Hinter den Kulissen des großen Herbstfests: Ein Zimmermann packt aus

von Aminata Belli
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Jedes Jahr im Hochsommer tausche ich die Ruhe meiner Werkstatt gegen eine der größten und lautesten Baustellen Europas. Mein Name spielt keine Rolle, aber mein Handwerk schon: Ich bin Zimmermeister. Seit Jahrzehnten ist der Aufbau der riesigen Festhallen für das Münchner Volksfest mein Sommerprojekt. Die meisten Leute denken bei dem Namen „Wiese“ an Gras, an ein idyllisches Plätzchen. Ehrlich gesagt, müssen wir da immer ein bisschen schmunzeln, wenn die ersten Besucher verdutzt auf Schotter und Asphalt stehen. Aber glaubt mir, das hat verdammt gute Gründe.

Wenn ich im Juli das erste Mal über das leere Gelände laufe, sehe ich nicht einfach nur 42 Hektar freie Fläche. Ich sehe ein unsichtbares Netz aus Leitungen, kenne die exakten Punkte für die tonnenschweren Fundamente und spüre den festen Boden unter den Füßen. Eine echte Wiese? Die wäre nach drei Tagen Regen und den ersten hunderttausend Besuchern ein einziges Schlammloch. Logistik, Sicherheit, Stabilität – alles unmöglich. Das Gelände ist kein Naturpark, sondern ein hochfunktionales Areal, das über Jahrzehnte perfekt für diesen einen Zweck optimiert wurde.

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Der Boden: Das Fundament für Millionen von Menschen

Warum also dieser Ort? Die Entscheidung fiel ursprünglich aus historischen Gründen, aber dass das Fest hier geblieben ist, ist pure technische Notwendigkeit. Der Untergrund ist das A und O. Unter der Schotterschicht liegt ein extrem verdichteter Boden aus Kies und Sand, ein Überbleibsel der Eiszeit. Das ist genial, denn so kann Wasser – auch bei einem heftigen Sommergewitter – blitzschnell versickern. Das schützt die Fundamente unserer Bauten, die ja Tausende von Tonnen wiegen.

Stell dir mal vor, der Boden würde nachgeben. Die Zelte würden sich setzen, die Statik wäre im Eimer. Eine absolute Katastrophe. Deshalb wird der Boden jedes Jahr von Geologen geprüft, die uns die exakten Standorte für die Schwerlast-Verankerungen freigeben.

Ach ja, und dann ist da noch das, was man nicht sieht: das unterirdische Netzwerk. Eine komplette Stadt im Kleinformat mit Wasser-, Abwasser-, Gas- und Stromleitungen, die genug Saft für eine Kleinstadt mit 25.000 Einwohnern liefern. Alles ist millimetergenau kartiert. Meinem Lehrling ist mal fast das Herz in die Hose gerutscht, als er beim Graben nur haarscharf eine Datenleitung verfehlte. Die Konsequenz? Kein Notruf, keine Kartenzahlung in fünf Zelten. Da wird einem schon anders und man lernt sehr schnell, wie wichtig Sorgfalt ist.

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Der Aufbau: Ein Wettlauf gegen die Zeit in Zahlen

Viele fragen sich, warum wir schon Mitte Juli anfangen. Ganz einfach: Die Zeit ist unser größter Feind. So ein Aufbau ist ein gigantisches Puzzle mit einem knallharten Zeitplan. Mal so grob zur Vorstellung:

