Glas in Bewegung: Ein ehrlicher Blick in die Werkstatt eines Glasbläsers

von Aminata Belli
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Seit über 30 Jahren stehe ich in meiner Werkstatt. Der Geruch von Gas, heißem Metall und diesem ganz eigenen Duft von schmelzendem Glas – das ist für mich wie für andere der Duft von frischem Kaffee am Morgen. Oft kommen Leute herein, bewundern die fertigen Stücke in der Galerie und sind fasziniert von den Farben und Formen. Kürzlich zeigte mir jemand Bilder von unglaublich filigranen Kunstwerken, die aussahen wie Korallenriffe oder vom Wind gepeitschte Gräser. Die Frage kam sofort: „Wie um alles in der Welt macht man so etwas?“

Und ganz ehrlich? Die Antwort ist kein einfacher Trick. Sie liegt im tiefen Verständnis für das Material. Bevor wir auch nur daran denken, eine Welle oder eine Pflanze in Glas zu verewigen, müssen wir das Glas selbst verstehen. Wir müssen spüren, wie es atmet, wie es sich bewegt und wann es bricht. Das Erste, was ich meinen Lehrlingen beibringe, ist nicht das Blasen einer perfekten Kugel, sondern Respekt. Dieser Artikel ist für dich, wenn du hinter die Kulissen schauen und die Seele des Glases verstehen willst.

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Die geheime Physik des Glases: Warum es sich wie Honig benimmt

Viele denken, Glas sei einfach nur ein fester Stoff. Das stimmt so nicht ganz. Physikalisch gesehen ist es ein „amorpher Feststoff“. Klingt kompliziert, bedeutet aber nur: Seine Moleküle sind nicht in einem starren Gitter angeordnet wie bei einem Kristall, sondern eher chaotisch wie in einer eingefrorenen Flüssigkeit. Genau das ist unser Jackpot als Handwerker!

Wenn wir Glas erhitzen, wird es nicht plötzlich flüssig, sondern durchläuft verschiedene Launen. Es wird langsam weich, dann zäh wie warmer Honig und schließlich dünnflüssiger. Jeder Glasprofi hat diese Temperaturen im Gefühl:

  • Um die 500-550 °C: Hier fängt das Glas an, sich zu entspannen und innere Spannungen abzubauen. Das ist die absolute Schlüsselzone für das spätere, kontrollierte Abkühlen.
  • Zwischen 800-1000 °C: Das ist unser kreativer Spielplatz. Das Glas ist weich genug, um es mit Werkzeugen zu formen, zu ziehen oder zu blasen.
  • Über 1200 °C: Jetzt wird’s richtig flüssig. Schwer zu kontrollieren und eher was zum Gießen als zum filigranen Formen.
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Die richtige Glas-Wahl: Eine Frage der Chemie, nicht des Geschmacks

Du kannst nicht einfach altes Flaschenglas einschmelzen und hoffen, dass es hält. Ein häufiger Fehler, der zu Tränen (und Scherben) führt. Jedes Glas hat einen sogenannten Ausdehnungskoeffizienten (COE). Dieser Wert sagt, wie stark es sich bei Hitze ausdehnt. Kombinierst du zwei Gläser mit unterschiedlichem COE, ziehen sie sich beim Abkühlen verschieden stark zusammen. Das erzeugt Spannungen, die das Stück unweigerlich zerstören – manchmal sofort, manchmal erst Tage später.

Für die feinen, organischen Formen arbeiten wir an der Flamme hauptsächlich mit zwei Sorten:

Da ist zum einen das bunte, aber etwas sensible Weichglas (COE 104). Du kennst es vielleicht als Murano-Glas. Es schmilzt schon bei relativ niedrigen Temperaturen und die Farbpalette ist der absolute Wahnsinn. Perfekt für Perlen oder kleinere Skulpturen. Aber Achtung: Es ist eine echte Diva, was Temperaturschocks angeht. Preislich liegt ein Standard-Stab hier je nach Farbe und Hersteller zwischen 2 und 5 Euro.

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Und dann gibt es den harten Hund, das Borosilikatglas (COE 33). ‚Boro‘, wie wir es nennen, kennst du vielleicht aus dem Chemielabor. Es braucht richtig hohe Temperaturen, ist dafür aber extrem robust. Du kannst es viel länger in der Flamme bearbeiten, ohne dass es gleich Risse bekommt. Für komplexe Skulpturen, bei denen du viele Teile ansetzen musst, ist es oft die bessere und sicherere Wahl. Das ist auch im Preis spürbar, hier kannst du mit 4 bis 8 Euro pro Stab rechnen.

