Keramikfiguren selber machen: Dein ehrlicher Guide vom Tonklumpen zum Kunstwerk
Alles nur Fassade? Warum echte Keramik so viel mehr ist
Schon mal drüber nachgedacht, eigene Figuren aus Ton zu formen? Ich meine, so richtig. Nicht einfach nur eine Gipsfigur aus dem Bastelladen anmalen und hoffen, dass es wie Keramik aussieht. Das ist nett, klar. Aber ganz ehrlich? Das ist nur die Oberfläche. Die Seele einer echten Keramikfigur kommt von innen – sie entsteht aus dem Zusammenspiel von Erde, Wasser, deinen Händen und der Magie des Feuers.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Alles nur Fassade? Warum echte Keramik so viel mehr ist
- 2 Erstmal loslegen: Was du wirklich brauchst (und was es kostet)
- 3 Das Herz der Sache: Den richtigen Ton verstehen
- 4 Jetzt geht’s an den Ton: Die Grundtechniken
- 5 Geduld, junger Padawan: Trocknen & Brennen
- 6 Hilfe, es ist was schiefgegangen! Typische Pannen (und ihre Lösung)
- 7 Ein ehrliches Schlusswort
- 8 Bildergalerie
Dieses Handwerk ist ehrlich. Der Ton verzeiht nicht jeden Fehler, aber er belohnt Geduld und Sorgfalt mit einem Ergebnis, das Bestand hat. Es ist ein Prozess, der dich erdet und bei dem du etwas wirklich Einzigartiges schaffst. Und genau diesen Weg möchte ich dir heute zeigen. Vom formlosen Klumpen Lehm bis zu deiner ersten, fertigen Figur, die eine Geschichte erzählt – deine Geschichte.
Erstmal loslegen: Was du wirklich brauchst (und was es kostet)
Die gute Nachricht zuerst: Du brauchst keine voll ausgestattete Profi-Werkstatt, um anzufangen. Die größte Hürde ist meistens nur im Kopf. Für deine allererste Figur reicht das absolute Minimum:

- Ein Stück Ton: Logisch, oder? Ein 10-kg-Hubel guter Steinzeugton kostet online (z.B. bei Keramik-Kraft oder Boesner) zwischen 10 € und 15 €. Das reicht für Dutzende kleiner Figuren.
- Deine Hände: Das wichtigste Werkzeug überhaupt.
- Ein paar Haushaltsgegenstände: Ein altes Küchenmesser, eine Gabel zum Aufrauen von Oberflächen und ein feuchtes Schwämmchen sind perfekt.
- Eine Plastiktüte oder Folie: Um dein Werkstück vor dem Austrocknen zu schützen.
Das war’s schon! Wenn du merkst, dass es dir Spaß macht, kannst du dir für etwa 10-20 € ein kleines Anfänger-Werkzeugset mit Modellierhölzern und Schlingen zulegen. Aber für den Anfang ist das absolut kein Muss.
Das Herz der Sache: Den richtigen Ton verstehen
Okay, du hast deinen Tonklumpen vor dir. Bevor du loslegst, nimm dir einen Moment. Fühl ihn. Riech ihn. Ton ist ein Naturmaterial mit eigenem Charakter. Er besteht aus winzigen Plättchen, zwischen denen Wasser steckt. Dieses Wasser macht ihn formbar. Beim Trocknen entweicht es, die Plättchen rücken zusammen und das ganze Stück schrumpft. Passiert das zu schnell oder ungleichmäßig, gibt’s Risse. Das ist reine Physik und der häufigste Anfängerfehler.

Kleiner Tipp zur Sicherheit: Trockener Tonstaub ist nicht gut für die Lunge. Wenn du also mal ein trockenes Stück schleifen musst, mach es am besten nass oder trag eine einfache FFP2-Maske. Sicher ist sicher.
Welcher Ton für welches Projekt? Ein kleiner Wegweiser
Es gibt unzählige Tonsorten, aber für den Anfang konzentrieren wir uns auf die drei Wichtigsten. Stell dir das nicht wie eine komplizierte Tabelle vor, sondern eher wie Charaktere:
- Irdenware (Der unkomplizierte Einsteiger): Diesen Ton kennst du von Terrakotta-Blumentöpfen. Er wird bei relativ niedrigen Temperaturen gebrannt (um 1000 °C) und bleibt porös, also nicht wasserdicht, wenn er unglasiert ist. Er ist super für Anfänger, weil er sehr plastisch ist und Fehler verzeiht. Ideal für Deko-Figuren, die später bunt glasiert werden. Aber Achtung: Er ist nicht frostfest!
- Steinzeug (Der zuverlässige Alleskönner): Mein persönlicher Favorit für fast alles. Steinzeug wird heißer gebrannt (um 1250 °C), dadurch wird der Scherben dicht, wasserundurchlässig und frostfest. Es gibt ihn mit verschieden grober Schamottierung (das sind kleine, schon gebrannte Tonkörnchen, die für Stabilität sorgen). Für den Start empfehle ich einen hellbrennenden Steinzeugton mit feiner Schamotte (z.B. 25 % Anteil, Körnung 0-0,2 mm). Er ist stabil und eine tolle Basis für fast alle Glasuren.
- Porzellan (Die anspruchsvolle Diva): Reinweiß, edel und bei hohen Temperaturen gebrannt, kann es fast durchscheinend werden. Aber ehrlich gesagt: Finger weg am Anfang. Porzellan ist zickig, wenig formbar und merkt sich jede kleinste Delle, die dann im Brand wieder zum Vorschein kommt. Für Profis, die filigrane Kunstwerke schaffen wollen, unübertroffen. Für uns ist es erstmal Zukunftsmusik.

