Der Sessel im Kokon: Ein Meister erklärt die Kunst der gewickelten Polsterung

von Mareike Brenner
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Ich erinnere mich noch gut an diesen einen Moment auf einer großen Möbelmesse. Als Polstermeister scanne ich solche Hallen ja mit einem ziemlich kritischen Blick. Ich sehe nicht nur die Form eines Sessels, sondern die Details: die Spannung im Stoff, die Qualität der Nähte, die Verarbeitung der Keder. Und dann stand ich vor diesem Sessel. Mein erster Gedanke war, ehrlich gesagt: „Was für eine Spielerei.“ Ein Möbelstück, umwickelt mit dicken Seilen wie ein Paket. Mein Handwerker-Instinkt schrie danach, Schwachstellen zu finden. Aber da waren keine. Stattdessen war da eine Idee, die mich seitdem nicht mehr loslässt.

In meiner Werkstatt bringe ich meinen Azubis die heiligen Regeln bei: eine saubere Naht, eine straffe Gurtung, eine Konstruktion, die Jahrzehnte überlebt. Und dann kommen da Designer, die diese Regeln scheinbar komplett über den Haufen werfen. Sie verstecken die Herstellung nicht, sie machen sie zum Star der Show. Das ist verdammt mutig. Und es erfordert, so viel sei verraten, viel mehr Können, als es auf den ersten Blick aussieht.

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Ein Möbel, das erst „geboren“ werden muss

Der Gedanke hinter dieser Technik ist fast schon philosophisch. Man spricht von einer Art „Erbfolge“ oder „Nachfolge“ – als würde das fertige Möbel aus seinem unfertigen Zustand erben. Für mich als Praktiker übersetzt sich das so: Das Möbel wird in eine Art Kokon gezwungen. Es wird mit Stoff bezogen, fest verschnürt und unter eine massive Spannung gesetzt. Der entscheidende Akt ist dann das Durchschneiden der Seile. In diesem Moment entfaltet sich das Stück, es nimmt seine endgültige, organische Form an. Die Abdrücke der Seile bleiben als feine Linien zurück, wie eine Art Geburtsurkunde im Material.

Das ist das genaue Gegenteil von dem, was wir traditionell tun. Normalerweise ist es unser ganzer Stolz, alle Spuren der Arbeit zu verbergen. Die Klammern sind unsichtbar, die Nähte perfekt versteckt. Hier wird alles offengelegt. Das Seil ist nicht nur Deko, sondern das Werkzeug, das die Form erschafft. Eine brutal ehrliche Art, Design zu betreiben.

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Ein Blick ins Innere: Schummeln ist hier nicht drin

So ein radikales Konzept funktioniert nur mit den absolut besten Materialien. Jeder Kompromiss, jede kleine Schwäche würde das ganze System zum Scheitern bringen. Zerlegen wir das mal, wie ich es mit meinen Lehrlingen machen würde.

Das Fundament: Der Rahmen
Alles fängt mit einem bombenfesten Gestell an, meist aus massivem Buchenholz. Buche ist zäh, hart und verzieht sich kaum. Billige Spanplatten? Völlig undenkbar. Der Druck, der beim Wickeln entsteht, ist so enorm, dass ein schwacher Rahmen einfach zerbersten würde. Hier sind klassische, stabile Holzverbindungen, wie Zapfen, absolute Pflicht. Das allein treibt die Kosten schon nach oben, ist aber nicht verhandelbar.

Das Herzstück: Die Polsterung
Hier wird’s richtig knifflig. Man braucht einen Schaumstoff, der gleichzeitig extrem formstabil und hochelastisch ist. In der Werkstatt greifen wir hier zu bestem Kaltschaum. Der entscheidende Wert ist das Raumgewicht (RG). Ein billiger Schaumstoff mit RG 25 (also 25 kg pro Kubikmeter) würde unter dem Druck der Seile einfach kollabieren und nie wieder zurück in seine Form finden. Hier muss man mit einem RG von 40 oder sogar 50 arbeiten. Gut zu wissen: Ein Kubikmeter Billigschaum kostet vielleicht 50 Euro, für so einen Hochleistungsschaum legt man locker das Drei- oder Vierfache hin. Dieser Unterschied ist hier aber überlebenswichtig.

