Kunst, Schweiß & Vorschriften: Was hinter den Kulissen großer Ausstellungen wirklich abgeht

von Mareike Brenner
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Ich hab schon einige große Kunst-Events in Venedig miterlebt. Seit Jahrzehnten fahre ich dorthin, mal als staunender Besucher, mal mit dem Werkzeuggürtel um die Hüfte. Ich habe geholfen, riesige Installationen aufzubauen und kenne die Tücken dieser alten Hallen – sei es im Arsenale oder in den ehrwürdigen Pavillons der Giardini. Eins lernt man ganz schnell: Venedig schenkt dir gar nichts.

Jede einzelne Schraube, jede Rigipsplatte, alles muss per Boot über die Kanäle geschippert werden. Die Luftfeuchtigkeit ist brutal und frisst sich mit der Zeit in fast jedes Material. Und dann ist da noch der Denkmalschutz, der immer das letzte Wort hat. Du arbeitest nicht einfach in einem leeren Raum, du kämpfst und kooperierst mit einer Stadt, die selbst das größte Kunstwerk von allen ist.

Aber es gab da mal eine bestimmte Biennale, die war anders. Sie hatte einen ganz anderen Puls. Schon der Titel klang nicht nach leichter Sonntags-Unterhaltung, sondern nach Arbeit, nach Auseinandersetzung. Und genau das war es auch. Der Kurator war kein Typ, der einfach nur schöne Dinge an die Wand hängen wollte. Er war ein Denker, ein politischer Kopf, der Kunst als Werkzeug sah, um über die Welt zu sprechen. Für uns Techniker war das eine riesige Herausforderung, denn seine Vision verlangte nach Installationen, die nicht nur ästhetisch, sondern vor allem konzeptionell und baulich verdammt komplex waren. Es ging weniger um das perfekte Bild als um die pure Wucht einer Aussage.

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Die Physik einer Idee: Wenn Kunst auf Baustelle trifft

Wer zum ersten Mal die alten Seilmachereien des Arsenale betritt, dem klappt die Kinnlade runter. Eine über 300 Meter lange Halle, ewig hohe Decken und spärliches Licht, das durch uralte Fenster fällt. Akustisch ist es ein Albtraum – jeder Schritt, jedes Wort wird zu einem endlosen Echo. Hier eine Ausstellung zu inszenieren, die mehr ist als nur eine lose Reihung von Werken, erfordert enormes technisches Verständnis.

Das Herzstück war damals eine Art „Arena“ im zentralen Pavillon, entworfen von einem renommierten Architekten. Die radikale Idee: Über die gesamte Dauer der Ausstellung wurde dort live aus einem bekannten Werk der politischen Ökonomie vorgelesen. Klingt simpel? Ist es aber nicht. Das ist mehr als nur eine Bühne und ein Mikro. Hier treffen Kunst und knallharte Bauphysik aufeinander.

Da wären zum Beispiel die Themen Akustik und Materialität. In so einem hallenden Raum verliert sich jeder Ton. Du musst den Schall gezielt lenken. Die Bühne war deshalb nicht nur ein Podest, sondern ein berechneter, akustischer Körper. Dafür nutzen Profis oft spezielle schallabsorbierende Paneele, die man hinter der sichtbaren Verkleidung anbringt. Solche Akustikplatten bekommt man zum Beispiel bei Fachhändlern wie Aixfoam, aber für so ein Projekt wird das individuell berechnet und gefertigt. Ohne diese Maßnahmen wäre die Stimme des Lesenden zu einem unverständlichen Brei verkommen. Das ist reine Physik.

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Und dann das Licht! Beleuchtung ist hier nicht nur Deko, sondern ein Werkzeug. Sie musste den Vorlesenden perfekt ausleuchten, ohne zu blenden, und gleichzeitig den riesigen Raum in ein Halbdunkel tauchen, um die Konzentration zu bündeln. Man arbeitet da mit eng strahlenden Profilscheinwerfern. Ganz wichtig ist die Farbtemperatur: Ein warmes Licht (unter 3300 Kelvin) schafft eine intime, konzentrierte Atmosphäre. Kaltes Licht würde steril wirken. Solche Profi-Spots zu mieten, kann pro Stück und Woche schnell mal 50-100 € kosten. Für eine ganze Bühne kommt da einiges zusammen.

