Schluss mit dem Superfood-Hype: Warum Omas Vorratsschrank besser ist als jedes teure Pulver
In meiner Werkstatt, aber auch in meiner Küche, da gibt’s einen Grundsatz, der felsenfest steht: Echte Qualität kommt von ehrlichem Handwerk und erstklassigen Zutaten. Ein Tisch aus massiver Eiche wird immer einen aus Pressspan schlagen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und ganz ehrlich? Genauso ist das mit unserer Ernährung.
Inhaltsverzeichnis
Seit über zwei Jahrzehnten arbeite ich mit Lebensmitteln. Ich habe gelernt, ihre Struktur zu fühlen, ihren Duft zu lesen und ihre Wirkung zu verstehen. Dieses Gespür versuche ich auch meinen Leuten mit auf den Weg zu geben.
Heutzutage redet ja jeder von „Superfoods“. Exotische Pulver aus fernen Ländern versprechen uns das Blaue vom Himmel – ewige Jugend, Spitzenleistung, was weiß ich. Die Werbung ist laut, die Dosen sind bunt und die Preise, puh, oft ganz schön gesalzen. Aber ich frag mich da immer: Haben wir eigentlich vergessen, was direkt vor unserer Haustür wächst? Wissen wir nicht mehr, welche Power in einer einfachen Roten Bete oder einer Handvoll schwarzer Johannisbeeren steckt? In diesem Artikel will ich kein Marketing-Blabla nachplappern. Ich möchte euch mit dem klaren Blick eines Handwerkers zeigen, was unser Körper wirklich braucht. Wir schauen uns das Fundament an, entlarven ein paar Mythen und finden zurück zu dem, was uns wirklich nährt.

Das Fundament: Was die Maschine am Laufen hält
Bevor wir über irgendwelche Wundermittelchen reden, müssen wir mal das Fundament verstehen. Stell dir deinen Körper wie eine hochpräzise Maschine vor. Sie braucht den richtigen Treibstoff und die richtigen Baustoffe. Ohne dieses Basiswissen kaufst du am Ende nur bunte Dosen nach Werbesprüchen.
Makros & Mikros: Die Bausteine und das Öl im Getriebe
Unser Essen besteht grob gesagt aus zwei Gruppen. Da sind einmal die Makronährstoffe: Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate. Das ist der Treibstoff und das Baumaterial für Muskeln, Organe, einfach alles. Und dann gibt es die Mikronährstoffe, also Vitamine und Mineralstoffe. Die sind wie das feine Öl im Getriebe. Du brauchst nur winzige Mengen, aber ohne sie quietscht und knirscht es überall, weil sie fast alle Prozesse im Körper steuern.
Ein sogenanntes „Superfood“ ist im Grunde nichts anderes als ein Lebensmittel, das pro Gramm extrem vollgepackt ist mit diesen wichtigen Mikronährstoffen. Das ist keine Magie, sondern reine, ehrliche Biochemie.

Bioverfügbarkeit: Es kommt nicht nur darauf an, was drin ist
Ein Punkt, der oft unter den Tisch fällt, ist die Bioverfügbarkeit. Klingt kompliziert, ist aber super wichtig. Es bedeutet: Wie gut kann mein Körper das, was ich esse, eigentlich aufnehmen und verwenden? Ein klassisches Beispiel ist Eisen. Klar, Spinat hat Eisen. Aber es ist pflanzliches Eisen, mit dem sich unser Körper schwertut. Zusätzlich steckt im Spinat Oxalsäure, die die Aufnahme nochmal bremst.
Heißt das, Spinat ist schlecht? Quatsch! Es heißt nur, wir müssen clever kombinieren. Ein Spritzer Zitronensaft oder ein Glas Orangensaft (Vitamin C) zum Spinat, und schon kann der Körper das Eisen viel besser packen. Ein guter Handwerker kennt sein Material. Und wer sich gut ernähren will, sollte seine Lebensmittel kennen.
