Handy-Zauber oder teurer Fehler? Was AR-Apps für deine Wohnung wirklich können

von Augustine Schneider
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Ich steh seit Jahrzehnten in der Werkstatt, umgeben vom Geruch von Holz und Leim. Angefangen habe ich mit Millimeterpapier und einem spitzen Bleistift. Später kamen Laser-Messgerät und CAD-Programme dazu. Aber das wichtigste Werkzeug war und ist immer mein Augenmaß, geschult an unzähligen Projekten. Und heute? Heute reden alle von „Augmented Reality“ oder kurz AR. Man zückt sein Handy, hält es in den Raum, und schwupps – steht da ein virtuelles Sofa. Magie!

Für viele ist das eine nette Spielerei. Für mich ist es ein Werkzeug. Und wie jedes Werkzeug in meiner Werkstatt muss es beweisen, was es kann. Es muss präzise sein, verlässlich, und am Ende des Tages meine Arbeit besser machen. Ein Hammer, der nur gut aussieht, aber krumme Nägel schlägt, fliegt raus. Gilt das auch für die AR-Apps von Ikea & Co.? Ich hab mir das mal ganz genau angesehen – nicht als Technik-Nerd, sondern als Handwerker. Ich will dir zeigen, wo diese Technik eine echte Hilfe ist und wo sie zu teuren Fehlern führen kann.

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Ich erinnere mich an ein Projekt ganz am Anfang meiner Laufbahn: ein Einbauschrank für eine fiese Dachschräge. Auf dem Papier passte alles auf den Millimeter. Beim Einbau dann der Schock: Wir hatten die genaue Position des Kaminzugs um ein paar Zentimeter falsch eingeschätzt. Alles musste zurück in die Werkstatt. Das hat Zeit, Geld und vor allem Nerven gekostet. Eine gute Visualisierung hätte diesen Fehler vielleicht verhindert. Genau das versprechen die AR-Apps. Schauen wir mal, ob sie dieses Versprechen halten können.

Moment mal, wie funktioniert das eigentlich?

Bevor wir anfangen, Möbel durch die Wohnung zu schieben, sollten wir kurz verstehen, wie dein Handy den Raum überhaupt „sieht“. Das ist keine Hexerei, sondern eine ziemlich clevere Kombination aus Technik.

Stell dir vor, die Kamera ist das Auge. Das Gehirn deines Smartphones sind aber die Bewegungssensoren, die jede kleinste Neigung und Drehung erfassen. Viele neuere Geräte haben sogar einen LiDAR-Scanner an Bord – das ist im Grunde ein winziges Lasersystem, das unsichtbare Lichtstrahlen aussendet und misst, wie schnell sie von Wänden und Objekten zurückkommen. Daraus bastelt das Gerät eine erstaunlich genaue 3D-Karte deines Raumes. Profis nutzen ähnliche Technik für die Vermessung, nur eben eine Nummer größer und teurer.

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Die App macht dann im Grunde drei Dinge:

  • 1. Boden scannen: Du schwenkst dein Handy langsam über den Boden. Die Software merkt sich dabei Muster, wie die Holzmaserung deines Parketts oder die Fugen der Fliesen, und legt so ein digitales Koordinatensystem an. Achtung: Ein unruhiger Scan oder ein spiegelnder Boden können hier schon für die ersten Messfehler sorgen.
  • 2. Größe bestimmen: Jetzt kommt der kniffligste Teil. Die App muss kapieren, wie groß ein Meter in der echten Welt ist, um die Möbel im richtigen Maßstab darzustellen. Schlechte Lichtverhältnisse oder zu wenige Details am Boden können die Messung komplett verfälschen.
  • 3. Möbel platzieren: Ist der Raum erfasst, wählst du ein 3D-Modell aus dem Katalog und schiebst es an die gewünschte Stelle. Die App simuliert sogar grob den Lichteinfall, damit die Schatten halbwegs realistisch aussehen.