An der Flamme: Wo die Magie entsteht

Um die fließenden Formen von Wind und Wasser nachzubilden, stehen wir nicht am riesigen Schmelzofen, sondern arbeiten mit der sogenannten Flammenarbeit. Früher nutzte man dafür Öllampen, heute sind es leistungsstarke Brenner, die mit Propan und Sauerstoff betrieben werden.

Mein Arbeitsplatz ist simpel: ein feuerfester Tisch, darauf der Brenner. Links die Glasstäbe, sauber sortiert nach Farbe und COE. Rechts meine Werkzeuge – eine Graphitplatte, diverse Pinzetten, ein Wolframdorn. Das absolut Wichtigste ist aber die Absaugung direkt über dem Tisch. Die Dämpfe, die beim Schmelzen von Farbglas entstehen, sind alles andere als gesund. Eine gute Lüftung ist keine Option, sondern Pflicht!

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Die Kunst des Fadenziehens

Um die langen, dünnen Stränge zu erzeugen, die an Seegras erinnern, nutzen wir eine Grundtechnik: das Ziehen von Fäden, auch „Stringer“ genannt. Man erhitzt das Ende eines Glasstabs zu einer glühenden Kugel, tippt mit einem zweiten Stab hinein und zieht beide dann gleichmäßig auseinander. Je schneller du ziehst, desto dünner der Faden.

Das klingt einfach, erfordert aber tausende Wiederholungen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Meinen Lehrlingen sage ich immer: „Macht erst mal einen Kilometer Fäden. Dann reden wir weiter.“ Aber lass dich davon nicht entmutigen! Dein erstes Erfolgserlebnis könnte sein, einfach mal einen Tropfen Glas zu schmelzen und ihn auf einem Metallstab zu einer herrlich unförmigen, aber selbstgemachten Perle zu drehen. Allein dieses Gefühl ist unbezahlbar.

Das Zusammensetzen: Die Stunde der Wahrheit

Die größte Herausforderung ist das Fügen der Teile. Man kann die erkalteten Elemente nicht einfach wieder heiß machen und aneinanderschmelzen – der Temperaturschock würde sie sofort sprengen. Bei kleineren Objekten fügen erfahrene Profis die Teile direkt in der Flamme zusammen, was aber enorme Geschicklichkeit erfordert.

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Bei großen, komplexen Skulpturen ist die gängige Methode das „kalte Fügen“. Die Einzelteile werden fertig ausgekühlt und dann mit speziellen Klebstoffen auf einer Trägerplatte montiert. Hier wird nicht geschummelt, sondern smart gearbeitet. Profis greifen oft zu hochtransparenten, UV-härtenden Acrylatklebern, wie man sie zum Beispiel von Marken wie Loctite kennt. Die sind bombenfest und später praktisch unsichtbar.

Sicherheit zuerst: Die unromantische, aber überlebenswichtige Seite

Glaskunst wirkt leicht und elegant. Der Weg dorthin ist aber heiß und nicht ungefährlich. Respekt vor der Gefahr ist überlebenswichtig.

Die häufigste Anfängerverletzung? Nach einem Werkzeug greifen, das man gerade noch im Feuer hatte. Auch Glas, das nicht mehr glüht, kann noch hunderte Grad heiß sein. Und noch ein Tipp aus der Praxis: Trag immer Kleidung aus Baumwolle oder Leinen. Synthetik-Stoffe können bei Kontakt mit einem heißen Glasspritzer schmelzen und sich übel in die Haut brennen. Geschlossene Schuhe sind ebenfalls Pflicht!

Noch wichtiger: Augenschutz ist nicht verhandelbar. Die Flamme selbst ist schon hell, aber das grelle, gelb-orange Licht, das beim Schmelzen von Glas entsteht, ist das eigentliche Problem. Es blendet und die Infrarot- und UV-Strahlung schädigt auf Dauer die Augen. Wir tragen deshalb spezielle Schutzbrillen mit Didymium-Gläsern, die genau dieses Licht filtern. Eine normale Sonnenbrille reicht nicht!

