Flugangst? Ein Techniker packt aus und räumt mit den 6 größten Mythen auf
Hi, ich bin’s, einer von den Leuten, die man normalerweise nie sieht. Seit über 30 Jahren stecke ich bis zu den Ellbogen in Flugzeugtechnik, die meiste Zeit davon als Meister in einem Hangar. Ich kenne jede Niete, jede Leitung und jedes System in den Maschinen, die dich um die Welt fliegen. Ganz ehrlich? Ein Flugzeug ist kein Mysterium. Es ist eine unfassbar beeindruckende Maschine, die auf glasklarer Physik und extremer Sorgfalt basiert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Mythos 1: „Jemand könnte im Flug die Tür aufreißen!“
- 2 Mythos 2: „Ein kleines Loch saugt sofort alles raus!“
- 3 Mythos 3: „Die Luft in der Kabine ist alt und voller Keime.“
- 4 Mythos 4: „Der Gurt stört doch nur bei einer Evakuierung.“
- 5 Mythos 5: „Die Sauerstoffmasken sind doch nur zur Beruhigung da.“
- 6 Mythos 6: „Bei einem Unfall hat man eh keine Chance.“
- 7 Ein letzter Gedanke vom Bodenpersonal
- 8 Bildergalerie
Trotzdem haben viele Leute dieses flaue Gefühl im Magen, wenn sie einsteigen. Und das verstehe ich total. Man gibt die Kontrolle ab und betritt eine Welt, deren Regeln man nicht kennt. Deshalb möchte ich heute die Tür zum Hangar für dich einen Spalt breit öffnen. Ich will dir nicht nur sagen, dass Fliegen sicher ist – ich will dir zeigen, warum.
Lass uns mal ein paar der hartnäckigsten Mythen mit den Augen eines Technikers anschauen. Vielleicht können wir die Angst durch ein bisschen Wissen ersetzen.

Mythos 1: „Jemand könnte im Flug die Tür aufreißen!“
Ah, der Klassiker aus unzähligen Actionfilmen. Die gute Nachricht: Das ist physikalisch absolut unmöglich. Und der Grund dafür ist kein Hightech-Schloss, sondern etwas viel Mächtigeres: Luftdruck.
Die Tür ist wie ein Korken – nur von innen
Stell dir vor: Auf Reiseflughöhe ist die Luft draußen extrem dünn. Um in der Kabine atmen zu können, wird ein künstlicher Druck erzeugt, der ungefähr der Luft auf einem 2.400 Meter hohen Berg entspricht. Dieser höhere Druck in der Kabine drückt permanent von innen gegen die gesamte Flugzeughülle – und eben auch gegen die Türen.
Die meisten Flugzeugtüren sind sogenannte „Steckertüren“. Sie sind ein kleines bisschen größer als der Rahmen, in dem sie sitzen. Beim Schließen werden sie erst in die Öffnung bewegt und dann in Position geschoben, sodass der Kabinendruck sie wie einen Stöpsel fest in den Rahmen presst. Auf eine einzige Tür wirkt da eine Kraft von über 10 Tonnen. Um das greifbarer zu machen: Das ist so, als würden sich zwei ausgewachsene Elefanten von außen gegen die Tür stemmen. Kein Mensch der Welt könnte diese Kraft überwinden.

Gut zu wissen: Das leise Zischen, das du nach der Landung am Gate hörst, ist genau dieser Druck, der kontrolliert abgelassen wird. Erst dann lässt sich der Tür-Mechanismus wieder leicht bedienen.
Mythos 2: „Ein kleines Loch saugt sofort alles raus!“
Wieder so ein Bild, das Hollywood uns eingepflanzt hat. Ja, ein Loch im Rumpf ist ein ernster Vorfall, keine Frage. Aber es führt nicht zu diesem explosiven Chaos, das man aus Filmen kennt.
Dekompression ist nicht gleich Katastrophe
Wir Techniker unterscheiden da verschiedene Arten. Ein kleines Loch, vielleicht münzgroß, führt zu einer langsamen oder schnellen Dekompression. Man würde ein lautes Pfeifen hören, und durch die abfallende Luftfeuchtigkeit könnte sich kurz Nebel bilden. Die Systeme an Bord erkennen den Druckabfall sofort, ein Alarm geht los und die Sauerstoffmasken fallen herunter.
Die eigentliche Gefahr ist nicht der „Sog“, sondern der Sauerstoffmangel. Aber dafür sind Piloten intensiv trainiert. Ihre erste Reaktion ist immer dieselbe: eigene Maske auf, und dann einen kontrollierten Notsinkflug einleiten. Sie bringen die Maschine so schnell wie möglich auf eine sichere Höhe unter 3.000 Meter, wo man wieder normal atmen kann.

