Wenn Möbel Wellen schlagen: Ein ehrlicher Blick hinter die Kulissen kinetischer Kunstwerke

von Mareike Brenner
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In meiner Werkstatt habe ich schon so einiges gesehen. Möbel, die praktisch sind, Möbel, die einfach nur schön sind, und manchmal – wenn man Glück hat – Stücke, die beides vereinen. Und dann gibt es da noch diese ganz seltene Sorte: Möbel, die eine Geschichte erzählen und einen ins Staunen versetzen. Ein berühmtes Beispiel ist dieses wellenförmige Sideboard, das seit einiger Zeit durchs Netz geistert. Ihr wisst schon, das Ding, das sich wie eine sanfte Welle öffnet.

Als ich das zum ersten Mal sah, war der Tischlermeister in mir sofort hellwach. Klar, die Optik ist der Hammer. Aber was mich wirklich gepackt hat, war die Frage: Wie zum Teufel funktioniert das? Denn hinter dieser fließenden, fast magischen Bewegung steckt eine mechanische Meisterleistung, die es in sich hat.

Viele sehen nur das elegante Design. Ich sehe hunderte, exakt gefertigte Einzelteile. Ich sehe die Physik des Holzes, die hier bis an ihre Grenzen ausgereizt wird. Und ganz ehrlich? Ich sehe auch die potenziellen Probleme. In diesem Artikel zerlegen wir so ein kinetisches Möbel mal in seine Einzelteile – und zwar aus der knallharten Perspektive der Werkstatt. Wir reden über die Mechanik, die Tücken des Materials und die Frage, ob so etwas im Alltag überhaupt bestehen kann.

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Das Geheimnis der Bewegung: Mehr als nur ein paar Scharniere

Auf den ersten Blick wirkt es wie Zauberei. Du schiebst eine Seite an, und eine starre Kiste verwandelt sich in eine offene Welle. Aber Magie gibt es in der Tischlerei selten. Was es gibt, ist clevere Ingenieurskunst und ein tiefes Verständnis für Physik.

Das Prinzip der gekoppelten Lamellen

Stell dir das Herzstück so vor: Eine ganze Reihe einzelner, senkrechter Holzlamellen stehen nebeneinander. Jede einzelne davon kann sich um ihre eigene Achse drehen. Der eigentliche Clou ist aber, dass sie alle miteinander verbunden sind. Man kann es sich ein bisschen wie eine extrem komplexe Jalousie oder einen alten Rollladen-Schreibtisch vorstellen. Bewegst du eine Lamelle, geben unsichtbare Verbindungen diesen Impuls an die nächste weiter – und so entsteht diese faszinierende Kettenreaktion.

Diese Verbindungspunkte sind alles. Meistens sind das winzige Metallstifte, die oben und unten durch die Lamellen laufen. Diese Stifte müssen zwei Dinge perfekt können: Sie müssen jede Lamelle fast reibungslos drehen lassen und sie gleichzeitig in einem absolut exakten Abstand halten. Schon eine winzige Abweichung bei einer Bohrung, und die ganze Bewegung stockt. Das ist Millimeterarbeit hoch zehn.

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Der wahre Endgegner: Das Holz selbst

Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Holz lebt, wie wir Tischler immer sagen. Es atmet. Fachlich korrekt ausgedrückt: Es ist hygroskopisch. Das bedeutet, es nimmt Feuchtigkeit aus der Luft auf und gibt sie wieder ab. Im Sommer bei hoher Luftfeuchtigkeit dehnt es sich aus, im Winter bei trockener Heizungsluft zieht es sich zusammen. Diese Kräfte sind enorm.

Um das mal greifbar zu machen: Stellt euch eine 80 cm breite Platte aus massiver Buche vor. Bei einer starken Änderung der Luftfeuchtigkeit kann diese Platte um bis zu 4 Millimeter schrumpfen! Das würde einen so filigranen Mechanismus wie bei unserem Wellen-Sideboard komplett sprengen oder verklemmen. Garantiert.