Apropos Bühne: Eine Bühne ist ein temporäres Bauwerk und muss strengen Vorschriften genügen. Die Statik muss von einem Ingenieur abgenommen werden, und die verwendeten Materialien müssen mindestens der Brandschutzklasse B1 entsprechen. B1 bedeutet „schwer entflammbar“ nach deutscher DIN-Norm. Eine normale OSB-Platte kostet dich im Baumarkt vielleicht 10 € pro Quadratmeter, eine B1-zertifizierte Messebauplatte liegt schnell bei 30-40 €. Aber das ist nicht verhandelbar. Bei einer Kontrolle durch die Feuerwehr wäre die Veranstaltung sonst sofort vorbei.

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Ein Blick hinter die Kulissen: Zwei extreme Beispiele

Ein Kurator liefert die Vision. Aber es braucht ein ganzes Heer von Handwerkern, Technikern und Planern, um diese Vision Realität werden zu lassen. Oft sind die spektakulärsten Arbeiten auch die technisch anspruchsvollsten. Zwei Beispiele von damals sind mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Fallbeispiel 1: Die schwebende Wolke aus Schlüsseln

Ich erinnere mich noch genau an den japanischen Pavillon. Du bist reingekommen und standest unter einer riesigen, schwebenden Wolke aus rotem Garn. In diesem dichten Netz hingen Zehntausende alter Schlüssel über zwei Fischerbooten. Die emotionale Wucht war unglaublich. Mein erster Gedanke war aber: Wie zur Hölle haben die das gebaut? Und vor allem: Wie haben sie das genehmigt bekommen?

Sowas entsteht nicht spontan. Das ist Millimeterarbeit. Die Künstlerin liefert ein Modell, dann fangen die Ingenieure an zu rechnen. Die historische Holzdecke des Pavillons steht unter Denkmalschutz. Da kannst du nicht einfach Haken reinschrauben. Zuerst muss ein Statiker die maximale Traglast berechnen. Wahrscheinlich wurde eine unsichtbare Tragstruktur aus Stahlseilen unter der Decke eingezogen, um das enorme Gewicht – wir sprechen hier von weit über einer Tonne – gleichmäßig zu verteilen.

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Und das Material! Kilometerweise Garn, das natürlich brennbar ist. Um die Brandschutzauflagen zu erfüllen, muss es chemisch imprägniert werden. Das macht das Material schwer entflammbar, kostet aber extra. Rechne mal mit 2-5 € zusätzlich pro laufendem Meter. Dieses Zertifikat musst du bei der Bauabnahme vorlegen können.

Die Montage selbst ist eine wochenlange Sisyphusarbeit auf Gerüsten. Ein Team von spezialisierten Kletterern und Technikern spannt Faden für Faden. Das ist fast wie das Stimmen eines Instruments. Für so eine Installation sind locker 5 bis 8 Leute über zwei bis drei Wochen beschäftigt. Jeder Schlüssel wird von Hand befestigt. Sicherheit hat oberste Priorität. Solche hängenden Lasten werden vor der Eröffnung mit Belastungstests geprüft.

Kleiner Tipp aus der Praxis: Stell dir immer eine „Aufbau-Kiste“ zusammen. Darin ist alles, von Gaffer-Tape über jeden erdenklichen Schrauben-Bit bis hin zu Pflastern und Kopfschmerztabletten. Das erspart dir vor Ort Stunden an Rennerei und blank liegende Nerven.

Fallbeispiel 2: Die kontrollierte Zerstörung

Ein anderer Künstler ist bekannt für seine fast schon brutal ehrlichen Eingriffe in die Architektur. Er öffnete damals buchstäblich die Decke und Wände des Pavillons und legte alles frei: Lüftungsrohre, Kabelstränge, Trägerstrukturen. Für den Laien sah das wie Vandalismus aus. Für uns vom Fach war es eine hochkomplexe, kontrollierte Operation.

