieser Komplexität braucht eine glasklare Organisation. Die Planer haben das brillant gelöst. Die beiden Konzertsäle liegen wie kostbare Perlen im Zentrum. Um sie herum schlingt sich ein Ring aus Gängen und Nebenräumen. Dort sind Büros, Lager, Sanitäranlagen und die gesamte Haustechnik – also der „Maschinenraum“ mit Lüftung, Heizung und Strom – untergebracht.

Dieser Ring ist genial, weil er alles entkoppelt:

  • Saubere Logistik: Die Anlieferung für die Bühnentechnik kann erfolgen, ohne dass die Musiker oder das Publikum gestört werden.
  • Einfache Wartung: Um an einen Verteilerkasten zu kommen, muss kein Techniker mit der schmutzigen Leiter durchs schicke Foyer. Alles ist im Technik-Ring sauber und auf kurzem Weg erreichbar.
  • Brandschutz: Dieser Ring schafft automatisch klare Brandabschnitte und Fluchtwege. Das ist nicht nur praktisch, sondern gesetzlich zwingend vorgeschrieben.

Ein Haus mit Respekt – und ohne Schwellenangst

Ein gutes Gebäude führt immer einen Dialog mit seiner Umgebung. Und genau das passiert hier. Es steht auf einem geschichtsträchtigen Boden, an einem Ort mit tiefer kultureller Bedeutung für die Stadt. Statt die Geschichte zu ignorieren, haben die Architekten eine moderne Antwort gefunden. Die steilen Giebeldächer sind eine abstrakte Verneigung vor der traditionellen Architektur der Ostseestädte, ohne dabei altbacken oder nostalgisch zu wirken.

mies van der rohe preis Philharmonie moderne architektur

Was ich aber fast noch wichtiger finde: Dieses Haus ist kein elitärer Tempel. Früher waren solche Kultur-Paläste oft abweisend. Hier ist das Gegenteil der Fall. Das riesige, offene Foyer im Erdgeschoss fühlt sich an wie ein öffentlicher Platz. Es gibt ein Café, Ausstellungen – man kann einfach reingehen, auch ohne Konzertticket. Das senkt die Hemmschwelle und macht das Gebäude zu einem echten Treffpunkt für alle Bürger.

Was es wirklich kostet und was man daraus lernen kann

Ein Projekt dieser Größenordnung, das über mehrere Jahre Bauzeit lief, ist natürlich nicht billig. Man geht von Baukosten um die 30 Millionen Euro aus. Das klingt nach viel Geld, ist es aber im Vergleich erstaunlich effizient. Andere berühmte Konzerthäuser in Deutschland haben ein Vielfaches davon verschlungen, da reden wir von Summen weit jenseits der 800 Millionen Euro! Das zeigt, was mit kluger Planung und einer Konzentration auf wenige, aber perfekt verarbeitete Materialien – hier Glas, Stahl und Beton – möglich ist.

Szczecin-Philharmonic-mies-van-der-rohe-preis
What's Hot

Faschings-Werkstatt für Zuhause: So bastelt ihr geniale Kostüme, die auch wirklich halten!

Aus der Praxis kann ich sagen: Die größte Herausforderung bei so einem Bau ist die Koordination. Der Akustiker will eine gefaltete Wand, der Statiker muss sie zum Stehen bringen und der Lüftungsplaner muss noch seine Kanäle darin verstecken. Wenn da die Bauleitung nicht wie ein Dirigent alle Gewerke im Takt hält, gibt es Chaos und explodierende Kosten.

Und ganz ehrlich, bei der Montage dieser tonnenschweren Fassadenelemente hält man den Atem an. Wenn da bei starkem Wind ein Saugnapf versagt, will man nicht in der Nähe sein. Das ist absolute Profi-Arbeit und nichts für Amateure.

Fazit: Ein Meisterstück, von dem man lernen kann

Die Philharmonie in Stettin ist so viel mehr als nur ein fotogenes Gebäude. Sie ist ein hochintelligentes Stück Architektur, das technische, akustische und städtebauliche Probleme mit einer beeindruckenden Eleganz löst. Sie zeigt Respekt vor der Vergangenheit, blickt aber mutig in die Zukunft.

Für mich ist es ein Paradebeispiel dafür, was europäische Baukultur im besten Sinne leisten kann: durchdacht bis ins letzte Detail, handwerklich präzise und am Ende zutiefst menschlich. Ein Bau, der nicht nur gut klingt, sondern der auch eine klare Haltung hat. Und davon können wir alle – ob Planer, Handwerker oder Musikfan – eine ganze Menge lernen.

mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-weiß-gebäude

Bildergalerie

mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie
What's Hot

Gruppenkostüme, die rocken: Euer ultimativer Guide von der Idee bis zum Umzug

Mies-Van-der-Rohe-Award-Szczecin-Philharmonie-von-Stettin

Wie hält man einen Eisberg sauber?

