Vom Reißbrett auf die Baustelle: Ein Handwerksmeister packt über moderne Architektur aus

von Angela Schmidt
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Ich steh oft auf Baustellen. Der Geruch von frischem Beton und nassem Holz, das ist für mich wie für andere der Duft von Kaffee am Morgen. In meiner Laufbahn als Meister hab ich unzählige Pläne in den Händen gehalten. Manche waren einfach und grundsolide, andere wiederum waren so kühn, dass man erstmal schlucken musste. Und immer wieder stößt man dabei auf Ideen, die das Bauen komplett auf den Kopf gestellt haben – Ideen von Visionären, die heute noch in den Wänden, Dächern und Fenstern weiterleben, die wir bauen.

Viele sehen in diesen Entwürfen die reine Genialität, die große Kunst. Ich sehe das Ganze mit den Augen des Handwerkers. Ich sehe die Vision, klar. Aber sofort danach sehe ich die praktischen Probleme. Wo lauert die fiese Wärmebrücke? Wie bekommen wir dieses Flachdach für die nächsten 30 Jahre dicht? Und hält diese filigrane Konstruktion einem deutschen Winter mit ordentlich Schneelast überhaupt stand?

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In diesem Beitrag will ich diese Architektur-Konzepte nicht nur bewundern. Ich will sie auseinandernehmen, sie mit der knallharten Realität unserer täglichen Arbeit abgleichen. Wir schauen uns die berühmten Grundpfeiler des modernen Bauens an, aber nicht wie aus dem Lehrbuch. Sondern so, wie wir sie heute umsetzen, sanieren oder – ganz ehrlich – manchmal auch reparieren müssen.

Die fünf großen Ideen – und was sie auf der Baustelle wirklich bedeuten

Es gibt da so ein paar Prinzipien, die vor langer Zeit mal formuliert wurden. Für Architekten ist das fast wie ein Glaubensbekenntnis. Für uns Handwerker ist es vor allem eine Liste technischer Herausforderungen. Gehen wir sie mal durch, als würden wir gerade die Baubesprechung machen.

1. Das Haus auf Stelzen (Die Pfosten)

Die Idee war damals revolutionär: Das Haus soll nicht mehr auf dicken Mauern im Erdreich stehen, sondern auf schlanken Stützen aus Stahlbeton schweben. So kann der Garten quasi unter dem Haus durchfließen und das Erdgeschoss löst sich auf. Eine wunderschöne Vorstellung, keine Frage.

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Technisch gesehen ist Stahlbeton hier das Zauberwort. Er ist ein echtes Power-Paar: Beton nimmt den Druck auf, Stahl die Zugkräfte. Die Stützen leiten die gesamte Last des Hauses punktgenau in den Boden. Dafür braucht es natürlich bombenfeste Fundamente, die ein Statiker bis auf die letzte Nachkommastelle berechnet hat. Die Schalung muss millimetergenau sitzen und die Bewehrung, also die Stahlstäbe im Inneren, exakt nach Plan verlegt sein. Ein Fehler hier? Absolut fatal.

Die Tücke aus Meistersicht: Der größte Feind ist die Wärmebrücke. Eine Stahlbetonstütze ist wie eine Autobahn für Kälte direkt ins Haus. Früher war das egal, heute ist das ein absolutes No-Go. Wir müssen die Stütze thermisch vom Rest des Gebäudes trennen. Das machen wir mit speziellen Dämmelementen, die zwischen Stütze und Decke kommen. Übrigens, das ist nicht ganz billig. Rechnen Sie mal mit 300 bis 500 Euro extra pro Stütze. Aber ganz ehrlich: Das Geld sparen Sie über die Jahre bei den Heizkosten locker wieder ein. Das zweite Problem ist Wasser am Stützenfuß. Die Abdichtung dort unten muss perfekt sein, sonst kriecht die Feuchtigkeit über die Jahre hoch und lässt den Stahl im Inneren rosten. Eine tickende Zeitbombe.