Ein guter Handwerker muss das vorhersehen. Das geht nur mit:

  • Kluger Holzauswahl: Man braucht Holzarten, die möglichst „ruhig“ sind, also wenig arbeiten. Dazu gleich mehr.
  • Perfekter Holztrocknung: Das Holz muss vor der Verarbeitung auf die exakte Feuchtigkeit gebracht werden, die es später am Aufstellort haben wird. Das ist eine Wissenschaft für sich.
  • Konstruktivem Spielraum: Das ist die eigentliche Kunst. Man muss dem Mechanismus genau die richtige Menge „Luft“ lassen, damit er kleine Veränderungen ausgleichen kann, ohne zu klemmen oder zu klappern.
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Techniken aus der Werkstatt: Wie Präzision entsteht

So ein Möbel baust du nicht mal eben mit der Stichsäge. Hier trifft modernste Technik auf altes Handwerksgefühl. Meinen Azubis sage ich immer: „Präzision ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis von Planung, gutem Werkzeug und einer Engelsgeduld.“

Das richtige Holz für kinetische Möbel

Nicht jedes Holz spielt bei so einem Projekt mit. Wir brauchen einen Werkstoff, der möglichst formstabil ist. Ein paar Gedanken dazu:

  • Massivholz: Wenn es massiv sein soll, dann greift man zu Hölzern, die wenig auf Feuchtigkeit reagieren. Ahorn oder Birke sind hier oft eine gute Wahl, weil sie eine dichte, gleichmäßige Struktur haben. Eine rustikale Eiche mit ihren großen Poren? Eher ein Albtraum für so ein Projekt.
  • Plattenwerkstoffe: Ganz ehrlich, für das Original wurde oft Birkensperrholz oder lackiertes MDF verwendet. Und das ist ein verdammt kluger Schachzug. Diese Materialien sind extrem stabil, weil die Holzfasern kreuzweise verleimt sind. Das natürliche Arbeiten des Holzes ist damit fast ausgeschaltet. Der Nachteil? Es fehlt der Charme und die Haptik von massivem Holz.
  • Thermoholz: Eine moderne Alternative ist thermisch behandeltes Holz. Durch eine spezielle Wärmebehandlung wird es unempfindlicher gegen Feuchtigkeit. Eine super Sache, hat aber auch seinen Preis.

Die Wahl hängt also stark davon ab, ob die pure Funktion oder der Charakter des Massivholzes im Vordergrund stehen soll.

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CNC-Fräse trifft auf feine Handarbeit

Die hunderte identischer Lamellen von Hand zu fertigen, wäre Wahnsinn. Hier kommt die CNC-Fräse ins Spiel. Ein Computer steuert die Maschine und fräst jedes Teil mit einer Präzision, die von Hand unerreichbar ist. Das sichert die exakte Wiederholgenauigkeit.

Aber die Maschine macht nicht alles. Die eigentliche Kunst kommt danach:

  • Schleifen, schleifen, schleifen: Jede einzelne Lamelle muss von Hand perfekt geschliffen werden. Die Kanten werden ganz leicht „gebrochen“, also minimal abgerundet, damit sie sanft aneinander vorbeigleiten. Das spürst du mit den Fingerspitzen, nicht mit dem Auge.
  • Die Oberfläche: Ein dicker Lackfilm würde alles verkleben. Ideal ist ein Hartwachsöl, das tief einzieht, aber kaum eine Schicht bildet. Das wird in mehreren hauchdünnen Lagen aufgetragen – ein Prozess, der Tage dauern kann.
  • Die Montage: Das ist der nervenaufreibendste Teil. Alles muss perfekt ausgerichtet und justiert werden. Allein diese Feinabstimmung kann bei so einem Schrank locker 20-30 Arbeitsstunden dauern. Das macht den Preis plötzlich sehr viel verständlicher, oder?
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Und jetzt du? Ein ehrlicher DIY-Check

Kann man so etwas selbst bauen? Puh, schwierige Frage. Ich bin ja immer dafür, dass Leute Dinge ausprobieren. Aber hier muss ich eine klare Ansage machen: Ohne Zugang zu einer professionellen CNC-Fräse und wirklich solider Erfahrung in der Holzbearbeitung? Lasst lieber die Finger davon. Die Frustrationstoleranz muss hier extrem hoch sein.