  • Mitte bis Ende Juli (Woche 1-2): Alles beginnt mit Vermessung und dem Boden. Wir legen einen riesigen Holzboden, der auf unzähligen Balken ruht. Jede Unebenheit gleichen wir mit Holzkeilen aus. Das ist eine meditative Arbeit, bei der man tagelang nur das leise Klopfen von hunderten Hämmern hört.
  • August (Woche 3-7): Jetzt geht’s in die Höhe! Das Skelett aus Holz und Stahl wird errichtet. Mit Kränen heben wir die riesigen Leimholzbinder an ihren Platz. Nur mal zur Einordnung: Ein einzelner dieser Hauptträger wiegt locker mal 5 Tonnen – so viel wie ein ausgewachsener Elefant! Wir verbinden alles mit traditionellen Zimmermannsknoten, aber auch mit massiven Stahlbolzen. In einem großen Zelt stecken gut und gerne mal 20.000 Schrauben, und jede einzelne muss mit dem richtigen Drehmoment angezogen und kontrolliert werden.
  • Ende August bis Anfang September (Woche 8-10): Endspurt! Das Gerüst bekommt seine Außenhaut – schwere, feuerfeste Planen. Gleichzeitig werden die vorgefertigten Wandelemente mit den kunstvollen Malereien eingehängt. Langsam wird aus der Baustelle ein Festzelt und es riecht nach frischem Holz, Farbe und dem typischen Geruch der Planen in der Sommersonne.

Das alles stemmen wir pro Zelt mit einem eingespielten Team von 60 bis 80 Leuten. Man redet kaum, jeder kennt seine Handgriffe. Es ist wie eine Choreografie.

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Der Moment der Wahrheit: Die Abnahme durch die Prüfer

Kurz vor der Eröffnung kommt der wichtigste und nervenaufreibendste Moment: die Abnahme. Ein Team von Prüfern der offiziellen Stellen und der Stadt geht durch jedes Zelt und prüft wirklich ALLES. Von der Statik über den Brandschutz (Fluchtwege, Feuerlöscher, Material der Deko) bis hin zur letzten Steckdose. Einmal mussten wir nachts noch eine ganze Lieferung Stoffbahnen abhängen, weil das Brandschutz-Zertifikat fehlte. Ein teurer Fehler des Lieferanten, der uns eine stressige Nachtschicht beschert hat.

Aber es gibt auch schöne Momente. Ich vergesse nie, wie ein sonst sehr strenger Prüfer mal anerkennend vor einer besonders kniffligen Holzverbindung stand und nur meinte: „Saubere Arbeit, das sieht man selten.“ Ganz ehrlich, das ist fast mehr wert als das offizielle Siegel. Aber ohne dieses Siegel geht gar nichts. Es ist unsere Auszeichnung und die Garantie für die Sicherheit der Gäste.

Und was passiert nach dem Fest? Der Abbau!

Viele denken, mit dem letzten Prost ist die Arbeit getan. Weit gefehlt! Der Abbau ist fast genauso aufwendig, nur dass er schneller gehen muss. In etwa 30 bis 40 Tagen wird die ganze Stadt wieder sorgfältig zerlegt. Jedes Holzelement, jede Schraube, jede Plane wird geprüft, gereinigt und für das nächste Jahr eingelagert. Das ist entscheidend, denn nur so können wir die Qualität und Sicherheit über Jahre gewährleisten.

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Übrigens, eine Frage höre ich oft: „Und was macht ein Wiesn-Zimmermann von Oktober bis Juni?“ Wir verfallen nicht in den Winterschlaf! Viele von uns arbeiten an anderen temporären Bauten wie für Messen, bauen traditionelle Dachstühle oder sind im normalen Holzbau tätig. Aber im Hinterkopf… da wartet man schon wieder auf den Juli.

