Schlafsessel kaufen? Ein Profi packt aus: Was wirklich zählt (und was nicht)

von Aminata Belli
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Ich erinnere mich noch gut an eine Familie, die vor Jahren in meiner Werkstatt stand. Kleine Stadtwohnung, oft Übernachtungsgäste, aber absolut kein Platz für ein richtiges Gästebett. Die Lösung sollte ein Schlafsessel sein. Klingt einfach, oder? Tja, in der Praxis ist der Schlafsessel eines der kniffligsten Möbelstücke überhaupt. Er muss zwei Dinge perfekt können, die sich eigentlich total widersprechen: tagsüber ein super bequemer Sessel und nachts ein vollwertiges Bett sein.

Ganz ehrlich: Das ist ein Kompromiss. Aber es gibt verdammt gute und erschreckend schlechte Kompromisse. Und die Qualität steckt nicht im schicken Design, das dich im Möbelhaus anlächelt, sondern tief im Inneren. In der Mechanik, im Gestell und in der Polsterung. Nach über 20 Jahren, in denen ich diese Dinger gebaut, repariert und für Kunden begutachtet habe, zeige ich dir, worauf es wirklich ankommt.

Warum die meisten Schlafsessel nach einem Jahr wackeln

Ein Möbel, das sich ständig verwandelt, muss ganz andere Kräfte aushalten als ein normaler Sessel. Das zu verstehen, ist der Schlüssel zu allem.

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Stell dir vor: Ein normaler Sessel trägt dein Gewicht auf vier kleinen Beinen. Ziemlich simpel. Klappst du ihn aber zum Bett aus, verteilt sich die Last plötzlich auf eine viel größere Fläche. Der Schwerpunkt wandert. Setzt sich dann jemand auf die vorderste Kante der Liegefläche – ein klassischer Test, den ich jedem empfehle! –, wirken enorme Hebelkräfte. Ein billiger Rahmen aus Spanplatte, nur mit ein paar Schrauben und Tackernadeln zusammengehalten, kapituliert hier früher oder später. Das Gelenk gibt nach, das Holz bricht aus. Ein solider Rahmen aus massivem Buchenholz mit klassischen, verzapften Verbindungen lacht darüber nur.

Und dann ist da die Mechanik. Ein guter Klappmechanismus fühlt sich satt und geschmeidig an. Er macht ein leises, sattes „Klack“ und nicht „Quietsch-Ächz-Knarr“. Hochwertige Beschläge, oft aus deutscher oder italienischer Fertigung, verwenden gehärteten Stahl. Billige Blech-Alternativen verbiegen sich und können im schlimmsten Fall brechen. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch ein echtes Sicherheitsrisiko.

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Die inneren Werte: Darauf solltest du beim Kauf wirklich achten

Okay, Butter bei die Fische. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen, und hier entscheidet sich, ob du 300 € zum Fenster rauswirfst oder 1.200 € clever investierst.

  • Das Gestell: Frag immer nach! Besteht es aus Massivholz (super!) oder hochwertigem Schichtholz (auch sehr gut)? Oder ist es nur Spanplatte? Von reiner Spanplatte bei tragenden Teilen rate ich dir dringend ab. Die hält den Belastungen nicht stand.
  • Die Polsterung: Das Zauberwort hier ist „Raumgewicht“ (RG), gemessen in kg/m³. Es beschreibt die Dichte des Schaumstoffs. Billigmöbel für 200-400 € haben oft nur einen Schaumstoff mit RG 25. Der fühlt sich anfangs okay an, aber nach einem Jahr hast du eine unschöne Sitzkuhle. Ein guter, langlebiger Sessel sollte mindestens einen Kaltschaum mit RG 40 oder mehr haben. Dafür musst du aber auch mit Preisen ab 800 € aufwärts rechnen.
  • Der Bezugsstoff: Der Stoff wird an den Faltkanten extrem beansprucht. Achte auf die Scheuerfestigkeit, angegeben in „Martindale“. Für den normalen Hausgebrauch reichen 20.000 Touren, aber bei einem Schlafsessel würde ich persönlich nicht unter 30.000 gehen. Sonst sieht der Stoff an den Kanten schnell fadenscheinig aus.
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Die 3 Mechanik-Typen: Welcher passt zu dir?