Die Flugzeughülle ist übrigens nach dem „Fail-Safe“-Prinzip gebaut. Das bedeutet, die Struktur hält auch dann noch, wenn ein Teil versagt. Spezielle Verstärkungen, sogenannte „Crack Stopper“, verhindern, dass sich kleine Risse unkontrolliert ausbreiten. Es gab mal einen bekannten Vorfall, bei dem ein großes Stück des Rumpfdachs abriss. Selbst in diesem extremen Fall konnte die Maschine sicher landen, weil die Grundstruktur gehalten hat. Die heutigen Flugzeuge sind dank modernerer Materialien und Bauweisen sogar noch robuster.
Mythos 3: „Die Luft in der Kabine ist alt und voller Keime.“
Die Vorstellung, stundenlang die Luft mit Hunderten von Fremden zu teilen, ist für viele unangenehm. Aber ehrlich gesagt, die Luft in einer Flugzeugkabine ist oft sauberer als in deinem Büro oder im nächsten Einkaufszentrum.
Krankenhaus-Filter über den Wolken
Die Frischluft kommt direkt von den Triebwerken. Klingt komisch, ist aber genial. Bevor der Treibstoff eingespritzt wird, wird heiße, sterile Außenluft abgezapft („Bleed Air“), abgekühlt und in die Kabine geleitet. Dort wird sie mit einem Teil der bereits vorhandenen Kabinenluft gemischt.

Und jetzt kommt der Clou: Diese Umluft wird durch HEPA-Filter gejagt. Das sind dieselben Hochleistungsfilter, die auch in Operationssälen zum Einsatz kommen. Ich habe die Dinger schon oft gewechselt, die filtern über 99,9 % aller Viren, Bakterien und Pilzsporen aus der Luft. Die komplette Kabinenluft wird alle zwei bis drei Minuten komplett ausgetauscht. Zum Vergleich: In vielen Büros dauert ein kompletter Luftaustausch eher 10-20 Minuten, in manchen Gebäuden sogar noch länger.
Einziger Nachteil: Die Luft ist sehr trocken, weil die Außenluft in großer Höhe kaum Feuchtigkeit hat. Das kann die Schleimhäute reizen. Kleiner Tipp aus meiner Erfahrung: Investiere 15 bis 25 Euro in eine gute, wiederverwendbare Trinkflasche und fülle sie nach der Sicherheitskontrolle auf. Viel Wasser trinken hilft an Bord ungemein!
Mythos 4: „Der Gurt stört doch nur bei einer Evakuierung.“
Das ist ein lebensgefährlicher Irrtum. Der Gurt ist deine wichtigste Lebensversicherung an Bord, und zwar nicht nur bei einem Unfall.

Die größte Gefahr im Flugalltag sind unerwartete Turbulenzen. Das Flugzeug kann plötzlich absacken. Ohne Gurt wirst du an die Decke geschleudert. Eine Flugbegleiterin hat mir mal von einem Passagier erzählt, der sich nur auf dem kurzen Weg zur Toilette bei plötzlichen Turbulenzen einen Arm gebrochen hat. Sein angeschnallter Sitznachbar hat nicht mal einen Kratzer abbekommen. Deshalb die goldene Regel: Wenn du sitzt, schnall dich an. Immer.
Bei einer harten Landung hält dich der Gurt fest im Sitz, der extra dafür gebaut ist, enorme Aufprallenergie zu absorbieren. Der Verschluss ist bewusst simpel gehalten – ein Klick und er ist offen. Kein Schnickschnack, der kaputtgehen kann. Er funktioniert einfach.
Mythos 5: „Die Sauerstoffmasken sind doch nur zur Beruhigung da.“
Nein, ganz und gar nicht. Diese kleinen gelben Masken sind eine überlebenswichtige Brücke, bis die Piloten eine sichere Flughöhe erreicht haben.
In 10.000 Metern Höhe hast du ohne zusätzlichen Sauerstoff nur etwa 30 bis 60 Sekunden, bis du das Bewusstsein verlierst. Deshalb die klare Anweisung: IMMER zuerst die eigene Maske aufsetzen, dann anderen helfen. Das ist nicht egoistisch, sondern die einzige Möglichkeit, handlungsfähig zu bleiben.

Wenn du die Maske zu dir ziehst, aktivierst du einen kleinen chemischen Generator über dir, der für ca. 12-15 Minuten reinen Sauerstoff produziert. Das reicht locker, denn ein Notsinkflug auf eine sichere Höhe dauert nur wenige Minuten.
Wenig bekannter Trick: Wundere dich nicht, wenn der kleine Plastikbeutel an der Maske schlaff bleibt und sich nicht aufbläst! Das ist völlig normal und ein häufiges Missverständnis. Der Sauerstoff fließt trotzdem. Vertrau dem System, es funktioniert.
Mythos 6: „Bei einem Unfall hat man eh keine Chance.“
Das ist statistisch und technisch gesehen einfach falsch. Die Luftfahrt hat eine unfassbar gute Sicherheitsbilanz, weil aus jedem einzelnen Zwischenfall gelernt wurde. Die Überlebenschancen sind heute bei den allermeisten Vorfällen extrem hoch.
Flugzeuge sind darauf ausgelegt, ihre Insassen zu schützen. Die Kabinenmaterialien sind feuerfest, die Sitze halten extremen Kräften stand und jedes Flugzeugmodell muss beweisen, dass es in 90 Sekunden komplett evakuiert werden kann – im Dunkeln und mit nur der Hälfte der Ausgänge.

