Elektroautos im Werkstatt-Check: Was wirklich zählt (und was dir keiner sagt)
Einleitung: Mehr als nur ein neuer Motor, oder?
In meiner Werkstatt habe ich über die Jahre an allem geschraubt. Vom alten Schätzchen mit seinem luftgekühlten Heckmotor bis zum modernen Diesel, der mehr Sensoren als ein Raumschiff hat. Man sieht Technik kommen und gehen. Und ganz ehrlich, als die ersten E-Autos bei uns auf den Hof rollten, war die Skepsis bei den Kollegen groß. Ich? Ich war einfach nur neugierig. Das war eine komplett neue Welt – weniger Öl, dafür mehr Kabel und Hochvolttechnik.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung: Mehr als nur ein neuer Motor, oder?
- 2 Das Herzstück: Den Akku wirklich verstehen
- 3 Der Antrieb: Weniger Teile, aber feine Unterschiede
- 4 Die Realität des Ladens: Zwischen Wallbox und Schnelllader
- 5 Wärmemanagement: Der stille Held der Reichweite
- 6 Wartung und Kosten: Was in der Werkstatt wirklich anfällt
- 7 Gebrauchtkauf: So gehst du auf Nummer sicher
- 8 Mein Fazit aus der Werkstatt
Vor ein paar Jahren kam dann der große Umschwung. Davor waren Stromer eher was für die Nische, kleine Zweitwagen oder sündhaft teure Exoten. Plötzlich kamen alltagstaugliche Modelle auf den Markt, mit ordentlichen Akkus und genug Platz für die Familie. Da wurde uns in der Werkstatt endgültig klar: Das ist nicht nur ein Trend, das ist die Zukunft. Also hab ich mich hingesetzt und meinen „HV-Schein“ gemacht, die Qualifikation für Arbeiten an Hochvoltsystemen. Heute bringe ich das selbst den jungen Leuten bei.

Dieser Text hier ist kein Hochglanz-Testbericht. Ich will dir mein Wissen aus dem Werkstattalltag mitgeben. Ohne Marketing-Blabla. Ich erkläre dir, worauf es bei einem E-Auto wirklich ankommt, was unter dem Blech steckt, was kaputtgeht und was erstaunlich langlebig ist. Damit du eine gute Entscheidung treffen kannst, ganz egal, ob neu oder gebraucht.
Das Herzstück: Den Akku wirklich verstehen
Kunden fragen mich fast immer nur nach der Reichweite. Klar, die ist wichtig. Aber der Akku ist so viel mehr als nur der Tank. Er ist das komplexeste und teuerste Bauteil im ganzen Auto. Seine Gesundheit, der sogenannte „State of Health“ (SOH), entscheidet über den Wert und die Lebensdauer deines Wagens.
Ach ja, bevor wir tief einsteigen, eine kleine Eselsbrücke: Stell dir vor, die Kilowattstunde (kWh) ist die Größe deines Tanks in Litern. Sie sagt, wie viel Energie reinpasst. Das Kilowatt (kW) ist dagegen die Dicke des Zapfschlauchs – es sagt dir, wie schnell du laden kannst. Ganz einfach, oder?

