Industriestil im Kinderzimmer? So geht’s richtig (und sicher!).
Ich sehe es immer wieder: Der Industriestil ist einfach nicht totzukriegen. Man kennt ihn aus Lofts und coolen Cafés, aber immer öfter soll er auch ins Kinderzimmer einziehen. Viele Eltern kommen mit klaren Vorstellungen auf mich zu – raue Wände, Möbel aus Metall, alles sehr erwachsen und stylisch. Meine erste Reaktion ist da immer ein bisschen bremsend. Denn ganz ehrlich: Ein Kinderzimmer ist kein Showroom. Es ist ein Lebensraum, der sicher sein, Geborgenheit ausstrahlen und die Fantasie beflügeln muss.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Die Grundlagen: Was macht den Industrial Look wirklich aus?
- 0.2 Wand und Boden: Die Bühne für deinen Style
- 0.3 Möbel, die was aushalten: Sicher, langlebig und cool
- 0.4 Die Seele des Raumes: Licht, Farbe & Textilien
- 0.5 Hilfe, es klappt nicht! Typische Probleme und ihre Lösungen
- 0.6 Sicherheit zuerst: Wann du einen Profi brauchst
- 0.7 Ein letztes Wort…
- 1 Bildergalerie
Die gute Nachricht ist: Der coole Industrie-Look und ein gemütliches Kinderzimmer müssen sich nicht ausschließen! Man muss nur wissen, wie. Es geht nicht darum, einfach ein paar Möbel aus dem Katalog zu bestellen. Es geht darum, den Kern des Stils zu verstehen: ehrliche Materialien, durchdachte Funktion und eine langlebige Bauweise. Wenn wir das aufgreifen, können wir Räume schaffen, die nicht nur fantastisch aussehen, sondern auch praktisch und inspirierend sind.
In diesem Beitrag zeige ich dir, worauf es wirklich ankommt – von der Wandgestaltung über die Möbelauswahl bis zu den kleinen Details, die aus einem kühlen Trend einen warmen, lebendigen Ort für dein Kind machen.

Die Grundlagen: Was macht den Industrial Look wirklich aus?
Bevor du jetzt die Farbrolle zückst, lass uns kurz über den Ursprung des Stils sprechen. Der kam nämlich aus der Not heraus. Alte Fabrikhallen wurden zu Wohnungen. Man hatte, was man hatte: hohe Decken, riesige Fenster, nackte Ziegelwände und Betonböden. Die Möbel waren oft alte Werkbänke, Spinde und Metallregale. Nichts wurde versteckt. Die Rohre an der Decke und die Schweißnähte am Regal waren einfach da – und wurden so zum Teil des Designs. Genau diese Ehrlichkeit ist der Kern.
Fürs Kinderzimmer heißt das: Wir setzen auf robuste, echte Materialien. Wir überlegen uns, welche Funktion jedes Teil hat. Und, ganz wichtig, wir schaffen eine Balance zwischen den rauen Elementen und der Wärme, die ein Kind braucht.
Kleiner Exkurs in die Physik: Wärme & Akustik
Ein typischer Anfängerfehler ist, die Raumatmosphäre zu ignorieren. Eine nackte Beton- oder Ziegelwand fühlt sich im Winter oft eiskalt an. Das liegt daran, dass sie Wärme schlecht speichert und schnell nach außen leitet. Für ein Zimmer, in dem viel auf dem Boden gespielt wird, ist das alles andere als ideal. Niemand kuschelt sich gerne an eine kalte Wand.

Genauso wichtig ist die Akustik. Harte, glatte Oberflächen wie Metall, Glas oder Beton werfen den Schall gnadenlos zurück. Der Raum hallt, was für empfindliche Kinderohren super anstrengend sein kann. Es fühlt sich einfach ungemütlich an. Aber keine Sorge, die Lösung ist simpel: Textilien! Ein großer, dicker Teppich, schwere Vorhänge oder sogar ein paar Filzpaneele an der Wand wirken Wunder. Sie schlucken den Schall und machen den Raum sofort behaglicher.
Wand und Boden: Die Bühne für deinen Style
Die Basis für den Look sind Wände und Boden. Hier lohnt es sich, sorgfältig zu planen und nicht am falschen Ende zu sparen. Hier mal die gängigsten Optionen im Vergleich:
Die Ziegelwand – echt oder als Trick?
Eine echte Ziegelwand freizulegen, ist natürlich der Jackpot im Altbau. Aber Achtung! Die muss gründlich gereinigt und vor allem versiegelt werden. Eine unbehandelte Ziegelwand staubt permanent, was für Kinderzimmer (Stichwort Allergien) ein No-Go ist. Ich empfehle hier eine transparente, diffusionsoffene Versiegelung auf Silikatbasis. Die lässt die Wand atmen, was super fürs Raumklima ist. Acryllacke sind zwar günstiger, machen die Wand aber dicht und können unschön glänzen.