Es gibt im Grunde drei gängige Systeme auf dem Markt, die sich stark in Komfort und Preis unterscheiden. Welcher der richtige für dich ist, hängt davon ab, wie oft der Sessel als Bett herhalten muss.

Für gelegentliche Gäste: Der einfache Faltmechanismus
Das ist die simpelste und günstigste Variante. Du klappst einfach die Rückenlehne nach vorne und hast eine Liegefläche. Der große Nachteil: Man liegt direkt auf den Sitz- und Rückenpolstern, oft mit einer spürbaren Lücke in der Mitte. Für eine Nacht ab und zu ist das okay, aber für mehr nicht. Solche Modelle findest du oft im Preissegment von 300 € bis 700 €.

Der solide Allrounder: Der Auszieh-Mechanismus
Hier ziehst du den unteren Teil des Sessels nach vorne und klappst eine separate, dünne Matratze aus, die darin verstaut war. Der Schlafkomfort ist schon deutlich besser, weil du nicht auf den Sitzpolstern liegst. Achte hier unbedingt auf stabile Teleskopschienen, die nicht wackeln. Das ist eine gute Lösung für regelmäßige Gäste und bewegt sich preislich meist zwischen 800 € und 1.600 €.

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Die Königsklasse für täglichen Gebrauch: Das Faltbett-System
Das ist im Grunde ein komplettes Bett, das sich im Inneren des Sessels versteckt. Beim Ausklappen entfaltet sich ein richtiger Lattenrost mit einer vollwertigen, separaten Matratze. Die Sitzpolster verschwinden dabei elegant unter dem Gestell. Das ist die mit Abstand komfortabelste, aber auch teuerste Lösung. Solche Systeme sind technisch anspruchsvoll und erfordern höchste Präzision im Bau. Hier bist du schnell bei 2.000 € und mehr, hast aber auch ein Möbelstück, das ein Gästebett vollwertig ersetzen kann.

Kleiner Tipp fürs Möbelhaus: Egal welches System, führe den Mechanismus selbst mehrmals vor. Und dann mach den Wackeltest: Klapp den Sessel aus und rüttle kräftig an der ausgezogenen Liegefläche. Gibt sie stark nach? Fühlt es sich instabil an? Finger weg!

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Lass dich nicht vom schicken Aussehen täuschen. Mit dieser kleinen Checkliste findest du heraus, was ein Sessel wirklich kann.

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  • Der 3-Minuten-Wackel-und-Sitz-Test: Setz dich rein, steh auf, wippe ein bisschen. Klapp ihn zum Bett aus. Leg dich drauf. Roll von links nach rechts. Spürst du irgendwo harte Streben? Und jetzt der ultimative Stresstest: Setz dich auf die vorderste Kante der Liegefläche. Wirkt der Sessel, als würde er gleich kippen oder zusammenbrechen? Ein gutes Modell bleibt absolut stabil.
  • Frag den Verkäufer Löcher in den Bauch: Aus welchem Material ist das Gestell? (Die richtige Antwort ist Massivholz oder Schichtholz). Wie hoch ist das Raumgewicht (RG) des Schaumstoffs? (Alles unter 35 ist für häufige Nutzung zu wenig). Wie viele Scheuertouren hat der Stoff? (Unter 30.000 solltest du skeptisch sein). Ein guter Verkäufer kennt diese Daten.
  • Schau genau hin: Wie sehen die Nähte aus? Sind sie gerade und fest, besonders an den Kanten? Wenn du kannst, wirf einen Blick unter den Sessel. Siehst du saubere Holzverbindungen oder nur ein Gewirr aus Tackerklammern?

Pflege-Tipps für ein langes Leben

Ein guter Schlafsessel ist eine Investition. Mit ein bisschen Pflege hast du jahrzehntelang Freude daran.

