Murano-Glas: So erkennst du echte Schätze (und lässt Fälschungen links liegen)
Ich arbeite schon ewig mit Glas. Ich habe es geschnitten, geschliffen, restauriert – du nennst es, ich hab’s gemacht. Aber es gibt da ein Material, das mich auch nach all den Jahren immer wieder kurz innehalten lässt: echtes Murano-Glas. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal ein älteres Stück in Händen hielt. Es war eine Vase in diesem typischen Stil, den man aus der Mitte des letzten Jahrhunderts kennt. Und wow, sie war viel schwerer als erwartet. Das Licht brach sich in den eingeschlossenen Farbschichten auf eine Art, die ich noch nie gesehen hatte. Es war nicht nur Glas. Es fühlte sich an wie eingefangenes Licht, wie eine Geschichte in Form gegossen.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 1. Die Basis von allem: Mehr als nur Sand und Feuer
- 0.2 2. Die Techniken der Meister: Ein Tanz mit dem Feuer
- 0.3 3. Echtheit erkennen: Meine Tipps aus der Werkstatt
- 0.4 4. Dein Murano-Glas zu Hause: Pflege-Tipps
- 0.5 5. Für Sammler: Ein paar Gedanken zur Restaurierung
- 0.6 6. Ein letztes Wort zur Sicherheit
- 1 Bildergalerie
Klar, viele reden heute über Murano-Glas und meistens geht es nur um Deko und Exklusivität. Aber dahinter steckt so viel mehr. Eine jahrhundertealte Handwerkskunst, die eine Mischung aus Physik, Chemie und unglaublicher körperlicher Anstrengung ist. In diesem Guide will ich mein Wissen aus der Praxis mit dir teilen. Wir schauen uns an, was dieses Glas wirklich ausmacht, welche Techniken die Meister anwenden und – ganz wichtig – ich gebe dir ehrliche Tipps, wie du echte Stücke von den unzähligen Fälschungen unterscheiden kannst.

1. Die Basis von allem: Mehr als nur Sand und Feuer
Jedes gute Handwerk beginnt mit dem Material, logisch. Ein junger Azubi hat mich mal gefragt, ob Glas nicht einfach nur geschmolzener Sand sei. Im Grunde hatte er recht, aber genau hier liegt das erste Geheimnis von Murano: Es kommt auf die Qualität und das „Rezept“ der Zutaten an.
Das „Rezept“ – Was steckt wirklich drin?
Die Hauptzutat ist immer Quarzsand. Aber für Murano-Glas muss er extrem rein und eisenarm sein, sonst bekommt das Glas später diesen unschönen Grünstich. Früher kam der beste Sand aus bestimmten Regionen Italiens, heute wird er weltweit bezogen und penibel geprüft.
Sand allein schmilzt aber erst bei brutalen 1700 Grad Celsius. Um das Ganze energieeffizienter und im Ofen überhaupt handhabbar zu machen, kommen Flussmittel dazu. Das Wichtigste ist Soda, das den Schmelzpunkt auf machbare 1200 bis 1400 Grad senkt. Damit das Glas aber nicht wasserlöslich und spröde wird, braucht es noch einen Stabilisator, meistens Kalk. Sand, Soda, Kalk – das ist die Grundmischung, die „partita“.

Die eigentliche Magie liegt aber in den Zusätzen. Für die unfassbar leuchtenden Farben mischen die Meister Metalloxide bei. Ein Hauch Kobaltoxid? Ergibt ein tiefes, sattes Blau. Das berühmte rubinrote Glas? Das entsteht durch die Zugabe von echtem Gold. Ehrlich, das ist kein Marketing-Gag. Winzige Goldpartikel im Glas brechen das Licht so, dass es rot erscheint. Das erklärt dann auch den Preis mancher Stücke.
Der Schmelzprozess – Ein Kreislauf aus Hitze
Die Zutaten werden grammgenau abgewogen, gemischt und kommen dann in den Schmelzofen, die „fornace“. Und jetzt stell dir mal vor: Diese Öfen laufen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, oft über Jahre hinweg ohne Pause. Ein Abschalten und Wiederaufheizen würde die feuerfesten Steine zerstören und Unmengen an Energie fressen. Ich war mal in so einer Werkstatt – die Hitze ist unvorstellbar. Du spürst sie, du riechst sie, und der Lärm ist ohrenbetäubend. In dieser Umgebung arbeiten die Profis.

