Fliesen streichen statt rausreißen? So klappt’s im Bad WIRKLICH (Anleitung vom Profi)
Ich habe in meiner Laufbahn als Handwerksmeister unzählige Bäder gesehen. Manche waren echte Schmuckstücke, andere … naja, eher Denkmäler für gut gemeinte Heimwerker-Katastrophen. Eine der häufigsten Fragen, die mir begegnet, ist: „Kann man diese hässlichen Fliesen nicht einfach überstreichen?“
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Die Physik des Scheiterns: Warum normale Farbe auf Fliesen einfach abperlt
- 0.2 Gute Idee oder rausgeschmissenes Geld? Wann sich das Streichen lohnt
- 0.3 Werkzeug & Material: Hier entscheidet sich alles
- 0.4 Die Profi-Anleitung: Schritt für Schritt zum neuen Bad-Look
- 0.5 Was kostet der Spaß? Eine ehrliche Rechnung
- 0.6 Hilfe, ein Malheur! Was tun, wenn…?
- 0.7 Damit’s schön bleibt: Die richtige Pflege danach
- 0.8 Mein ehrliches Fazit
- 1 Bildergalerie
Die kurze Antwort ist: Ja, kann man. Aber die ehrliche Antwort ist ein ganzes Stück länger. Denn Fliesen zu beschichten ist keine simple Malerarbeit, bei der man mal eben mit der Rolle drübergeht. Es ist ein technischer Prozess, der Sorgfalt, das richtige Material und vor allem ein bisschen Verständnis für die Chemie dahinter erfordert.
Viele Anleitungen im Netz versprechen dir eine schnelle Lösung. Ich habe aber zu oft die Ergebnisse gesehen: abblätternde Farbe in der Dusche, Kratzer auf dem Boden nach wenigen Wochen und jede Menge Frust. Deshalb will ich hier mal Tacheles reden und mein Wissen aus der Praxis teilen. Das hier wird keine „In 5 Minuten zum Traumbad“-Anleitung, sondern ein ehrlicher Einblick, wie Profis die Sache angehen. Richtig gemacht, ist es eine super Übergangslösung. Falsch gemacht, schaffst du dir nur neue, teure Probleme.

Die Physik des Scheiterns: Warum normale Farbe auf Fliesen einfach abperlt
Um zu kapieren, wie es richtig geht, müssen wir erstmal verstehen, warum es so oft schiefgeht. Eine Keramikfliese ist ein kleines Wunderwerk der Abweisung. Ihre Glasur ist im Grunde geschmolzenes Glas – extrem dicht, glatt und null saugfähig. Normale Wandfarbe, die du für deine Raufaser nimmst, braucht aber einen saugfähigen Untergrund. Sie trocknet, indem Wasser verdunstet, und krallt sich dabei in die Poren der Wand.
Auf einer Fliese findet sie absolut keinen Halt. Sie liegt nur lose obendrauf wie ein Tischtuch. Das eigentliche Problem ist also die Haftung, die sogenannte Adhäsion. Wir müssen eine bombenfeste Brücke zwischen der glatten Fliese und der neuen Farbe bauen. Und diese Brücke hat zwei Pfeiler:
- Mechanische Haftung: Wir rauen die Fliesenoberfläche an. Durch feines Schleifen erzeugen wir mikroskopisch kleine Kratzer und Täler. Stell es dir wie einen Klettverschluss im Mini-Format vor. In diese winzigen Vertiefungen kann sich die Grundierung physikalisch reinkrallen.
- Chemische Haftung: Das ist der magische Teil, den viele übersehen. Wir nutzen spezielle 2-Komponenten-Lacksysteme (2K), meist auf Basis von Epoxid- oder Polyurethanharz. Die bestehen aus einem Stammlack und einem Härter. Mischt man die beiden, startet eine chemische Reaktion. Die Moleküle vernetzen sich zu einer extrem harten, dichten und unlösbaren Struktur. Dieser Lack „verschmilzt“ quasi chemisch mit dem Untergrund.
Ein einfacher 1K-Fliesenlack aus dem Baumarkt trocknet nur. Ein 2K-Lack härtet chemisch aus. Das ist der Unterschied zwischen einer kurzlebigen Kosmetik und einer wirklich belastbaren Oberfläche, die mit Wasser, Hitze und Reinigungsmitteln klarkommt.