Viel praktischer sind Ziegelriemchen. Das sind dünne Scheiben von echten Ziegeln, die wie Fliesen aufgeklebt werden. Du findest sie in jedem gut sortierten Baumarkt oder online, die Preise liegen so zwischen 30 € und 80 € pro Quadratmeter. Das Anbringen ist machbar, aber zeitaufwändig – plane für eine mittelgroße Wand ruhig ein ganzes Wochenende ein. Wichtig ist, dass keine scharfen Kanten entstehen, an denen sich ein Kind verletzen kann!
Die Betonoptik – edel, aber anspruchsvoll
Eine Wand in Betonoptik sieht mega edel aus. Dafür gibt es spezielle Spachtelmassen, die in mehreren dünnen Schichten aufgetragen und verdichtet werden. Das ist aber definitiv was für Leute mit Geduld und Übung, denn jeder Fehler im Untergrund wird sichtbar. Kostenpunkt: Rechne mit ca. 20-50 € pro Quadratmeter nur für das Material. Eine einfachere Alternative sind Betonoptik-Farben, die aber oft weniger authentisch wirken. Egal welche Technik: Zum Schluss sollte eine matte Schutzversiegelung drauf, damit die Wand abwischbar ist.

Der Boden: Robust muss er sein, aber bitte fußwarm
Ein polierter Betonboden (geschliffener Estrich) ist der Traum, aber auch eine Sache für absolute Spezialisten und ohne Fußbodenheizung im Kinderzimmer wirklich eiskalt. Ehrlich gesagt, würde ich davon abraten.
Der perfekte Partner für den Industriestil ist und bleibt ein Holzboden. Breite Dielen aus Eiche oder Lärche bringen sofort die nötige Wärme rein. Mein persönlicher Favorit fürs Kinderzimmer ist eine geölte Oberfläche. Warum? Kratzer und Macken, die unweigerlich kommen, fallen weniger auf und lassen sich lokal ausbessern. Einfach die Stelle leicht anschleifen und neues Öl drauf – fertig. Bei einem lackierten Boden musst du bei einem tiefen Kratzer oft die ganze Fläche erneuern. Ein riesiger Aufwand!
Möbel, die was aushalten: Sicher, langlebig und cool
Hier zeigt sich, ob der Look nur Fassade ist oder wirklich durchdacht. Billige „Industrial-Möbel“ aus dünnem Blech und folierter Spanplatte halten oft nicht mal bis zum nächsten Geburtstag.