Jetzt geht’s an den Ton: Die Grundtechniken
So, genug Theorie. Wie formen wir jetzt was? Deine Hände sind dein wichtigstes Werkzeug, um die Dicke und Feuchtigkeit des Tons zu spüren.
Die Daumenschale (Pinch Pot) – Dein erstes Erfolgserlebnis
Das ist die allererste Übung, die jeder lernt. Du formst eine Kugel Ton und drückst dann sanft mit dem Daumen eine Vertiefung hinein. Nun drehst du das Stück in deiner Hand und drückst die Wandung zwischen Daumen (innen) und den Fingern (außen) gleichmäßig nach oben. So bekommst du ein Gefühl für die Wandstärke. Aus zwei solchen Schalen kann man schon eine hohle Kugel bauen – der perfekte Körper für eine kleine Fantasiefigur.
Und jetzt du! Dein Projekt für heute Abend: Mach eine Daumenschale. Schnapp dir ein Stück Ton, das gut in deine Hand passt. Trau dich und spür einfach nur das Material. Das ist dein erster, wichtigster Schritt.
Die Wulst- und Plattentechnik
Für größere oder kompliziertere Formen ist die Wulsttechnik super. Du rollst gleichmäßige Tonwülste und schichtest sie aufeinander. Wichtig dabei ist der Töpfer-Klebstoff: der Schlicker. Dafür raust du die Oberseite des unteren Wulstes und die Unterseite des neuen Wulstes mit einer Gabel an, bestreichst beide Seiten mit Schlicker und setzt den neuen Wulst darauf. Dann die Naht innen und außen gut verstreichen.

Mini-Rezept für Schlicker: Nimm ein paar trockene Tonreste, zerbrösle sie in einem Becher und gib etwas Wasser dazu. Lass es eine Weile ziehen und rühre es dann zu einem dicken, joghurtartigen Brei. Fertig ist dein Kleber!
Mit der Plattentechnik kannst du eher architektonische Formen bauen. Dafür rollst du den Ton wie einen Plätzchenteig gleichmäßig dick aus (leg links und rechts zwei gleich dicke Holzleisten hin, dann wird’s perfekt) und schneidest deine Formen aus. Die Kanten werden dann ebenfalls mit Schlicker verbunden.
Die goldene Regel: ALLES MUSS HOHL SEIN!
Das hier ist so wichtig, dass ich es am liebsten schreien würde. Jedes massive Stück Ton, das dicker als dein Daumen ist, muss ausgehöhlt werden. Ohne Ausnahme! Ich hab’s selbst schon erlebt: Ein hochmotivierter Kursteilnehmer modelliert eine wunderschöne, massive Tierfigur. Er ist unglaublich stolz. Aber er hat sie nicht ausgehöhlt. Beim Brand verwandelt sich die eingeschlossene Feuchtigkeit im Inneren schlagartig in Dampf. Der Druck wird so gewaltig, dass die Figur im Ofen explodiert. Das zerstört nicht nur die eigene Arbeit, sondern oft auch die der anderen im Ofen.

Also: Modelliere deine Figur, lass sie etwas antrocknen (lederhart) und schneide sie dann vorsichtig mit einem Draht in zwei Hälften. Höhle beide Teile mit einer Modellierschlinge aus, bis eine gleichmäßige Wandstärke von 1-2 cm bleibt. Kanten anrauen, Schlicker drauf, wieder zusammensetzen und die Naht sauber verstreichen. Und ganz wichtig: Ein kleines, unauffälliges Loch (z.B. an der Unterseite) lassen, damit die Luft entweichen kann.
Geduld, junger Padawan: Trocknen & Brennen
Dein Werk ist geformt – super! Aber jetzt kommt der schwierigste Teil für viele: Warten. Das Trocknen kann je nach Größe und Raumklima Tage oder sogar Wochen dauern. Wer hier hudelt, riskiert Risse.
Eine gute Faustregel: Rechne grob mit einer Woche Trocknungszeit pro Zentimeter Wandstärke an der dicksten Stelle. Eine kleine, faustgroße Figur braucht also gut und gerne eine Woche. Eine 30 cm hohe Skulptur auch mal drei bis vier Wochen. Lass das Stück anfangs locker mit einer Plastikfolie abgedeckt, damit die Feuchtigkeit langsam entweicht. Keine Zugluft, keine direkte Sonne!

