Vom alten Buch zum Tablet: Warum selbst ich als alter Hase jetzt auf digitale Fachzeitschriften schwöre
Ganz ehrlich? Meine Werkstatt riecht nach Leim, Leder und altem Papier – und ich liebe es. Seit Jahrzehnten sind meine Hände das Gefühl von rauhem Leinen und dem scharfen Falzbein gewohnt. Für mich war das Gedruckte immer die einzig wahre Welt. Ein Bildschirm? Der war für Rechnungen und E-Mails da, mehr nicht. Die Vorstellung, eine Fachzeitschrift auf einem leuchtenden Stück Glas zu lesen, fühlte sich irgendwie… seelenlos an.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Die „Verarbeitung“ einer App: Worauf es in der Werkstatt ankommt
- 2 Der digitale Werkzeugkasten im Praxistest
- 3 Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Werkstatt
- 4 Was kostet der Spaß? Eine ehrliche Rechnung
- 5 Tipps für Fortgeschrittene: So holst du alles raus
- 6 Ein ehrliches Wort zum Schluss: Das kann eine App NICHT ersetzen
- 7 Mein Fazit: Ein klares „Ja, aber…“
Und dann kam ein junger Lehrling und hat mein Weltbild mal eben auf den Kopf gestellt. Er hielt mir sein Tablet unter die Nase und meinte nur: „Meister, schau mal. Hier sind alle Ausgaben der ‚Restauro‘ und ‚HolzWerken‘ aus den letzten Jahren drin.“ Ich war skeptisch. Sehr skeptisch. Für mich gehören das Rascheln der Seiten und das Eselsohr an einer wichtigen Stelle einfach dazu. Aber die Neugier hat dann doch gewonnen. Also hab ich mir diese digitale „Magazin-Flatrate“ mal angeschaut – nicht als Ersatz, sondern als potenzielles neues Werkzeug. Hier ist mein schonungsloser Bericht aus der Praxis.

Die „Verarbeitung“ einer App: Worauf es in der Werkstatt ankommt
Als Handwerker beurteile ich alles nach seiner Qualität. Ein Buch muss gut gebunden sein, das Layout klar. Diesen Maßstab lege ich auch bei digitaler Technik an. Die App-Oberfläche ist quasi der Bucheinband: Sie muss den Inhalt schützen und ihn leicht zugänglich machen.
Die Bedienung ist zum Glück denkbar einfach. Man wischt von Seite zu Seite, fast wie beim echten Blättern. Cool ist die Seitenvorschau am unteren Rand, die einem einen besseren Überblick gibt als ein aufgeschlagenes Heft. Man kann auch direkt zu einer Seite springen, was die Suche im Inhaltsverzeichnis überflüssig macht. Das ist handwerklich sauber gelöst.
Aber der Knackpunkt ist die Lesbarkeit. Gedrucktes ist gestochen scharf. Bei einem Bildschirm hängt alles von der Auflösung ab. Auf einem billigen Tablet mit niedrigem PPI-Wert (Pixel pro Zoll) werden Texte und Baupläne schnell zu einem matschigen Brei. Das ist unbrauchbar.
Gut zu wissen: Für den professionellen Einsatz in der Werkstatt ist ein vernünftiges Tablet Pflicht. Du brauchst kein High-End-Profigerät, aber die billigsten Modelle für unter 100 Euro kannst du vergessen. Für den Anfang reicht oft schon ein solides Einsteigergerät wie ein Samsung Tab A8 für ca. 200 Euro. Wer aber wirklich Pläne im Detail studieren oder vielleicht sogar Notizen darauf machen will, sollte eher über ein iPad Air oder ein vergleichbares Gerät mit einem Top-Display nachdenken.

