Acrylglas bearbeiten wie ein Profi: Dein kompletter Werkstatt-Guide ohne Frust
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Platten Acrylglas über die Jahre durch meine Werkstatt gewandert sind. Mal für Möbel, mal für coole Messe-Displays oder auch für präzise technische Teile. Und immer wieder kommen Leute zu mir – Heimwerker, Bastler, junge Designer – und sind total frustriert. Da ist das teure Material gerissen, die Kanten sind milchig oder die Klebestellen sehen furchtbar aus. Die Frage ist fast immer die gleiche: „Was mache ich falsch?“
Inhaltsverzeichnis
- 1 Grundlagen: Warum „Plexiglas“ nicht gleich Acrylglas ist
- 2 Deine Werkstatt-Vorbereitung: Sicherheit und Sauberkeit
- 3 Das richtige Werkzeug und Material besorgen
- 4 Die Techniken: So wird’s wirklich sauber
- 5 Kleben, das eigentlich Schweißen ist
- 6 Dein erstes Projekt: Ein einfacher Handy-Halter (Quick Win)
- 7 Für Fortgeschrittene: Die glasklare Box
- 8 Hilfe, es ist was schiefgegangen! (Typische Fehler)
Ganz ehrlich? Ihr behandelt Acrylglas wie Holz. Aber dieses Material hat seinen eigenen Kopf. Es hasst Hektik und falsches Werkzeug. Wenn man aber weiß, wie es tickt, und ihm ein bisschen Sorgfalt schenkt, dann belohnt es einen mit Ergebnissen, die einfach nur beeindruckend klar und professionell aussehen. Dieses ganze Wissen möchte ich hier mit dir teilen. Nicht nur, damit du was Nettes basteln kannst, sondern damit du das Zeug wirklich verstehst.
Grundlagen: Warum „Plexiglas“ nicht gleich Acrylglas ist
Lass uns mal mit dem größten Missverständnis aufräumen. Viele sagen „Plexiglas“, meinen aber eigentlich Acrylglas (oder PMMA, wie der Chemiker sagt). „Plexiglas“ ist nur ein bekannter Markenname, so wie „Tempo“ für Taschentücher. Viel wichtiger für deine Arbeit ist aber, wie das Acrylglas hergestellt wurde. Davon hängt nämlich alles ab. Ich hab schon Leute gesehen, die Platten im Wert von über 100 Euro ruiniert haben, weil sie den Unterschied nicht kannten.

Es gibt im Grunde zwei Sorten, die du im Handel findest:
- Gegossenes Acrylglas (GS): Das ist die Königsklasse. Hier wird das flüssige Material zwischen zwei Glasplatten gegossen und darf dort in aller Ruhe aushärten. Dadurch hat es kaum innere Spannungen. Wenn du also fräsen, bohren, Gewinde schneiden oder die Kanten auf Hochglanz polieren willst, ist GS dein Material. Es lässt sich super bearbeiten, ohne zu schmieren oder zu reißen. Ja, es ist teurer – rechne mal mit gut 30-50% Aufpreis gegenüber der günstigeren Variante. Aber glaub mir, der Preis ist absolut gerechtfertigt, sobald du mehr als nur einen geraden Schnitt machen willst.
- Extrudiertes Acrylglas (XT): Das ist die Budget-Option. Hier wird geschmolzenes Granulat durch eine Düse gepresst, ähnlich wie bei einer Nudelmaschine. Das ist günstiger, erzeugt aber eine hohe innere Spannung im Material. Für eine einfache Abdeckung oder einen simplen Spritzschutz ist XT total in Ordnung. Sobald du es aber präzise bearbeiten willst, fängt der Ärger an. Es neigt beim Sägen und Bohren viel schneller zum Schmelzen und kann bei Kontakt mit falschen Klebern oder Reinigern Spannungsrisse bekommen.
Kleiner Werkstatt-Trick, wenn du unsicher bist: Wenn du ein winziges Reststück mit einem Feuerzeug erhitzt (Achtung, bitte draußen und mit Bedacht!), schmilzt XT und riecht leicht süßlich. GS wird eher weich wie Gummi und riecht kaum. Verlass dich aber im Zweifel lieber auf die Angabe deines Händlers!

