Citybike kaufen? Ein Werkstatt-Insider verrät, worauf es wirklich ankommt
Jeden Tag schiebe ich Fahrräder auf die Hebebühne. Viele davon sind Citybikes – diese treuen Seelen für den täglichen Ritt zur Arbeit, zum Supermarkt, durch die Stadt. Und, ganz ehrlich, ich sehe alles. Ich sehe die guten Räder, die auch nach einem Jahrzehnt noch schnurren wie ein Kätzchen. Und ich sehe die anderen. Die, bei denen nach drei Monaten die Schaltung kracht, die Bremsen ein Klagelied anstimmen und der Besitzer einfach nur noch frustriert ist.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Das Fundament: Warum Rahmen und Gabel über dein Fahrgefühl entscheiden
- 2 Bevor du kaufst: Die richtige Größe und der Gebraucht-Check
- 3 Der Antrieb: Das Sorglos-Paket für die Stadt
- 4 Bremsen: Deine Lebensversicherung im Verkehr
- 5 Die Kontaktpunkte: Sattel, Lenker, Griffe
- 6 Die Anbauteile: Die wahren Alltagshelden
- 7 Der Kauf: So erkennst du Qualität (und Schrott)
- 8 Was kriegst du für dein Geld? Eine ehrliche Einordnung
Was ich in über 20 Jahren als Zweiradmechaniker gelernt habe? Ein gutes Citybike ist kein Spielzeug. Es ist dein Werkzeug, dein Freiheitsmobil, dein täglicher Begleiter. Und das Beste: Du musst dafür kein Vermögen ausgeben, wenn du weißt, worauf du achten musst.
Also, vergiss mal kurz die schicken Farben und die Werbesprüche. Lass uns unter die Haube schauen.
Das Fundament: Warum Rahmen und Gabel über dein Fahrgefühl entscheiden
Alles fängt beim Rahmen an. Er ist das Skelett, das Herzstück. Sein Material und seine Form bestimmen, wie sich dein Rad anfühlt – ob es komfortabel ist, stabil und wie lange es dir Freude bereitet.

Mehr als nur eine Frage des Gewichts: Alu oder Stahl?
Die meisten Citybikes kommen heute mit einem Alurahmen. Das ist auch völlig in Ordnung. Alu ist leicht, rostet nicht und ist relativ günstig. Aber Achtung: Es gibt riesige Qualitätsunterschiede. Achte auf Bezeichnungen wie 6061er oder 7005er Legierungen, das ist ein solider Standard. Was du meiden solltest, sind super billige Alurahmen, die sich bei kräftigem Tritt anfühlen wie Wackelpudding. Das merkst du bei einer Probefahrt sofort.
Mein persönlicher Favorit für ein langlebiges Alltagsrad ist aber immer noch Stahl. Nicht der schwere Klotz von Opas altem Rad, sondern moderner CroMoly-Stahl. Ein guter Stahlrahmen hat eine gewisse „Lebendigkeit“. Er schluckt feine Vibrationen vom Asphalt und macht die Fahrt spürbar komfortabler. Das ist keine Magie, sondern simple Physik. Stahl ist einfach elastischer. Übrigens ist er auch robuster gegen Dellen und lässt sich im Notfall sogar schweißen. Ein Riss im Alurahmen? Meistens ein Totalschaden. Ein Stahlrad braucht zwar etwas mehr Pflege gegen Rost, aber ein gut lackierter Rahmen hält ewig. Kleiner Tipp: Ein Spritzer Hohlraumwachs in die Rohre alle paar Jahre wirkt Wunder.

Ach ja, das Gewicht! Viele fragen sich das. Grob über den Daumen gepeilt, wiegt ein gutes Stadtfahrrad aus Stahl so um die 15 bis 17 kg. Ein vergleichbares Rad aus Aluminium liegt eher bei 13 bis 15 kg. Der Unterschied ist da, aber im Alltag oft weniger spürbar, als man denkt.