Gute Idee oder rausgeschmissenes Geld? Wann sich das Streichen lohnt
Bevor du auch nur einen Pinsel anfasst, sei bitte brutal ehrlich zu deinem Bad. Nicht jede Fliese ist ein Kandidat für eine neue Lackschicht. Nichts ist ärgerlicher als eine Arbeit, die man nach einem Jahr wieder neu machen muss.
Eine Beschichtung kann eine super Lösung sein, wenn:
- Die Fliesensubstanz top ist: Alle Fliesen sind fest, keine Risse, keine Sprünge. Klopf mal jede Fliese ab. Klingt eine hohl? Finger weg! Dort wird jede Beschichtung reißen.
- Die Fugen intakt sind: Der Fugenmörtel ist fest, nicht bröselig oder von Schimmel zerfressen. Kaputte Fugen müssen vorher saniert werden.
- Es eine Übergangslösung sein soll: Du wohnst zur Miete oder planst in 3-5 Jahren eh eine Kernsanierung. Perfekt, um die Zeit zu überbrücken!
- Es um weniger beanspruchte Bereiche geht: Ein Gäste-WC, der Fliesenspiegel in der Küche oder Wände außerhalb der Duschkabine sind ideale Kandidaten.
Ich rate dir aber dringend davon ab, wenn:

- Irgendwo Feuchtigkeit im Spiel ist: Dunkle Flecken, Schimmel, bröckelnder Putz? Dann hast du ein tieferes Problem. Eine Farbschicht würde die Feuchtigkeit nur einsperren und alles verschlimmern. Hier muss erst die Ursache gefunden werden.
- Fliesen oder Fugen kaputt sind: Risse sind Einfallstore für Wasser. Der Lack überbrückt das nicht dauerhaft.
- Du Bodenfliesen im Hauptbad streichen willst: Ganz ehrlich: Eine lackierte Bodenfliese wird NIE die Härte einer Keramikfliese erreichen. Sandkörner unter den Schuhen wirken wie Schleifpapier. Hier ist die Enttäuschung quasi vorprogrammiert.
- Du eine Lösung für die Ewigkeit suchst: Eine professionelle Beschichtung kann 5, vielleicht 7 Jahre gut aussehen. Eine neue Fliese hält 30 Jahre. Es ist und bleibt eine Oberflächenbehandlung.
Werkzeug & Material: Hier entscheidet sich alles
Der Erfolg deines Projekts steht und fällt mit der Qualität der Produkte. Wer hier spart, zahlt am Ende doppelt, glaub mir. Profis setzen auf bewährte Systeme von Herstellern, die auch in der Industrie genutzt werden. Schau mal nach Marken wie Jansen, Molto oder Remmers, um ein Gefühl für Qualität zu bekommen.

