Mehr als nur bunte Bilder: Ein Blick in die Werkstatt eines Meisters

von Angela Schmidt
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Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen. Das erste Mal vor einem Original dieses Künstlers. Nicht in einem dieser riesigen, lauten Museen, sondern ganz intim in einer kleinen Privatsammlung. Ich hatte das Motiv, den berühmten Geiger, schon unzählige Male in Büchern gesehen. Aber das hier? Das war eine andere Welt.

Die Farben hatten eine Tiefe, eine Vibration, die kein Druck der Welt einfangen kann. Das Blau war nicht einfach nur blau – es schien zu atmen. Man konnte die Spuren des Pinsels sehen, fast die raue Textur der Leinwand auf der eigenen Haut spüren. Und in diesem Moment hat es bei mir Klick gemacht: Dieser Mann war nicht nur ein Träumer, der Liebespaare durch den Himmel schweben ließ. Er war ein Handwerker durch und durch. Einer, der seine Materialien so gut kannte wie ein Tischler sein Holz.

Als Restaurator habe ich gelernt, hinter die Fassade zu blicken. Und genau das möchte ich mit dir teilen. Kein staubtrockener Kunstvortrag, versprochen. Wir schauen uns an, wie dieser Meister wirklich gearbeitet hat. Denn das, was seine Kunst so besonders macht, liegt nicht nur in den fantastischen Motiven, sondern auch in der knallharten Chemie seiner Farben und der Physik seiner Glaskompositionen.

Marc Chagall Werke der Viehhändler
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Das geheime Labor der Farben

Für die meisten sind es einfach nur bunte Bilder. Aber als Profi stelle ich mir ganz andere Fragen: Woraus genau besteht dieses leuchtende Blau? Und wie hat er ein Rot gemischt, das auch nach Jahrzehnten noch so intensiv strahlt? Der Künstler hatte ein fast instinktives Verständnis für die Wirkung von Pigmenten. Das war keine graue Theorie für ihn, das war pures Gefühl, das in Materie verwandelt wurde.

Die Wahl der richtigen Pigmente

Oft griff er auf ganz traditionelle Ölfarben zurück, aber seine Palette war extrem gezielt ausgewählt. Sein berühmtes Blau zum Beispiel ist häufig eine Mischung aus Kobaltblau und Ultramarin. Klingt technisch, ist aber ganz einfach: Kobaltblau ist kühl, stabil und sorgt für eine klare, fast himmlische Atmosphäre. Ultramarin dagegen ist tiefer, wärmer und hat eine unglaubliche Leuchtkraft. Je nach Stimmung der Szene mischte er die beiden, um die exakte „emotionale Temperatur“ zu treffen.

Kleiner Tipp am Rande: Genau deshalb ist die Restaurierung so heikel. Behandelt man Kobaltblau falsch, wird es stumpf. Und diese Leuchtkraft? Die ist dann für immer weg.

Marc Chagall Werke
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Bei seinen Rottönen liebte er Kadmiumrot. Ein unglaublich brillantes, deckendes Rot. Aber es ist auch ein schweres Pigment. Man sieht in seinen Werken oft, wie er es fast pastos, also richtig dick, aufgetragen hat. Das gibt dem Rot eine physische Präsenz, fast ein Gewicht auf der Leinwand. Übrigens, Kadmiumpigmente sind leider ziemlich lichtempfindlich. Ein solches Gemälde in die direkte Sonne zu hängen, ist also eine absolute Todsünde. Das hat nichts mit Geschmack zu tun, sondern mit reiner Chemie.

Mehr als nur eine leere Fläche

Der Maler nutzte nicht einfach irgendeinen Untergrund. Er wählte seine Leinwände sehr bewusst aus. Oft entschied er sich für grobes Leinen. Warum? Weil es die Farbe ganz anders aufsaugt als eine feine, glatte Leinwand. Die Webstruktur des Gewebes bleibt sichtbar, sie bricht das Licht und verleiht der Farbe eine zusätzliche Lebendigkeit. Das war ein bewusstes Gestaltungsmittel, das seinen Bildern etwas Erdiges, Handfestes gibt.