Brutto vs. Netto: Die ehrliche Kapazität
Hersteller werben gerne mit der Bruttokapazität des Akkus. Sagen wir, 80 kWh. Das ist die Gesamtenergie, die theoretisch drinsteckt. Für dich im Alltag zählt aber nur die Nettokapazität – also das, was du wirklich nutzen kannst. Das sind dann vielleicht nur 75 kWh. Der Rest ist ein cleverer Puffer, den das Batteriemanagementsystem (BMS) freihält. Es verhindert, dass du den Akku auf 100 % überlädst oder auf 0 % tiefentlädst. Das schont die Zellen enorm und verlängert ihr Leben. Ein guter Verkäufer sollte dir immer beide Werte nennen können.
Die Chemie muss stimmen: LFP gegen NMC
Nicht alle Lithium-Ionen-Akkus sind gleich. Im Grunde haben sich zwei Haupttypen durchgesetzt, und die Wahl zwischen ihnen hat echte Auswirkungen auf deinen Alltag.
- NMC (Nickel-Mangan-Cobalt): Das sind die Sprinter. Sie haben eine hohe Energiedichte, packen also viel Energie auf kleinem Raum. Das Ergebnis: weniger Gewicht und mehr Reichweite. Der Haken? Sie mögen es nicht, ständig auf 100 % geladen oder fast leer zu sein und enthalten teure Rohstoffe. Diese Akkus findest du oft in Modellen von VW, Hyundai, Kia oder bei den reichweitenstärkeren Teslas.
- LFP (Lithium-Eisenphosphat): Das sind die robusten Alltagshelden. Du kannst sie ohne Bedenken immer auf 100 % laden, das macht ihnen kaum was aus. Sie sind sicherer, langlebiger und kommen ohne Kobalt aus. Der Nachteil: Ihre Energiedichte ist geringer, sie sind also schwerer und größer für die gleiche Kapazität. Und bei Kälte spürst du den Leistungsverlust etwas deutlicher. LFP-Akkus stecken zum Beispiel oft im Basis-Tesla Model 3, im MG4 oder in vielen Modellen von BYD.
Welcher Typ für dich besser ist? Fährst du oft Langstrecke, ist NMC super. Bist du eher der tägliche Pendler, der zu Hause lädt, ist ein LFP-Akku vielleicht die sorgenfreiere Wahl.

Akku-Alterung: Ein Prozess, den du steuern kannst
Jeder Akku verliert mit der Zeit an Kapazität. Das ist Physik, das ist normal. Die gute Nachricht: Du hast es zu einem großen Teil selbst in der Hand. Die größten Feinde deines Akkus sind extreme Hitze und ständiges Schnellladen (DC-Laden). Meine drei goldenen Regeln für Kunden sind daher immer:
- Langsam laden im Alltag: Die Wallbox zu Hause (AC-Laden) ist der beste Freund deines Akkus. Das ist die schonendste Art, ihn zu füllen.
- Extreme meiden: Park im Sommer wenn möglich im Schatten. Lass das Auto nie wochenlang mit 100 % oder fast 0 % stehen. Der Wohlfühlbereich liegt zwischen 20 % und 80 %.
- Schnelllader clever nutzen: Auf der Langstrecke sind DC-Lader genial. Aber sie sind wie Kraftsport für den Akku. Nutze sie, wenn du sie brauchst, nicht aus Bequemlichkeit jeden Tag.
Kleiner Quick-Win für dich: Geh doch mal zu deinem Auto oder in die App und stell das Ladelimit für den Alltag auf 80 %. Dein Akku wird es dir mit einem langen Leben danken!

Der Antrieb: Weniger Teile, aber feine Unterschiede
Ein Elektromotor ist bestechend einfach. Kein Ölwechsel, kein Zahnriemen, keine Kupplung. Das macht ihn extrem wartungsarm. Trotzdem gibt es auch hier Technik, die den Unterschied macht.
Synchron- oder Asynchronmotor?
Die meisten Hersteller setzen heute auf permanenterregte Synchronmotoren (PSM). Die haben starke Dauermagnete im Inneren, was sie super effizient macht, gerade im Stadtverkehr. Sie sind kompakt und liefern sofort volle Power. Ihr kleiner Nachteil ist der Einsatz von seltenen Erden für die Magnete.
Andere, wie zum Beispiel einige Premiumhersteller bei ihren ersten großen Modellen, haben anfangs auf Asynchronmotoren (ASM) gesetzt. Die kommen ohne seltene Erden aus und sind quasi unkaputtbar. Ihr Clou: Wenn sie keinen Strom bekommen, drehen sie fast widerstandslos mit. Ideal für Allradsysteme, bei denen ein Motor auf der Autobahn einfach „segeln“ kann, um Strom zu sparen. Im Alltag spürst du davon als Fahrer kaum etwas, aber es zeigt, wie die Ingenieure unterschiedliche Prioritäten setzen.