Die richtige Form für deinen Alltag
Die alten Begriffe „Damenrad“ und „Herrenrad“ sind doch längst überholt. Reden wir lieber darüber, was für dich praktisch ist:
- Tiefeinsteiger (oder Wave-Rahmen): Unschlagbar bequem, wenn du oft auf- und absteigen musst – mit Kindersitz, vollen Einkaufstaschen oder einfach so. Der Nachteil: Diese Rahmen sind weniger steif. Bei hohem Tempo oder viel Gepäck können sie sich ein wenig „schwammig“ anfühlen. Achte hier auf ein richtig dickes, solides Hauptrohr, das gibt Stabilität.
- Trapez-Rahmen: Für mich der goldene Mittelweg. Du kommst immer noch sehr bequem drauf, aber das zusätzliche Rohr sorgt für deutlich mehr Stabilität. Das Rad fährt sich direkter und fühlt sich mit Gepäck sicherer an. Eine Top-Allround-Lösung.
- Diamant-Rahmen (der Klassiker): Die steifste und stabilste Bauform. Perfekt, wenn du keine Probleme beim Aufsteigen hast und auch mal etwas sportlicher unterwegs sein willst.

Die Gabel: Warum Federung oft eine schlechte Idee ist
Viele günstige Citybikes locken mit einer Federgabel. Aus meiner Werkstatt-Erfahrung kann ich dir sagen: Eine billige Federgabel ist schlimmer als gar keine. Diese Dinger sind meist nur eine simple Stahlfeder in einer Hülse. Sie sind schwer, sprechen kaum an und entwickeln nach kurzer Zeit Spiel. Dann klappern und quietschen sie und machen das Fahrgefühl unpräzise.
Eine simple Starrgabel aus Stahl oder Alu ist für die Stadt viel besser. Sie ist leicht, wartungsfrei und macht das Rad agil. Den nötigen Komfort holst du dir über die Reifen. Ein wenig bekannter Trick: Ein breiterer Reifen mit etwas weniger Luftdruck federt mehr als jede billige Gabel. Probier’s mal aus! Ein 47-mm-Reifen fährt sich mit 3 Bar viel komfortabler als mit den oft empfohlenen 4,5 Bar.
Bevor du kaufst: Die richtige Größe und der Gebraucht-Check
Bevor wir zu den Teilen kommen, zwei super wichtige Punkte, die oft vergessen werden.

Die Rahmengröße muss passen!
Das schönste Rad nützt nichts, wenn es dir nicht passt. Ein guter Händler misst dich aus, aber wenn du online stöberst, gibt es eine simple Faustregel: Miss deine Schrittlänge (in Socken, vom Boden bis in den Schritt) und multipliziere den Wert in cm mit 0,66. Das Ergebnis ist ein guter Richtwert für deine Rahmengröße bei einem Citybike. Im Zweifel lieber eine Nummer kleiner wählen und über Sattel und Vorbau anpassen.
Kurzer Check für Gebrauchträder
Kein Budget für ein Neurad? Kein Problem, der Gebrauchtmarkt ist riesig. Aber schau dir diese drei Dinge ganz genau an:
- Die Kette: Frag, ob du kurz eine Kettenlehre anlegen darfst (hat jeder gute Radladen, kostet online unter 10 €). Wenn die Kette „durchfällt“, ist sie verschlissen und hat wahrscheinlich auch schon die teuren Ritzel hinten abgenutzt. Das wird teuer.
- Das Lenkkopflager: Zieh die Vorderradbremse und schieb das Rad vor und zurück. Spürst du ein Ruckeln oder „Spiel“ am Lenker? Finger weg, das kann aufwendig zu reparieren sein.
- Der Rahmen: Schau dir alle Schweißnähte und Rohrübergänge genau an. Gibt es feine Haarrisse im Lack? Das kann auf einen angebrochenen Rahmen hindeuten. Besonders unter dem Tretlager und am Steuerrohr genau hinschauen!

Der Antrieb: Das Sorglos-Paket für die Stadt
Für ein Alltagsrad in der Stadt gibt es eine ganz klare Empfehlung, die ich jedem gebe: Nabenschaltung!