Ein Blick in die Trickkiste des Meisters

In meiner Ausbildung habe ich gelernt, die „Handschrift“ eines Künstlers zu lesen. Seine Techniken sind so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Er kombinierte einfach alles, was er auf seinen Reisen durch Europa gelernt hatte.

Marc Chagall Werke das Konzert

Dünn wie eine Lasur, dick wie Spachtelmasse

Er war ein Meister der Kontraste. An manchen Stellen trug er die Farbe hauchdünn auf, in sogenannten Lasuren. Dabei wird die Farbe stark verdünnt, sodass das Licht durchscheinen und vom weißen Untergrund reflektiert werden kann. So entstehen diese schwebenden, fast durchsichtigen Figuren.

Und dann, oft im selben Bild, das genaue Gegenteil: der Impasto-Auftrag. Hier wird die Farbe dick, oft direkt aus der Tube, aufgetragen und mit Pinsel oder Spachtel modelliert. Diese Stellen fangen das Licht richtig ein, werfen kleine Schatten und wirken fast dreidimensional. Dieser ständige Wechsel zwischen flach und reliefartig, durchscheinend und deckend, macht seine Bilder so unglaublich dynamisch.

Die Kunst des Druckens: Radierung vs. Lithografie

Viele kennen nur die Gemälde, aber er war auch ein brillanter Grafiker. Für Sammler ist es wichtig, den Unterschied zwischen seinen beiden Haupttechniken zu kennen, denn die fühlen sich nicht nur unterschiedlich an, sondern liegen auch preislich oft weit auseinander.

Marc Chagall Werke der Dichter oder halb vier
  • Die Radierung: Stell dir eine Kupferplatte vor, die mit Lack überzogen ist. Mit einer feinen Nadel wird in diesen Lack gezeichnet. Kommt die Platte dann ins Säurebad, frisst sich die Säure nur an den freigelegten Linien ins Metall. Das Ergebnis sind gestochen scharfe, feine Linien mit einer unglaublichen Detailtiefe. Radierungen fühlen sich oft präzise und zeichnerisch an. Eine gute Original-Radierung findet man selten unter 1.000 bis 2.000 Euro.
  • Die Lithografie: Hier wird nicht gekratzt, sondern auf einen speziellen Stein gezeichnet. Diese Technik erlaubt viel weichere, malerischere Übergänge und Farbverläufe. Die Drucke wirken oft sanfter, fast wie eine Aquarellzeichnung. Da die Auflagen hier meist höher waren, ist der Einstieg für Sammler oft günstiger. Man kann mit etwas Glück schon für einige hundert Euro fündig werden.

Das Wunder der Glasfenster: Malen mit Licht

Seine späten Jahre waren gekrönt von monumentalen Glasfenstern, die man heute in einigen großen Kirchen bewundern kann. Das ist eine komplett andere Welt und erfordert die enge Zusammenarbeit mit erfahrenen Glasermeistern. Der Künstler lieferte die Vorlage in Originalgröße, den sogenannten Karton. Dann schnitten die Profis das mundgeblasene Farbglas zu.

Marc Chagall Werke der Geburtstag
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Der entscheidende Schritt war aber sein persönlicher Eingriff: Er bemalte die Glasstücke selbst mit Schwarzlot, einer speziellen Glasmalfarbe, um Details, Linien und Schatten zu erzeugen. Nach dem Brennen, bei dem Farbe und Glas verschmelzen, wurden die Teile mit Bleiruten verbunden. Und dieses Blei ist nicht nur Halterung – es ist Teil der Zeichnung! Er hat es meisterhaft verstanden, diese schwarzen Linien in die Komposition zu integrieren. Er malte nicht auf Glas. Er malte mit dem Licht, das durch das Glas fällt.

Praktische Tipps für Sammler und Kunstfans

Als jemand, der sein Leben der Erhaltung von Kunst widmet, bricht es mir jedes Mal das Herz, wenn ich sehe, wie wertvolle Werke aus Unwissenheit beschädigt werden. Deshalb hier ein paar knallharte Fakten.

