Ökostrom-Wechsel: So geht’s richtig – Ein ehrlicher Leitfaden aus der Werkstatt

von Augustine Schneider
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„Meister, was ist eigentlich mit diesem Ökostrom? Lohnt sich das wirklich?“ Diese Frage höre ich in meiner Werkstatt und auf Baustellen immer öfter. Früher ging es um Sicherungen und Steckdosen, heute geht’s ums große Ganze. Und ganz ehrlich: Ich sehe oft eine Mischung aus gutem Willen und totaler Verwirrung. Die Werbung verspricht eine grüne Welt, aber die Realität ist technischer und braucht eine ehrliche Erklärung.

Ich bin seit über 20 Jahren im Elektro-Handwerk. Ich habe Anlagen installiert, von der einfachen Hausinstallation bis zu komplexen Systemen mit Photovoltaik und Speichern. Und ich habe meinen Lehrlingen immer eingebläut: Strom kommt nicht einfach so aus der Wand. Er hat einen Ursprung. Und genau dieser Ursprung ist entscheidend. Also, schnappen wir uns mal den Werkzeugkoffer und schauen uns das Thema mal ganz ohne Werbe-Blabla an.

1. Kommt bei mir wirklich Ökostrom an? Die knallharte Wahrheit

Die erste Lektion ist die wichtigste und vielleicht auch die ernüchterndste: Der Strom, der physisch aus deiner Steckdose kommt, ist immer ein Mix. Stell dir das deutsche und europäische Stromnetz wie einen riesigen See vor, den „Stromsee“. In diesen See fließt alles rein: Strom aus dem Windrad an der Küste, aus dem Atomkraftwerk in Frankreich und dem Kohlekraftwerk in Polen. Wenn du bei dir zu Hause einen Eimer Wasser aus diesem See holst, kannst du unmöglich sagen, welche Tropfen aus welcher Quelle stammen.

photovoltaik sonnenanlage ökostrom

Der Strom bei dir ist also physikalisch immer derselbe Graustrom-Mix.

„Moment mal!“, wirst du jetzt sagen. „Wofür bezahle ich dann?“ Und das ist der entscheidende Punkt.

Der geniale Trick: Das System der Herkunftsnachweise

Wenn wir von Ökostrom sprechen, meinen wir einen bilanziellen Vorgang. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Für jede Kilowattstunde (kWh) Ökostrom, die du verbrauchst, muss dein Anbieter beweisen, dass genau diese Menge Strom aus einer erneuerbaren Quelle (Sonne, Wind, Wasser) ins Netz eingespeist wurde.

Dieser Beweis funktioniert über sogenannte Herkunftsnachweise (HKN). Das sind im Grunde digitale Geburtsurkunden für sauberen Strom. Für jede Megawattstunde Ökostrom, die ein Windrad erzeugt, wird ein solches Zertifikat beim Umweltbundesamt registriert. Wenn dein Anbieter dir Ökostrom verkauft, muss er ein entsprechendes Zertifikat „entwerten“, also aus dem System löschen. So ist sichergestellt, dass jede grüne Kilowattstunde nur ein einziges Mal verkauft wird.

Du kaufst also nicht die Elektronen, sondern den zertifizierten Auftrag, saubere Energie für dich zu produzieren. Und genau deshalb hat deine Entscheidung eine riesige Wirkung!

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2. Echter Ökostrom vs. grüner Anstrich: So erkennst du den Unterschied

Jetzt wird’s praktisch, denn nicht jeder Ökostromtarif treibt die Energiewende wirklich voran. Der Teufel steckt, wie so oft im Handwerk, im Detail.

Das Hauptproblem sind viele Billig-Tarife. Diese basieren oft auf Herkunftsnachweisen aus uralten, längst abgeschriebenen Wasserkraftwerken in Skandinavien. Diese Anlagen laufen seit Jahrzehnten und würden auch ohne dein Geld weiter Strom produzieren. Der Kauf dieser Zertifikate ist legal, schafft aber keine einzige neue, saubere Anlage. Es ist im Grunde nur ein Umetikettieren von Strom, der eh schon da ist.