Heimische Kraftpakete: Besser, als du denkst
Ich hab nichts gegen Quinoa oder Acai-Beeren. Aber ich sehe einfach nicht ein, warum wir Zeug um die halbe Welt schippern müssen, wenn wir gleichwertige oder oft sogar bessere Alternativen direkt vor der Nase haben. Die sind frischer, günstiger und du weißt, wo sie herkommen. Hier sind mal ein paar meiner absoluten Favoriten.

Leinsamen: Unser heimisches Gold
Alle Welt redet von Chia-Samen. Dabei haben wir mit Leinsamen ein heimisches Produkt, das locker mithalten kann, wenn nicht sogar die Nase vorn hat. Leinsamen sind eine Bombenquelle für Omega-3-Fettsäuren, die unser Gehirn fit halten und Entzündungen im Körper bekämpfen.
- Die richtige Technik: Kauf immer ganze Leinsamen und mahl sie kurz vor dem Essen frisch, am besten in einer alten Kaffeemühle. Die Schale ist bretthart, ungemahlen rutschen die Dinger oft einfach durch. Achtung: Gemahlene Leinsamen werden schnell ranzig, also nie auf Vorrat mahlen!
- Preis-Check: Rechnet mal nach: 500g Leinsamen kosten im Bioladen oder Drogeriemarkt oft unter 3 Euro. Für die gleiche Menge Chia-Samen legst du locker 6 bis 8 Euro hin. Das ist mehr als das Doppelte!
- Praxis-Tipp: Zwei Esslöffel frisch geschrotete Leinsamen in Joghurt, Quark oder Müsli sind ein perfekter Start in den Tag. Die liefern nicht nur gute Fette, sondern auch Ballaststoffe, die dich lange satt halten. Aber ganz wichtig: Immer genug Wasser dazu trinken! Sonst können die Dinger im Darm zu einem Klumpen werden – ein typischer Anfängerfehler.

Grünkohl: Mehr als nur Omas Winteressen
Früher galt Grünkohl als Arme-Leute-Essen, heute wird er als „Kale“ für teures Geld in Smoothies verkauft. Verrückt, oder? Das Zeug ist proppenvoll mit Vitamin K für stabile Knochen und liefert massig Vitamin C und Kalzium. Wusstest du übrigens, dass 100g Grünkohl mehr Kalzium enthalten als 100ml Milch? Das überrascht die meisten!
- Zubereitungstipp: Roh im Salat ist Grünkohl für viele eine echte Herausforderung für die Verdauung. Mein Tipp: Massiere die Blätter mit etwas Öl und Salz, bis sie weicher werden, oder blanchiere sie ganz kurz. So werden die Nährstoffe viel besser verfügbar. Ein Schuss gutes Rapsöl hilft übrigens, das fettlösliche Vitamin K aufzunehmen.
- Vom Feld in die Küche: Früher gab’s Grünkohl erst nach dem ersten Frost, weil er dann süßer wird. Frag doch einfach mal den Bauern auf dem Wochenmarkt. Der weiß genau, wann sein Kohl am besten ist.
Hagebutte: Die heimische Vitamin-C-Bombe
Bei Vitamin C denken alle an Zitronen. Aber die Hagebutte, die kleine rote Frucht der Rose, stellt fast alles in den Schatten. Die enthält, je nach Sorte, das 20- bis 50-fache an Vitamin C. Das brauchen wir für ein starkes Immunsystem und für stabiles Bindegewebe.

- Meisterwissen: Finger weg von billigem Hagebuttenpulver. Das wird oft zu heiß getrocknet, was das empfindliche Vitamin C killt. Such nach schonend getrockneter Ware oder, noch besser, mach dir einen Tee aus ganzen, getrockneten Früchten.
- Anwendung: Für einen Tee die getrockneten Hagebutten mit einem Messer grob andrücken, mit heißem, aber nicht mehr kochendem Wasser (so um die 80 Grad) übergießen und mindestens 10 Minuten ziehen lassen. Zu heißes Wasser ist der Feind von Vitamin C!
