Der härteste Dauertest der Geschichte: Was vom roten Flitzer im All wirklich übrig bleibt
Ganz ehrlich? In meiner Werkstatt hab ich schon fast alles gesehen. Motoren, die länger gehalten haben als ihre Besitzer. Karosserien, die vom Leben gezeichnet waren. Jedes Auto, das auf meine Hebebühne kommt, erzählt eine Geschichte. Aber keine ist so abgedreht wie die des kirschroten Sportwagens, der seit ein paar Jahren stumm durch unser Sonnensystem trudelt.
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Das Versuchsobjekt: Mehr als nur ein Auto
- 0.2 Die Werkstattbedingungen im Weltraum: Vier Feinde, kein Entkommen
- 0.3 Mythos oder Wahrheit: Rostet ein Auto im All?
- 0.4 Die ultimative Schadensanalyse: Was bleibt übrig?
- 0.5 Eine kleine Zeitreise: Der Verfall im Überblick
- 0.6 Was lernen wir daraus?
- 1 Inspirationen und Ideen
Für die meisten ist das nur ein genialer PR-Gag. Für mich als Handwerker, der jeden Tag mit Metall, Lack und Kunststoffen zu tun hat, ist es aber vor allem eins: der brutalste Materialtest, den man sich nur ausdenken kann. Es geht nicht nur darum, ein Auto ins All zu schießen. Die eigentliche Frage ist doch: Was hält ein Ding, das für die A9 gebaut wurde, da oben wirklich aus? Kommt mal mit, wir schauen uns das Wrack der Zukunft mal genauer an – als läge es direkt vor uns in der Halle.
Das Versuchsobjekt: Mehr als nur ein Auto
Bevor wir über die Schäden reden, müssen wir wissen, was da eigentlich fliegt. Das ist kein Standard-Wagen von der Stange. Die Basis ist die Leichtbauweise eines bekannten britischen Sportwagens, also kein schweres Stahlblech. Der Rahmen besteht aus geklebtem und genietetem Aluminium – eine Technik, die man eher aus dem Flugzeugbau kennt. Super leicht, super steif. Aluminium rostet zwar nicht, aber extreme Temperaturschwankungen sind sein Kryptonit. Die Karosserieteile wiederum sind aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff, also Carbon. Leicht und stabil, aber ein echtes Sensibelchen, wenn es um UV-Strahlung geht.

Wir haben es also mit einem wilden Materialmix zu tun: ein Alu-Chassis, eine Carbon-Haut, ein Innenraum aus Leder und Kunststoffen, und natürlich Reifen aus Gummi. Jedes einzelne dieser Teile wurde für ein Leben auf der Erde optimiert. Es soll Regen aushalten, vielleicht mal Temperaturen von -20 bis +50 Grad und den ein oder anderen Bordstein. Im All? Da gelten komplett andere Regeln.
Die Werkstattbedingungen im Weltraum: Vier Feinde, kein Entkommen
Stellt euch vor, die Erde ist eine gemütliche, beheizte Garage. Der Weltraum ist das genaue Gegenteil: ein offenes Feld im schlimmsten Sturm, den es je gab. Und unser Roadster steht mittendrin. Vier Dinge machen ihm da oben das Leben zur Hölle.
1. Kälte und Hitze im Extrem-Wechselbad
Auf der Erde verteilt die Atmosphäre die Wärme. Im All gibt es nichts, was das tut. Die zur Sonne gewandte Seite des Autos heizt sich auf über 120 Grad Celsius auf. Die Schattenseite kühlt gleichzeitig auf eisige -150 Grad Celsius ab. Da der Wagen langsam taumelt, macht jedes Bauteil diesen irren Temperatur-Zyklus ständig mit. Jedes Material dehnt sich bei Hitze aus und zieht sich bei Kälte zusammen – aber jedes anders! Aluminium arbeitet anders als Carbon. Der Kleber, der alles zusammenhält, wird pausenlos gestreckt und gestaucht. Das ist wie bei einem Draht, den man immer wieder hin und her biegt. Irgendwann bricht er.