Rekuperation: Die Kunst des Energiegewinnens
Das ist einer der größten Vorteile eines E-Autos! Wenn du vom Strompedal gehst oder bremst, wird der Motor zum Generator und schaufelt Energie zurück in den Akku. Das steigert die Reichweite enorm, vor allem in der Stadt. Viele Autos bieten das „One-Pedal-Driving“ an, bei dem die Rekuperation so stark ist, dass du die Bremse fast nie brauchst. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber extrem effizient. Probier einfach aus, was sich für dich am besten anfühlt.
Die Realität des Ladens: Zwischen Wallbox und Schnelllader
Ein E-Auto ist nur so gut wie seine Lademöglichkeiten. Das ist die größte Umstellung. Man plant das Laden in den Alltag ein, statt in fünf Minuten vollzutanken.
AC-Laden: Die Basis für jeden Tag
Zu Hause an der Wallbox lädst du mit Wechselstrom (AC). Die gängige Leistung liegt bei 11 kW. Aber Achtung, hier lauert eine häufige Falle: Einige günstigere oder ältere Modelle können nur einphasig laden. Das bedeutet, dass sie an einer normalen 11-kW-Wallbox nur mit mageren 3,7 kW (oder maximal 4,6 kW) laden. Ein Ladevorgang dauert dann ewig. Achte beim Kauf also unbedingt darauf, dass das Auto dreiphasig laden kann!

DC-Laden: Der Turbo für die Reise
An der Autobahn lädst du mit Gleichstrom (DC) direkt in den Akku. Hier sind Leistungen bis weit über 200 kW möglich. Aber lass dich nicht von der maximalen Ladeleistung blenden. Wichtiger ist die Ladekurve. Ein Auto, das vielleicht „nur“ 150 kW Spitze hat, diese Leistung aber lange hält, kann schneller wieder auf der Straße sein als ein anderes, das kurz 250 kW erreicht und dann sofort einbricht. Relevant ist immer die Zeit von 10 % auf 80 %.
Die Temperatur ist alles!
Ich hatte neulich einen Kunden in der Werkstatt, der sich im Winter furchtbar über die lahme Ladegeschwindigkeit seines neuen Autos aufgeregt hat. Die Ursache? Die Batterie war eiskalt. Ein Lithium-Ionen-Akku arbeitet am liebsten bei kuscheligen 20-30 Grad. Ist er zu kalt, regelt das System die Ladeleistung massiv runter, um die Zellen zu schützen. Gute E-Autos haben deshalb eine Batterie-Vorkonditionierung. Wenn du im Navi eine Ladesäule als Ziel eingibst, heizt das Auto den Akku auf dem Weg dorthin vor. Das macht einen riesigen Unterschied! Wenn du oft im Winter Langstrecke fährst, ist dieses Feature Gold wert.