Und weil wir schon dabei sind: So ein teures Stück Glas in der Werkstatt? Da hat man doch ständig Angst vor Staub, Leim und Stößen. Eine robuste Schutzhülle ist daher keine Option, sondern ein Muss! Rechne hierfür nochmal mit 30 bis 40 Euro, die sind aber jeden Cent wert. Kleiner Tipp aus meiner Erfahrung: Leg das Tablet nie direkt auf die Werkbank, sondern richte dir eine saubere, sichere Ecke dafür ein.
Der digitale Werkzeugkasten im Praxistest
Die wahre Qualität eines Werkzeugs zeigt sich erst im täglichen Einsatz. Und ich muss sagen, ich habe schnell ein paar echt nützliche Arbeitsweisen für mich entdeckt.
Fallbeispiel: Recherche für eine knifflige Restauration
Kürzlich stand ich vor der Aufgabe, einen historischen Bucheinband zu restaurieren. Die Kapitalbänder waren mit einer alten, heute kaum noch verwendeten Technik genäht. In meiner eigenen Bibliothek fand ich nur vage Hinweise.
Früher hätte mich das einen ganzen Tag in der Staatsbibliothek gekostet. Heute: 10 Minuten Suche am Tablet.

Ich habe einfach Begriffe wie „Kapitalband“, „historische Heftung“ und „Einbandtechniken“ in die Suchfunktion der App eingegeben. Binnen weniger Minuten hatte ich Treffer aus diversen deutschen und britischen Fachmagazinen. Ein älterer Artikel enthielt eine detaillierte Zeichnung genau der Technik, die ich brauchte. Ich konnte die Seite als Lesezeichen speichern, das Bild heranzoomen und jedes Detail erkennen. Allein diese Zeitersparnis hat die Kosten für das Abo auf Monate gerechtfertigt.
Mein Ablagesystem: Digitale Zettelkästen
Die Lesezeichenfunktion ist mein neues Notizbuch. Ich habe mir Ordner für Projekte wie „Lederpflege“, „Marmorpapiere“ oder „Moderne Bindetechniken“ angelegt. Immer wenn ich beim Durchblättern auf etwas Spannendes stoße, landet es mit einem Klick im richtigen Ordner. Das ist so viel effizienter als meine alten Zettelkästen und Stapel von Fotokopien.
Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Werkstatt
Klar schätze ich die deutschen Fachpublikationen. Aber der wahre Schatz dieser digitalen Bibliothek ist die internationale Auswahl. Plötzlich habe ich Zugriff auf Magazine aus Skandinavien, die für ihr minimalistisches Design bekannt sind. Ich kann mir britische Zeitschriften über traditionelle Handwerkstechniken ansehen oder durch italienische Design-Magazine blättern.

Dieses Wissen fließt direkt in meine Arbeit ein. Ohne diesen schnellen Zugang zu internationalen Trends wäre ich vielleicht nie auf bestimmte Ideen gekommen. Übrigens, meine Top 3, die ich immer wieder aufschlage, sind die „HolzWerken“, die „Restauro“ und für internationale Inspiration die amerikanische „Fine Woodworking“. Das Angebot ist riesig, man sollte sich aber bewusst sein, dass sehr spezielle, wissenschaftliche Journale eher selten zu finden sind. Der Fokus liegt klar auf den bekannteren Magazinen. Für die tägliche Arbeit ist das aber mehr als genug.
Was kostet der Spaß? Eine ehrliche Rechnung
Ein Handwerker ist immer auch Kaufmann. Die Investition muss sich lohnen. Das Abo für einen Dienst wie Readly kostet um die 15 Euro im Monat. Klingt erstmal nach Geld, aber rechnen wir mal nach.
Ein einziges Jahresabo einer guten Fachzeitschrift kostet dich locker zwischen 80 und 150 Euro. Wenn du zwei oder drei davon beziehst, bist du schnell bei mehreren hundert Euro im Jahr. Dazu kommen Einzelhefte für 10 bis 20 Euro, die man mal eben am Kiosk mitnimmt. Im Vergleich dazu ist die Flatrate wirklich fair.