2. Das Vakuum: Alles will raus
Im luftleeren Raum gibt es quasi keinen Außendruck. Das hat zur Folge, dass alle flüchtigen Stoffe aus den Materialien entweichen wollen. Nennt sich Ausgasung. Jeder Kunststoff, jeder Lack, sogar das Harz im Carbon enthält Weichmacher und Lösungsmittel. Die verdampfen einfach. Übrigens, ein häufiger Fehler bei der Restauration alter Autos ist, die falschen modernen Kunststoffe zu verwenden. Das erinnert mich an einen alten Porsche, dessen Armaturenbrett nach 30 Jahren in der kalifornischen Sonne komplett zerbröselt war. Im All ist das im Grunde dasselbe, nur im Zeitraffer und ohne schützende Ozonschicht.
3. Der unsichtbare Zerstörer: Strahlung
Das ist der wahre Killer. Ohne die schützende Atmosphäre und das Magnetfeld der Erde prasselt die kosmische Strahlung ungefiltert auf den Lack. Die harte UV-Strahlung zerlegt systematisch alle organischen Verbindungen. Sie bricht die langen Molekülketten in Kunststoffen, Lacken und im Carbon-Harz auf. Der berühmte kirschrote Lack? Der wird ausbleichen, abblättern und am Ende zu einem kreidigen, weißen Staub zerfallen. Dazu kommt der Sonnenwind, ein ständiger Beschuss mit winzigen Teilchen, die wie mikroskopisch kleine Kanonenkugeln wirken und Material abtragen. Es ist ein langsamer, aber unaufhaltsamer Verfall auf molekularer Ebene.

4. Dauerfeuer durch Mikrometeoroiden
Das All ist nicht leer, sondern voll von winzigen Staubkörnern, die mit unfassbarer Geschwindigkeit unterwegs sind. Wir reden hier von bis zu 72 Kilometern pro Sekunde! Stellt euch vor, ein Sandkorn hat bei dem Tempo die Einschlagenergie einer Gewehrkugel. Das ist mehr als nur ein Steinschlag auf der Autobahn. Diese Einschläge wirken wie ein permanentes Sandstrahlgebläse, das den Lack, die Scheiben und sogar das Metall langsam, aber sicher erodiert.
Mythos oder Wahrheit: Rostet ein Auto im All?
Kurze Antwort: Nein. Ein kleiner Mythos, den man mal klarstellen muss. Für Rost braucht man zwei Dinge: Eisen und Sauerstoff. Im Vakuum des Alls gibt es quasi keinen freien Sauerstoff. Also kann auch nichts rosten. Das ist aber ein schwacher Trost, denn wie wir gesehen haben, ist die Zersetzung durch Strahlung und Ausgasung viel, viel schlimmer.
Die ultimative Schadensanalyse: Was bleibt übrig?
Okay, Schutzbrille auf, gehen wir mal ins Detail. Was wird aus den einzelnen Teilen?

- Karosserie & Lack: Das Carbon-Harz wird spröde, der Lack zerfällt zu Staub. Übrig bleibt eine raue, faserige Oberfläche, die eher an ein ausgefranstes Stück Stoff erinnert als an ein Hightech-Bauteil. Die strukturelle Stabilität? Weg.
- Aluminiumrahmen: Das Metall selbst hält sich am besten. Die thermischen Spannungen werden aber die Klebe- und Nietverbindungen schwächen. Die Oberfläche wird von den Mikrometeoroiden matt und rau geschliffen.
- Reifen, Dichtungen, Kunststoffe: Die sind die ersten, die gehen. Der Gummi wird hart, spröde und zerfällt zu Krümeln. Das Armaturenbrett, die Sitze, die Türverkleidungen – alles wird ausbleichen, Risse bekommen und sich langsam auflösen.
- Und der Fahrer? Ach ja, „Starman“, die Puppe im Raumanzug. Der Anzugstoff, meist eine Art Nylon oder Teflon, ist zwar recht robust, aber auch nur ein Kunststoff. Die UV-Strahlung wird ihn über die Jahrzehnte ebenfalls zersetzen. Er wird seine Farbe verlieren und brüchig werden. Der Helmvisier aus Polycarbonat wird blind und rissig. Irgendwann wird von unserem stoischen Piloten nicht mehr viel übrig sein als ein paar Metallgelenke und verblichene Stofffetzen.