Aber! Um ein Gefühl für das Prinzip zu bekommen, gibt es einen kleinen Trick:

Kleiner Tipp: Baut euch eine kleine kinetische Box mit nur 10 oder 15 Lamellen. Daran könnt ihr das Prinzip verstehen und testen, ohne gleich Material für hunderte von Euro zu versenken.

Dafür braucht ihr nicht viel. Hier eine Mini-Einkaufsliste:

  • Ein Reststück Birkensperrholz, ca. 1 qm (findet man oft im Baumarkt oder Holzfachhandel für ca. 25-30€)
  • Ein dünner Metallstab (ca. 4-6 mm Durchmesser), 1 Meter (kostet online oder im Metallhandel um die 5-10€)
  • Eine kleine Dose Hartwachsöl (ca. 15€)

Damit könnt ihr experimentieren und bekommt ein echtes Gefühl für die Herausforderung.

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Für wen ist so ein Möbel wirklich gedacht?

Ein kinetisches Möbel ist faszinierend, aber es ist kein normaler Gebrauchsgegenstand. Bevor man über eine Anschaffung nachdenkt, sollte man ein paar Dinge wissen.

Wartung, Pflege und Kosten

Die offene Mechanik ist ein Staubfänger. Der Staub wirkt in den Gelenken wie feines Schmirgelpapier. Regelmäßiges, vorsichtiges Reinigen mit einem weichen Pinsel oder Druckluft ist Pflicht. Außerdem hasst so ein Möbel schwankende Luftfeuchtigkeit. Ein Platz neben der Heizung ist der sichere Tod für die Mechanik.

Und die Kosten? Seien wir ehrlich. Ein Original vom Designer liegt schnell im fünfstelligen Bereich. Lässt man sich so ein Stück von einem Meisterbetrieb nach eigenen Wünschen anfertigen, muss man je nach Größe und Material immer noch mit 8.000€ bis 15.000€ oder mehr rechnen. Der Wert liegt hier nicht im Material, sondern in den hunderten Stunden an Entwicklungs- und Handwerksarbeit.

Qualität erkennen: Die Checkliste für Kenner

Wenn du mal die Chance hast, so ein Möbel live zu sehen, achte auf diese Details:

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  • Die Bewegung: Streiche mit der Hand darüber. Ist der Widerstand überall gleichmäßig und sanft? Oder hakt es an manchen Stellen?
  • Das Geräusch: Hör genau hin! Eine perfekte Mechanik erzeugt ein leises, sattes Rauschen. Knirschen oder Quietschen deutet auf Spannung und Ungenauigkeit hin.
  • Die Spaltmaße: Sind die Abstände zwischen den Lamellen im geschlossenen Zustand absolut gleichmäßig? Das ist ein klares Zeichen für Präzision.
  • Die Haptik: Fasse die Kanten an. Fühlen sie sich weich und perfekt an? Oder spürst du scharfe Grate? Gute Qualität kann man fühlen.

Achtung, Finger weg! Ein wichtiges Wort zur Sicherheit

Als Meister habe ich auch die Verantwortung, auf Risiken hinzuweisen. Eine Mechanik aus harten Materialien, die sich bewegt, birgt immer eine Quetschgefahr. Die schließenden Lamellen entwickeln eine beachtliche Kraft. Das ist definitiv kein Spielzeug. Besonders in einem Haushalt mit kleinen Kindern muss man sich dessen bewusst sein. Eine neugierige Kinderhand ist schnell dazwischen.