Eine Kettenschaltung ist offen, sammelt jeden Dreck und braucht ständig Pflege. Die Nabenschaltung hat die gesamte empfindliche Technik sicher in der Hinterradnabe verpackt. Das bedeutet:
- Extrem wartungsarm: Außer die Kette ab und zu zu ölen, hast du jahrelang Ruhe.
- Super robust: Ein umfallendes Rad oder ein Stoß machen ihr nichts aus.
- Mega praktisch: Du kannst im Stand schalten! An der Ampel anhalten, gemütlich in den ersten Gang klicken und entspannt losfahren. Ein riesiger Vorteil im Stadtverkehr.
Für die meisten Städte reichen 7 oder 8 Gänge völlig. Die Shimano Nexus 7- und 8-Gang sind da die bewährten Arbeitstiere. Wenn du in einer hügeligen Gegend wohnst, ist eine Shimano Alfine eine Überlegung wert. Die absolute Königsklasse ist die Rohloff, aber die sprengt meist das Budget.
Und was ist mit einem Riemen statt Kette? Der ist fantastisch! Kein Öl, keine schmutzigen Hosenbeine, leise und hält ewig. Der Haken: Er ist teurer und der Rahmen muss dafür eine spezielle Öffnung haben. Wenn dein Budget es zulässt – klare Empfehlung!
Bremsen: Deine Lebensversicherung im Verkehr
Hier gibt es keine Kompromisse. Deine Bremsen müssen immer funktionieren, Punkt. Lass uns die Optionen mal durchgehen:
Die gute alte Rücktrittbremse ist vielen vertraut, aber ihre Bremskraft ist, ehrlich gesagt, begrenzt. Für eine Notbremsung reicht sie allein nicht aus.
Felgenbremsen (V-Brakes) sind der langjährige Standard. Sie sind leicht und bei Trockenheit sehr kraftvoll. Ihr Schwachpunkt ist Nässe. Kleiner Profi-Tipp: Tausche die schwarzen Standard-Beläge gegen hochwertige, zum Beispiel die lachsfarbenen von Kool-Stop. Der Unterschied bei Regen ist gewaltig und das Upgrade kostet nur ca. 15-20 Euro. Der Nachteil ist, dass sie auf Dauer die Felge abnutzen.
Rollenbremsen sind gekapselt und damit absolut wetterunabhängig, was super ist. Sie sind gut dosierbar, aber für einen richtigen Ankerwurf fehlt ihnen oft der letzte Biss. Wartungsarm sind sie aber allemal.
Die beste und sicherste Option sind heute ganz klar hydraulische Scheibenbremsen. Ihre Bremskraft ist bei jedem Wetter überragend, sie brauchen wenig Handkraft und stellen sich von selbst nach. Das ist der moderne Standard und jeden Cent wert. Aber Achtung! Nach einer langen Bremsung wird die Scheibe extrem heiß. Niemals anfassen, das gibt üble Verbrennungen.
Die Kontaktpunkte: Sattel, Lenker, Griffe
Der teuerste Rahmen bringt nichts, wenn dir nach 15 Minuten alles wehtut. Ein verbreiteter Irrglaube: Je weicher der Sattel, desto bequemer. Falsch! Ein zu weicher Sattel führt dazu, dass du einsinkst und der Druck an die falschen Stellen kommt. Wichtig ist, dass der Sattel zu deinem Sitzknochenabstand passt und fest genug ist, um dich zu stützen.
Und hier kommt das beste Upgrade für unter 30 €, das du jedem Rad verpassen kannst: ergonomische Griffe! Diese Griffe mit der breiten Auflagefläche (Flügelgriffe) verhindern, dass dein Handgelenk abknickt. Das ist die häufigste Ursache für taube Finger. Gibt’s in jedem Fahrradladen, zum Beispiel von Ergon, und der Unterschied ist wirklich Tag und Nacht.
Ein Citybike wird erst durch seine Ausstattung zum perfekten Begleiter.
- Beleuchtung: Ein Nabendynamo ist Pflicht. Er liefert immer Strom und du kannst ihn nicht zu Hause vergessen. Achte auf moderne LED-Scheinwerfer mit mindestens 30 Lux und einer Standlichtfunktion. Das ist ein riesiges Sicherheitsplus.