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2. Räume nach Wunsch (Der freie Grundriss)

Wenn die Stützen die Last tragen, müssen die Wände das nicht mehr tun. Logisch, oder? Das bedeutet, man kann die Innenwände hinstellen, wo man will. Räume lassen sich je nach Lebensphase schaffen, vergrößern oder wieder öffnen. Das bringt eine unglaubliche Flexibilität.

Für uns ist das heute Alltag, wir nennen es Trockenbau. Leichte Wände aus Metallständern und Gipskartonplatten. Dazwischen kommt Dämmung für Schall- und Wärmeschutz. Das geht fix und lässt sich später problemlos ändern.

Die Tücke aus Meistersicht: Der Teufel steckt hier im Schallschutz. Eine leichte Trockenbauwand ist akustisch eine ganz andere Nummer als eine massive Ziegelwand. Wenn man im schicken, offenen Wohnbereich seine Ruhe haben will, braucht man einen exzellenten Schallschutz nach DIN 4109. Das heißt oft: doppelte Beplankung, entkoppelte Profile und hochwertige Dämmmatten. Ich sag meinen Azubis immer: „Ein Loch so groß wie ein Bleistift reicht, um den ganzen Schallschutz für den Raum zu ruinieren.“

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Kleiner Tipp für Bauherren: Wenn ihr einen freien Grundriss plant, investiert die paar Euro extra für doppelt beplankte Wände, zumindest zum Schlaf- und Kinderzimmer hin. Der Aufpreis ist gering, aber die Ruhe ist unbezahlbar.

3. Die Fassade als leichte Hülle

Ähnlich wie bei den Innenwänden: Wenn die Stützen die Decken tragen, ist die Fassade nur noch eine schützende Haut. Sie hält Wind und Wetter ab, trägt aber kein Gewicht. Sie kann also fast komplett aus Glas sein oder aus leichten Paneelen bestehen.

Das ist das Prinzip der Vorhangfassade, die vor die tragende Struktur gehängt wird. Das gibt Architekten enorme gestalterische Freiheit.

Die Tücke aus Meistersicht: Windlast und Dichtigkeit. Diese beiden Themen verfolgen uns hier. Die Verankerung der Fassadenelemente in der Betondecke muss absolut bombenfest sein, um auch dem stärksten Sturm standzuhalten. Noch kritischer ist aber die Abdichtung aller Fugen, besonders an den Fenstern. Material dehnt sich bei Hitze aus und zieht sich bei Kälte zusammen. Die Fugen müssen diese Bewegung mitmachen, ohne undicht zu werden. Eine unsauber ausgeführte Fuge führt garantiert zu Wasserschäden. Das sind die Mängel, die wir bei Baugutachten am häufigsten finden.

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4. Das Fenster als Panorama (Das Bandfenster)

Der Wunsch war, massenhaft Licht ins Haus zu holen und den Blick in die Landschaft zu öffnen. Statt vieler kleiner Fenster gibt es ein langes, horizontales Fensterband, das sich über die ganze Fassadenbreite zieht.

Statisch ist das eine Ansage. Über die gesamte Fensterbreite muss ein massiver Träger – ein sogenannter Unterzug aus Stahlbeton oder Stahl – die Last von oben abfangen. Das Fenster selbst trägt nichts.

Die Tücke aus Meistersicht: Energie, Energie, Energie. So ein altes, riesiges Fensterband war im Winter eine Kältefalle und im Sommer ein Backofen. Der Unterschied ist gewaltig: Ein altes Fenster hatte einen U-Wert von vielleicht 5,0 W/(m²K) – quasi eine Zeltplane. Ein modernes Bandfenster mit Dreifachverglasung liegt heute bei 0,8 oder besser. Das ist der Unterschied zwischen Zeltplane und Thermoskanne! Wichtig ist aber auch der Hitzeschutz im Sommer. Ohne außenliegende Jalousien oder Raffstores wird das gesetzlich vorgeschrieben und ist auch absolut notwendig, sonst wird’s drinnen unerträglich. Ach ja, und die Montage: Ein 8 Meter langes Fensterelement trägt man nicht mal eben zu zweit rein. Da braucht man einen Kran und Saugheber. Die Baustellenlogistik muss stimmen.