Ein paar ehrliche Tipps für deinen Besuch

Aus meiner Perspektive habe ich ein paar Ratschläge, die du so nicht im Reiseführer findest:

  • Das richtige Schuhwerk ist alles! Vergiss den Namen „Wiese“. Du läufst auf Schotter und Holzböden mit Spalten. Lass die High Heels zu Hause und trag festes, bequemes Schuhwerk. Du wirst es mir danken.
  • Ein guter Treffpunkt ist Gold wert. Das Gelände ist riesig. Verabrede dich mit deiner Gruppe nicht am Haupteingang eines Zeltes – da herrscht Chaos. Ein super Tipp ist ein fester, ruhigerer Ort, zum Beispiel direkt vor dem Eingang vom Marionettentheater bei der „Oidn Wiesn“. Den findet jeder.
  • Komm zur richtigen Zeit. Wenn du die beeindruckende Handwerkskunst der Zelte wirklich mal auf dich wirken lassen willst, komm an einem Wochentag vormittags. Dann ist es leerer und du kannst die ganze Dimension der Hallen erfassen. Außerdem ist es faszinierend, die Logistik der Brauereien bei der Anlieferung zu beobachten.
  • Ein kleiner Budget-Tipp: Denk dran, dass eine Maß Bier gerne mal über 14 Euro kosten kann und die meisten Buden nur Bargeld nehmen. Ein kleiner Puffer in der Tasche schadet also nie.
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Ein Fazit aus Holz und Herzblut

Wenn dann der Startschuss für das Fest fällt, ist meine Arbeit getan. Manchmal stehe ich dann einfach nur am Rand, mitten unter den Besuchern, und schaue mir unser Werk an. Ich sehe nicht nur ein Bierzelt, sondern die unzähligen Stunden, die Schweißtropfen und das Herzblut von Hunderten von Handwerkern. Und ja, ich sitze auch selbst mal mit meiner Familie drin, trinke eine Maß und schaue stolz zur Decke.

Also, wenn du das nächste Mal auf dem großen Herbstfest bist und dein Bier genießt, nimm dir einen Moment und schau mal nach oben. Auf die massiven Balken, die kunstvollen Verbindungen. Vielleicht schmeckt die Maß dann sogar noch ein kleines bisschen besser. Prost!

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„Für den Aufbau der 17 großen und 21 kleinen Festzelte werden rund 2.500 Tonnen Stahl und 4.000 Kubikmeter Holz verbaut.“

Diese beeindruckende Zahl der Stadt München verdeutlicht, dass hier keine einfachen Zelte, sondern temporäre Kathedralen der Baukunst entstehen. Allein das Holz, meist heimische Fichte, würde ausreichen, um mehr als 40 Einfamilienhäuser zu errichten. Jedes einzelne Brett und jede Schraube ist Teil eines logistischen Meisterwerks, das in nur 10 Wochen vollbracht wird.

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Wie sorgt man dafür, dass im größten Bierzelt der Welt niemand im Dunkeln sitzt?

Die Antwort liegt in einer unsichtbaren Infrastruktur, die es in sich hat. Allein das Hofbräu-Festzelt benötigt einen Stromanschluss, der dem einer Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern entspricht. Zuständig dafür sind die Stadtwerke München (SWM), die über 500 mobile Stromverteilerkästen auf dem Gelände installieren. Jeder Anschluss, jede Leitung wird vom TÜV SÜD geprüft, denn ein Stromausfall würde nicht nur die Musik stoppen, sondern auch die Kühlsysteme lahmlegen – eine undenkbare Kettenreaktion.

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Das richtige Holz: Für die tragenden Strukturen der Zelte kommt fast ausschließlich Fichtenholz zum Einsatz. Es ist relativ leicht, aber enorm belastbar und elastisch – perfekt, um die Schwingungen von Tausenden feiernden Menschen aufzunehmen.

Der Stoff, aus dem die Träume sind: Die Zeltplanen sind kein einfaches Segeltuch. Es handelt sich um eine hochreißfeste, PVC-beschichtete Plane (oft von Herstellern wie Mehler Texnologies), die nicht nur wetterfest, sondern auch schwer entflammbar nach DIN 4102-B1 sein muss. Sicherheit geht vor.

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  • Schneller, witterungsunabhängiger Aufbau.
  • Präzise Passgenauigkeit jedes Bauteils.
  • Jahrzehntelange Wiederverwendbarkeit.