- Der Kleinkram: Und was ist mit dem „Don’t Panic“-Schild auf dem Display oder dem Buch im Handschuhfach? Papier und Druckerschwärze sind organisch. Sie werden durch die Strahlung komplett ausbleichen, bis nichts mehr zu erkennen ist. Das Schild wird zu einer unleserlichen, weißen Fläche.

Eine kleine Zeitreise: Der Verfall im Überblick
Um das mal greifbarer zu machen:
In den nächsten 10-20 Jahren: Alle organischen Materialien wie Lack, Gummi, Leder und Kunststoffe sind bereits stark zersetzt oder komplett verschwunden. Der Wagen ist ein geisterhaftes, ausgeblichenes Skelett seiner selbst.
In 100-200 Jahren: Die Carbon-Karosserieteile haben ihre strukturelle Integrität verloren und könnten durch größere Einschläge oder thermische Spannungen zerbrechen. Was übrig bleibt, ist im Wesentlichen der Aluminiumrahmen mit den anhaftenden, widerstandsfähigsten Komponenten.
In einer Million Jahren: Selbst der robuste Aluminiumrahmen wird durch den ständigen Beschuss mit Mikrometeoroiden stark erodiert sein. Er wird aussehen wie ein von Wasser glattgeschliffener Stein, nur eben durch unzählige winzige Einschläge geformt. Erkennbar als Auto? Wahrscheinlich nicht mehr.
Was lernen wir daraus?
Am Ende bleibt von dem schicken Sportwagen nur ein Stück Weltraumschrott übrig, das langsam zu Staub zermahlen wird. Aber er ist eben auch ein unfreiwilliges Langzeit-Experiment. Er zeigt uns eindrucksvoll, dass Materialien, die wir hier unten für „ewig“ halten, unter den Bedingungen im All keine Chance haben. Jedes Bauteil, das wir für die Raumfahrt entwickeln, muss diesen extremen Anforderungen standhalten – eine ganz andere Liga als ein Auto zu bauen.

Und so zieht dieser rote Punkt seine einsamen Bahnen. Ein stummes Mahnmal dafür, wie besonders und schützend unsere kleine blaue Garage namens Erde doch ist. Wer übrigens mal schauen will, wo er gerade so rumfliegt, kann das auf Webseiten wie „whereisroadster.com“ tun. Ein seltsamer Gedanke, oder?
Inspirationen und Ideen
Wird Starman ewig David Bowie hören?
Leider nein. Die ikonische Endlosschleife von „Space Oddity“ verstummte vermutlich schon nach wenigen Stunden. Die Gründe dafür sind vielfältig und brutal einfach:
- Die Batterie: Die 12-Volt-Autobatterie ist nicht für die extremen Temperaturschwankungen von über +120°C bis unter -150°C ausgelegt. Ihre Kapazität dürfte binnen Stunden zusammengebrochen sein.
- Die Elektronik: Selbst wenn der Akku länger gehalten hätte, ist die ungeschirmte Automobilelektronik der harten kosmischen Strahlung schutzlos ausgeliefert. Einzelne Strahlungsteilchen können die Daten auf dem Speichermedium (Flash-Chip oder Festplatte) wie ein winziges Geschoss durchschlagen und korrumpieren.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass der Roadster in den nächsten Millionen Jahren mit der Erde kollidiert, liegt bei etwa 6 Prozent.“
Diese Berechnung von Professor Hanno Rein von der University of Toronto zeigt, dass die Reise des Wagens nicht ewig dauern wird. Auch wenn die Chance gering erscheint, ist seine Umlaufbahn instabil und kreuzt die Bahnen von Erde und Mars. Langfristig wird er entweder von der Sonne verschluckt oder von der Schwerkraft eines Planeten eingefangen – als die wohl schnellste Sternschnuppe, die je ein Mensch gebaut hat.
