Mehr als nur Gold: Was dir niemand über dieses berühmte Kuss-Gemälde erzählt

von Angela Schmidt
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Ich stand schon so oft vor dem Original dieses weltberühmten Kusses in einem großen Wiener Museum. Aber ich sehe es anders als die meisten. Ich bin Vergoldermeister, und mein Blick ist der eines Handwerkers. Er bleibt nicht an den romantischen Figuren hängen, sondern sucht die winzigen Fugen im Blattgold. Ich analysiere den warmen Glanz des Metalls im Kontrast zu den matten, farbigen Feldern. Ehrlich gesagt, sehe ich vor allem die immense technische Leistung, die hinter diesem Motiv steckt.

Klar, die Geschichten rund um das Bild sind bekannt. Man hört von dem Künstler und seiner Muse, von adeligen Auftraggebern und Skandalen. Diese Erzählungen sind spannend, keine Frage. Aber die tiefste Wahrheit des Bildes, die steckt nicht in alten Briefen, sondern im Material selbst. Sie liegt in den Techniken, die der Künstler an die Grenzen des damals Machbaren trieb. Kommen Sie mit auf einen kleinen Rundgang – nicht durch eine Galerie, sondern durch die Werkstatt eines Meisters, der Maler und Handwerker in einer Person war.

Klimt der Kuss bild
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Das Fundament: Warum eine Leinwand allein nicht reicht

Jedes gute Werk beginnt mit einer perfekten Grundlage. Das ist das Erste, was jeder Lehrling in meiner Werkstatt lernt. Ohne einen makellosen Untergrund ist jede Mühe danach vergebens. Das teuerste Blattgold der Welt wird auf einer schlechten Basis niemals glänzen. Und der Meister hinter diesem Werk wusste das ganz genau.

Für seine berühmte „Goldene Periode“ griff er nicht einfach zu vorgrundierten Leinwänden von der Stange. Die Vorbereitung war ein heiliger Akt. Wir gehen stark davon aus, dass er einen traditionellen Kreidegrund, auch Gesso genannt, verwendete. Das ist eine Mischung aus feinster Champagnerkreide und tierischem Leim, meist aus Hasenhaut. Diese Masse wird in vielen dünnen Schichten heiß aufgetragen. Jede einzelne Schicht muss trocknen – das kann je nach Dicke und Luftfeuchtigkeit schon mal mehrere Stunden dauern! – und wird danach superfein glatt geschliffen. Das Ergebnis ist eine Oberfläche, die sich fast wie Elfenbein anfühlt: hart, glatt und nur ganz leicht saugfähig. Perfekt für Farbe und vor allem für Gold.

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Warum dieser ganze Aufwand? Ganz einfach: Diese Grundierung sorgt dafür, dass die Ölfarben nicht „einsinken“ und ihren Glanz verlieren. Und für die Vergoldung ist sie absolut existenziell. Nur diese stabile, glatte Basis erlaubt es, das hauchdünne Metall später aufzulegen und sogar auf Hochglanz zu polieren.

Das goldene Geheimnis: Ein Blick in die Werkstatt

Oft höre ich Leute sagen, der Künstler hätte „mit Gold gemalt“. Das klingt schön, ist aber handwerklich nicht ganz korrekt. Gold ist ein Metall, das man nicht wie Farbe aus der Tube drückt. Er verwendete Blattgold – hauchdünne Folien aus echtem Gold. Ein solches Blättchen ist oft nur 1/10.000 Millimeter dick. Hält man es gegen das Licht, scheint es grünlich durch.

Ganz ehrlich? Als ich in der Ausbildung war, habe ich dieses fragile Material gehasst. Ich werde nie vergessen, wie mir mein erstes Blattgold durch einen unachtsamen Lufthauch einfach in tausend Stücke zerrissen ist. Ich dachte, ich lerne das nie! Es erfordert absolute Ruhe. Der kleinste Luftzug ist dein Feind. Anfassen? Tabu. Das Fett der Finger würde sofort Flecken hinterlassen. Man braucht spezielles Werkzeug: ein Vergolderkissen, ein Messer zum Schneiden und einen Pinsel aus Fehhaar, um das Gold aufzunehmen.

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Auf dem berühmten Kuss-Gemälde sehen wir mindestens zwei verschiedene Vergoldungstechniken, die ganz unterschiedliche Effekte erzeugen. Es ist ein ständiger Dialog zwischen mattem Schimmern und spiegelndem Glanz.