Deine Einkaufsliste für ein Ergebnis, das hält:
- Reinigungspower: Ein alkalischer Grundreiniger oder Anlauger (ca. 10-15 €). Zum finalen Entfetten brauchst du Isopropanol oder Brennspiritus.
- Schleifmittel: Ein Exzenterschleifer ist für die Fläche Gold wert. Für Ecken und Kanten Schleifpapier per Hand (Körnung 150-220). Rechne mal mit ca. 20 €.
- Schutzausrüstung (NICHT VERHANDELBAR!):
- Atemschutzmaske: Minimum FFP2 für den Schleifstaub. Sobald du die 2K-Lacke anmischst, ist eine Maske mit A2/P2-Filter absolute Pflicht! Die Dämpfe sind gesundheitsschädlich. (ca. 30-40 € für eine gute Maske)
- Schutzbrille & Handschuhe: Nitrilhandschuhe, keine aus Latex. Die Lösemittel im Lack zersetzen Latex. (ca. 15 €)
- Abdeckmaterial: Gutes Malerkrepp (Goldband) für scharfe Kanten und Abdeckfolie. (ca. 20-30 €)
- Das Lacksystem (das Herzstück): Ein komplettes 2-Komponenten-System. Das besteht aus:
- 2K-Epoxidharz-Haftgrund: Das ist das Fundament deiner Arbeit.
- 2K-Polyurethan (PU)-Acryllack: Der ist lichtbeständiger als reines Epoxidharz und vergilbt nicht so schnell.
- Ein gutes System für ca. 10 m² kostet dich zwischen 150 € und 250 €.
- Auftragswerkzeuge:
- Hochwertige, beflockte Schaumstoffrollen. Ganz wichtig: Sie müssen lösungsmittelbeständig sein, sonst lösen sie sich während der Arbeit auf! Kauf lieber ein paar mehr, für jeden Anstrich eine frische.
- Ein guter Lackierpinsel für die Ecken. (ca. 30 € für alles)
- Sonstiges: Silikonentferner, Cuttermesser, staubbindende Tücher und neues Sanitärsilikon.
- Alles abbauen: Armaturen, Duschstangen, Steckdosen, Griffe – alles, was geht, muss runter. Das sieht am Ende tausendmal besser aus als jedes Abkleben.
- Altes Silikon raus: Das ist eine fiese Arbeit, aber unumgänglich. Schneide die Fugen mit einem Cuttermesser ein und zieh die alte Silikonwurst raus. Reste kriegst du mit Silikonentferner weg. Auf Silikon hält absolut keine Farbe. Kleiner Profi-Tipp: Wenn du ein Multifunktionswerkzeug hast, nutz den Schaber-Aufsatz. Spart dir eine Stunde Fluchen.
- Grundreinigung: Jetzt wird geschrubbt! Bearbeite Fliesen und Fugen mit dem Grundreiniger und einer Bürste. Spül alles mit viel klarem Wasser ab, bis keine Reinigerreste mehr da sind.
- Trocknen lassen: Mindestens 24 Stunden, bei guter Lüftung. Die Fugen müssen porentief trocken sein.
- Abkleben & Anschleifen: Klebe Ränder zu Wanne, Decke etc. sauber ab. Und jetzt kommt der entscheidende Teil: Schleife alle Fliesenflächen an, bis sie nicht mehr glänzen, sondern seidenmatt sind. Man muss es fühlen können!
- Entstauben & Entfetten: Sauge den Schleifstaub gründlich ab. Wisch danach mit einem feuchten Tuch und zum Schluss mit Isopropanol über alle Flächen. Ab jetzt: Nicht mehr mit bloßen Händen berühren!
- Schutzausrüstung anlegen! Maske, Brille, Handschuhe. Fenster auf!
- Grundierung anmischen: Mische nur so viel an, wie du innerhalb der Topfzeit (oft nur 1-2 Stunden) verarbeiten kannst. Rühre langsam und gründlich.
- Grundierung auftragen: Erst die Ecken mit dem Pinsel, dann die Flächen mit der Rolle. Dünn und gleichmäßig. Es muss noch nicht perfekt decken.
- Trocknen lassen: Halte die Trocknungszeit (meist 12-24 Stunden) penibel ein.
- Erste Lackschicht: Wieder anmischen, wieder erst die Ecken, dann die Fläche. Rolle gleichmäßig im Kreuzgang (erst senkrecht, dann waagerecht), um Streifen zu vermeiden.
- Trocknen lassen: Die Zeit zwischen den Anstrichen ist entscheidend, schau ins Datenblatt (oft 16-24 Stunden).
- Zweite Lackschicht: Ein zweiter Anstrich sorgt für volle Deckkraft und mehr Widerstandsfähigkeit.
- Klebeband entfernen: Zieh das Kreppband ab, solange der Lack noch leicht feucht ist. Wartest du zu lange, reißt du die Lackkante mit ab.
- AUSHÄRTEN LASSEN: Halte dich an die Herstellerangaben. Als Faustregel gilt:
- Nach ca. 3 Tagen: vorsichtig begehbar.
- Nach ca. 7 Tagen: leichte mechanische Belastung okay.
- Nach 10-14 Tagen: Vollständig chemisch ausgehärtet und wasserfest!
- Neu verfugen & montieren: Wenn alles steinhart ist, ziehst du die neuen Silikonfugen und montierst wieder alle Armaturen. Fertig!
- 2K-Lacksystem (Grundierung + Lack): ca. 200 €
- Werkzeug (Rollen, Pinsel, Wannen): ca. 30 €
- Abdeck- & Schleifmaterial: ca. 40 €
- Reiniger & Silikon: ca. 20 €
- Gute Schutzausrüstung: ca. 40 €
- …ich „Nasen“ oder „Läufer“ im Lack habe? Bloß nicht im nassen Zustand rumpfuschen! Lass die Stelle komplett durchtrocknen. Dann kannst du die Nase ganz vorsichtig mit feinem Schleifpapier (Körnung 320 oder feiner) glätten und beim nächsten Anstrich verschwindet sie.
- …Staub oder ein Haar in der frischen Farbe gelandet ist? Auch hier: Finger weg! Lass es aushärten. Danach kannst du den Fremdkörper mit einer Nadelspitze vorsichtig entfernen und die winzige Stelle mit einem Hauch Farbe ausbessern.
- Scheuermilch und kratzige Schwämme
- Säurehaltige Reiniger (Essigreiniger, scharfe Badreiniger)
- Dampfreiniger
- pH-neutrale Reiniger oder einfaches Spülmittel
- Weiche Mikrofasertücher
Die Profi-Anleitung: Schritt für Schritt zum neuen Bad-Look
Nimm dir Zeit. Das ist kein Projekt für einen Samstagnachmittag. Plane realistisch 4-5 Tage ein, inklusive der extrem wichtigen Trocknungszeiten. Hektik ist dein größter Feind.
What's HotSchritt 1: Die Vorbereitung – 90 % der Arbeit
Die Zeit, die du bei der Vorbereitung sparst, verbringst du später mit der Fehlersuche. Merk dir das. Die Oberfläche muss absolut sauber, trocken, fettfrei und matt sein.