Dein Kompass im Tarifdschungel: Die richtigen Gütesiegel

Um sicherzugehen, dass dein Geld wirklich etwas bewegt, solltest du auf Gütesiegel achten, die weit über den gesetzlichen Mindeststandard hinausgehen. Vergiss die unzähligen TÜV-Siegel – die bestätigen oft nur den Status quo. Wirklich wichtig sind vor allem zwei Labels:

  • Das „Grüner Strom“-Label: Getragen von Umweltverbänden wie NABU und BUND. Anbieter müssen hier nicht nur 100 % Ökostrom liefern, sondern pro verkaufter Kilowattstunde einen festen Betrag (aktuell mindestens 0,5 Cent) direkt in den Bau neuer Öko-Anlagen investieren. Außerdem dürfen sie keine Beteiligungen an Atom- oder Kohlekraftwerken haben. Das ist die Königsklasse.
  • Das „ok-power“-Label: Ähnlich streng und von der Verbraucherzentrale NRW unterstützt. Hier muss ein großer Teil des Stroms aus sehr jungen Kraftwerken stammen und es gibt ebenfalls Förderbeträge für den Ausbau.

Anbieter, die solche Siegel tragen, bieten echten Mehrwert. Konkrete Namen, die hier oft vorne mit dabei sind, sind zum Beispiel Naturstrom, EWS Schönau, Greenpeace Energy oder auch Polarstern. Das sind die, die wirklich was bewegen wollen.

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Checkliste für deinen Vertrag: Worauf du achten musst

Ein guter Handwerker prüft sein Material. Du solltest deinen Vertrag genauso prüfen. Achte auf diese drei Dinge:

  • Laufzeit: Finger weg von 24-Monats-Verträgen! Maximal 12 Monate oder noch besser eine monatliche Kündigungsfrist geben dir die nötige Flexibilität.
  • Preisgarantie: Eine „Netto-Preisgarantie“ ist oft wertlos, da Steuern und Abgaben, der größte Teil des Preises, nicht enthalten sind. Suche nach einer möglichst umfassenden Garantie.
  • Neukundenbonus: Klingt super, ist aber oft ein Köder. Rechne immer den Preis fürs zweite Jahr aus. Seriöse Anbieter überzeugen durch einen fairen Arbeitspreis, nicht durch kurzfristige Lockvögel.

3. Strom von nebenan: Regionale Power nutzen

Die Energiewende findet oft im Kleinen statt. Und da gibt es ein paar richtig coole Ansätze.

Mieterstrom: Die Revolution auf dem Mietshausdach

Lange war es für Mieter schwer, direkt von Solarstrom zu profitieren. Mit Mieterstrom-Modellen ändert sich das. Wenn auf dem Dach eine PV-Anlage installiert wird, können die Mieter den Strom direkt kaufen – meist günstiger als aus dem Netz, weil einige Abgaben wegfallen.

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Kleiner Tipp für dich als Mieter: Sei proaktiv! Oft braucht die Hausverwaltung nur einen kleinen Schubs. Eine einfache Mail kann da schon Wunder wirken. Versuch’s mal damit:

„Sehr geehrte Hausverwaltung, ich habe gelesen, dass Mieterstrommodelle eine tolle Sache für Mieter und Vermieter sein können. Gibt es bereits Pläne, eine Photovoltaik-Anlage auf unserem Dach zu installieren, um uns allen günstigere und saubere Energie zu ermöglichen? Ich wäre sehr daran interessiert.“

Damit zeigst du Interesse und bringst den Stein ins Rollen.

Bürgerenergie & Regionalstrom

In vielen Regionen schließen sich Menschen zu Bürgerenergiegenossenschaften zusammen, um eigene Windräder oder Solarparks zu bauen. Das schafft nicht nur saubere Energie, sondern die Wertschöpfung bleibt auch direkt vor Ort. Eine super Sache!

Ein neuerer Trend ist Regionalstrom. Hier kannst du über spezielle Plattformen Strom direkt von einem Bauern mit Biogasanlage oder einem Windparkbetreiber aus deiner unmittelbaren Umgebung (z.B. 50 km Umkreis) beziehen. Das macht die ganze Sache viel persönlicher und transparenter.

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4. Jetzt aber ran an den Wechsel: So einfach geht’s wirklich

Die größte Sorge vieler: „Ist das nicht kompliziert? Oder stehe ich am Ende ohne Strom da?“ Als Fachmann kann ich dich beruhigen: Der Wechsel ist kinderleicht und absolut sicher.