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5. Der Garten auf dem Dach (Das Flachdach)

Die geniale Idee war, das Flachdach nicht als ungenutzte Fläche zu sehen, sondern es den Bewohnern als Terrasse oder Garten zurückzugeben. Das Haus gibt der Natur den Raum zurück, den es ihr am Boden genommen hat.

Technisch ist ein Dachgarten mit das Anspruchsvollste, was wir machen. Der Schichtaufbau ist eine Wissenschaft für sich: Auf die Betondecke kommt eine Dampfsperre, dann eine Gefälledämmung, dann die absolut entscheidende Schicht – die Dachabdichtung. Darüber kommen Schutzlagen, eine Wurzelschutzfolie (extrem wichtig!), eine Drainageschicht für den Wasserabfluss und erst dann das Substrat für die Pflanzen.

Die Tücke aus Meistersicht: Ein Flachdach verzeiht absolut keine Fehler. Ich erinnere mich an eine Sanierung, da hat eine einzige, vergessene Schraube in der Abdichtungsbahn über Jahre einen Schaden von über 20.000 Euro verursacht. Seitdem sage ich jedem: Sauberkeit auf dem Dach ist alles! Die Fehlersuche bei einem undichten Gründach ist ein Albtraum. Man muss oft alles wieder abräumen. Sparen Sie also niemals am Dachdecker.

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Gut zu wissen für Hausbesitzer – 3 Warnzeichen für ein undichtes Dach:

  • Ganz klar: Wasserflecken an der Decke im obersten Stock.
  • Ein muffiger, modriger Geruch, der sich breitmacht.
  • Wenn man mal aufs Dach schaut: Blasen oder offene Risse in der Dachpappe.

Ein professioneller Gründachaufbau ist eine Investition und liegt schnell bei 150 bis 250 Euro pro Quadratmeter. Aber richtig gemacht, hält er ewig und bietet einen echten Mehrwert.

Der Baustoff, der alles möglich machte: Stahlbeton

Man kann über modernes Bauen nicht sprechen, ohne über Beton zu reden. Er ist ehrlich, stark und formbar. Wenn wir mit ihm arbeiten, erleben wir seine Verwandlung. Erst ist er eine zähe, graue Masse. Dann pumpen wir ihn in die Schalung, verdichten ihn mit der Rüttelflasche – ein ohrenbetäubender Lärm, aber entscheidend für die Festigkeit. Der spannendste Moment ist immer das Ausschalen ein paar Tage später. Man sieht das Ergebnis. Bei Sichtbeton prägt die Schalung die finale Optik. Eine glatte Stahlschalung macht die Wand spiegelglatt, raue Holzbretter hinterlassen ihre Maserung.

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Klar, das hat auch eine Schattenseite. Die Herstellung von Zement ist extrem energieintensiv und verursacht viel CO2. Das ist heute ein riesiges Thema. Wir suchen nach besseren Lösungen, wie Recycling-Beton oder CO2-ärmeren Zementarten. Und, mal ehrlich, die rohe Beton-Ästhetik des „Brutalismus“ muss man mögen. Sie kann schnell kalt und abweisend wirken.

Was wir heute daraus lernen

Was bleibt von diesen visionären Ideen für uns im Handwerk? Wir kopieren die alten Entwürfe selten eins zu eins. Aber die Prinzipien sind in unsere DNA übergegangen. Offenes Wohnen, riesige Fenster, die Dachterrasse – all das ist heute für viele ein Traum vom Wohnen. Diese alten Meister haben uns gelehrt, in Systemen zu denken und die Grenzen zwischen innen und außen aufzulösen.