Wärmemanagement: Der stille Held der Reichweite
Ein Verbrenner ist eine Heizung auf Rädern, er produziert massig Abwärme. Ein E-Motor ist dagegen super effizient und wird kaum warm. Das ist toll für den Antrieb, aber eine Katastrophe für die Heizung im Winter.
Einfache Stromer haben eine simple elektrische Heizung. Die zieht Strom wie ein Fön und kann deine Reichweite im Winter locker um 30 % oder mehr reduzieren. Bessere Modelle haben eine Wärmepumpe. Die sammelt clever Wärme aus der Umgebungsluft und von den Antriebskomponenten und pumpt sie in den Innenraum. Das ist drei- bis viermal effizienter!
Um das mal greifbar zu machen: Nehmen wir ein Auto mit 400 km Sommerreichweite. Ohne Wärmepumpe bleiben dir bei Frost vielleicht nur noch 250 km. Mit einer guten Wärmepumpe können es aber oft noch über 300 km sein. Ein riesiger Unterschied! In unserem Klima ist eine Wärmepumpe fast schon Pflicht.
Wartung und Kosten: Was in der Werkstatt wirklich anfällt
Der Mythos vom komplett wartungsfreien E-Auto? Stimmt so nicht. Es ist wartungsärmer, ja, aber nicht frei von Sorgen. Da muss ich als Meister ehrlich sein.
Achtung, Falle: Die kleine 12-Volt-Batterie
Ganz ehrlich, eine der häufigsten Pannen, wegen denen E-Autos bei uns landen, hat nichts mit dem riesigen Fahrakku zu tun. Es ist die winzige 12-Volt-Batterie, wie du sie aus jedem Verbrenner kennst. Sie versorgt die Bordelektronik – und wenn die schlappmacht, ist das Auto tot. Mausetot. Da kannst du einen vollen Hauptakku haben, aber der Wagen lässt sich nicht mal mehr aufschließen. Ein oft übersehenes, aber super wichtiges Bauteil!
Was sonst noch anfällt
- Bremsen: Hier ist nicht Verschleiß das Problem, sondern Rost. Durch die starke Rekuperation gammeln die Bremsscheiben oft vor sich hin. Mein Tipp: Ab und zu mal bewusst kräftig bremsen, um alles sauber zu halten.
- Reifen: E-Autos sind schwer und haben sofort volles Drehmoment. Das frisst Reifen. Achte auf gute Qualität und den richtigen Luftdruck.
- Fahrwerk: Das hohe Gewicht belastet auch alle Gelenke und Dämpfer. Eine regelmäßige Kontrolle ist wichtig.
- Kühlsystem: Das System, das den Akku kühlt und heizt, braucht auch Kühlflüssigkeit, die altert. Das sollte man im Blick behalten.
Und was kostet der Spaß?
Hier die gute Nachricht: Die laufende Inspektion ist meist deutlich günstiger. Eine kleine Jahresinspektion kostet für ein E-Auto oft nur zwischen 150 € und 250 €. Beim vergleichbaren Verbrenner bist du mit Ölwechsel und Co. schnell bei 400 € oder mehr. Das läppert sich.
Aber sei gewarnt: Wenn nach der Garantiezeit doch mal was am Hochvoltsystem kaputtgeht, kann es teuer werden. Ein defekter Ladeanschluss kann je nach Modell und Aufwand schon mal mit 500 € bis 1.500 € zu Buche schlagen. Zum Glück sind die Hauptkomponenten wie der Akku selbst meist sehr robust. Echte Akkudefekte sehen wir in der Werkstatt extrem selten.
Gebrauchtkauf: So gehst du auf Nummer sicher
Ein gebrauchtes E-Auto kann ein super Deal sein. Aber der Akku ist eine Wundertüte. Deshalb hier mein Schlachtplan für dich:
- Finde die richtige Werkstatt. Du brauchst einen Betrieb mit „HV-Qualifikation“. Frag am Telefon gezielt danach, nicht jede Werkstatt darf das!
- Mach einen Termin für einen Akku-Check. Das kostet in der Regel zwischen 80 € und 150 €. Das ist das bestinvestierte Geld beim Gebrauchtwagenkauf, glaub mir.
- Versteh das Protokoll. Du bekommst einen Ausdruck mit dem „State of Health“ (SOH) in Prozent. Bei einem drei bis vier Jahre alten Auto ist alles über 90 % ein super Wert. Fällt der SOH unter 80 %, solltest du sehr vorsichtig sein oder verhandeln.
- Prüfe die Ladehistorie und die Anschlüsse. Frag den Vorbesitzer, ob er oft schnellgeladen hat. Und schau dir die Ladebuchse am Auto genau an. Alles sauber und unbeschädigt?
Mit diesem Vorgehen minimierst du das Risiko eines teuren Fehlkaufs erheblich.
Mein Fazit aus der Werkstatt
Die Elektromobilität ist eine faszinierende Technik, die unsere Autos von Grund auf verändert. Als Handwerker sehe ich die Vorteile jeden Tag: weniger Verschleißteile, ein unglaublich ruhiges und kraftvolles Fahrgefühl und – mit dem richtigen Strom – auch eine saubere Sache.
Aber geh die Sache mit Verstand an. Lass dich nicht von Reichweiten-Zahlen blenden. Schau auf die Technik dahinter: Akku-Typ, Wärmemanagement, Ladefähigkeiten. Überleg dir ehrlich, was dein Alltag erfordert. Ein gut gebautes E-Auto wird dir viele Jahre ein treuer Begleiter sein. Und wir in den Werkstätten geben unser Bestes, um diese spannende Technik am Laufen zu halten.