Die Sorge eines jeden Praktikers bei strahlend weißen Fassaden ist die Verschmutzung. In Stettin löste man das Problem mit Hightech: Die äußere Glashaut ist mit einer photokatalytischen Beschichtung aus Titandioxid versehen. Unter Einwirkung von UV-Licht zersetzt diese Schicht organische Schmutzpartikel wie Ruß oder Algen. Der nächste Regen spült die Reste einfach ab – ein selbstreinigender Effekt, der den makellosen Eindruck über Jahre bewahrt und die Wartungskosten drastisch senkt.

ludwig-mies-van-der-rohe-preis-gewinner-polen
What's Hot

Klangwunder selber machen: Der ultimative Guide zum Rasseln bauen – sicher, kreativ und mit Geling-Garantie

„Architektur ist der meisterhafte, korrekte und großartige Einklang von Baukörpern, die im Licht zusammengefügt sind.“ – Le Corbusier

Dieses Zitat scheint für die Philharmonie geschrieben worden zu sein. Die Architekten von Barozzi Veiga haben nicht einfach nur ein Gebäude entworfen, sondern eine Lichtskulptur. Die Transluzenz der Fassade fängt das wechselnde Tageslicht der Ostsee ein und gibt es nachts durch Tausende von LEDs in unzähligen Variationen an die Stadt zurück. Das Gebäude atmet förmlich im Rhythmus des Lichts.

ludwig-mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-stadt-umgebung

Die innere Explosion: Der wahre Geniestreich der Philharmonie liegt im Kontrast. Wer durch die kühlen, fast klösterlich anmutenden weißen Foyer-Gänge schreitet, erwartet alles, aber nicht das: Der große Konzertsaal ist eine Offenbarung in Gold. Die scharfkantige, an gefaltetes Papier erinnernde Decken- und Wandstruktur ist vollständig mit Blattgold-ähnlichen Auflagen veredelt. Dieser abrupte Wechsel von minimalistischer Strenge zu barocker Opulenz erzeugt einen unvergesslichen Spannungsmoment.

ludwig-mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin
What's Hot

Faschingsdeko, die was aushält: Profi-Tipps aus der Werkstatt für deine Party

  • Kristallklare Höhen ohne Zischen.
  • Warme, volle Bässe ohne Dröhnen.
  • Eine perfekte Nachhallzeit für symphonische Musik.

Das Geheimnis? Eine Akustik, die man sehen kann. Die gezackte Geometrie der goldenen Paneele im Konzertsaal ist kein reiner Design-Gag. Jede einzelne Schräge, jede Kante wurde von Akustik-Ingenieuren berechnet, um den Schall perfekt im Raum zu streuen und störende Echos zu eliminieren. So wird die Architektur selbst zum Instrument.

mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-innen

Stettin vs. Reykjavik: Die Philharmonie in Stettin wird oft mit der Harpa Konzerthalle in Reykjavik verglichen, entworfen von Henning Larsen Architects und Olafur Eliasson. Beide spielen meisterhaft mit Glas und Licht.

Harpa, Reykjavik: Setzt auf eine wabenartige Fassade aus dichroitischem Glas, das je nach Lichteinfall und Blickwinkel die Farbe ändert und an Basaltsäulen erinnert – ein direkter Verweis auf die isländische Natur.

Philharmonie, Stettin: Nutzt hingegen milchiges, transluzentes Glas, um eine homogene, leuchtende Haut zu erzeugen, die an die Giebel der Hansearchitektur und an Eiskristalle denken lässt – eine Abstraktion der städtischen Geschichte.

mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-inneneinrichtung
What's Hot

Fasching mit Kids: Eure Bastel-Anleitung gegen Langeweile (und für wenig Geld)

Der Mies van der Rohe Award wird nicht nur für schöne Formen vergeben. Ein entscheidendes Kriterium ist der Beitrag zum sozialen und kulturellen Gefüge einer Stadt. Die Philharmonie hat es geschafft, zu einem neuen Wahrzeichen und einem Symbol des Aufbruchs für Stettin zu werden. Sie ist nicht nur ein Ort für elitäre Hochkultur, sondern ein offenes Haus mit einem vielseitigen Programm, das die Bürger anzieht und einen zuvor vernachlässigten Teil der Stadt wiederbelebt hat.

mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-oper-saal

Die charakteristische Wendeltreppe im Foyer ist mehr als nur ein Weg nach oben. Ihre skulpturale Spiralform aus Sichtbeton durchbricht bewusst die strenge, orthogonale Geometrie der weißen Gänge. Sie dient als dynamischer Blickfang und Orientierungspunkt, der die Besucher intuitiv durch das Gebäude leitet. Ein Detail, das zeigt, wie tief die Architekten über die Bewegung und das Erlebnis der Menschen im Raum nachgedacht haben.

ludwig-mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-saal
  • Außenhaut: Profilbauglas von Herstellern wie Pilkington oder Lamberts, das für seine hohe Lichtstreuung und Stabilität bekannt ist.
  • Akustik im Saal: Oft kommen hier komplexe Gipsfaser-Systeme zum Einsatz, wie sie etwa von Knauf oder Sto angeboten werden, die dann mit der goldenen Oberfläche veredelt werden.
  • Böden im Foyer: Ein nahtloser, polierter Mikrozement-Boden unterstreicht die minimalistische Ästhetik und ist extrem langlebig.
mies-van-der-rohe-preis-Philharmonie-Stettin-skizze

Wussten Sie schon? Die außergewöhnliche Dachlandschaft ist eine direkte, aber völlig modern interpretierte Hommage an das alte Stettin. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Stadtsilhouette von den steilen Giebeln der Bürgerhäuser geprägt. Die Architekten nahmen diese vertikale Rhythmik auf und übersetzten sie in eine kristalline, abstrakte Form. So entsteht eine subtile Verbindung zwischen der kriegszerstörten Vergangenheit und der zukunftsgewandten Gegenwart der Stadt.

Über 1.000 Musiker und Akustiker waren während der Planungs- und Bauphase an der Feinabstimmung des großen Saals beteiligt.

Ein Konzerthaus wird nicht am Reißbrett perfekt, sondern durch unzählige Tests und Anpassungen. Für Stettin wurden Modelle im Maßstab 1:10 gebaut und mit Sensoren bestückt, um die Schallverteilung zu simulieren. Die finale Form der goldenen Paneele ist das Ergebnis dieses intensiven Dialogs zwischen Architektur, Wissenschaft und Musik.

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.