Das klingt super, aber hier liegt der Hund begraben. Die App geht immer vom Idealfall aus: perfekt ebene Böden und kerzengerade Wände im exakten 90-Grad-Winkel. Ein erfahrener Handwerker weiß: Das gibt es praktisch nie, schon gar nicht im Altbau. Die App ist also eher ein Schätzeisen als ein Präzisionsinstrument.

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Apps, die du kennen solltest – und mein Senf dazu

Man spricht ja immer von „Ikea & Co.“, aber wer ist eigentlich „Co.“? Hier mal ein kurzer Überblick, damit du weißt, womit du es zu tun hast:

  • IKEA Place: Der Klassiker. Super, um ein Gefühl für die Größe und den Stil von IKEA-Möbeln zu bekommen. Die Bedienung ist kinderleicht. Aber verlass dich bloß nicht auf die Maße, wenn es eng wird! Ideal für die Frage: „Wirkt das riesige SÖDERHAMN Sofa in meinem Wohnzimmer zu wuchtig?“
  • Wayfair „In deinem Raum ansehen“: Ähnliches Prinzip wie bei Ikea, aber mit einer gigantischen Auswahl an Möbeln. Die Qualität der 3D-Modelle schwankt manchmal ein bisschen, aber zur Inspiration ist die App top.
  • Houzz: Das ist weniger ein reines Planungstool als eine riesige Inspirations-Plattform mit integrierter AR-Funktion. Du kannst dir Millionen von Fotos ansehen und dann ausgewählte Produkte virtuell bei dir zu Hause platzieren. Gut, um Stile zu vergleichen.
  • Magicplan: Achtung, das hier ist schon fast was für Profis! Mit dieser App kannst du ganze Grundrisse erstellen, indem du einfach mit der Kamera durch die Räume gehst. Die Maße sind erstaunlich gut, aber für die reine Möbelplanung oft schon zu komplex.
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So misst der Profi – und wie du es in 5 Minuten selbst schaffst

Um den echten Wert der Apps zu verstehen, vergleichen wir das mal mit dem, was ich mache, wenn ein Kunde mich für einen Einbauschrank ruft. Mein erster Schritt ist immer das Aufmaß vor Ort. Und das ist mehr als nur mal kurz den Zollstock dranhalten.

Kleiner Tipp vom Profi: So misst du eine Nische wie ein Handwerker aus. Das dauert keine fünf Minuten und bewahrt dich vor teuren Fehlkäufen. Alles, was du brauchst, ist ein Maßband.

  1. Messe die Breite an DREI Stellen: ganz unten am Boden, ungefähr in der Mitte und knapp unter der Decke. Du wirst dich wundern, aber die Maße sind fast nie identisch. Für deine Bestellung nimmst du immer das kleinste Maß und ziehst zur Sicherheit noch einen halben Zentimeter ab!
  2. Messe die Tiefe ebenfalls an zwei Stellen: links und rechts in der Nische. Auch hier gilt: das kleinste Maß zählt.
  3. Suche nach Hindernissen: Wo sind Fußleisten, Steckdosen, Lichtschalter oder Heizungsrohre? Notiere ihre genaue Position. Nichts ist ärgerlicher als eine Schranktür, die sich wegen eines Lichtschalters nicht öffnen lässt.
  4. Prüfe die Winkel: Wenn du keinen Winkelmesser hast, nimm einfach ein Blatt DIN-A4-Papier. Das hat perfekte 90-Grad-Ecken. Halte es in die Ecke der Nische. Gibt es einen Spalt, ist die Ecke nicht rechtwinklig.

Ganz ehrlich? Vergiss die App und investier lieber 30 Euro in ein „Handwerker-Starter-Set“ aus dem Baumarkt. Du brauchst nur drei Dinge: einen guten Zollstock (ca. 5 €), ein 5-Meter-Rollbandmaß (ca. 10 €) und eine kleine Wasserwaage (ca. 15 €). Mit diesem Set vermeidest du Fehler, die dich später Hunderte von Euro kosten können.