Ab in den Ofen: Die Feuerprobe
Wenn dein Stück „knochentrocken“ ist (es fühlt sich nicht mehr kühl an), kann es gebrannt werden. Der erste Brand heißt Schrühbrand (ca. 950 °C). Danach ist das Stück hart, aber noch porös und bereit für die Glasur.
Kein eigener Ofen? Kein Problem! Das ist für den Anfang die beste und günstigste Lösung. Google einfach mal „Töpferei Brennservice“ + „deine Stadt“. Viele Töpfereien oder offene Werkstätten bieten das an. Ruf dort an und frag direkt: „Was kostet der Schrüh- und Glasurbrand für eine Figur mit den Maßen X mal Y?“ Für eine kleine Figur kannst du mit etwa 5-10 € pro Brand rechnen. Total fair!
Nach dem Schrühbrand kommt die Glasur. Das ist quasi flüssiges Glas, das du aufpinselst. Achte darauf, nur kennzeichnungsfreie Glasuren zu kaufen, wenn du mal etwas für Lebensmittel machen willst. Und der Boden muss immer glasurfrei bleiben, sonst schmilzt die Figur am Ofenboden fest! Danach kommt der zweite, heißere Glasurbrand (für Steinzeug ca. 1250 °C), bei dem die Glasur schmilzt und ihre schöne, glasartige Oberfläche bekommt.

Hilfe, es ist was schiefgegangen! Typische Pannen (und ihre Lösung)
Im Handwerk lernt man am besten aus Fehlern. Und glaub mir, jeder Töpfer hat schon mal einen ganzen Ofen voller Scherben produziert. Das gehört dazu.
- Problem: Überall Risse!
Ursache: Meistens zu schnelles Trocknen oder Teile wurden ohne Schlicker verbunden. ->Lösung: Langsamer unter Folie trocknen und immer, IMMER die Kontaktflächen anrauen und Schlicker benutzen. - Problem: Die Glasur ist fleckig oder hat Löcher.
Ursache: Oft war das Stück vor dem Glasieren staubig oder die Glasurschicht war zu dick. ->Lösung: Das geschrühte Teil vorher mit einem feuchten Schwamm abwischen und die Glasur lieber in mehreren dünnen Schichten auftragen. - Problem: Die Katastrophe – Explosion im Ofen.
Ursache: Zu 99,9 % ein nicht oder nicht genug ausgehöhltes, zu dickes Stück. ->Lösung: Es gibt keine Lösung, nur Vorbeugung. Halte dich an die goldene Regel: Aushöhlen!
Ein ehrliches Schlusswort
Figuren aus Keramik zu erschaffen, ist eine Reise, kein Sprint. Du arbeitest mit einem der ältesten Materialien der Menschheit, da gibt es keine Abkürzungen. Jedes Stück, das den Ofen unbeschadet übersteht, ist ein kleiner Sieg und trägt die Spuren deiner Hände in sich.

Also, fang einfach an. Mach eine unperfekte Kugel. Eine krumme Daumenschale. Eine kleine, lustige Figur. Freu dich über dein erstes Werk. Denn das Ziel ist nicht die Perfektion aus dem Katalog, sondern der wunderbare, erdige und manchmal unberechenbare Weg dorthin.
Bildergalerie


Wie stelle ich sicher, dass die Arme meiner Figur nicht einfach abfallen?
Das ist der häufigste Herzschmerz-Moment für Anfänger! Das Geheimnis liegt in einer Technik, die Töpfer „Schlickern und Aufrauen“ nennen. Bevor du zwei Tonteile verbindest, raust du beide Kontaktflächen mit einer Gabel oder einem spitzen Werkzeug kreuzweise auf. Dann pinselst du eine Art Tonschlamm (genannt Schlicker, den du einfach aus Tonresten und Wasser anrührst) auf die angerauten Stellen. Erst dann drückst du die Teile fest zusammen. Dieser „Ton-Kleber“ sorgt für eine untrennbare Verbindung, die auch dem Schrumpfen beim Trocknen und Brennen standhält.
Klassischer Brennton: Das ist das Material, von dem im Artikel die Rede ist. Er wird bei über 1000 °C im Brennofen steinhart, wasserfest und extrem langlebig. Ideal für alles, was halten soll – von der Tasse bis zur Gartenfigur.
Lufttrocknender Ton: Die unkomplizierte Alternative für den Start. Marken wie DAS oder FIMO Air härten an der Luft aus, ganz ohne Ofen. Perfekt, um Formen zu üben und rein dekorative Objekte zu schaffen. Aber Achtung: Er ist nicht so bruchfest und absolut nicht für den Außenbereich geeignet.
Für das echte Keramik-Gefühl führt kein Weg am Brennofen vorbei. Zum risikofreien Experimentieren ist lufttrocknender Ton aber ein fantastischer Spielplatz.