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Du kannst nicht einfach ein Loch in eine Decke schlagen. Jede Öffnung muss statisch abgesichert werden, oft mit sogenannten Abfangungen. Das sind im Grunde zusätzliche Stützkonstruktionen, die das Gewicht um das Loch herum auf andere tragende Teile umleiten. Dafür brauchst du die Originalbaupläne und einen Statiker, der jeden Schnitt freigibt.

Ganz ehrlich, ich hab mal bei einem ähnlichen Projekt erlebt, wie ein Besucher versuchte, an einem freigelegten Kabel zu ziehen, weil er dachte, das sei Teil der interaktiven Kunst. Seitdem weiß ich: Du musst immer vom unvernünftigsten Fall ausgehen. Sicherheit ist nicht verhandelbar. Freigelegte Kanten müssen entschärft, stromführende Kabel abgeschaltet oder sicher isoliert werden.

Die besonderen Spielregeln in Venedig

Man kann nicht über diese Ausstellungen sprechen, ohne über Venedig zu sprechen. Die Stadt ist keine Kulisse, sie ist ein aktiver Mitspieler. Und sie macht dir das Leben schwer.

Logistik ist alles. In Venedig gibt es keine LKW. Alles, vom Nagel bis zur tonnenschweren Skulptur, muss auf Boote. Das treibt die Kosten und den Zeitaufwand ins Absurde. Als Faustregel kannst du für Logistik in Venedig locker das Drei- bis Fünffache dessen ansetzen, was du auf dem Festland zahlen würdest. Ein verspätetes Boot kann deinen ganzen Zeitplan über den Haufen werfen.

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Die salzhaltige, feuchte Luft ist der Feind. Unbehandeltes Metall rostet dir unter den Händen weg, Elektronik ist extrem anfällig. Man muss also von vornherein mit verzinktem Stahl, speziellen Lacken oder klimatisierten Vitrinen planen.

Und dann ist da die Denkmalschutzbehörde, die „Soprintendenza“. Die haben das letzte Wort, und die kennen keinen Spaß. Die goldene Regel lautet: Alle Einbauten müssen zu 100 % reversibel sein. Nach der Ausstellung muss der Pavillon wieder exakt in seinen Ursprungszustand versetzt werden. Deshalb baut man oft ganze Räume in den Raum, sogenannte „White Cubes“, die die alten Wände gar nicht erst berühren.

Was wir daraus für die Praxis lernen können

Was nimmt man also aus so einer technisch fordernden Ausstellung mit? Für junge Künstler, Kuratoren und auch für uns Handwerker gibt es da ein paar ewige Wahrheiten.

Eine starke Idee ist die Basis, aber sie muss auch machbar sein. Mein Rat: Holt euch so früh wie möglich einen Techniker oder Architekten ins Boot. Was wiegt dein Kunstwerk? Passt es durch die Tür? Hält das Material? Eine Idee, die an der Physik scheitert, bleibt nur eine schöne Skizze auf dem Papier.

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Daraus ergibt sich eine kleine Checkliste für jedes Projekt:

  • Realitätscheck: Prüfe deine Material- und Konstruktionsidee auf Herz und Nieren.
  • Profis fragen: Sprich früh mit einem Statiker – nicht erst, wenn das Ding schon halb gebaut ist.
  • Bürokratie einplanen: Genehmigungen dauern. Manchmal Wochen, manchmal Monate.
  • Budget realistisch planen: Kalkuliere Puffer ein. Als Faustregel: Rechne immer nochmal 20% deines Materialbudgets obendrauf für Planung, Genehmigungen und Unvorhergesehenes.
  • Logistik nicht unterschätzen: Wie kommt das Material von A nach B? Wer trägt es?

Bei jedem Aufbau gibt es Probleme. Ein Profi gerät nicht in Panik, sondern findet eine Lösung. Manchmal ist die improvisierte Lösung am Ende sogar besser als der ursprüngliche Plan. Diese Flexibilität kommt nur mit Erfahrung.

Eine letzte, aber überlebenswichtige Warnung

Ich kann es nicht oft genug sagen: Bei Ausstellungen dieser Größenordnung ist Sicherheit die Grundlage von allem. Wer hier spart, spielt mit Menschenleben.