Es dauert etwa 12 Stunden, bis aus der Mischung eine zähe, honigartige Masse wird. Währenddessen müssen Verunreinigungen abgeschöpft werden, ein entscheidender Schritt für die spätere Klarheit. Das Ergebnis ist eine glühende Kugel flüssigen Glases, der „bolo“, bereit für die Hände des Meisters.
2. Die Techniken der Meister: Ein Tanz mit dem Feuer
Jetzt beginnt der eigentliche Zauber. Wenn der Meister das Glas aus dem Ofen holt, hat er nur wenige Minuten, manchmal Sekunden, um es zu formen. Jede Bewegung muss sitzen. Das ist pures Erfahrungswissen, das über Generationen weitergegeben wird.
Die Werkzeuge sind dabei erstaunlich einfach und haben sich kaum verändert:
- Canna da Soffio: Die Glasmacherpfeife, ein langes, hohles Eisenrohr.
- Pontello: Eine massive Eisenstange, die am Boden des Stücks befestigt wird, um die Öffnung zu bearbeiten.
- Borselle und Tagianti: Verschiedene Zangen und Scheren, um das Glas zu ziehen, zu zwicken und zu schneiden.
Hier sind ein paar der berühmtesten Techniken, die du kennen solltest:

Millefiori („Tausend Blumen“): Absolut faszinierend. Man stellt dicke Glasstäbe her, die im Querschnitt ein Muster haben (wie eine Blume). Diese Stäbe, „Murrine“ genannt, werden dann extrem lang gezogen, wobei das Muster erhalten bleibt. Nach dem Abkühlen schneidet man dünne Scheiben davon ab, legt sie in eine Form und verschmilzt sie. Echte Millefiori-Arbeiten erkennst du daran, dass die Muster immer leicht unregelmäßig sind – Handarbeit eben!
Avventurina: Hier werden winzige Kupferkristalle ins Glas eingeschmolzen, was einen goldenen Glitzereffekt wie ein Sternenhimmel erzeugt. Der Name kommt von „avventura“ (Abenteuer), weil die Erfindung angeblich ein Zufall war.
Sommerso („Untergetaucht“): Mein persönlicher Favorit. Ein farbiger Glaskörper wird in andersfarbiges Klarglas getaucht, manchmal mehrfach. So entstehen Objekte mit einer unglaublichen Farbtiefe. Man sieht die inneren Schichten durch die äußeren hindurch, was fantastische optische Effekte erzeugt.
Incalmo: Die absolute Königsdisziplin. Zwei getrennt geblasene Glasteile werden heiß miteinander verschmolzen. Die Schwierigkeit: Beide Teile müssen exakt die gleiche Temperatur und den gleichen Durchmesser haben. Man erkennt es an der haarscharfen, perfekten Naht zwischen zwei Farben.

Nach der Formgebung kommt jedes Stück in einen Kühlofen, wo es langsam und kontrolliert abkühlt. Würde man das überspringen, würde die Spannung im Inneren das Glas einfach zerspringen lassen.
3. Echtheit erkennen: Meine Tipps aus der Werkstatt
Der Markt ist leider voll mit billigen Fälschungen. Aufschriften wie „Murano-Stil“ sind wertlos. Als Handwerker achte ich auf Dinge, die man nicht so einfach kopieren kann. Hier kommt die versprochene Checkliste für dich.
Das untrügliche Zeichen: Die „Narbe“ am Boden
Dreh das Stück um. Fast jedes mundgeblasene Murano-Glas hat am Boden eine kleine, raue oder unebene Stelle. Das ist die Abrissstelle des „Pontello“, der Haltestange. Man nennt sie auch Pontil-Narbe. Sie wird oft leicht poliert, ist aber fast immer spürbar. Massenware aus Pressformen hat einen perfekt glatten Boden. Das Fehlen dieser Narbe ist für mich das K.O.-Kriterium Nummer eins.
Der ultimative Schnell-Check: Echt vs. Fälschung
Stell dir vor, du stehst auf dem Flohmarkt. Worauf achtest du in 30 Sekunden?

- Echtes Murano: Fühlbare Narbe am Boden. Es ist leicht asymmetrisch, kein Stück ist 100% identisch mit einem anderen. Oft siehst du winzige, unregelmäßige Luftbläschen im Glas. Die Farben sind im Glas eingeschmolzen und leuchten brillant.
- Typische Fälschung: Der Boden ist spiegelglatt. Zwei Vasen nebeneinander sind exakte Klone. Die Farben wirken oft aufgemalt oder blass und haben keine Tiefe. Manchmal sieht man sogar eine feine Naht an der Seite – ein klares Zeichen für eine billige Pressform.
Ich erinnere mich, wie ich als junger Kerl mal auf dem Markt ein vermeintliches Schnäppchen gemacht habe. Ein kleiner Aschenbecher in Sommerso-Technik, dachte ich. Zu Hause merkte ich: Der Boden war glatt wie ein Babypopo. Die Lektion habe ich nie vergessen.
Womit musst du preislich rechnen?
Das ist die Frage, die alle beschäftigt. Ganz ehrlich, die Spanne ist riesig. Um dir eine grobe Vorstellung zu geben:
- Kleine Stücke (Tiere, Briefbeschwerer): Fangen oft so bei 40 € an, können aber je nach Technik und Manufaktur auch schnell 150 € kosten.
- Kleine, unsignierte Vasen: Je nach Alter und Stil kannst du hier zwischen 80 € und 300 € fündig werden.
- Signierte Stücke bekannter Werkstätten: Hier geht es meist erst ab 500 € los, und nach oben gibt es kaum eine Grenze.
Achtung: Wenn dir jemand ein angeblich altes, seltenes Stück für 100 € anbietet, ist es fast sicher eine Fälschung. Wenn ein Angebot zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es das meistens auch.

