Altbau-Sanierung: So rettest du alten Charme, ohne die Bude kaputt zu machen
Ich hab in meinem Leben als Handwerker schon so einige alte Häuser gesehen. Manche waren fast Ruinen, andere einfach nur ein bisschen in die Jahre gekommen. Aber diese alten Stadthäuser aus der Gründerzeit, die haben eine ganz besondere Seele. Man spürt die Geschichte in den hohen Decken, hört sie im Knarren der Dielen und sieht sie im Stuck, der über die Jahre unzählige Farbschichten gesammelt hat. So ein Haus zu sanieren, ist mehr als nur eine Renovierung – es ist ein Zwiegespräch mit der Vergangenheit.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 1. Kassensturz für dein Haus: Die ehrliche Bestandsaufnahme
- 0.2 2. Die Seele eines alten Hauses: Warum es atmen muss
- 0.3 3. Ans Eingemachte: Techniken, die den Unterschied machen
- 0.4 4. Moderne Technik unsichtbar verpackt
- 0.5 5. Sicherheit, Kosten und die Grenzen des Selbermachens
- 0.6 Mein Fazit als Handwerker
- 1 Bildergalerie
Viele blättern durch Hochglanzmagazine, sehen schicke Lofts in alten Fabriken oder topmoderne Londoner Stadthäuser und denken sich: „Das will ich auch!“ Sie sehen glatt verputzte Wände neben freigelegtem Mauerwerk und halten das für eine simple Stilfrage. Aber ganz ehrlich? Der Weg dorthin ist ein echtes Minenfeld.
Ich habe Projekte erlebt, bei denen gut gemeinte Modernisierungen ein Haus regelrecht krank gemacht haben. Da kroch Feuchtigkeit hinter schicke Gipskartonplatten, weil die Wände plötzlich nicht mehr atmen konnten. Originale Dielenböden wurden achtlos rausgerissen, obwohl man sie mit etwas Liebe hätte retten können. Deshalb will ich hier mal aus dem Nähkästchen plaudern. Nicht als Architekt mit theoretischen Plänen, sondern als jemand, der jeden Tag mit den Händen am Material arbeitet und weiß, was funktioniert – und was eben nicht.

1. Kassensturz für dein Haus: Die ehrliche Bestandsaufnahme
Bevor du auch nur einen Hammer in die Hand nimmst, musst du dein Haus verstehen. Das ist der absolut wichtigste Schritt. Eine schnelle Besichtigung reicht da nicht. Du musst in die Tiefe gehen. Ich nehme mir dafür oft mehrere Tage Zeit, denn der Teufel steckt wie immer im Detail.
Worauf es wirklich ankommt:
- Feuchtigkeit, der Feind Nr. 1: Besonders im Keller und Erdgeschoss. Ich gehe da immer mit einem Feuchtigkeitsmessgerät ran (gute Geräte gibt’s schon ab ca. 50 €). Alles, was in einer alten Ziegelwand dauerhaft über 20 % anzeigt, ist ein klares Warnsignal. Ich achte auch auf weiße Ausblühungen (das ist Salpeter) und verlasse mich auf meine Nase. Ein modriger Geruch lügt nie. Oft ist eine alte Horizontalsperre im Mauerwerk defekt und das Haus zieht Wasser wie ein Schwamm.
- Der Zustand der Holzbalken: In den Decken und im Dachstuhl. Ein simpler Klopftest verrät schon viel. Aber der Profi-Trick ist der „Schraubendreher-Test“: Nimm einen spitzen Schraubendreher und stochere an verdächtigen, dunklen oder feuchten Stellen im Holz. Gibt der Balken nach wie Butter oder ein nasser Schwamm? Alarmstufe Rot! Das könnte ein Hinweis auf echten Hausschwamm sein, und dann brauchst du sofort einen spezialisierten Gutachter. Das ist nichts für Heimwerker.
- Putz und Wände: Klopf mal deine Wände ab. Hörst du einen hohlen Klang? Das bedeutet, der Putz hat sich vom Untergrund gelöst. Oft ein Zeichen dafür, dass über die Jahre falsche Materialien übereinandergeklatscht wurden. Zementputz auf altem Ziegelmauerwerk ist so ein Klassiker, der Feuchtigkeitsprobleme geradezu provoziert.
- Die alten Fenster und Türen: Sind es noch die originalen Kastenfenster? Oft sind sie verzogen, klar. Aber das Holz ist meist von einer Qualität, die man heute suchen muss. Eine professionelle Aufarbeitung durch einen Tischler kostet zwar (rechne mal mit 800-1.500 € pro Fenster), ist aber oft sinnvoller und stilvoller als der Austausch gegen seelenlose Kunststofffenster, die den Wert des Hauses mindern können.
Für diese erste Analyse ziehe ich fast immer einen Statiker hinzu. Sein Wort ist Gesetz, wenn es um die Tragfähigkeit von Decken und Wänden geht. Ohne eine geprüfte Statik fassen wir keine tragende Wand an. Punkt.