Der richtige Umgang mit Grafiken

Eine Original-Grafik ist für viele erschwinglich. Aber bitte, macht nicht die typischen Fehler! Direkte Sonneneinstrahlung ist der absolute Tod für Papier und Pigmente. UV-Strahlung macht das Papier brüchig und lässt die Farben verblassen. Investiert unbedingt in eine professionelle Rahmung.

Marc Chagall Werke betrunkener soldat

Kleiner Tipp: Fragt euren Rahmenmacher explizit nach „Museumsglas“ mit mindestens 90 % UV-Schutz. Das kostet je nach Größe vielleicht 80 bis 150 Euro extra, aber es ist die beste Versicherung, die ihr eurem Kunstwerk geben könnt. Und noch was: Die Luftfeuchtigkeit ist entscheidend. Kauft euch für 10 Euro ein digitales Hygrometer im Baumarkt und legt es in die Nähe eurer Bilder. Ideal sind konstante Werte zwischen 50 und 55 %.

Schnell-Check: Echt oder nur ein Poster?

Der Markt ist leider voll von Fälschungen und billigen Reproduktionen. Bevor du dich in ein vermeintliches Schnäppchen verliebst, stell dir diese Fragen:

  • Die Signatur: Ist sie mit Bleistift von Hand geschrieben? Super! Ist sie Teil des Drucks? Dann ist es mit 99%iger Sicherheit nur ein Poster.
  • Der Plattenrand: Besonders bei Radierungen kannst du oft eine leichte Vertiefung im Papier spüren, wo die Druckplatte hineingepresst wurde. Fühl mal vorsichtig mit dem Finger darüber.
  • Das Papier: Fühlt es sich hochwertig an, vielleicht wie Büttenpapier mit einem Wasserzeichen? Oder ist es dünnes, glattes Posterpapier? Dein Gefühl trügt dich selten.

Wenn ein Angebot zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es das meistens auch. Fang deine Suche am besten bei seriösen Auktionshäusern oder etablierten Galerien an, die für ihre Werke garantieren.

Marc Chagall Werke der grüne Geiger
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Wann du einen Profi rufen solltest

Ganz ehrlich: Versuche NIEMALS, ein Kunstwerk selbst zu reinigen. Ich habe mal eine Grafik auf den Tisch bekommen, bei der der Besitzer einen kleinen Fleck mit einem Radiergummi entfernen wollte. Er hat die oberste Papierschicht und die Druckfarbe gleich mit abgerieben. Der Schaden war irreparabel und der Wert des Blattes ist auf einen Bruchteil gesunken.

Bei Stockflecken (kleine braune Punkte), Vergilbung oder Rissen: Geh zu einem qualifizierten Papierrestaurator. Wo du einen findest? Such online nach dem „Verband der Restauratoren“ (VDR), dort findest du geprüfte Experten in deiner Nähe.

Die Sprache der Symbole verstehen

Die Bildsprache dieses Künstlers ist ein eigenes Universum, gespeist aus alten Erzählungen, Volksglauben und seiner eigenen Lebensgeschichte. Einige Motive tauchen immer wieder auf:

  • Der Geiger: Er symbolisiert die Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Tradition und Wandel. Er ist der Begleiter durch alle Phasen des Lebens.
  • Das schwebende Liebespaar: Meist er selbst und seine große Liebe, losgelöst von aller Schwerkraft. Es ist das ultimative Symbol für die Liebe als eine Kraft, die alle irdischen Sorgen überwindet.
  • Die Kuh oder Ziege: Weit mehr als nur Nutztiere. Sie stehen für das Leben, für Sanftmut und die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur.
  • Die Uhr: Sie steht für die verrinnende Zeit, aber auch für die Ewigkeit und die Verbindung von Vergangenheit und Zukunft.

In einem seiner wichtigsten Werke, das als Reaktion auf eine Zeit schrecklicher Verfolgung entstand, nutzte er sogar das zentrale Symbol des Christentums, um das Leiden des jüdischen Volkes darzustellen. Um den Gekreuzigten herum brennen Dörfer und Synagogen. Das ist keine Provokation, sondern ein verzweifelter Schrei nach Mitgefühl, technisch umgesetzt in einer fast monochromen Farbpalette, die den Schmerz und die Trauer unterstreicht.