Wo kauft man sicher?
Vergiss die Souvenirläden direkt an den Touristen-Hotspots. Suche nach spezialisierten Galerien oder seriösen Online-Händlern. Gute Zeichen sind: Sie geben detaillierte Beschreibungen, zeigen Fotos von ALLEN Seiten (besonders vom Boden!), erwähnen kleine Makel und bieten eine Herkunftsgarantie sowie ein Rückgaberecht an. Kaufen bei jemandem, der für seine Ware geradesteht, ist immer die beste Versicherung.
4. Dein Murano-Glas zu Hause: Pflege-Tipps
So ein Schatz will natürlich auch richtig behandelt werden. Ich habe schon zu viele Stücke gesehen, die durch falsche Pflege ruiniert wurden.
Der richtige Standort
Stell dein Glas niemals in die pralle, direkte Sonne. Eine massive Glaskugel kann wie ein Brennglas wirken – kein Witz, ich kenne einen Fall, wo eine Fensterbank zu kokeln anfing. Außerdem können UV-Strahlen über Jahre manche Farben ausbleichen.
Kleiner Quick-Win: Wenn du ein Stück auf einem sonnigen Fensterbrett stehen hast, nimm es JETZT weg und such ihm einen besseren Platz. Geh, mach’s! Dein Glas wird es dir danken.

Die Reinigung – Weniger ist mehr
Das Wichtigste zuerst: NIEMALS in die Spülmaschine! Die aggressiven Salze machen die Oberfläche mit der Zeit milchig, und das ist irreparabel.
- Staub: Ein weicher Kosmetikpinsel oder ein Mikrofasertuch sind perfekt.
- Leichter Schmutz: Lauwarmes Wasser mit einem Tropfen mildem Spüli. Danach sofort mit einem fusselfreien Tuch abtrocknen.
- Kalkränder in Vasen: Eine Mischung aus Wasser und etwas Essigessenz ein paar Stunden einwirken lassen, dann gut ausspülen. Bitte niemals kratzige Schwämme benutzen!
5. Für Sammler: Ein paar Gedanken zur Restaurierung
Was, wenn doch mal was kaputtgeht? Die ehrliche Antwort: Eine perfekte Reparatur gibt es bei Glas nicht. Man kann Teile mit speziellen UV-Klebern verbinden, aber die Naht wird fast immer sichtbar bleiben. Ein fehlendes Teil zu ersetzen, ist quasi unmöglich, weil die exakte Farbe und Form nie wieder zu 100% getroffen werden kann.
Mein Rat: Bring das Stück zu einem Profi und lass dich beraten. Manchmal ist ein ehrlicher Sprung schöner als eine schlechte Reparatur. Und wenn du anfängst zu sammeln, spezialisiere dich! Konzentriere dich zum Beispiel auf eine Technik wie Sommerso oder auf die organischen, farbenfrohen Formen einer bestimmten Ära. So baust du echtes Expertenwissen auf.

6. Ein letztes Wort zur Sicherheit
Zwei Dinge liegen mir noch am Herzen.
Erstens: Murano-Kronleuchter können locker 30 Kilo und mehr wiegen. Die Montage ist ein Job für einen Fachmann, der die Deckenkonstruktion prüft. Eine falsche Installation ist lebensgefährlich.
Zweitens: Sehr alte Glasstücke können historisch bedingt gesundheitsschädliche Stoffe enthalten. Sie sind als Deko-Objekte unbedenklich, aber bitte iss oder trink nicht daraus.
Murano-Glas ist eben mehr als nur ein schönes Objekt. Es ist ein Stück Handwerksgeschichte, voller Schweiß und Leidenschaft. Und wenn du gelernt hast, diese Geschichte zu lesen, hältst du etwas wirklich Wertvolles in Händen.
Bildergalerie

Ein Murano-Kronleuchter ist mehr als nur eine Lichtquelle – er ist ein Kunstwerk. Damit sein einzigartiger Glanz über Jahrzehnte erhalten bleibt, bedarf er einer sanften, aber bewussten Pflege. Vergessen Sie aggressive Glasreiniger und harte Tücher!
- Regelmäßiges Entstauben: Ein weicher Federwedel oder ein statisches Staubtuch sind Ihre besten Freunde für die wöchentliche Pflege. So verhindern Sie, dass sich Schmutz festsetzt.
- Die sanfte Nassreinigung: Für eine gründlichere Reinigung (etwa einmal im Jahr) verwenden Sie ein Gemisch aus lauwarmem, destilliertem Wasser und einem Tropfen pH-neutraler Seife. Mit einem weichen Mikrofasertuch abtupfen, nicht reiben. Achten Sie darauf, dass keine Feuchtigkeit in die elektrischen Komponenten oder an die Metallfassungen gelangt.
- Wann der Profi ran muss: Bei komplexen, historischen Stücken, etwa von Traditionsmanufakturen wie Barovier & Toso, oder bei starker Verschmutzung ist es ratsam, einen professionellen Restaurator zu konsultieren. Ein falscher Handgriff kann den Wert des Objekts mindern.