3 Kilometer tief ins Eis: Ein Werkstatt-Meister über Technik, Nerven und die Suche nach der Vergangenheit

von Emma Wolf
Anzeige

In meiner Werkstatt bringe ich den Jungen immer eines bei: Jede Maschine hat eine Seele. Du musst lernen, ihr zuzuhören. Das gilt für eine simple Drehbank und erst recht für ein neun Meter langes Ungetüm aus Titan und Edelstahl, das sich durch drei Kilometer Eis am kältesten Ort der Welt frisst. Die meisten Leute sehen nur die Schlagzeile. „Forscher bohren nach Klimadaten“, heißt es dann. Aber ich sehe das Handwerk dahinter. Die Ingenieure, die Mechaniker, die Logistiker. Ich sehe die tausend kleinen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, damit so ein Projekt nicht in einer Katastrophe endet. Denn da unten, bei minus 55 Grad Celsius, verzeiht dir die Natur keinen einzigen Fehler.

Seit über 30 Jahren arbeite ich mit Metall und schweren Maschinen. Ich hab gelernt, dass man die größten Herausforderungen nur meistert, wenn man das „Warum“ versteht. Warum genau diese Legierung? Warum muss diese Schweißnaht exakt so aussehen? Beim Eisbohren ist das nicht anders. Wir bohren ja nicht einfach nur ein Loch. Wir gewinnen eine Probe. Einen Eiskern. Stell dir das mal vor: Ein Archiv unseres Planeten, zerbrechlicher als Glas und unendlich wertvoller. Und die Aufgabe, dieses Archiv unversehrt nach oben zu holen, ist eine der größten handwerklichen Leistungen unserer Zeit.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen bohrmaschine aufsatz wissenschaftler
Anzeige

Das Fundament: Warum das Eis eine Geschichte erzählt

Bevor wir auch nur eine Schraube anziehen, müssen wir das Material verstehen. In diesem Fall: Eis. Aber vergiss das Eis aus deinem Gefrierfach. Wir reden hier von Eis, das seit Hunderttausenden, ja vielleicht über einer Million Jahren unter einem unvorstellbaren Druck liegt. Jahr für Jahr fällt Schnee, die unteren Schichten werden zu körnigem Firn und schließlich zu steinhartem, kristallinem Eis gepresst. Die Physik dahinter ist eigentlich ganz simpel: Der Druck presst die Luft zwischen den Schneekristallen zusammen, bis winzige Bläschen alter Atmosphäre im Eis eingeschlossen sind.

Jede dieser Blasen ist eine winzige Zeitkapsel. Die Wissenschaftler können daraus den Gehalt an CO2 und Methan von damals messen. Das sind harte, direkt gemessene Fakten, keine Theorien. Aber das ist noch nicht alles. Das Eis selbst verrät uns die Temperatur der Vergangenheit. Wasser besteht ja aus verschiedenen Sauerstoff-Varianten, den sogenannten Isotopen. Vereinfacht gesagt: Wenn es wärmer ist, verdunstet mehr von der schwereren Variante aus dem Meer und schneit dann über den Polen ab. Durch das Messen dieses Verhältnisses können die Forscher die damalige Temperatur erstaunlich genau rekonstruieren.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen kerneis entnehmen und untersuchen
Anzeige

Übrigens, das große Rätsel, das die Experten diesmal lösen wollen, ist ein echter Krimi der Erdgeschichte. Vor rund einer Million Jahren änderte sich der Rhythmus der Eiszeiten. Davor kamen und gingen sie etwa alle 40.000 Jahre, plötzlich wechselte der Zyklus auf 100.000 Jahre. Niemand weiß genau, warum. Wenn wir aber Eis finden, das alt genug ist, um diesen Übergang zu zeigen, könnten wir die Antwort finden. Das ist das große Ziel. Unsere Aufgabe als Techniker ist es, den Forschern dieses Buch zu liefern, ohne eine einzige Seite zu zerreißen.