Rote Bete: Die Power aus der Knolle
Die Rote Bete ist so ein typisches Beispiel für ein total unterschätztes Gemüse. Ihre rote Farbe kommt von Betanin, einem starken Antioxidans. Noch spannender ist aber ihr hoher Gehalt an Nitrat. Im Körper wird das zu Stickstoffmonoxid umgewandelt, was die Blutgefäße erweitert. Das kann den Blutdruck senken und die Muskeln besser mit Sauerstoff versorgen.
- Für Sportler: Viele Ausdauersportler trinken vor einem Wettkampf ein Glas (ca. 200-250 ml) Rote-Bete-Saft. Studien von Sportwissenschaftlern haben gezeigt, dass das die Leistung messbar verbessern kann. Aber erwarte keine Wunder, das ist eine kleine Optimierung, kein Doping.
- Praktischer Rat: Kauf die Knollen frisch mit Blättern dran – die kann man übrigens wie Mangold zubereiten. Am besten garst du die Rote Bete im Ganzen mit Schale. Einfach gut waschen, in Alufolie wickeln und bei ca. 180 Grad für 60-90 Minuten in den Ofen schieben. Wenn ein Messer leicht reingeht, ist sie perfekt. So bleiben Geschmack und Nährstoffe am besten erhalten.

Und da gibt’s noch mehr heimische Helden …
Die Liste ist natürlich viel länger! Denk mal an:
- Schwarze Johannisbeeren: Echte Vitamin-C-Pakete, super fürs Immunsystem.
- Sanddorn: Wird auch „Zitrone des Nordens“ genannt, ebenfalls voller Vitamin C und gesunder Öle.
- Walnüsse: Das beste Brainfood überhaupt, voller Omega-3-Fettsäuren.
- Haferflocken: Ein simples, aber geniales Kraftpaket mit Ballaststoffen, die den Blutzucker stabil halten und lange Energie liefern.
Regionale Schätze: Was die Oma schon wusste
Unsere Vorfahren hatten keine Pillen und Pulver. Die haben gegessen, was die Region und die Jahreszeit hergaben. Und diese traditionelle Ernährung war oft erstaunlich clever.
An der Küste gab’s fetten Fisch wie Hering – heute wissen wir, dass der voller Omega-3-Fette steckt. In Süddeutschland war Sauerkraut im Winter ein Muss. Durch die Gärung (Fermentation) wird der Kohl nicht nur haltbar, es entstehen auch probiotische Kulturen, die super für den Darm sind. Heute verkaufen wir das teuer als „fermented food“.
Dieses alte Wissen ist ein Schatz. Es geht darum, im Rhythmus der Natur zu leben. Wenn du wissen willst, was gerade Saison hat, such online einfach mal nach einem „Saisonkalender für Obst und Gemüse“. Das ist ein super einfacher erster Schritt.
Extra-Treibstoff für Sportler und Gestresste
Gerade im Sportbereich ist der Markt für Ergänzungsmittel riesig. Jeder verspricht dir schnellere Regeneration und mehr Muskeln. Mein erster Rat an junge Athleten ist aber immer derselbe: Bringt erstmal eure Basisernährung auf Vordermann, bevor ihr euer Geld für teure Pülverchen ausgebt!
Die wichtigste Mahlzeit ist die nach dem Training. Dein Körper schreit jetzt nach zwei Dingen: hochwertigem Eiweiß für die Reparatur und Kohlenhydraten zum Auftanken.
Klar, ein Eiweißshake ist praktisch. Aber eine Schale Magerquark mit Haferflocken, einem Löffel Leinöl und frischen Beeren ist echte Nahrung und liefert noch einen Haufen anderer guter Sachen mit. Und für die Veganer unter euch: Eine große Portion Sojajoghurt mit einer Handvoll Nüssen tut’s genauso gut.