Reifen für die Erde vs. Räder für den Mars
Roadster-Reifen: Ein Verbund aus Natur- und Synthesekautschuk. Im Vakuum des Alls entweicht die Luft sofort. Die UV-Strahlung und die extremen Temperaturen zersetzen die organischen Polymere, wodurch der Gummi erst spröde wird und dann buchstäblich zerbröselt.
Mars-Rover-Räder: Die Räder von „Curiosity“ oder „Perseverance“ bestehen aus einer einzigen, federnden Aluminiumlegierung mit Titan-Speichen. Sie sind so konzipiert, dass sie ohne Luftdruck auf steinigem Gelände funktionieren und den Temperaturschwankungen auf dem Mars standhalten.
Der Lack ist das Erste, was seine Seele verliert. Das brillante „Cherry Red“ ist ein komplexes Schichtsystem aus Grundierung, Füller, Basislack und Klarlack. Im All wird diese Schutzschicht von einem unsichtbaren Sturm bombardiert. Hochenergetische UV-Strahlen und Protonen des Sonnenwinds spalten die langen Molekülketten in den organischen Pigmenten und im Bindemittel des Klarlacks. Das Ergebnis ist ein fortschreitendes Ausbleichen und eine zunehmende Sprödigkeit. Aus dem satten Rot wird über die Jahrzehnte ein mattes Rosa, dann ein knochenweißes Grau, bevor die Schicht komplett erodiert.
- Das Glas der Windschutzscheibe und der Scheinwerfer.
- Der geklebte und genietete Aluminiumrahmen.
- Die Metalllegierungen im Motorblock und Fahrwerk.
Das Geheimnis ihrer Langlebigkeit? Anorganische Materialien. Anders als Kunststoffe, Leder oder Gummi haben Metalle und Glas sehr stabile, kristalline oder amorphe Strukturen. Kosmische Strahlung kann zwar einzelne Atome aus dem Gitter schlagen, aber sie kann die Grundstruktur nicht so leicht aufbrechen wie die langen, empfindlichen Kohlenstoffketten organischer Materialien.
Wichtiger Punkt: Der unsichtbare Sandstrahler. Man stellt sich oft Einschläge von größeren Meteoriten vor, aber die viel größere Gefahr geht von Mikrometeoroiden aus. Jede Sekunde wird die Oberfläche des Autos von unzähligen Staubkörnern getroffen, die sich mit Geschwindigkeiten von bis zu 70 Kilometern pro Sekunde bewegen. Jeder dieser Einschläge erzeugt einen winzigen Krater und verdampft einen Teil des Materials – ein Prozess, der als „Sputtering“ bekannt ist. Über Jahrtausende wirkt das wie ein ultrafeines, aber unaufhaltsames Sandstrahlgebläse, das jede Oberfläche langsam abträgt.
Selbst die intimsten Details im Innenraum verwittern. Das Leder der Sitze, wahrscheinlich mit pflanzlichen oder synthetischen Stoffen gegerbt, wird im Vakuum ausgasen. Das bedeutet, es verliert alle flüchtigen Bestandteile, die es weich und flexibel halten. Zurück bleibt eine steife, brüchige Hülle. Die Kunststoffe des Armaturenbretts, typischerweise ABS oder Polycarbonat, werden unter der Strahlung verspröden und Risse bekommen, ähnlich einem alten Gartenstuhl, der zu lange in der Sonne stand – nur tausendmal schneller und brutaler.
An Bord des Roadsters befindet sich eine kleine Plakette mit der Aufschrift „Made on Earth by humans“.
Man darf nicht vergessen, dass der Wagen nicht steril ins All gestartet ist. Auf und in ihm befindet sich eine riesige Menge an Mikroben von der Erde – Bakterien, Pilzsporen, vielleicht sogar die extrem widerstandsfähigen Bärtierchen. Viele davon werden durch die Strahlung und das Vakuum abgetötet. Einige könnten jedoch in geschützten Nischen, etwa tief im Inneren der Sitze, überdauern. In gewisser Weise ist der rote Flitzer also nicht nur ein Materialtest, sondern auch eine Arche für die widerstandsfähigsten Lebensformen unseres Planeten.