- Schutzbleche & Kettenschutz: Keine Option, sondern ein Muss. Feste Schutzbleche aus Metall oder hochwertigem Kunststoff sind Steckblechen immer vorzuziehen.
- Gepäckträger: Er sollte für mindestens 25 kg zugelassen sein. Richtig praktisch sind Systemträger (z.B. MIK oder Racktime), an denen du Körbe und Taschen mit einem Klick befestigen kannst. Viel sicherer als ein wackeliger Korb am Lenker.
- Reifen: Hier zu sparen, ist der größte Fehler. Achte auf einen guten Pannenschutz (z.B. Schwalbe Marathon Plus) und eine Breite von 40 bis 50 mm für maximalen Komfort. Ein Reflexstreifen an der Seite macht dich nachts sichtbar.
Der Kauf: So erkennst du Qualität (und Schrott)
Nimm dir Zeit. Ein Radkauf ist eine wichtige Entscheidung.
Die Probefahrt ist dein wichtigstes Werkzeug
Fahr das Rad mindestens 15 Minuten. Such dir eine kleine Steigung, eine holprige Stelle, eine enge Kurve. Und hier ist deine kleine Checkliste für unterwegs:
- Lassen sich alle Gänge sauber durchschalten?
- Kannst du im Stand schalten (bei Nabenschaltung)?
- Bremsen die Bremsen leise und kraftvoll?
- Fühlt sich der Rahmen stabil an, wenn du mal im Stehen fährst (Wiegetritt), oder schwabbelt er?
- Knackt oder knarzt irgendetwas?
Ein gutes Rad fühlt sich einfach solide und sicher an.
Warnsignale: Hier solltest du skeptisch werden
Ich erkenne ein billiges Rad oft schon auf den ersten Blick. Achte auf:
- Schlechte Schweißnähte: Sehen die Nähte grob und ungleichmäßig aus? Das ist ein Zeichen für schlechte Fertigung.
- Billige Plastikteile: Bremshebel oder Schalthebel aus biegsamem Plastik sind ein No-Go.
- No-Name-Komponenten: Steht auf den Teilen Shimano, SRAM oder Tektro? Oder irgendein Fantasiename? Marken garantieren eine gewisse Qualität und Ersatzteilversorgung.
- Schlechte Montage: Das ist mein Lieblingsthema. Erst letzte Woche kam ein Kunde mit einem neuen Discounter-Rad rein, bei dem die Gabel falsch herum montiert war. Kein Witz! Das ist nicht nur ärgerlich, sondern lebensgefährlich. Ein guter Fachhändler übergibt dir ein perfekt montiertes und eingestelltes Rad. Dieser Service ist Gold wert.
Was kriegst du für dein Geld? Eine ehrliche Einordnung
Ein gutes Rad kostet Geld, aber ein schlechtes kostet dich am Ende mehr – an Reparaturen und Nerven. Hier eine grobe Orientierung:
- ca. 600-800 €: Hier bekommst du eine solide Basis. Erwarte eine Shimano Nexus 7-Gang-Schaltung, gute Felgenbremsen (V-Brakes) und eine komplette Ausstattung mit Nabendynamo-Licht. Absolut alltagstauglich.
- ca. 800-1200 €: Das ist die Komfort-Klasse. Hier fangen oft schon hydraulische Bremsen an, du bekommst meist eine bessere 8-Gang-Nabe und hochwertigere Reifen und Anbauteile.
- ab 1200 €: Willkommen in der Sorglos-Liga. In diesem Bereich sind oft schon Riemenantriebe zu finden, dazu Top-Beleuchtung (50 Lux und mehr), leichte Komponenten und oft auch bessere Sättel und Griffe ab Werk.
Sieh es als eine Investition in deine Mobilität, deine Gesundheit und deine Unabhängigkeit. Ein gutes Fahrrad ist ein Partner, der dich nicht im Stich lässt. Und wenn du auf diese Details achtest, wirst du genau diesen Partner finden.