2. Die Seele eines alten Hauses: Warum es atmen muss
Ein Altbau ist kein versiegelter Neubau-Bunker. Er funktioniert völlig anders. Stell es dir wie ein atmendes System vor. Die Wände sind diffusionsoffen, das heißt, sie können Feuchtigkeit aus der Raumluft aufnehmen und langsam wieder abgeben. Das sorgt für ein fantastisches Raumklima.
Wenn du dieses System nun mit modernen, dichten Baustoffen versiegelst, fängt der Ärger an. Das klassische Beispiel: Du klebst von innen eine Dampfsperrfolie und Gipskartonplatten an die Außenwand. Die Feuchtigkeit vom Atmen, Kochen und Duschen kann nicht mehr raus. Sie kondensiert an der kältesten Stelle – direkt hinter deiner neuen Verkleidung an der alten, kalten Wand. Schimmel ist da quasi vorprogrammiert.
Deshalb arbeiten wir nur mit Systemen, die zur alten Bauphysik passen:
- Innendämmung, aber richtig: Wenn gedämmt werden muss, dann nur mit kapillaraktiven Materialien. Das sind zum Beispiel Kalziumsilikatplatten oder Holzfaserdämmplatten (findet man z.B. von Herstellern wie Steico oder Gutex). Sie können Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben, ohne dass es zu Schäden kommt. Die Verarbeitung muss aber 100% sauber sein!
- Der richtige Putz: Wir schwören auf Kalk- oder Lehmputz (z.B. von Claytec). Beide sind von Natur aus alkalisch und wirken schimmelhemmend. Außerdem können sie unglaublich viel Luftfeuchtigkeit puffern. Der Unterschied im Raumgefühl ist sofort spürbar. Man hat einfach „frische“ Luft. Preislich liegt man hier natürlich höher als bei Gipsputz, aber die Investition in ein gesundes Wohnklima lohnt sich.
- Die passende Farbe: Auf einen Kalk- oder Lehmputz gehört eine Silikat- oder Kalkfarbe (mal bei Herstellern wie Kreidezeit schauen). Streichst du da eine billige Dispersionsfarbe aus dem Baumarkt drüber, verschließt du die Poren wieder und der ganze schöne Effekt ist futsch.
Gut zu wissen: Dieses Wissen ist die Basis für alles. Es geht nicht nur um die Optik, sondern darum, das Haus am Leben zu erhalten.

3. Ans Eingemachte: Techniken, die den Unterschied machen
Wenn die Planung steht, geht’s an die Substanz. Und hier zeigt sich, wer sein Handwerk versteht.
Dielenböden: Ein Schatz, den man heben muss
Ein originaler Dielenboden ist pures Gold. Wenn die Dielen noch dick genug sind, ist eine Aufarbeitung immer die erste Wahl. Das ist mehr als nur abschleifen.
Kleiner Tipp für Selbermacher: Plane für einen 20-qm-Raum ein ganzes Wochenende ein. Im Baumarkt leihst du dir eine Walzenschleifmaschine und einen Randschleifer (ca. 100-150 € für das Wochenende). Dazu kaufst du Schleifpapier in den Körnungen 24, 60 und 120 (ca. 50 €) und ein gutes Hartwachsöl (ca. 60-80 € für 2,5 Liter). Zuerst wird grob diagonal geschliffen, um alte Lackschichten runterzuholen, dann immer feiner in Dielenrichtung. Die Oberfläche behandeln wir am liebsten mit Hartwachsöl. Es schützt das Holz, lässt es aber atmen und fühlt sich wunderbar natürlich an – ganz im Gegensatz zu einer kalten Lackversiegelung.