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Ich hab den Test gemacht: Eine 84 cm breite Nische, professionell vermessen. Die App sollte ein 80 cm breites Billy-Regal platzieren. Auf dem Bildschirm sah es super aus, links und rechts war massig Platz. In Wirklichkeit hat die App die Nische fast 3 cm breiter gemessen, als sie ist. Hätte ich mich darauf verlassen, hätte das Regal niemals gepasst.

Warum Altbauten und AR-Apps keine Freunde werden

Apropos Realität … Ich liebe Altbauten für ihren Charme, aber aus handwerklicher Sicht sind sie der Endgegner. Krumme Wände, schiefe Böden – hier versagt die digitale Planungshilfe auf ganzer Linie.

Ein Kunde wollte seine neue Küche im Altbau mit einer App planen. Das Ergebnis auf dem Handy war perfekt. Beim Aufbau kam dann das böse Erwachen. Die Wand hatte in der Mitte einen „Bauch“ von über zwei Zentimetern – die Arbeitsplatte hatte hinten einen riesigen Spalt. Der Boden fiel auf drei Metern Länge um fast drei Zentimeter ab, was bedeutete, dass die Sockelblenden komplett neu zugeschnitten werden mussten. Die Ecke im Raum hatte keine 90, sondern 93 Grad. Das alles sieht eine App nicht. Sie geht von einer perfekten Welt aus, die es nicht gibt.

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Wo die Apps trotzdem Gold wert sind

Okay, jetzt habe ich viel gemeckert. Aber fairerweise muss man sagen, es gibt Momente, da sind die Dinger echt eine Hilfe. Man muss nur wissen, wofür:

  • Proportionen checken: Ist das Sofa zu wuchtig? Wirkt der Sessel verloren? Dafür sind die Apps super. Sie geben ein viel besseres Gefühl für die Raumwirkung als Klebeband auf dem Boden.
  • Stile und Farben ausprobieren: Passt der dunkle Tisch zum hellen Boden? Wie wirkt ein knallroter Teppich? Das kann man risikofrei durchspielen. Aber denk dran: Die Farben auf dem Display sehen nie exakt so aus wie in echt.
  • Diskussionsgrundlage für Paare: Ein Screenshot aus der App sagt mehr als tausend Worte. So kann man dem Partner viel besser zeigen, was man sich vorstellt, und gemeinsam eine Lösung finden.
  • Laufwege prüfen: Stell die Möbel virtuell auf und „geh“ die Wege mit dem Handy ab. Kommt man noch bequem am Esstisch vorbei? Geht die Balkontür noch ganz auf? Das ist extrem wichtig für den Alltag.
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Die knallharten Risiken – und wie du sie vermeidest

Als Handwerksmeister habe ich auch die Pflicht, auf Gefahren hinzuweisen. Und bei AR-Apps sehe ich ein paar ganz klare Risiken, über die wir reden müssen.

1. Falsche Maße = teurer Fehlkauf. Das ist das größte Risiko. Stell dir vor, du kaufst ein Sofa für 800 € und es passt nicht in die Ecke oder durchs Treppenhaus. Im besten Fall kostet dich die Rücksendung per Spedition locker 100 bis 150 €. Im schlimmsten Fall, bei Sonderanfertigungen, bleibst du komplett auf den Kosten sitzen.

2. Die Wand-Falle. Die App lässt dich ein schweres Hängeregal an jede Wand pinnen. Sie weiß aber nicht, ob das eine massive Betonwand oder nur eine dünne Gipskartonplatte ist. Montierst du das Regal an der falschen Wand, kommt es dir irgendwann mitsamt einem Stück Wand entgegen. Lebensgefährlich!

3. Unsichtbare Gefahren. Eine App sieht keine Strom- oder Wasserleitungen in der Wand. Ein angebohrtes Stromkabel kann tödlich sein, eine angebohrte Wasserleitung flutet dir die Wohnung. Ein Profi nutzt immer ein Leitungssuchgerät, bevor er bohrt.