Einerseits gibt es die Ölvergoldung. Die ist sozusagen die robustere, zugänglichere Methode und erzeugt matte bis seidenglänzende Flächen. Man trägt einen speziellen Kleber auf Ölbasis auf und muss dann warten, bis er genau den richtigen Trocknungsgrad hat – wir nennen das in der Werkstatt, er muss „den Pfiff haben“. Fühlt man mit dem Fingerknöchel drüber, muss es leise quietschen. Diese Technik wurde wohl für die großen, ruhigen Goldflächen in der Kleidung und im Hintergrund verwendet.

Andererseits sehen wir die Polimentvergoldung, die absolute Königsdisziplin. Sie erzeugt den tiefen, spiegelnden Hochglanz, den man in den kleinen Spiralen und Ornamenten findet. Hier wird auf den Kreidegrund noch eine Schicht aus einem speziellen, fetten Ton (Bolus) aufgetragen. Nach dem Befeuchten dieser Schicht wird das Gold aufgelegt und anschließend mit einem Polierstein aus Achat auf Hochglanz gerieben. Das ist ein Moment, der pures Fingerspitzengefühl erfordert. Zu viel Druck, und du reibst durch das Gold. Zu wenig, und es glänzt nicht. Ein unglaublich aufwendiger Prozess für winzige Details!

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Kleiner Tipp für Neugierige: Lust bekommen, es selbst zu probieren?
Du musst nicht gleich ein Meisterwerk angehen! Für ein erstes Projekt kannst du günstigere Materialien verwenden. Schnapp dir ein einfaches Teelichtglas oder einen alten Holzbilderrahmen. Du brauchst:
Schlagmetall statt Blattgold (ein Block mit 25 Blättern kostet ca. 5-10 €).
Anlegemilch statt Profi-Mixtion (eine kleine Flasche mit 15-Minuten-Trocknungszeit kostet ca. 8-12 €).
– Zwei weiche Pinsel.
Das alles bekommst du in jedem gut sortierten Künstlerbedarf wie Boesner oder Gerstaecker oder auch online. Einfach die Anlegemilch dünn auftragen, 15 Minuten warten, bis sie durchsichtig und klebrig ist, und dann das Schlagmetall vorsichtig mit einem Pinsel auflegen und andrücken. Ein super Einstieg in die Welt des Vergoldens!

Farbenpracht mit Risiko: Die Chemie auf der Leinwand

Aber so ein Meisterwerk besteht ja nicht nur aus Gold. Die Farben sind es, die den Kontrast schaffen und die Emotionen transportieren. Die Palette war typisch für diese Epoche: traditionelle Erdpigmente wie Ocker, aber auch die damals ganz modernen, chemisch hergestellten Farben.

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Gut zu wissen: Viele dieser historischen Pigmente waren hochgiftig. Bleiweiß zum Beispiel war das wichtigste Weiß seiner Zeit. Es hat eine unerreichte Deckkraft, aber es ist auch ein starkes Nervengift. Wenn wir Restauratoren heute an solchen Werken arbeiten, sind Atemschutz und Handschuhe Pflicht. Damals war das Bewusstsein dafür quasi nicht vorhanden.

Auch die leuchtenden Gelb- und Rottöne könnten von Cadmiumpigmenten stammen, die ebenfalls nicht ganz ohne sind. Die wunderschöne Blumenwiese, auf der die Frau kniet, ist also nicht nur ein Fest für die Augen, sondern auch ein kleines chemisches Arsenal.

Und heute? Sichere Alternativen.
Keine Sorge, moderne Künstler müssen sich diesen Gefahren nicht mehr aussetzen. Statt Bleiweiß verwenden heute fast alle das absolut unbedenkliche Titanweiß. Und für die leuchtenden Farben gibt es sogenannte „Cadmium-Hues“ oder andere synthetische Pigmente, die den originalen Farbton perfekt imitieren, aber völlig ungiftig sind. Sicherheit geht in der Werkstatt immer vor!

Ein Dialog aus Form und Material

Wenn wir das Bild jetzt mit diesem ganzen Wissen im Hinterkopf betrachten, sehen wir eine ganz neue Geschichte. Der Künstler nutzt die unterschiedlichen Materialien, um den Kontrast zwischen Mann und Frau darzustellen.

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Der Mann ist in ein Gewand aus harten, eckigen Formen gehüllt. Die Rechtecke sind meist matt vergoldet (also Ölvergoldung). Sie stehen für Stärke, Struktur, das Maskuline. Die Frau hingegen ist in weiche, runde, fließende Formen gekleidet. Ihre Robe ist mit bunten, organischen Kreisen verziert, in denen das Gold nur aufblitzt – oft als hochglänzende Spirale (also Polimentvergoldung). Dieser Kontrast ist nicht nur gemalt, er ist materiell!