Die Werkstatt im Eis: Ein genauer Blick auf die Bohrtechnik

Man kann nicht einfach mit einem riesigen Bohrer in die Antarktis fliegen und loslegen. Das Bohrloch würde sich unter dem gewaltigen Druck des Eises sofort wieder schließen. Die Reibungswärme würde die Wände schmelzen, die sofort wieder gefrieren und den Bohrer einklemmen würden. Das Projekt wäre nach wenigen hundert Metern gescheitert. Darum ist die Technik so verdammt ausgeklügelt.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen luftblasen zeitkapsel wissenschaft

Das Herzstück ist der hohle Bohrer, im Grunde wie eine riesige Lochsäge. Die scharfen Schneiden aus einer speziellen Hartmetall-Legierung fräsen nur einen Ring ins Eis. In der Mitte bleibt ein perfekter Zylinder stehen: der Eiskern. Dieser Kern gleitet in ein Rohr, die Kernkammer. Spezielle Greifer, die „Kerndogs“, schnappen sich den Kern, damit er beim Hochziehen nicht wieder rausrutscht. Das ganze System ist rund neun Meter lang und holt pro „Fahrt“ etwa drei Meter Kern an die Oberfläche.

Die Materialliste liest sich wie die für ein Raumschiff: Titan, Edelstahl (meist V4A) und Aluminiumbronze. Titan ist sündhaft teuer, aber unglaublich stabil und leicht. Jedes Kilo, das du an einem drei Kilometer langen Seil hoch und runter bewegst, kostet Energie und belastet das Material. Edelstahl ist extrem korrosionsbeständig und wird auch bei -55 °C nicht spröde wie Glas. Und Aluminiumbronze kommt überall da zum Einsatz, wo Teile aneinander reiben – es verhindert Funkenflug, was in einer Umgebung mit brennbaren Flüssigkeiten eine Lebensversicherung ist.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen camp der wissenschaftler eis

Ach ja, die Bohrflüssigkeit. Das ist wohl eines der bestgehüteten Geheimnisse und der Schlüssel zum Erfolg. Das ganze Bohrloch ist damit gefüllt. Sie hat drei Jobs: Erstens erzeugt sie einen Gegendruck, damit das Loch nicht zusammenbricht. Zweitens schmiert sie den Bohrer und transportiert die feinen Eisspäne nach oben. Und drittens muss ihr Gefrierpunkt natürlich weit unter den tiefsten Eistemperaturen liegen. Heute nutzt man spezielle, biologisch abbaubare Esteröle. Laut Antarktisvertrag muss ja alles wieder mitgenommen werden, was die Umwelt schädigen könnte.

Ein einzelner Bohrzyklus ist ein eingespielter Tanz. Stell dir das mal vor: Zuerst lässt das Team den Bohrer am Kabel ins Loch hinab. Bei zwei Kilometern Tiefe kann das schon mal eine gute Stunde dauern. Unten angekommen, wird der Motor eingeschaltet. Ein erfahrener Bohrmeister hört am Klang des Motors und spürt an den Vibrationen im Kabel, wie das Eis beschaffen ist. Ist es hart? Gibt es eine weiche Schicht? Er passt Drehzahl und Vorschub an. Nach rund drei Metern ist die Kammer voll. Motor aus, die Greifer packen zu, und die lange Reise nach oben beginnt. Wieder eine Stunde. Oben angekommen, wird der Kern vorsichtig geborgen, vermessen, protokolliert und sofort ins Kaltlager gebracht. Dann wird der Bohrer gereinigt, die Schneiden geprüft, und alles geht von vorne los. Hunderte Male.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen ins loch der bohrmaschine
What's Hot

Faschings-Werkstatt für Zuhause: So bastelt ihr geniale Kostüme, die auch wirklich halten!

Die ultimative Frage: Was, wenn der Bohrer stecken bleibt?