Metallmöbel: Spinde und Regale mit Geschichte
Alte Spinde oder Werkstattschränke sind Klassiker. Auf Flohmärkten oder bei Kleinanzeigen findest du oft coole Stücke für 50 € bis 200 €. Aber schau genau hin: Gibt es rostige Stellen oder scharfe Kanten? Ein Azubi von mir hat sich mal an einer unsauberen Kante eines alten Spinds fies geschnitten. Seitdem meine goldene Regel: Alle Kanten müssen mit einer Feile „gebrochen“, also leicht abgerundet werden!
ACHTUNG, LEBENSWICHTIG: Jedes hohe Möbelstück – egal ob Regal oder Schrank – MUSS kippsicher an der Wand befestigt werden. Kinder klettern. Ein umstürzender Metallschrank ist eine tödliche Gefahr. Das ist keine Empfehlung, das ist eine absolute Pflicht!
Dein erstes Projekt: Der Bohlen-Schreibtisch für unter 100 €
Ein Schreibtisch aus alten Gerüstbohlen ist ein perfektes Einsteigerprojekt und sieht super aus. Hier eine kleine Anleitung:
- Einkaufsliste: 1 alte Gerüstbohle (Kleinanzeigen/Baustoffhandel, ca. 20-40 €), 2 einfache Metall-Tischböcke (z.B. von IKEA oder aus dem Baumarkt, ca. 30 €), Hartwachsöl mit Kinderspielzeug-Zertifizierung (ca. 25 € für eine kleine Dose), Schleifpapier (Körnung 80 und 180).
- Schritt 1: Reinigen. Die Bohle ist oft voller Dreck. Schrubb sie gründlich mit einer Drahtbürste ab.
- Schritt 2: Schleifen. Jetzt kommt der anstrengende Teil. Schleife die Bohle erst mit grobem 80er-Papier, dann mit feinem 180er-Papier, bis die Oberfläche glatt ist und keine Splitter mehr abstehen.
- Schritt 3: Ölen. Trage das Hartwachsöl mit einem sauberen Lappen dünn auf. Lass es nach Herstellerangabe einziehen und trocknen. Meist sind 2-3 Anstriche nötig. Das Öl schützt das Holz und ist nach dem Aushärten (dauert oft 24-48 Stunden) völlig unbedenklich. Achte unbedingt auf die Zertifizierung für Kinderspielzeugsicherheit (oft als EN 71-3 gekennzeichnet)!
Bohle auf die Böcke legen, fertig ist dein individueller Designer-Schreibtisch!

Die Seele des Raumes: Licht, Farbe & Textilien
Ein Raum kann perfekte Wände und Möbel haben und trotzdem kalt wirken. Die wahren Geheimwaffen für Gemütlichkeit sind die „weichen“ Faktoren.
Das richtige Lichtkonzept
Eine einzelne nackte Glühbirne an der Decke ist zwar typisch, macht aber kein gutes Licht. Ein gutes Konzept hat immer drei Ebenen:
- Grundbeleuchtung: Eine Deckenleuchte mit Dimmer, um die Helligkeit anzupassen.
- Arbeitslicht: Eine gute, blendfreie Schreibtischlampe.
- Akzentlicht: Kleine, warme Lichtquellen wie eine Nachttischlampe oder eine Lichterkette.
Kleiner Tipp: Achte auf die Lichtfarbe. „Warmweiß“ (ca. 2700 Kelvin) sorgt für Gemütlichkeit. Alles über 4000 Kelvin wirkt schnell steril wie in einer Arztpraxis.
Farbe gegen die Monotonie
Grau, Schwarz, Braun – die typische Farbpalette kann schnell düster wirken. Setz gezielte Farbakzente! Ein Spind in knalligem Gelb. Eine Wand in tiefem Petrolblau. Bunte Kissen auf dem Bett. Das bricht die Strenge auf und bringt Leben in die Bude. Aber übertreib es nicht – ein oder zwei Akzentfarben reichen völlig.

Industrie-Look für Ungeduldige: Schnelle Ideen
Du willst nicht gleich die ganze Bude umbauen? Kein Problem! Hier sind ein paar „Quick Wins“ für den schnellen Effekt:
- Kabel-Tausch: Ersetze die schnöden weißen Plastikkabel von Lampen durch coole, farbige Textilkabel (gibt’s online für ein paar Euro).
- Kisten-Regal: Schraub ein paar alte Weinkisten oder Obstkisten an die Wand. Sieht super aus und kostet fast nichts.
- Tafelwand: Streiche eine Wand (oder auch nur einen Teil davon) mit Tafelfarbe. Das ist praktisch und passt perfekt zum Look.
Hilfe, es klappt nicht! Typische Probleme und ihre Lösungen
- Problem: Der Raum wirkt kalt und unpersönlich.
Lösung: Mehr Holz, mehr Textilien! Tausch ein Metallregal gegen eines aus Holz. Hol dir einen größeren, flauschigeren Teppich. Häng persönliche Bilder auf. Und ganz wichtig: mehr kleine, warme Lichtquellen! - Problem: Die alten Flohmarkt-Möbel riechen muffig.
Lösung: Erstmal gründlich mit Essigwasser reinigen und in der Sonne trocknen lassen. Schalen mit Kaffeepulver im Schrank helfen auch. Wenn gar nichts geht, kann man die Innenflächen mit Schellack versiegeln – das ist ein natürliches Harz, das Gerüche super einschließt. - Problem: Das Zimmer ist zu dunkel.
Lösung: Helle Farben an den Wänden! Vielleicht muss die coole Betonwand doch auf eine kleinere Akzentfläche reduziert werden. Ein großer Spiegel kann auch Wunder wirken, weil er das Tageslicht reflektiert.