Und jetzt der ultimative Tipp für deinen nächsten Museumsbesuch: Stell dich vor das Original und bewege dich ein paar Schritte nach links und rechts. Beobachte, wie das Licht auf der Oberfläche spielt. Du wirst sehen: Die matten Gold-Rechtecke im Gewand des Mannes bleiben ruhig und warm. Aber die polierten Spiralen im Kleid der Frau werden aufblitzen wie kleine Sonnen. Das ist kein Zufall, das ist kalkulierte, handwerkliche Brillanz.

Die ewige Herausforderung: Ein Erbe bewahren

Ein Bild, das über hundert Jahre alt ist und aus so vielen verschiedenen Materialien besteht, ist eine Diva. Seine Erhaltung ist eine Daueraufgabe. Die größte Herausforderung ist, dass Leinwand, Kreidegrund, Gold und Ölfarbe völlig unterschiedlich auf Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit reagieren. Das ist ein ständiges Tauziehen der Materialien.

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Auch die Reinigung ist ein Albtraum. Staub mit einem feuchten Tuch abwischen? Eine Katastrophe! Die Polimentvergoldung ist wasserlöslich und wäre sofort hinüber. Deshalb ist das stabile Klima in einem Museum (meist um die 20 °C und 50-55 % Luftfeuchtigkeit) keine Schikane, sondern überlebenswichtig.

Achtung! Versuche niemals, einen alten, vergoldeten Rahmen oder gar ein Gemälde selbst zu „verbessern“. Ein falscher Wisch, und der Glanz ist für immer weg. Das ist ein Job für absolute Profis.

Was wir vom Meister lernen können

Die Faszination dieses Gemäldes liegt eben nicht nur im romantischen Motiv. Sie liegt in der perfekten Verschmelzung von großer Kunst und ehrlichem Handwerk. Der Schöpfer war nicht nur ein Visionär seiner Kunstepoche. Er war auch ein Meister der Materialien, der Techniken beherrschte, die seit dem Mittelalter überliefert wurden.

„Der Kuss“ ist ein Symbol der Liebe, ja. Aber für mich ist er auch ein Denkmal für das Handwerk. Er zeigt, dass die größten Kunstwerke oft auf einfachen Prinzipien beruhen: eine solide Grundlage, Respekt vor dem Material und unzählige Stunden geduldiger Arbeit. Wenn du das nächste Mal davorstehst, schau genauer hin. Suche nach den Spuren des Handwerkers. Du wirst ein noch viel größeres Wunder entdecken.

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„Klimts ‚Goldene Phase‘ wurde maßgeblich von zwei Reisen nach Ravenna im Jahr 1903 beeinflusst, wo er die byzantinischen Mosaike von San Vitale sah.“

Das war mehr als nur Inspiration; es war eine technische Offenbarung. Klimt übertrug die uralte Idee, Licht durch Goldplättchen einzufangen, von der starren Architektur in die fließende Welt der Leinwand. Er ersetzte die winzigen Glas- und Goldsteinchen (Tesserae) der Mosaike durch hauchdünnes Blattgold und -silber, um eine ganz neue Art von Leuchtkraft zu erzeugen – eine, die nicht göttlich distanziert, sondern sinnlich und zum Greifen nah wirkt.

Wie erreicht man die unterschiedlichen Goldtöne im Gemälde?

Ein Meister wie Klimt kombinierte wahrscheinlich zwei traditionelle Vergoldungstechniken, um den faszinierenden Kontrast zwischen matten und spiegelnden Flächen zu schaffen. Für die brillanten, glatten Heiligenscheine kam die aufwendige Polimentvergoldung zum Einsatz. Hier wird das Blattgold auf den im Artikel beschriebenen Kreidegrund gelegt und kann anschließend mit einem Achatstein auf Hochglanz poliert werden. Für die raueren, texturierten Muster auf dem Gewand des Mannes eignet sich die Ölvergoldung (Mixtion) besser. Dabei wird das Gold auf einen speziellen Kleblack aufgetragen, was eine samtig-matte Oberfläche ergibt.

Angela Schmidt

Nach dem Abschluss meines Studiums für Journalismus an der Uni- München, arbeite ich freiberuflich für diverse Formate und Produktionen. Freshideen ist für mich ein gegenseitiges Langzeitprojekt, mit dem ich meinen Alltag viel schöner gestalte. Die Themen der Nachhaltigkeit und der Umwelt bewegen mich am meisten, aber auch die kreativen DIY Ideen finden Platz in meinem Herzen.