Das Geheimnis dahinter? Ein ausgeklügeltes Baukastensystem. Jedes Zelt ist eine modulare Konstruktion, deren Teile perfekt aufeinander abgestimmt und für die Lagerung und den schnellen Aufbau optimiert sind. Die Firma Pletschacher, die viele der großen Zelte baut, hat dieses System über Generationen perfektioniert.

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Man sieht die prachtvollen Fassaden, aber selten die Verankerung. Um die gewaltigen Zugkräfte durch Wind und die Last der Konstruktion abzufangen, werden bis zu 1,5 Meter lange Erdnägel in den verdichteten Boden getrieben. An kritischen Punkten kommen sogar spezielle Schwerlastanker zum Einsatz, deren Positionen jedes Jahr neu von Geologen freigegeben werden müssen. Ein Versagen hier hätte fatale Folgen für die gesamte Statik.

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Früher waren es einfache Bretterbuden, heute sind es Paläste auf Zeit.

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Was passiert eigentlich mit den Zelten nach dem Abbau? Sie verschwinden nicht einfach. Jede Zeltbaufirma, wie die Zimmerei Utschneider oder die Familie Pletschacher, verfügt über riesige Lagerhallen außerhalb Münchens. Dort wird jedes einzelne Bauteil geprüft, gereinigt, bei Bedarf repariert oder ersetzt. Die kunstvollen Malereien werden geschützt, das Holz gepflegt. Es ist ein ganzjähriger Job, der sicherstellt, dass die Struktur auch im nächsten Jahr wieder sicher und prachtvoll steht.

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  • Die Akustik-Herausforderung: In einem Raum aus Holz und Planen für 10.000 Menschen einen klaren Klang zu erzeugen, ist eine Kunst. Schalltechniker kämpfen gegen Echos und den enormen Grundlärmpegel.
  • Die Lichtstimmung: Moderne LED-Technik hat die alten Glühbirnen längst abgelöst. Sie spart nicht nur massiv Energie, sondern erlaubt auch dynamische Lichtstimmungen, die sich dem Verlauf des Abends anpassen.
  • Die versteckten Helfer: Unzählige Kilometer Kabel für Ton, Licht und Daten müssen unsichtbar und trittsicher verlegt werden, oft in speziell dafür vorgesehenen Kanälen im Zeltboden.
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Wichtiger Punkt: Nachhaltigkeit ist längst auch auf der Theresienwiese ein Thema. Viele Wirte setzen auf ein ausgeklügeltes Wassermanagement, bei dem Spülwasser aufbereitet und wiederverwendet wird. Zudem optimieren Logistikexperten die Anlieferungswege, um den LKW-Verkehr während des Aufbaus und des Betriebs auf ein Minimum zu reduzieren. Jeder eingesparte Kilometer zählt.

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Ist der Boden wirklich nur Schotter?

Nein, die Oberfläche ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Untergrund der Theresienwiese ist eine komplexe, über Jahrzehnte gewachsene Struktur. Unter der Deckschicht aus Schotter und Asphalt liegt eine massive Kiesschicht, die eine natürliche Drainage bildet. Dieses System ist so effektiv, dass selbst nach einem Wolkenbruch keine Pfützen stehen bleiben. Es ist das Ergebnis von Erfahrung und gezielter Bodenverdichtung, um eine stabile und trockene Basis für die tonnenschweren Bauten zu garantieren.

Die kunstvollen Malereien an den Innen- und Außenwänden der Zelte sind oft handgemalt und erzählen Geschichten aus der bayerischen Kultur oder der Geschichte der jeweiligen Brauerei. Diese Dekorationen sind wertvoller Bestandteil der Zelte und werden beim Abbau sorgfältig demontiert und eingelagert. Sie sind es, die einer reinen Holzkonstruktion erst ihre einzigartige, festliche Seele einhauchen.