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Für die Mechanik: Einmal im Jahr die Gelenke schmieren. Aber Achtung! Nimm auf keinen Fall normales Öl oder WD-40. Das verklebt mit der Zeit durch Staub zu einer zähen Pampe und macht alles nur schlimmer. Hol dir im Baumarkt eine Dose Silikonspray. Das schmiert sauber, ohne klebrig zu sein.

Für den Bezug: Hier kommt mein absoluter Pro-Tipp, den jeder Gast zu schätzen weiß. Lege unter das Spannbettlaken immer eine dünne Matratzenauflage aus Molton (kostet ca. 15-25 €). Sie fängt Schweiß und kleine Missgeschicke auf und schont den Bezugsstoff enorm. Die Auflage kannst du einfach in die Wäsche werfen – viel leichter als den ganzen Bezug zu reinigen!

Reparatur statt Neukauf? Das lohnt sich wirklich!

Oft sehe ich Sessel, bei denen nur das Polster durchgesessen oder eine Schweißnaht am Mechanismus gebrochen ist. Bei einem qualitativ hochwertigen Möbelstück lohnt sich eine Reparatur fast immer. Einen verbogenen Mechanismus kann ein guter Schlosser oft für 150-300 € richten. Ein komplett neues Polster ist aufwendiger, aber es macht aus einem alten Schätzchen wieder ein neues. Ein professioneller Neubezug durch einen Polsterer ist eine größere Investition, rechne je nach Stoff und Aufwand mal mit 700 € bis 1.500 €. Aber das ist immer noch günstiger und nachhaltiger als ein Neukauf in derselben Qualitätsklasse.

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Achtung, Sicherheit geht vor!

Zwei Dinge musst du bei Klappmöbeln immer im Kopf haben.

Erstens: Die Quetschgefahr ist real. Die Gelenke und Hebel können Fingern böse zusetzen. Zeig jedem, der den Sessel bedient, wie es sicher geht. Und sei besonders vorsichtig, wenn Kinder im Haus sind – deren Neugier führt sie oft genau an die gefährlichen Stellen.

Zweitens: Die Standsicherheit. Ein guter Sessel darf nicht kippen, auch nicht, wenn du dich auf die Armlehne stützt. Achte auf Gütesiegel wie den „Blauen Engel“ für schadstoffarme Materialien oder frage nach, ob sich der Hersteller an gängige Sicherheitsnormen hält. Das gibt dir ein gutes Gefühl.

Ein Schlafsessel ist also ein kleines Stück Ingenieurskunst für den Alltag. Jetzt weißt du, worauf es unter der hübschen Oberfläche ankommt. Es ist die Stabilität, die Haptik der Mechanik und das Vertrauen in ein Möbel, das hält, was es verspricht – für viele Jahre und viele ausgeruhte Gäste.

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Welche Matratze für welchen Zweck?

Die Mechanik ist das Skelett, aber die Matratze ist das Herzstück Ihres Schlafsessels. Ihre Wahl beeinflusst nicht nur den Schlafkomfort, sondern auch das Sitzgefühl am Tag. Die zwei häufigsten Optionen haben sehr unterschiedliche Charaktere:

  • Kaltschaum: Der Komfort-Champion. Ideal, wenn der Sessel oft als Bett dient. Eine hochwertige Kaltschaumauflage (achten Sie auf ein Raumgewicht über 35 kg/m³) ist punktelastisch und passt sich dem Körper an. Das ist der Standard bei vielen Premium-Modellen, z.B. von Innovation Living. Der Kompromiss: Die Sitzfläche kann etwas weicher wirken.
  • Futon: Der Purist. Bietet eine sehr feste, stabile Sitz- und Liegefläche. Perfekt für alle, die eine harte Schlafunterlage bevorzugen und eine minimalistische Ästhetik schätzen. Ein echter Futon ist extrem langlebig, kann für Seitenschläfer aber zu unnachgiebig sein.