Brandschutz ist nicht verhandelbar. Fluchtwege müssen immer frei sein. Und alles, was über den Köpfen der Besucher hängt, muss von einem zertifizierten Statiker berechnet und abgenommen werden. Verlass dich niemals auf Schätzungen oder Daumenregeln. Die Verantwortung ist enorm.

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Letztendlich war diese spezielle Biennale damals mehr als eine Kunstschau. Sie war eine Demonstration dessen, was möglich ist, wenn eine starke Vision auf technisches Können und handwerkliche Exzellenz trifft. Und für mich war sie eine Erinnerung daran, dass hinter jedem großen Kunstwerk nicht nur ein kreativer Kopf steht, sondern oft ein ganzes Team von unsichtbaren Helfern, die dafür sorgen, dass die Vision sicher auf dem Boden der Tatsachen steht.

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Für ihre Installation „The Key in the Hand“ im japanischen Pavillon 2015 verwendete die Künstlerin Chiharu Shiota über 400 Kilometer rotes Garn.

Das entspricht in etwa der Luftlinie von Venedig nach Rom. Jede einzelne Faser musste von einem Team von Helfern von Hand gespannt und mit über 50.000 gesammelten Schlüsseln verwoben werden. Eine logistische und meditative Meisterleistung, die zeigt, dass die größten Kunstwerke oft aus unvorstellbarer Geduld und Fleiß entstehen, lange bevor der erste Besucher den Raum betritt.

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Wie zähmt man den Schall in einer 300 Meter langen Halle?

Das Echo im Arsenale kann eine Sound-Installation ruinieren. Statt einfach nur Lautsprecher aufzustellen, arbeiten Techniker mit präziser Akustik-Modellierung. Oft kommen dabei maßgefertigte Absorber aus Materialien wie Basotect® zum Einsatz, die hinter Vorhängen oder in Hohlräumen versteckt werden. Manchmal wird der Schall aber auch bewusst als Teil des Kunstwerks inszeniert, indem man die Reflexionen der alten Ziegelmauern nutzt, um eine desorientierende, immersive Klanglandschaft zu erzeugen. Es ist ein Tanz zwischen Kontrolle und dem Zulassen von Chaos.

Chiharu Shiota Japan pavilion biennale venedig 2015

Die Vision des Künstlers: „Ich stelle mir eine schwebende, monolithische Form vor, die schwerelos im Raum hängt und nur von einem einzigen Lichtstrahl getroffen wird.“

Die Realität des Technikers: „Okay, das bedeutet eine versteckte Stahlseil-Aufhängung, verankert in einem Lastbalken, der die Deckenlast von 400 kg pro Quadratmeter nicht überschreitet. Dazu benötigen wir einen dimmbaren LED-Profiler von ETC mit einer präzisen 19-Grad-Optik und müssen alle anderen Lichtquellen im Raum mit schwarzem Molton abhängen.“

Die Magie entsteht genau in dieser Übersetzung von Poesie in Physik.

biennale venedig Chiharu Shiota Japan pavilion
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Fasching mit Kids: Eure Bastel-Anleitung gegen Langeweile (und für wenig Geld)

  • Ein millimetergenauer Laser-Entfernungsmesser von Leica oder Bosch.
  • Ein Set japanischer Zugsägen für präzise, saubere Schnitte in Holz.
  • Ein leistungsstarker Akku-Schlagschrauber, der nie aufgibt.
  • Unzählige Rollen Gaffer-Tape in Schwarz, Weiß und Grau.

Die universelle Sprache auf jeder Kunst-Baustelle? Es ist nicht Englisch, sondern das Geräusch dieser vier Werkzeuge im Dauereinsatz.

Der unsichtbare Feind: In Venedig ist nicht der Denkmalschutz der einzige Gegner von temporären Bauten, sondern das Salzwasser in der Luft. Stahlträger, selbst für temporäre Installationen, benötigen oft eine spezielle Verzinkung oder Pulverbeschichtung, wie sie etwa von Herstellern wie Zinga angeboten wird, um Korrosion zu verhindern. Unbehandeltes Holz quillt und verzieht sich binnen Tagen. Jede Materialentscheidung ist hier ein kalkulierter Kampf gegen die Zeit und die Elemente.

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.