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Lust auf ein kleines Experiment? Probier’s doch mal aus! Miss deine Zimmertür erst mit einer AR-App und dann mit einem Zollstock. Poste den Unterschied mal in die Kommentare! Ich wette, es ist mehr als ein Zentimeter.

Fazit: Ein guter Spielkamerad, aber kein Meister

Nach all den Tests komme ich zu einem klaren Urteil. AR-Apps sind eine spannende Sache. Sie sind super, um Ideen zu finden, um sich inspirieren zu lassen und um ein erstes, grobes Gefühl für einen Raum zu bekommen. Das ist ein echter Fortschritt im Vergleich zum alten Möbelkatalog.

Aber ein schickes Werkzeug ersetzt niemals das Fundament des Handwerks: Sorgfalt, Präzision und das Wissen über Material und Physik. Eine App sagt dir nicht, ob die Wand die Last eines Regals trägt oder ob der Boden unter dem neuen Aquarium nachgibt.

Also, mein Rat an dich: Nutze die Apps zum Träumen, Spielen und Inspirieren. Aber wenn es ernst wird, wenn es um passgenaue Möbel, teure Anschaffungen oder deine Sicherheit geht, dann leg das Handy weg. Greif zum Zollstock, Bleistift und Papier. Oder hol dir einen Profi, der sein Handwerk versteht. Denn am Ende zählt nicht, wie es auf dem Bildschirm aussieht, sondern dass es in der echten Welt perfekt passt und funktioniert.

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Die Farbe passt, aber wie wirkt sie bei Abendlicht?

Eine der größten Herausforderungen bei der Wandgestaltung ist die Beleuchtung. Ein sonniges Gelb am Mittag kann bei künstlichem Licht am Abend schnell schmutzig wirken. Genau hier spielen AR-Farb-Apps wie der Dulux Visualizer oder ColorSnap® von Sherwin-Williams ihre Stärke aus. Sie projizieren die Farbe nicht nur auf die Wand, sondern passen die Darstellung in Echtzeit an die sich ändernden Lichtverhältnisse im Raum an. Richten Sie Ihr Handy einfach zu verschiedenen Tageszeiten auf dieselbe Wand und beobachten Sie, wie der Ton seinen Charakter verändert – ein unschätzbarer Vorteil, bevor der erste Eimer Farbe gekauft ist.

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Einer Studie von Shopify zufolge interagieren Kunden mit 66 % höherer Wahrscheinlichkeit mit einem Produkt, wenn es als 3D- oder AR-Modell verfügbar ist.

Diese Zahl aus dem E-Commerce zeigt: Augmented Reality ist mehr als eine Spielerei. Für Möbelhändler wie Wayfair oder Made.com bedeutet es weniger Rücksendungen, weil Kunden die Proportionen und den Stil besser einschätzen können. Für uns als Nutzer heißt das, wir können mutiger sein. Passt der gewagte Sessel im Mid-Century-Stil wirklich zum modernen Esstisch? Die AR-Vorschau liefert eine verblüffend realistische Antwort und bewahrt uns vor teuren Fehlkäufen, die nur auf dem Papier gut aussahen.

LiDAR vs. reine Kameratechnik: Wo liegt der Unterschied?

Reine Kamera-AR: Ältere Apps schätzen die Raumtiefe und Oberflächen allein durch die Kamera. Das funktioniert oft gut, kann aber bei einfarbigen Wänden oder schlechtem Licht ungenau werden. Das virtuelle Objekt „schwebt“ dann manchmal oder die Größe wirkt verzerrt.

LiDAR-gestützte AR: Neuere Geräte (wie iPhone Pro oder iPad Pro) nutzen einen LiDAR-Scanner, der den Raum aktiv mit Laserimpulsen vermisst. Das Ergebnis ist eine millimetergenaue 3D-Karte. Objekte rasten sofort und präzise auf dem Boden oder an Wänden ein, was die Planung von Einbaumöbeln oder ganzen Küchenzeilen erst wirklich verlässlich macht.

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.