Ganz ehrlich, das ist der Albtraum jedes Teams. Du bist drei Kilometer tief im Eis, und plötzlich bewegt sich nichts mehr. Das ist der Moment, wo Panik nichts nützt und nur Erfahrung zählt. Zuerst versucht man, ihn durch vorsichtiges Ziehen und Rütteln zu befreien. Manchmal sind es nur Eisspäne, die sich verkeilt haben. Wenn das nicht klappt, kommt Plan B: spezielle „Fischwerkzeuge“, die man runterlässt, um den Bohrer zu greifen und mit mehr Kraft zu ziehen.

Wenn aber alles scheitert – und das kann passieren – ist es eine Katastrophe. Dann hast du ein millionenschweres Stück Hightech-Ausrüstung und Jahre der Vorbereitung in einem Loch im Eis verloren. Im schlimmsten Fall muss man das gesamte Bohrloch aufgeben und ein paar Meter daneben komplett von vorne anfangen. Das kostet nicht nur unglaublich viel Geld und Zeit, sondern ist auch ein gewaltiger Schlag für die Moral des Teams. Jeder Handgriff da unten ist von dem Gedanken begleitet: Mach bloß keinen Fehler.

Bohrungen in der Antarktis könnten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen massenprotest in berlin

Jeder Einsatzort ist anders: Die Herausforderungen vor Ort

Man könnte meinen, Eis ist Eis. Falsch gedacht! Ein Bohrprojekt in Grönland ist eine komplett andere Welt als eines in der Antarktis. In Grönland schneit es mehr, das Eis „fließt“ schneller und ist „wärmer“ (so um die -30 °C). Die Logistik ist einfacher, weil man näher an der Küste ist. Dafür ist es schwerer, einen Ort zu finden, an dem die ganz alten Eisschichten ungestört sind. Die zentrale Antarktis ist das Gegenteil: der kälteste, trockenste Ort der Erde. Das Eis ist extrem kalt (bis zu -55 °C), fließt sehr langsam und liegt auf einem riesigen Felskontinent. Das macht die Logistik zum Albtraum, ist aber ideal, um sehr altes Eis zu finden.

Die Logistik ist die größte Hürde. Der Bohrort liegt oft über 1.000 Kilometer von der Küste entfernt, auf einem Plateau in über 3.000 Metern Höhe. Alles – die gesamte 500-Tonnen-Basisstation, jeder Liter Treibstoff, jedes Ersatzteil – muss mit speziellen Traktoren über das Eis transportiert werden. So ein Konvoi, eine „Traverse“, ist wochenlang unterwegs. Ein Motorschaden bei -50 °C ist da nicht nur ärgerlich, sondern lebensgefährlich. Kein Wunder, dass so ein Gesamtprojekt, von der ersten Planung bis zu den fertigen Daten, locker mal 10 bis 15 Jahre dauert und einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingt. Das wird meist von internationalen Konsortien, oft mit EU-Beteiligung, gestemmt.

Ein Tag im Eis: Mehr als nur Bohren

Wie sieht so ein Tag eigentlich aus? Der Wecker klingelt nicht, denn im antarktischen Sommer wird es nie dunkel. Ein Blick auf die Uhr sagt 6:00 Uhr. Raus aus der Koje im Wohncontainer, rein in mehrere Schichten dicker Kleidung. 7:00 Uhr ist Schichtbeginn in der Bohrhalle. Die Generatoren dröhnen, es riecht nach Metall und der speziellen Bohrflüssigkeit. Die nächsten 12 Stunden bestehen aus dem immer gleichen, hochkonzentrierten Rhythmus: Bohrer runter, bohren, Bohrer hoch, Kern bergen, Bohrer checken. Zwischendurch gibt es eine kurze Pause in der warmen Kantine, wo der Koch versucht, mit den begrenzten Vorräten für gute Laune zu sorgen.

Nach der Schicht um 19:00 Uhr heißt es essen, vielleicht einen Film schauen oder mit den Kollegen quatschen. Viel mehr ist nicht drin. Du bist müde, die Höhe und die Kälte zehren an dir. Und du musst fit sein für den nächsten Tag.