Was DU selbst tun kannst, um deine Chancen zu maximieren
Verständnis ist gut, aber Handeln gibt Kontrolle. Hier sind ein paar einfache Dinge, die Profis immer beachten:
- Die „Plus 3 / Minus 8“-Regel: Sei in den ersten drei Minuten nach dem Start und den letzten acht Minuten vor der Landung besonders aufmerksam. Das sind statistisch die kritischsten Phasen. Also: Kopfhörer raus, nicht schlafen, einfach wach sein.
- Die richtige Kleidung: Feste, geschlossene Schuhe sind immer besser als Flip-Flops. Kleidung aus Naturfasern wie Baumwolle ist im unwahrscheinlichen Fall eines Feuers sicherer als Synthetik, die schmelzen kann.
- Zähle die Sitzreihen: Ein einfacher Trick, der ein starkes Gefühl von Sicherheit gibt: Zähle beim Einsteigen die Anzahl der Sitzreihen bis zum Notausgang vor und hinter dir. Sollte die Sicht schlecht sein, findest du den Weg tastend an den Sitzen entlang.
Ein letzter Gedanke vom Bodenpersonal
Wenn dein Flieger am Gate steht, siehst du nur die Spitze des Eisbergs. Du siehst nicht uns Techniker, die in der Nacht davor die Bremsen geprüft haben. Du siehst nicht die unzähligen redundanten Systeme, die still darauf warten, einzuspringen, falls mal etwas ausfällt. In jedem Start steckt die Verantwortung von Hunderten von Menschen am Boden.

Wir machen diesen Job, weil wir von der Technik überzeugt sind. Ich hoffe, dieses Wissen aus dem Hangar hilft dir, beim nächsten Mal etwas entspannter zu sein. Genieß die Aussicht. Wir haben dafür gesorgt, dass alles in Ordnung ist.
Übrigens, welcher Mythos schwirrt dir noch im Kopf herum? Schreib ihn doch mal in die Kommentare! Vielleicht schaue ich mir den im nächsten Beitrag an.
Bildergalerie


Ein modernes Flugzeug wie ein Airbus A350 oder eine Boeing 787 besteht zu über 50 % aus Verbundwerkstoffen wie kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff.
Was bedeutet das für dich als Passagier? Diese Materialien sind nicht nur leichter und sparen Treibstoff, sondern sie sind auch extrem widerstandsfähig und flexibel. Bei Turbulenzen sind es genau diese Hightech-Materialien, die es den Flügeln erlauben, die Energie der Luftbewegungen aufzunehmen und abzuleiten – ähnlich wie die Federung eines Autos auf einer holprigen Straße. Die Flügel biegen sich dabei sichtbar, aber das ist kein Grund zur Sorge, sondern ein Beweis für ihre geniale Konstruktion. Sie sind darauf ausgelegt, Belastungen zu widerstehen, die weit über das hinausgehen, was sie im normalen Flugbetrieb jemals erleben werden.

Schon mal dieses seltsame, fast heulende oder bellende Geräusch gehört, während das Flugzeug am Gate steht?
Keine Sorge, das ist kein Triebwerkschaden. Bei vielen Airbus-Modellen (wie der beliebten A320-Familie) ist das die sogenannte PTU (Power Transfer Unit). Dieses System sorgt für den hydraulischen Druckausgleich, wenn nur ein Triebwerk am Boden läuft, um Kerosin zu sparen. Es ist im Grunde eine Pumpe, die sicherstellt, dass alle Systeme voll einsatzbereit sind. Für Techniker ist dieses Geräusch das beruhigende Signal, dass alles nach Plan funktioniert.

Der A-Check: Stell dir einen Boxenstopp vor, der jede Nacht stattfindet. Techniker überprüfen akribisch Reifen, Bremsen, Ölstände und führen visuelle Inspektionen durch, um sicherzustellen, dass die Maschine für den nächsten Tag perfekt vorbereitet ist.
Der D-Check: Das ist die Generalüberholung. Alle paar Jahre wird das Flugzeug komplett auseinandergenommen. Sitze, Verkleidungen, oft sogar der Lack – alles kommt raus. Jedes Bauteil wird bis ins kleinste Detail geprüft, geröntgt und bei Bedarf ersetzt. Ein Flugzeug, das aus einem D-Check kommt, ist technisch praktisch wie neu.
Das Prinzip der Redundanz ist das Herzstück der Flugsicherheit. Einfach gesagt: Jedes kritische System hat mindestens einen, oft sogar zwei oder drei „Zwillinge“ als Backup. Fällt zum Beispiel ein Navigationscomputer aus, übernimmt nahtlos ein anderer. Das gilt für die Hydraulik, die Elektrik und die Steuerung. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle redundanten Systeme gleichzeitig versagen, ist so astronomisch gering, dass sie statistisch kaum messbar ist.