Meinen Azubis zeige ich manchmal Bilder von solchen Bauten. Nicht, damit sie Fans werden. Sondern damit sie die technischen Prinzipien dahinter verstehen. Ich sage dann: „Seht her, das ist ein früher Versuch einer Vorhangfassade. Heute machen wir das so und so, weil wir aus den alten Fehlern gelernt haben.“

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Ein letztes Wort und eine wichtige Warnung

Diese architektonischen Meilensteine haben die Grenzen des Möglichen verschoben. Sie sind eine Quelle der Inspiration, aber auch eine Mahnung: Eine kühne Vision verlangt eine perfekte handwerkliche Ausführung. Die scheinbare Einfachheit ist trügerisch.

Und deshalb eine ganz klare Warnung an alle Heimwerker: Versuchen Sie sich NIEMALS selbst an tragenden Strukturen wie Betonstützen oder an der Abdichtung eines Flachdachs. Das sind die kritischsten Punkte eines Hauses. Jeder Eingriff in die Statik erfordert einen geprüften Statiker, und jede Abdichtung gehört in die Hände eines erfahrenen Meisterbetriebs. Die Bauordnungen und DIN-Normen sind kein bürokratisches Ärgernis. Sie sind das gesammelte Wissen aus Jahrzehnten – auch aus Bauschäden – und dienen Ihrer Sicherheit und dem Werterhalt Ihres Hauses.

Die Visionäre haben uns eine neue Sprache der Architektur geschenkt. Unsere Aufgabe als Handwerker ist es, diese Sprache zu verstehen und sie verantwortungsvoll in die Realität zu übersetzen. Damit am Ende Gebäude entstehen, die nicht nur beeindruckend aussehen, sondern vor allem ein sicheres, langlebiges und gutes Zuhause sind.

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„Ein Haus ist eine Maschine zum Wohnen.“

Dieser berühmte Satz von Le Corbusier wird oft missverstanden. Es ging ihm nicht um eine kalte, seelenlose Ästhetik, sondern um Effizienz, Licht und Hygiene. Für uns auf dem Bau bedeutet das: Jedes Teil dieser „Maschine“ muss perfekt funktionieren. Eine Heizung, die man nicht warten kann, ein Fenster, das sich nicht putzen lässt, oder ein Beton, der Risse bekommt – das alles sind Systemfehler. Eine gute Maschine ist eben nicht nur schön, sondern vor allem langlebig und reparierbar.

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  • Dauerhaft wasserdicht auch bei stehendem Wasser
  • Wurzelfest für eine spätere Begrünung
  • UV-beständig und extrem dehnbar

Das Geheimnis? Moderne EPDM-Dichtungsbahnen. Während die Pioniere der Moderne noch mit mehrlagigen Bitumen- und Teerpappen gegen die Tücken des Flachdachs kämpften, rollen wir heute diese Hightech-Folien aus einem Stück aus. Das Ergebnis ist eine nahtlose, robuste Haut, die den Traum vom Dachgarten oder der Dachterrasse endlich zu einer sicheren Sache macht.

Stahlbeton damals: Eine geniale, aber grobe Mischung aus Zement, Sand, Kies und Bewehrungsstahl. Die Festigkeit war im Vergleich zu heute begrenzt, und die Oberfläche oft porös – ein Einfallstor für Feuchtigkeit und Frostschäden an der Bewehrung.

Ultrahochfester Beton (UHPC) heute: Ein Hightech-Baustoff mit Stahl- oder Glasfasern, der fast die Druckfestigkeit von Stahl erreicht. Er ermöglicht extrem schlanke, filigrane Bauteile, von denen die frühen Modernisten nur träumen konnten, und ist dabei so dicht, dass er praktisch keinen Schutz vor Witterung braucht.

Angela Schmidt

Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.