Sicherheit zuerst: Wann du einen Profi brauchst
Ich kann es nicht oft genug sagen: Bei aller Liebe zum Selbermachen, die Sicherheit deines Kindes hat oberste Priorität. Bei diesen Dingen gibt es keine Kompromisse:
- Elektrik: Lass die Finger von Elektroarbeiten! Das Anschließen von Lampen oder das Verlegen von Steckdosen ist ein Job für einen Elektriker. Punkt.
- Schadstoffe: Verwende nur Farben, Lacke und Öle, die explizit für Kinderspielzeug geeignet sind. Sei extrem vorsichtig bei alten, lackierten Möbeln – hier können Lacke mit Blei verwendet worden sein.
- Stabilität: Jedes hohe Möbelstück an die Wand dübeln! Prüfe selbstgebaute Konstruktionen lieber dreimal auf ihre Stabilität. Ein Hochbett aus Wasserrohren sieht zwar cool aus, aber ohne statisches Verständnis kann das lebensgefährlich werden. Sowas lieber vom Profi planen lassen.
Ein letztes Wort…
Ein Kinderzimmer im Industriestil ist ein tolles Projekt. Aber vergiss bei all den coolen Ideen nie, für wen der Raum ist. Es geht nicht darum, einen Wohntrend 1:1 zu kopieren. Es geht darum, die besten Elemente – Robustheit, ehrliche Materialien, klare Funktion – zu nehmen und sie in eine kindgerechte, sichere und gemütliche Welt zu übersetzen.

Und der allerwichtigste Tipp: Beziehe dein Kind mit ein! Vielleicht findet es eine große Tafelwand viel cooler als eine graue Betonoptik. Der beste Raum ist der, der gemeinsam entsteht und mit seinen Bewohnern wächst. Wenn er dann noch mit Sorgfalt und guten Materialien gemacht ist, überlebt er vielleicht sogar die Pubertät. Und das, mein Freund, ist dann wirklich nachhaltig.
Bildergalerie


Wie kann eine Wand praktisch sein, ohne wie ein Fremdkörper im Industrie-Look zu wirken?
Die Lösung ist eine multifunktionale Kreativ-Wand. Streichen Sie eine definierte Fläche zuerst mit Magnetfarbe (z.B. von Magpaint) und darüber mit schwarzer oder dunkelgrauer Tafelfarbe. Das Ergebnis ist eine matte, rohe Oberfläche, die perfekt zum Stil passt. Ihr Kind kann darauf nach Herzenslust mit Kreide malen und gleichzeitig mit Magneten Kunstwerke, Fotos oder Stundenpläne befestigen. So wird die Wand zum lebendigen, sich ständig verändernden Mittelpunkt des Zimmers – funktional, kreativ und absolut stil-echt.

Textilien sind der emotionale Gegenpol zu kühlen, harten Oberflächen. Sie dämpfen nicht nur den Schall, sondern vermitteln auch ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit.
Genau das ist der Schlüssel für einen wohnlichen Industrie-Look! Brechen Sie die Strenge von Metall und Beton bewusst auf. Ein hochfloriger, waschbarer Spielteppich (z.B. von Lorena Canals) definiert eine weiche Insel im Raum. Grob gestrickte Wolldecken auf dem Bett und Kissen aus verschiedenen Materialien wie Samt oder Cord laden zum Kuscheln ein. Auch schwere Vorhänge aus Leinen oder Filz verbessern die Akustik und machen den Raum sofort gemütlicher.
Vintage-Fund oder sichere Neuheit?
Der authentische Spind: Er hat Charakter, aber oft auch scharfe Kanten und alte Lacke – ein Risiko für neugierige Kinderhände. Besser als reines Deko-Objekt nutzen, das gut gesichert ist.
Die moderne Interpretation: Hersteller wie das französische Label Laurette zeigen, wie es geht. Der typische Look wird mit abgerundeten Ecken, Lacken auf Wasserbasis und kindgerechter Ergonomie kombiniert. Hier steht die Sicherheit im Vordergrund, ohne den Stil zu verraten.