Deine Werkstatt-Vorbereitung: Sicherheit und Sauberkeit
Bevor auch nur ein einziger Span fliegt, ein ernstes Wort. Acrylglasspäne sind scharf wie kleine Messer und können bei Maschinengeschwindigkeiten zu echten Geschossen werden. Eine Schutzbrille ist keine Empfehlung, sie ist absolute PFLICHT. Keine Diskussion. Ich hab mal einem Kollegen einen Splitter aus der Wange ziehen müssen, der nur mal „ganz kurz“ was nachschneiden wollte. Also, Brille auf!
Sorg außerdem für eine saubere, ebene Arbeitsfläche. Ein kleiner Krümel kann dir schon fiese Kratzer in die Oberfläche drücken. Ich lege immer eine dünne Filz- oder Schaumstoffmatte unter. Und noch was: Die Schutzfolie auf den Platten ist dein bester Freund. Lass sie so lange drauf wie nur irgendwie möglich. Du kannst direkt auf ihr anzeichnen und sie schützt vor den meisten Malheurs.
Das richtige Werkzeug und Material besorgen
Wo kriegt man das ganze Zeug überhaupt her? Gutes Acrylglas, vor allem GS-Platten, findest du selten im Standard-Baumarktregal. Schau dich mal bei spezialisierten Online-Händlern für Kunststoffe um. Dort bekommst du es oft auch direkt auf Maß zugeschnitten. Den Spezialkleber (z.B. Acrifix 1R 0192) findest du ebenfalls dort oder manchmal auch im gut sortierten Modellbau-Laden. Eine kleine Flasche kostet um die 15-20 Euro, reicht aber für etliche Projekte.

Die Techniken: So wird’s wirklich sauber
Jetzt geht’s ans Eingemachte. Die Qualität deiner Arbeit entscheidet sich an den Details. Ein sauberer Schnitt und eine perfekt polierte Kante sind der Unterschied zwischen „selbstgebastelt“ und „wie gekauft“.
1. Sägen: Schneiden statt schmelzen
Der häufigste Fehler? Zu viel Tempo oder das falsche Sägeblatt. Das Acrylglas wird heiß, schmilzt, der Schnitt verschmiert und die Kante ist hin. Dein Ziel ist es, einen richtigen Span zu schneiden, nicht Schmelzkäse zu produzieren.
- Kreissäge: Für gerade Schnitte unschlagbar. Benutze am besten ein spezielles Kunststoff-Sägeblatt oder ein Vielzahn-Blatt für Alu (Trapez-Flachzahn). Wichtig ist, dass die Zähne nicht geschränkt sind. Stell eine mittlere Drehzahl ein und schieb das Material langsam, aber bestimmt durch. Kleiner Tipp: Kleb Malerkrepp auf die Schnittlinie. Das verhindert kleine Ausrisse an der Oberkante.
- Stichsäge: Gut für Kurven. Aber auch hier brauchst du ein Blatt für Acrylglas und – ganz wichtig – schalte den Pendelhub komplett aus! Der reißt dir das Material sonst garantiert kaputt. Führe die Säge ruhig und ohne viel Druck.

2. Bohren: Löcher ohne Risse
Nimm niemals einen normalen Metallbohrer! Seine Schneiden sind so geformt, dass sie sich ins Material ziehen. In dem spröden Acrylglas führt das fast immer zu einem hässlichen Riss. Spar dir den Ärger und investiere die 5-10 Euro in einen speziellen Acrylglasbohrer. Den bekommst du online oder im Fachhandel.
Sein Geheimnis ist ein anderer Spitzenwinkel und vor allem ein anderer Schliff der Schneiden – er schneidet nicht, er schabt das Material sauber heraus. Falls du wirklich keinen zur Hand hast, kannst du einen alten HSS-Bohrer modifizieren, indem du die Schneidkanten mit einem Schleifstein leicht abstumpfst (auf einen 0°-Freiwinkel), aber das ist eher was für Fortgeschrittene.
So geht’s richtig:
- Bohre mit niedriger Drehzahl (bei einem 5mm-Loch so um die 800 U/min).
- Übe kaum Druck aus. Lass den Bohrer die Arbeit machen.
- Leg immer ein Stück Restholz unter, damit die Unterseite nicht ausbricht.
- Bei dickeren Platten den Bohrer immer mal wieder kurz anheben, um die Späne rauszulassen und das Material abkühlen zu lassen.