Schritt 2: Die Grundierung – Das Fundament
Jetzt wird’s chemisch. Lies unbedingt das technische Merkblatt deines Produkts. Da stehen Mischungsverhältnis, Verarbeitungszeit (Topfzeit) und Trocknungszeiten drin. Halte dich exakt daran!
Schritt 3: Der Decklack – Farbe und Schutz
Für ein perfektes Ergebnis brauchst du meistens zwei Schichten. Übrigens, eine Frage, die immer kommt: Was ist mit den Fugen und der Farbe? Die Fugen werden in der Regel einfach mitgestrichen, das ergibt eine schöne, ruhige Optik. Bei der Farbauswahl bist du flexibel – viele Profi-Systeme lassen sich in deinem Wunschfarbton abtönen.
What's HotSchritt 4: Geduld, Geduld, Geduld – Die Aushärtung
Der Lack fühlt sich vielleicht nach einem Tag trocken an, aber er ist noch lange nicht ausgehärtet. Das ist die kritischste Phase!
Ich hatte mal einen Kunden, der es nicht abwarten konnte. Nach drei Tagen hat er geduscht. Das Ergebnis? Der Lack warf Blasen, groß wie Zwei-Euro-Stücke. Die ganze Arbeit war umsonst und musste mühsam wieder entfernt werden. Sei nicht dieser Kunde!

Was kostet der Spaß? Eine ehrliche Rechnung
Klar, günstiger als eine komplette Sanierung ist es allemal. Aber geschenkt ist es auch nicht. Machen wir mal eine grobe Beispielrechnung für ein kleines Bad mit ca. 10 m² Wandfläche:
Unterm Strich landest du also schnell bei 300 – 350 Euro. Das ist immer noch deutlich weniger als die mehreren tausend Euro für einen Fliesenleger, aber es ist eine Investition, die sich nur lohnt, wenn du es richtig machst.
Hilfe, ein Malheur! Was tun, wenn…?
Selbst dem besten Heimwerker passieren kleine Fehler. Keine Panik!
What's HotDamit’s schön bleibt: Die richtige Pflege danach
Deine neue Oberfläche ist kein Keramik mehr, sondern ein Lack. Behandle sie auch so! Stell dir vor, es wäre ein hochwertiger Autolack.
Absolut tabu sind:
Ideal sind:
Wenn du das beachtest, hast du lange Freude an deinem Werk.
Mein ehrliches Fazit
Fliesen beschichten kann eine super Sache sein, um ein altes Bad mit überschaubarem Budget aufzuhübschen. Aber es ist eine anspruchsvolle Arbeit, die nichts verzeiht. Der Erfolg hängt von einer fast schon pedantischen Vorbereitung, gutem Material und der Einhaltung der Trocknungszeiten ab.
Sei ehrlich zu dir selbst: Hast du die Geduld und die Genauigkeit dafür? Wenn ja, dann leg los! Das Ergebnis kann dich richtig stolz machen. Wenn du aber schon beim Gedanken an die Vorbereitung seufzt, ist es vielleicht klüger, das Geld zu sparen und einen Fachbetrieb zu rufen oder doch auf neue Fliesen zu warten.

Bildergalerie
What's Hot
Der richtige Lack ist nur die halbe Miete. Was ist mit den Fugen?
Das Überstreichen der Fugen ist der schnellste Weg, sorgt aber für eine sehr homogene, fast „plastische“ Optik. Eine Alternative für mehr Tiefe ist das gezielte Nachziehen der Fugen nach dem Anstrich. Mit einem Fugenstift (z. B. von edding oder Molto) in einem Kontrastfarbton wie Grau oder Anthrazit können Sie die Fugenstruktur wieder hervorheben. Das erfordert Geduld und eine ruhige Hand, belohnt aber mit einem deutlich authentischeren und hochwertigeren Ergebnis, das weniger „angemalt“ wirkt.
„Die häufigste Reklamation bei Fliesenlacken ist mangelnde Haftung durch unzureichende Reinigung. Silikonentferner ist kein optionaler, sondern ein absolut kritischer Arbeitsschritt.“
Dieser Satz eines Anwendungstechnikers von JAEGER Lacke bringt es auf den Punkt. Selbst kleinste, unsichtbare Rückstände von Seife, Pflegeölen oder alten Reinigungsmitteln wirken wie ein Trennmittel zwischen Fliese und Grundierung. Investieren Sie daher unbedingt in einen hochwertigen Silikonentferner und reinigen Sie die Fläche lieber einmal zu viel als zu wenig. Dieser Schritt entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg des gesamten Projekts.