Stuck: Das Comeback der Decken-Kunst
Oft schlummern prächtige Stuckdecken unter schnöden abgehängten Decken. Die Freilegung ist ein magischer Moment. Fehlende oder beschädigte Teile kann ein erfahrener Stuckateur mit Schablonen nachziehen oder nachmodellieren. Das ist echtes Kunsthandwerk. Finger weg von billigem Styropor-Stuck aus dem Baumarkt – das sieht immer billig aus.
Der Keller: Vom Sorgenkind zum Wohnraum
Ein feuchter Keller ist bei alten Häusern fast Standard. Ihn trockenzulegen ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben. Die beste, aber auch teuerste Methode ist die Außenabdichtung. Dafür wird das Haus komplett aufgegraben und die Kellerwände von außen abgedichtet. Das ist ein riesiger Eingriff, der gut und gerne 4-6 Wochen dauert und schnell Zehntausende Euro kosten kann. Aber es ist die einzige wirklich dauerhafte Lösung.
Wenn das nicht geht, bleibt die Innenabdichtung mit speziellen Dichtschlämmen und einer Horizontalsperre, die per Injektion ins Mauerwerk eingebracht wird. Aber Vorsicht: Eine billige Kellerabdichtung gibt es nicht. Wer hier spart, zahlt später doppelt.

4. Moderne Technik unsichtbar verpackt
Klar, niemand will im Museum wohnen. Wir brauchen moderne Bäder, eine funktionale Küche und Steckdosen. Die Kunst ist, das alles so zu integrieren, dass der alte Charme nicht flöten geht.
Heizung mal anders
Klobige Heizkörper sind in hohen Altbauräumen oft ein optisches Desaster. Eine fantastische Alternative ist eine Wandheizung. Die Heizrohre werden direkt in den neuen Kalk- oder Lehmputz eingelegt. Das erzeugt eine angenehme Strahlungswärme, ähnlich wie bei einem Kachelofen. Die Wände sind immer trocken und warm, was Schimmel vorbeugt. Der Einbau ist zwar teurer – rechne mal mit 20-30 % Aufpreis gegenüber normalen Heizkörpern – aber der Wohnkomfort ist unbezahlbar.
Das moderne Bad im Altbau
Ein Bad auf einer alten Holzbalkendecke ist heikel. Das A und O ist die Abdichtung. Hier gibt es keine Kompromisse. Der Boden und die Spritzwasserbereiche an den Wänden bekommen eine sogenannte Verbundabdichtung unter den Fliesen. Aus meiner Erfahrung: Ich hatte mal einen Kunden, der bei der Badabdichtung gespart hat. Zwei Jahre später war der tragende Deckenbalken darunter durchgefault. Die Reparatur hat am Ende das Dreifache der ursprünglichen, korrekten Abdichtung gekostet. Also, Hände weg von Pfusch am Bau!

5. Sicherheit, Kosten und die Grenzen des Selbermachens
Sicherheit geht immer, immer vor. Alte Häuser können unschöne Überraschungen bereithalten:
- Asbest: In alten Bodenplatten, Rohrisolierungen oder Nachtspeicheröfen kann Asbest stecken. Bei Verdacht muss eine Probe ins Labor. Die Sanierung ist dann nur was für zertifizierte Fachfirmen.
- Bleirohre: Trinkwasserrohre aus Blei müssen aus gesundheitlichen Gründen immer komplett raus.
- Statik: Ich kann es nicht oft genug sagen: Niemals eine Wand einreißen, ohne dass ein Statiker sein Okay gegeben hat.
Ein ehrliches Wort zum Geld
Eine Kernsanierung ist teuer. Als grobe Hausnummer kannst du von 1.500 bis über 3.000 Euro pro Quadratmeter ausgehen, je nach Zustand und Wünschen. Die unsichtbaren Dinge – Abdichtung, Elektrik, Leitungen – sind die teuersten, aber auch die wichtigsten.
Was kannst du selbst machen?
Klar kannst du durch Eigenleistung sparen. Malerarbeiten, alte Tapeten entfernen, Trockenestrich verlegen – das geht für geübte Heimwerker. Aber alles, was mit Elektrik, Gas, Wasser und Statik zu tun hat, ist Profisache. Das hat nichts mit fehlendem Können zu tun, sondern mit Verantwortung für deine Sicherheit und die deiner Familie.