Ich erinnere mich an eine Nachtschicht, als uns bei -50°C ein zentraler Hydraulikschlauch geplatzt ist. Da kannst du nicht mal eben in den Baumarkt fahren. Wir mussten stundenlang mit steif gefrorenen Fingern improvisieren, Teile anpassen, die wir eigentlich für etwas anderes dabeihatten. In solchen Momenten zeigt sich, wie gut ein Team wirklich ist. Das sind die Geschichten, die man später erzählt.

Vom Eis ins Labor: Die Reise der Zeitkapsel

Wenn ein Eiskern das Tageslicht erblickt, beginnt der zweite Teil seiner Reise. Ab diesem Moment darf die Kühlkette – konstant unter -20 °C – niemals unterbrochen werden. Jedes Stück wird markiert, verpackt und in speziellen Kisten gelagert. Am Ende der Saison werden diese Kisten ausgeflogen und mit einem Kühlschiff nach Europa, Australien oder in die USA gebracht. Dort warten riesige Gefrierhallen, die auf bis zu -50 °C gekühlt sind.

Die eigentliche Analyse ist ein riesiges Puzzle. Der Kern wird in unzählige Proben zersägt. Einige werden geschmolzen, um das Wasser zu analysieren. Aus anderen wird die eingeschlossene Luft extrahiert. Wieder andere werden unter dem Mikroskop auf Vulkanasche untersucht. Diese Ascheschichten sind wie Lesezeichen im Buch der Zeit. Meine Arbeit als Techniker endet, wenn ich den perfekten Kern übergebe. Aber es macht mich verdammt stolz zu wissen, dass unser Handwerk die Grundlage für all dieses Wissen schafft.

Sicherheit zuerst: Respekt vor der Gefahr

Niemand sollte sich Illusionen machen: Die Antarktis ist einer der gefährlichsten Arbeitsplätze der Welt. Die größte Gefahr ist die Kälte und die Isolation. Bei -55 °C und Wind hast du innerhalb von Minuten Erfrierungen. Man lernt schnell, immer im Team zu arbeiten und aufeinander aufzupassen. Das „Buddy-System“ ist hier kein Gerede, sondern überlebenswichtig.

Achtung, auch die Mechanik hat es in sich! Das Bohrseil steht unter der Spannung von mehreren Tonnen. Wenn das reißt, peitscht es mit tödlicher Gewalt durch die Halle. Deshalb gibt es strenge Protokolle und Schutzzonen. Aber die beste Sicherheit ist ein waches Team, bei dem jeder Handgriff sitzt. Man muss seine Grenzen kennen und darf niemals leichtsinnig werden. Die Natur hat dort unten immer das letzte Wort.

Verantwortung für die Zukunft

So ein Projekt ist mehr als nur ein Job. Es ist eine Verantwortung. Wir dringen in eine der letzten unberührten Landschaften der Erde ein und haben die verdammte Pflicht, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Alles, was wir hinbringen, kommt auch wieder mit zurück.

Ich habe vielen jungen Technikern beigebracht, wie man eine Schweißnaht zieht oder eine Maschine wartet. Aber das Wichtigste ist der Stolz auf die eigene Arbeit und das Gefühl für die Bedeutung dessen, was man tut. Diese Bohrung ist dafür das beste Beispiel. Es ist harte, oft eintönige und gefährliche Arbeit. Aber am Ende halten wir ein Stück Erdgeschichte in den Händen. Die Daten daraus helfen uns allen, die Zukunft unseres Planeten besser zu verstehen. Das ist die perfekte Verbindung von Kopf und Hand – und genau das ist es, was mich daran fasziniert.

Kleiner Tipp: Wenn dich das Thema wirklich packt, such online mal nach Dokumentationen über Eiskernbohrungen. Da gibt es einige wirklich atemberaubende Aufnahmen, die einem erst so richtig zeigen, was für eine gewaltige Leistung das ist.

Emma Wolf

Ich liebe es, unseren Lesern und Leserinnen praktische und einzigartige Informationen, Tipps und Life Hacks über allmögliche Themen zu geben, die sie in ihrem Alltag auch tatsächlich anwenden können. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem – neuen Trends, neuen Techniken, Projekten und Technologien.