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Die Haut: Der Bezugsstoff an der Belastungsgrenze
Der Stoff oder das Leder muss unfassbar viel aushalten. Normale Baumwolle würde einfach zerreißen. Man braucht entweder sehr dicken, hochwertigen Wollfilz, wie man ihn von Top-Marken wie Kvadrat kennt, oder ein wirklich gutes Leder. Beim Leder reden wir von naturbelassenen Qualitäten mit einer Stärke von mindestens 1,2 bis 1,4 Millimetern. Dünnes, beschichtetes Leder würde an den Druckstellen brechen. Es gibt auch hochmoderne synthetische Stoffe mit Elasthan, die das packen, aber denen fehlt oft diese warme, natürliche Haptik.

Der Herstellungsprozess: Ein kontrollierter Kraftakt

Stellen Sie sich mal vor, wir würden so ein Teil in der Werkstatt bauen. Zuerst wird der Bezugsstoff wie ein riesiger Sack genäht, oft nur mit einer einzigen, ultrastabilen Naht an einer versteckten Stelle, etwa der Unterseite. Das Garn dafür ist so reißfest, das könnte man auch für Airbags verwenden.

Dann kommt das „Anziehen“, was schon mal ein echter Kraftakt ist. Und jetzt der entscheidende Teil: die Wicklung. Das ist kein willkürliches Verschnüren. Es folgt einem exakten Plan, die Spannung muss perfekt sein. Zu lasch, und der Stoff wirft Falten. Zu fest, und der Schaum oder gar der Rahmen nehmen Schaden. Meistens ist das ein Job für zwei Leute. Einer hält, einer wickelt mit voller Konzentration.

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Kleines Gedankenexperiment für zu Hause: Schnappen Sie sich mal einen trockenen Spülschwamm und ein altes T-Shirt. Versuchen Sie jetzt, den Schwamm mit dem Stoff und etwas Schnur so zu umwickeln, dass eine neue, glatte Form entsteht. Sie werden sofort spüren, welche Kräfte da wirken und warum das bei einem echten Sessel eine absolute Wissenschaft ist!

Ist das Möbelstück fertig gewickelt, bleibt es oft für mehrere Stunden, manchmal sogar eine ganze Nacht, in diesem Zustand, damit sich die Materialien „setzen“ können. Dann kommt der Moment der Wahrheit. Mit einem extrem scharfen Messer werden die Seile durchtrennt.

Achtung, und das meine ich ernst: Das ist nichts für Laien! Die Seile stehen unter einer irren Spannung. Wenn so ein Seil unkontrolliert zurückschnellt, kann das zu schweren Verletzungen führen. Profis schneiden hier immer vom Körper weg und tragen eine Schutzbrille. Unterschätzen Sie niemals die Energie, die in gespanntem Material steckt.

Sind die Seile durchtrennt, entspannt sich das Möbel in seine finale Form. Die Polsterung dehnt sich aus, der Stoff zieht sich glatt, und die feinen Linien bleiben als Zeugen des Prozesses zurück. Das Möbel ist geboren.

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Kunstwerk oder Sofa? Die ehrliche Einordnung

Klar, diese Möbel sind atemberaubend. Sie sind ein Statement, ein Kunstwerk, das man berühren will. Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wie alltagstauglich sind sie wirklich? Ein ehrlicher Meister muss auch über die Nachteile sprechen.

Die Reinigung ist so eine Sache. In den feinen Rillen sammelt sich Staub. Das ist aufwendiger sauber zu halten als eine glatte Fläche. Viel kritischer ist aber die Empfindlichkeit. Stellen Sie sich vor, Ihre Katze wetzt auch nur ein einziges Mal die Krallen daran. Ein gezogener Faden. Bei einem normalen Sessel kann ich das oft noch irgendwie retten. Hier ist die gesamte Oberfläche unter Spannung. Ein kleiner Schaden kann den ganzen Bezug ruinieren. Game Over.