Mein Fazit als Handwerker
Ein altes Stadthaus wieder zum Leben zu erwecken, ist eine der schönsten Aufgaben überhaupt. Es ist oft staubig, laut und teurer als gedacht. Aber wenn man am Ende in einem Raum steht, das Licht durch die aufgearbeiteten Kastenfenster auf die über hundert Jahre alten Dielen fällt und man die Ruhe der massiven Wände spürt, dann weiß man: Jeder einzelne Schritt hat sich gelohnt.
Es braucht Respekt vor der alten Substanz, das richtige Wissen und eine gute Portion Geduld. Dann wird aus einem müden alten Haus wieder ein echtes Zuhause für die nächsten Generationen.
Bildergalerie


Die alten Kastenfenster – ein Fall für den Müllcontainer?
Auf keinen Fall! Bevor Sie in teure, oft stilistisch unpassende Kunststofffenster investieren, prüfen Sie eine Aufarbeitung. Originale Kastenfenster sind oft aus extrem haltbarem, langsam gewachsenem Holz gefertigt, das heute unbezahlbar ist. Professionell restauriert, mit neuen Dichtungen und vielleicht sogar einer inneren Scheibe aus modernem Dünnglas (wie z.B. Fineo Vakuumglas), erreichen sie erstaunlich gute Dämmwerte. Der unschätzbare Vorteil: Sie erhalten die feingliedrige Ästhetik der Fassade und bewahren ein Stück authentischer Baukultur.

Rund 80 Prozent der „grauen Energie“ eines Gebäudes, also der Energie für Herstellung und Transport, steckt im Rohbau.
Das bedeutet: Die nachhaltigste Sanierung ist die, die den Bestand erhält. Jeder Quadratmeter Mauerwerk, jede Holzbalkendecke, die Sie retten, ist ein riesiger Gewinn für die Umwelt – weitaus wirksamer als der Einsatz von Öko-Dämmplatten an einem Neubau. Sanieren heißt, die bereits investierte Energie zu würdigen und für die Zukunft zu nutzen.

Vergessen Sie strahlendes Reinweiß! Die wahre Eleganz im Altbau entfaltet sich oft durch gebrochene, komplexe Farbtöne, die mit dem natürlichen Licht spielen. Marken wie Farrow & Ball oder Little Greene sind Meister darin, historische Pigmente neu zu interpretieren. Ein sanftes „Elephant’s Breath“ an den Wänden lässt alten Stuck plastischer wirken, während ein tiefes „Hague Blue“ einer hohen Decke eine intime, moderne Note verleiht.

Der wahre Charakter eines Altbaus liegt oft unter altem Lack und Teppichkleber verborgen: die originalen Dielen. Sie aufzuarbeiten ist eine Kunst, die weit über das Abschleifen hinausgeht. Für eine atmungsaktive und natürliche Oberfläche gibt es zwei bewährte Methoden:
- Ölen und Wachsen: Produkte wie das Hartwachs-Öl von Osmo dringen tief ins Holz ein, schützen es von innen und feuern die Maserung wunderschön an. Die Oberfläche bleibt offenporig und lässt sich partiell ausbessern.
- Laugen und Seifen: Eine skandinavische Methode, die das Holz aufhellt und ihm eine samtig-matte, helle Patina verleiht.
Moderner Gipsputz: Schnell, glatt und günstig. Aber im Altbau oft eine fatale Wahl. Er versiegelt die Wände, verhindert den Feuchtigkeitsaustausch und kann bei alten, kapillaraktiven Mauern zu Schimmel führen.
Traditioneller Kalkputz: Er ist die Lunge des Hauses. Kalkputz ist diffusionsoffen, das heißt, er kann Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Das reguliert das Raumklima auf natürliche Weise und seine hohe Alkalität wirkt Schimmelpilzen entgegen. Ein Muss für gesunde Altbauwände.