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Und dann kommt der wichtigste Punkt, den viele Amateure übersehen: die Kunst des Kühlens. Ein fertiges Glasobjekt darf NIEMALS einfach an der Luft abkühlen. Dabei entstehen massive Spannungen. Es ist eine Zeitbombe. Ich werde nie vergessen, wie mir mal ein fast fertiges, wirklich komplexes Stück – ich hatte tagelang daran gesessen – einfach auf dem Tisch zersprungen ist, weil ich dachte, ich könnte mir den langen Weg über den Temperofen sparen. Das Geräusch, dieses leise „Tink!“, gefolgt von einem Netz aus Rissen… das vergisst du nie. Jedes fertige Stück muss in einen speziellen Ofen, wo es langsam und kontrolliert über Stunden oder sogar Tage abkühlt. Nur so wird es stabil und langlebig.

Praktische Tipps für alle, die es jetzt wirklich wissen wollen

Vielleicht hat dich das alles nicht abgeschreckt, sondern erst recht neugierig gemacht. Fantastisch! Aber sei realistisch, bevor du loslegst.

Die ehrlichen Kosten

Eine sichere Grundausstattung ist keine Kleinigkeit. Rechne grob mit folgenden Posten:

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  • Ein guter Brenner: ab 300 Euro aufwärts
  • Gas- und Sauerstoffversorgung: Flaschenmiete oder ein Sauerstoffkonzentrator (ab ca. 800 Euro)
  • Eine leistungsstarke Absaugung: unter 500 Euro wird es sicherheitstechnisch heikel
  • Ein Temperofen (absolut unverzichtbar!): kleine Modelle starten bei ca. 1.000 Euro
  • Werkzeuge, Schutzbrille & Co.: nochmal 200-300 Euro
  • Glasstäbe als Verbrauchsmaterial: Das läppert sich schnell.

Du landest also schnell bei mehreren tausend Euro für einen sicheren Start. Alles darunter sind oft gefährliche Kompromisse.

Wo fängt man am besten an?

Ganz ehrlich? Such dir einen Wochenend-Workshop. Bevor du auch nur einen Cent für Ausrüstung ausgibst, probier es unter Anleitung aus. In Regionen mit langer Glastradition wie Lauscha in Thüringen oder dem Bayerischen Wald gibt es oft tolle Werkstätten, die Schnupperkurse anbieten. Google einfach mal „Glasbläserkurs Anfänger“ oder „Perlen drehen Workshop“. Die Investition von 100 bis 250 Euro für einen Tag bewahrt dich vor teuren Fehlkäufen und einer Menge Frust.

Wenn du dann sicher bist, dass es deins ist, brauchst du Material. Gute Anlaufstellen sind spezialisierte Online-Händler für Künstlerglas und Glasbläserbedarf in Deutschland oder der EU. Such einfach nach Begriffen wie „Glasstäbe COE 104 kaufen“ oder „Borosilikat Werkzeug“, um die richtigen Shops zu finden.

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Die Fähigkeit, die flüchtige Schönheit der Natur in Glas zu bannen, ist eine der höchsten Formen unserer Kunst. Sie erfordert Wissen, Übung und Geduld. Und wenn am Ende ein Stück entsteht, das im Licht tanzt und eine Bewegung für die Ewigkeit festhält, dann weißt du ganz genau, warum du all die Mühe, die verbrannten Finger und die zerbrochenen Versuche auf dich genommen hast.

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Woher kommen all die leuchtenden Farben im Glas?

Farbe im Glas ist eine echte Alchemie. Glasbläser fügen dem klaren, geschmolzenen Glas Metalloxide hinzu, um verschiedene Töne zu erzeugen: Kobalt für tiefes Blau, Gold für ein sattes Rubinrot oder Kupfer für Grün. Diese Farben werden oft in Form von feinem Pulver (Farbfritten), Stäben (Rods) oder Spänen direkt auf die heiße Glasmasse aufgetragen. Durch Drehen und weiteres Erhitzen verschmelzen die Pigmente mit der Oberfläche und schaffen so die unendlichen Muster und Schattierungen, die jedes Stück einzigartig machen. Renommierte Hersteller wie Bullseye Glass Co. oder Reichenbach bieten eine riesige Palette für Künstler an.

Im 13. Jahrhundert wurden die Glasbläser Venedigs auf die Insel Murano verbannt – angeblich, um die Brandgefahr für die Stadt zu verringern.

Der wahre Grund war jedoch, die wertvollen und streng gehüteten Techniken der Glasherstellung zu monopolisieren. Einem Glasbläser war es bei Todesstrafe verboten, die Insel ohne Erlaubnis zu verlassen. Dieses Erbe der Geheimhaltung und des meisterlichen Könnens prägt die Welt der Glaskunst bis heute.