Rechnen wir also mal zusammen, was du für den Start brauchst:
- Tablet: Ein solides Einsteigermodell kriegst du ab ca. 200 €.
- Robuste Hülle: Unbedingt einplanen, ca. 30 €.
- Abo-Dienst: Um die 15 € pro Monat.
Das ist anfangs eine Investition, klar. Aber für einen Profi, der sich regelmäßig weiterbilden will, amortisiert sich das extrem schnell. Ach ja, es gibt natürlich auch Alternativen wie zum Beispiel PressReader. Ein kurzer Vergleich kann sich lohnen, je nachdem, welche Titel dir besonders am Herzen liegen.
Tipps für Fortgeschrittene: So holst du alles raus
Nach ein paar Monaten Nutzung habe ich ein paar Tricks entwickelt, die über das reine Lesen hinausgehen.
Dein erster Schritt – der 5-Minuten-Test: Wenn du unsicher bist, nutze einfach den kostenlosen Testzeitraum, den die meisten Apps anbieten. Lade sie runter und gib den Namen deines Lieblingswerkzeugs in die Suche ein. Speichere den interessantesten Artikel, den du findest, als Lesezeichen. So siehst du sofort, ob das Prinzip für dich funktioniert.
Offline-Funktion als Sicherheitsnetz: Der WLAN-Empfang in meiner Kellerwerkstatt ist, sagen wir mal, „charakterstark“. Bevor ich eine Arbeit anfange, bei der ich eine Anleitung brauche, lade ich die relevanten Magazine einfach herunter. So bin ich vom Netz unabhängig – super praktisch auch bei Kundenterminen.
Kreativität durch Quersuche: Manchmal suche ich absichtlich nach fachfremden Begriffen. Ich gebe „Beton“ ein, um zu sehen, wie Architekten mit Oberflächenstrukturen arbeiten, oder „Textilkunst“ für neue Musterideen. Diese Querverbindungen sind eine unschätzbare Inspirationsquelle.
Ein ehrliches Wort zum Schluss: Das kann eine App NICHT ersetzen
Bei all der Begeisterung ist es meine Pflicht als Meister, auch ein paar deutliche Warnungen auszusprechen. Ein Werkzeug ist nur so gut wie die Hand, die es führt.
Achtung, Falle 1: Information ist nicht Können. Du kannst tausend Artikel über das Hobeln lesen. Du wirst trotzdem beim ersten Versuch nur Mist produzieren. Ein Artikel erklärt eine Technik, aber er ersetzt niemals die praktische Übung. Bediene niemals eine gefährliche Maschine, nur weil du eine Anleitung gelesen hast. Handwerk lernt man in der Werkstatt. Punkt.
Achtung, Falle 2: Deine Augen. Stundenlang auf einen Bildschirm zu starren, ist anstrengend. Ganz anders als mattes Papier. Mach regelmäßig Pausen und pass die Helligkeit an das Umgebungslicht an. Dein Körper wird es dir danken.
Achtung, Falle 3: Qualität und Recht. Nicht jeder Artikel ist von einem echten Experten geschrieben. Sei kritisch, genau wie bei gedruckten Heften. Prüfe wichtige Informationen immer doppelt. Und denk dran: Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt, also nicht einfach kopieren und weiterverbreiten.
Mein Fazit: Ein klares „Ja, aber…“
Ich bleibe ein Liebhaber des gedruckten Buches. Daran wird sich nie etwas ändern. Der Geruch, die Haptik – das kann keine Datei der Welt ersetzen.
Aber ich habe gelernt, dieses digitale Werkzeug als das zu sehen, was es ist: eine unglaublich mächtige und effiziente ERGÄNZUNG. Es ist eine Bibliothek, die in meine Westentasche passt, ein Recherche-Assistent, der mir Tage an Arbeit spart, und ein Fenster zur Welt des Handwerks. Meine anfängliche Skepsis ist einem professionellen Respekt gewichen. Es ersetzt nicht das Können, aber es kann das Handwerk ungemein bereichern. Für jeden modernen Handwerker ist es definitiv eine Überlegung wert.