Marc Chagall Werke die Liebende

Kunstwerke erzählen immer eine Geschichte. Nicht nur die des Motivs, sondern auch die ihrer Entstehung. Nächstes Mal, wenn du im Museum stehst: Geh ganz nah ran. Versuche, die Pinselstriche zu sehen, die Textur der Leinwand zu erahnen und die Schichten der Farbe zu spüren. Dann siehst du nicht nur ein Bild – du begegnest dem Meister selbst.

Bildergalerie

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Marc Chagall Werke felder auf mars

Haben Sie sich je gefragt, warum die Farbe in Chagalls Werken manchmal fast greifbar aus der Leinwand herauszutreten scheint? Das ist kein Zufall, sondern die Impasto-Technik. Dabei wird die Farbe dick, oft direkt aus der Tube oder mit einem Spachtel aufgetragen, sodass Pinselstriche und Werkzeugspuren sichtbar bleiben. Diese plastische Textur fängt das Licht auf eine ganz besondere Weise ein und verleiht dem Bild eine physische Präsenz und Lebendigkeit, die in einer flachen Abbildung völlig verloren geht.

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„Alle Farben sind die Freunde ihrer Nachbarn und die Liebhaber ihrer Gegensätze.“

Dieses Zitat von Marc Chagall selbst bringt seine Arbeitsweise auf den Punkt. Er sah Farben nicht isoliert, sondern als ein Beziehungsgeflecht, das Emotionen und Harmonien direkt auf der Leinwand erschafft. Ein leuchtendes Rot wirkt neben einem tiefen Grün noch intensiver – eine Lektion in Farbtheorie, die bei ihm rein intuitiv geschah.

Marc Chagall grüne Landschaft

War Weiß für Chagall einfach nur Weiß?

Ganz und gar nicht. Als Restaurator erkennt man oft, ob man ein frühes oder spätes Werk vor sich hat, allein am Weißton. In seiner frühen Zeit nutzte er, wie viele seiner Zeitgenossen, Bleiweiß – ein deckendes, warmes Weiß, das schnell trocknet. Später kam das strahlendere, kühlere Titanweiß auf, das nicht nachdunkelt. Der Haken: Titanweiß trocknet viel langsamer und kann über Jahrzehnte hinweg Risse bilden, wenn es falsch mit Öl gemischt wird. Für uns Restauratoren ist das eine entscheidende Information, denn eine falsche Behandlung des Weißtons kann die gesamte Farbbalance eines Bildes zerstören.

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Ein Blick in Chagalls Atelier hätte mehr als nur Pinsel offenbart. Seine ausdrucksstarken Texturen entstanden durch ein ganzes Arsenal an Werkzeugen:

  • Malmesser & Spachtel: Um dicke Farbschichten scharfkantig aufzutragen oder glattzuziehen.
  • Zeichenkohle: Für die flüchtigen, energiegeladenen Vorzeichnungen, deren Linien manchmal noch durch die Farbschichten schimmern.
  • Die eigenen Finger: Nicht selten nutzte er seine Hände, um Farben direkt auf der Leinwand zu verwischen und weiche, träumerische Übergänge zu schaffen.
Marc Chagall Werke judisches Museum

Malen auf Leinwand: Hier kontrolliert der Künstler das Licht, das auf die Farbe fällt.

Malen mit Glas: Hier wird das Licht selbst zum Pinsel. Chagall musste nicht nur die Farbe des Glases, sondern auch seine Transparenz und die Art, wie es das Licht bricht, komponieren. Ein Meisterwerk, das sich mit dem Sonnenstand permanent verändert – wie etwa in den berühmten Fenstern des Fraumünsters in Zürich.

Das Grün der Erinnerung: Achten Sie einmal auf die Grüntöne in seinen Bildern, die russische Dorfszenen zeigen. Oft ist es ein tiefes, fast smaragdgrünes Viridian, das nicht nur für die Landschaft steht. Dieses Grün ist mit der Nostalgie seiner Heimat Witebsk aufgeladen – es ist die Farbe von saftigen Wiesen, volkstümlichen Märchen und einer verlorenen Welt, die er in seiner Kunst für immer lebendig hielt.

Angela Schmidt

Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.