Die Reparatur: Wenn der Meister nur noch abwinken kann

Und das bringt mich zum wundesten Punkt. Ein gutes Möbel ist für mich immer auch ein nachhaltiges, weil reparierbares Möbel. Wenn ein Kunde mit einem normalen Sessel kommt, auf dem ein Glas Rotwein gelandet ist, sage ich: „Kein Problem, den beziehen wir neu.“ Ich nehme den alten Stoff als Schablone, und in ein paar Tagen sieht der Sessel aus wie neu.

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Bei einem dieser gewickelten Möbel? Ganz ehrlich: Ich würde den Auftrag wahrscheinlich ablehnen und den Kunden an den ursprünglichen Hersteller verweisen. Ich habe keine Schablone. Ich kenne die exakte Spannung nicht, die bei der Herstellung angewendet wurde. Das fachgerecht zu reproduzieren, ist ohne das Wissen der Schöpfer quasi unmöglich. Das macht eine Reparatur extrem teuer und den Besitzer abhängig. Das muss man wissen, bevor man sich verliebt.

Okay, und was kostet der Spaß?

Jetzt kommt die Frage, die Ihnen sicher schon auf der Zunge brennt. Nur damit wir uns richtig verstehen: Wir reden hier nicht über Möbelhaus-Preise. Für einen Sessel, der mit dieser aufwendigen Technik gefertigt wurde, müssen Sie mit einem Einstiegspreis von gut und gerne 4.000 Euro rechnen – nach oben hin ist da viel Luft. Sie finden solche Stücke auch nicht bei den üblichen großen Ketten, sondern bei spezialisierten Design-Galerien oder direkt über die Ateliers der Designer.

Man bezahlt hier nicht nur für Holz und Stoff. Man bezahlt für eine geniale Idee, für unzählige Stunden Entwicklungsarbeit und für den Mut, etwas völlig Neues zu wagen. Es ist eben mehr Kunstobjekt als reines Gebrauchsmöbel.

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Mein Fazit aus der Werkstatt

Diese gewickelte Polstertechnik ist ein faszinierender Grenzgang zwischen Handwerk und Kunst. Sie zwingt mich als Traditionalisten, über mein eigenes Handwerk neu nachzudenken und zeigt, wie lebendig unser Beruf ist. Gleichzeitig sind es keine unkomplizierten Möbel für eine junge Familie mit Kindern und Hund.

Es sind Liebhaberstücke für Menschen, die die Geschichte dahinter verstehen und die nötige Vorsicht walten lassen. Würde ich mir selbst so ein Teil kaufen? Vielleicht. Nicht für das Wohnzimmer, wo das Leben tobt. Aber für eine ruhige Ecke im Arbeitszimmer. Als tägliche Erinnerung daran, dass man nie auslernt und dass die spannendsten Dinge oft entstehen, wenn man mal mutig die Regeln bricht.

Mareike Brenner

Mareike ist 1991 in Bonn geboren und hat ihr Diplom in der Fachrichtung Journalistik an der TU Dortmund erworben. Sie hat einen Hintergrund im Bereich Design, da sie an der HAW Hamburg Illustration studiert hat. Mareike hat aber einen Sprung in die Welt des Journalismus gemacht, weil sie schon immer eine Leidenschaft für kreatives Schreiben hatte. Derzeit ist sie in der Redaktion von Freshideen tätig und schreibt gern Berichte über Schönheitstrends, Mode und Unterhaltung. Sie kennt übrigens alle Diäten und das Thema „Gesund abnehmen“ wird von ihr oft bevorzugt. In ihrer Freizeit kann man sie beim Kaffeetrinken mit Freunden antreffen oder sie bleibt zu Hause und zeichnet. Neulich hat sie eine neue Leidenschaft entdeckt, und das ist Online-Shopping.