Gegen Entzündungen nach harter Belastung schwören viele auf Kurkuma. Das hat auch was, aber nur, wenn man es richtig macht. Ein super Rezept ist die „Goldene Milch“: Wärm einfach 250 ml Pflanzenmilch mit einem Teelöffel Kurkumapulver, einem kleinen Stück geriebenem Ingwer, einer Prise schwarzem Pfeffer (ganz wichtig für die Aufnahme!) und einem Teelöffel Kokosöl auf. Nicht kochen lassen! Das ist eine Wohltat für den Körper.
Ein ehrliches Wort der Warnung
Als Meister trage ich Verantwortung. Deshalb muss ich hier mal Klartext reden. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist ein Dschungel und nicht ohne Risiken.
- Die Gefahr der Überdosierung: „Viel hilft viel“ ist brandgefährlich, besonders bei den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K. Die werden im Körper gespeichert. Ich habe schon von Fällen gehört, wo Leute durch hochdosierte Kapseln ernste Probleme wie Kopfschmerzen oder Haarausfall bekamen. Mit normalen Lebensmitteln ist eine Überdosis so gut wie unmöglich.
- Mangelnde Kontrolle: Besonders bei Produkten aus dem Internet weißt du nie, was wirklich drin ist. Achte auf Produkte aus der Apotheke oder von seriösen Herstellern aus Europa, die ihre Ware von unabhängigen Laboren prüfen lassen.
- Wechselwirkungen mit Medikamenten: Wenn du Medikamente nimmst, zum Beispiel Blutverdünner, musst du bei Vitamin-K-reichem Gemüse wie Grünkohl aufpassen. Sprich immer zuerst mit deinem Arzt oder Apotheker, bevor du irgendwas Hochdosiertes einnimmst.
- Falsche Erwartungen: Das größte Risiko ist, sich auf ein Pulver zu verlassen und die Basics zu vergessen. Kein Superfood der Welt kann schlechten Schlaf, Dauerstress und eine miese Ernährung ausgleichen. Punkt.
Meine Meister-Checkliste für deine Ernährungswerkstatt
Gute Ernährung ist kein Hexenwerk. Sie ist Handwerk. Sie braucht Aufmerksamkeit, Wissen über die Zutaten und ein gutes Bauchgefühl. Lass dich nicht von lauter Werbung verrückt machen.
Hier ist meine ganz einfache Checkliste:
- Iss echte Lebensmittel. Koch so oft es geht selbst aus frischen, unverarbeiteten Zutaten.
- Kauf regional und saisonal. Was bei uns gerade wächst, ist am frischesten, nährstoffreichsten und meistens am günstigsten.
- Bring Farbe auf den Teller. Jede Farbe bei Obst und Gemüse steht für andere wertvolle Inhaltsstoffe. Iss den Regenbogen!
- Hör auf deinen Körper. Jeder von uns tickt anders. Finde heraus, was dir persönlich guttut.
Stell dir deine Ernährung wie ein solides Haus vor. Das Fundament baust du aus Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und guten Eiweißquellen. Die sogenannten „Superfoods“ sind dann das schöne Dach oder die verzierten Fenster. Sie sind das i-Tüpfelchen. Aber ohne stabiles Fundament bringt das schönste Dach nichts.
Vertrau auf deinen gesunden Menschenverstand und auf die Kraft der Natur, die oft direkt vor deiner Haustür wartet. Das ist ehrlicher, nachhaltiger und am Ende wirkungsvoller als jedes teure Pulver.
Was mir noch wichtig ist: Dieser Artikel spiegelt meine persönlichen Erfahrungen wider und ist als Anregung gedacht. Er ersetzt natürlich keine professionelle Beratung. Wenn du gesundheitliche Probleme hast, chronisch krank bist oder Medikamente nimmst, sprich bitte immer zuerst mit einem Arzt oder einem qualifizierten Ernährungsberater. Sicher ist sicher!