Mythos Kosten: Ist Ökostrom wirklich teurer?

Pauschal: Nein. Es kommt drauf an. Bist du noch im Grundversorgungstarif deines lokalen Stadtwerks? Dann wirst du mit einem Wechsel zu einem guten Ökostromanbieter fast immer Geld sparen. Die Grundversorgung ist quasi der Notfall-Tarif und fast immer der teuerste.

Lass uns das mal durchrechnen: Eine Familie mit 3.500 kWh Jahresverbrauch zahlt im Grundtarif oft happige 45 Cent/kWh oder mehr. Das macht 1.575 € im Jahr. Ein guter, zertifizierter Ökostromtarif kostet aktuell vielleicht 35 Cent/kWh. Das sind dann 1.225 €. Zack, über 300 Euro gespart! Dafür kann man schon einen netten Kurzurlaub machen.

Letztens war ich bei einem Kunden, der sich schwarz geärgert hat, wie viel er jahrelang zu viel bezahlt hat. Wir haben den Wechsel in 10 Minuten am Laptop erledigt, und er spart jetzt jeden Monat bares Geld.

Deine Werkzeugkiste für den Wechsel

Alles, was du brauchst, ist Folgendes:

  • Deine letzte Stromrechnung: Da stehen dein Jahresverbrauch und deine Zählernummer drauf.
  • Ein gutes Vergleichsportal: Du kannst die Großen wie Check24 oder Verivox nutzen. Aber Achtung! Filtere dort unbedingt aktiv nach den empfohlenen Gütesiegeln („Grüner Strom“ / „ok-power“). Die Voreinstellungen locken oft mit Billig-Anbietern ohne echten Mehrwert. Besser sind Portale wie Utopia.de, die von vornherein eine nachhaltige Auswahl treffen.
  • 10 Minuten Zeit. Mehr nicht.

Der Ablauf ist immer gleich: Anbieter auf dem Portal aussuchen, Antrag online ausfüllen, fertig. Dein neuer Anbieter kündigt für dich beim alten Versorger und regelt den ganzen Papierkram. Du musst nichts weiter tun.

Das Sicherheitsnetz: Kein Stromausfall, garantiert!

Die wichtigste Info: Es kann beim Wechsel zu keinem Stromausfall kommen. Die Versorgung ist in Deutschland gesetzlich garantiert. Sollte im schlimmsten Fall (was quasi nie passiert) etwas schiefgehen, springt automatisch dein Grundversorger ein. Du merkst davon nichts. Der Wechsel ist nur eine Änderung auf dem Papier.

5. Für Fortgeschrittene: Wenn du noch mehr willst

Für viele ist der Ökostrom-Bezug nur der erste Schritt. Eine eigene PV-Anlage auf dem Dach ist natürlich der direkteste Weg zur Energiewende. Den überschüssigen Strom speist du ein, und was du nachts oder an trüben Tagen brauchst, beziehst du von deinem Ökostromanbieter. So wird ein Schuh draus.

Und ach ja, das E-Auto: Es ist nur so sauber wie der Strom, den es lädt. Ein E-Auto mit Kohlestrom zu laden, ist nur eine Verlagerung des Problems. Mit echtem Ökostrom, am besten über einen speziellen Autostromtarif, der nachts günstiger ist, wird die Sache rund.

Ein letztes Wort aus der Praxis

Sei bitte extrem vorsichtig bei Haustürgeschäften. Kein seriöser Anbieter schickt heute noch Leute unangekündigt los, um Verträge zu verkaufen. Gib niemals deine Zählernummer oder andere Daten an der Tür heraus!

Und bleib in Bewegung. Der Strommarkt ändert sich. Schau alle ein, zwei Jahre mal nach, ob dein Tarif noch passt. Treue wird hier leider selten belohnt.

Der Wechsel zu einem echten Ökostromanbieter ist eine der einfachsten und wirksamsten Entscheidungen für den Klimaschutz, die du treffen kannst. Es kostet dich nur ein paar Minuten, aber es sendet ein klares Signal an den Markt. Es geht nicht um Ideologie, sondern um saubere Technik und eine bewusste Entscheidung für die Zukunft.

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.