Fazit: An der Grenze zwischen Kunst, Handwerk und Wahnsinn

So ein kinetisches Sideboard ist mehr als nur Stauraum. Es ist ein Statement. Es zeigt, was möglich ist, wenn Design, Ingenieurskunst und meisterhaftes Handwerk zusammenkommen. Aus Werkstattsicht ist es eine beeindruckende, aber auch eine demütig machende Aufgabe. Man lernt, das Material bis ins kleinste Detail zu respektieren.

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Es ist ein Möbel, das Emotionen weckt und zur Interaktion einlädt. Aber es ist eben auch ein anspruchsvoller Begleiter, der Pflege und das richtige Umfeld braucht. Ob es den Test der Zeit so bestehen wird wie ein massiver Schrank aus Omas Zeiten? Das wird sich zeigen. Die handwerkliche Leistung dahinter ist aber schon heute legendär und eine riesige Inspiration für alle, die das Handwerk lieben.

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„Der Teufel steckt im Detail – und bei kinetischen Möbeln steckt er in jedem einzelnen Mikrometer.“

Dieser Satz ist in Werkstätten geflügeltes Wort. Während ein normaler Schrank eine Toleranz von einem Millimeter verzeiht, kann bei einer Kette von 100 verbundenen Lamellen schon eine Abweichung von 0,1 mm pro Stück zu einem Zentimeter Fehlpassung am Ende führen. Das Ergebnis: Die Welle stockt, die Magie ist dahin. Absolute Präzision ist hier keine Tugend, sondern die einzige Existenzgrundlage.

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Das „Wave Cabinet“ ist ein viraler Star, doch die Idee, Möbel in Bewegung zu versetzen, ist ein faszinierendes Spielfeld für Designer und Ingenieure weltweit. Wer von der Magie der Transformation begeistert ist, sollte auch diese Meisterwerke im Auge behalten:

  • Fletcher Burwell-Taylor: Sein „Fletcher Capstan Table“ ist eine Legende. Ein runder Tisch, der sich durch eine einfache Drehung vergrößert, indem neue Segmente wie von Zauberhand aus der Mitte aufsteigen. Eine Ode an die nautische Ingenieurskunst.
  • Klemens Torggler: Der österreichische Künstler erfindet die Tür neu. Seine „Evolution Door“ besteht aus kinetischen Quadraten, die sich mit einem leichten Anstoß seitlich zusammenfalten – eine fließende, fast tänzerische Bewegung ohne Scharniere im klassischen Sinn.
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Und wie klingt eigentlich pure Mechanik?

Man konzentriert sich so sehr auf die fließende Optik, dass man das auditive Erlebnis fast vergisst. Ein perfekt gefertigtes kinetisches Möbel ist selten lautlos. Stattdessen belohnt es mit einer subtilen Klangkulisse: ein leises, sattes Surren der Holzlamellen aneinander, ein präzises, kaum hörbares Klicken, wenn die Mechanik einrastet. Es ist der Sound von Hunderten perfekt aufeinander abgestimmten Teilen – das leise Flüstern absoluter Präzision.

Massivholz: Die pure, natürliche Schönheit von Eiche oder Walnuss ist unbestreitbar. Der Haken: Holz „arbeitet“. Schon geringe Schwankungen der Luftfeuchtigkeit können zu minimalem Verzug führen, der bei einer so präzisen Mechanik fatal ist.

Formsperrholz: Weniger romantisch, aber technisch überlegen. Hochwertiges Birkensperrholz, wie es etwa bei ‚Koskisen‘ zu finden ist, besteht aus kreuzverleimten Furnierschichten. Das macht es extrem formstabil – die ideale, wenn auch weniger „seelenvolle“ Basis für eine reibungslose Funktion über Jahre hinweg.

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.