3. Kantenbearbeitung: Von matt zu glasklar
Eine gesägte Kante ist immer rau und matt. Um sie wieder glasklar zu bekommen, braucht es etwas Handarbeit und Geduld. Ganz ehrlich, plane für eine 20 cm lange Kante als Anfänger ruhig mal eine halbe Stunde ein, wenn es perfekt werden soll.
- Schaben: Als Erstes müssen die groben Sägespuren weg. Dafür nimmst du eine scharfe Klinge (eine Ziehklinge oder einfach den ungeschliffenen Rücken eines Cuttermessers) und ziehst sie im 90-Grad-Winkel über die Kante. Es sollte sich ein feiner, gleichmäßiger Span abheben.
- Schleifen: Jetzt kommt der Nassschliff. Fang mit 320er Schleifpapier an und arbeite dich langsam hoch: 400er, 600er, 800er und zum Schluss 1200er. Wickle das Papier um einen Schleifklotz, damit die Kante schön gerade bleibt.
- Polieren: Das große Finale! Nimm eine spezielle Acrylglas-Polierpaste (gibt’s für ein paar Euro online) und ein Mikrofasertuch. Poliere die Kante mit festem Druck, bis sie glänzt.
Profis machen das manchmal mit einer Flamme (Flammpolieren), aber bitte: Finger weg! Das ist extrem heikel und ohne viel Erfahrung machst du die Platte nur kaputt.
4. Der Dremel-Check: Freund oder Feind?
Fast jeder hat so ein Multifunktionswerkzeug zu Hause. Kann man damit Acrylglas bearbeiten? Jein. Zum Schneiden ist es meist zu schnell und schmilzt das Material sofort. Wofür es aber super ist: zum Polieren! Mit einem kleinen Filz-Polierrad und etwas Polierpaste kannst du Kanten oder auch kleine Kratzer auf der Oberfläche bearbeiten. Wichtig: Immer auf der niedrigsten Drehzahlstufe arbeiten und kaum Druck ausüben!
Kleben, das eigentlich Schweißen ist
Vergiss Sekundenkleber oder Alleskleber. Das gibt nur hässliche Flecken und macht das Material spröde. Für Acrylglas benutzen wir spezielle Lösungsmittelkleber (wie den erwähnten Acrifix 1R 0192). Dieser Kleber löst die Oberfläche an und verschweißt die beiden Teile chemisch miteinander. Die Verbindung ist danach bombenfest.
Der Trick dabei ist die Kapillarwirkung. Der Kleber ist dünn wie Wasser und zieht sich von selbst in den schmalsten Spalt. Das bedeutet aber auch: Deine Kanten müssen perfekt plan und fugenlos aneinanderstoßen. Eine gesägte Kante reicht da nicht, sie muss mindestens geschabt sein. Fixiere die Teile exakt im richtigen Winkel (Malerkrepp an der Außenseite hilft) und trage den Kleber mit einer feinen Kanüle oder einem dünnen Pinsel von innen auf. Er wird sofort in die Fuge flitzen. Lass das Ganze dann ein paar Stunden in Ruhe, die volle Stärke ist nach ca. 24 Stunden erreicht.
Dein erstes Projekt: Ein einfacher Handy-Halter (Quick Win)
Bevor du dich an eine komplexe Box wagst, versuch doch mal was ganz Einfaches. Ein Handy-Halter. Du brauchst nur ein kleines Stück Acrylglas (ca. 10×20 cm, 3-5 mm dick). Säge es zu, poliere die beiden kurzen Kanten schön glatt und biege es dann vorsichtig über einer Tischkante, während du es mit einem Heißluftföhn erwärmst. Das dauert 15 Minuten und du hast sofort ein Erfolgserlebnis!
Für Fortgeschrittene: Die glasklare Box
Okay, du bist bereit für die nächste Stufe. Eine Box mit den Maßen 20x20x20 cm aus 5 mm starkem GS-Acrylglas. Das ist ein super Projekt, um alle Techniken zu üben.
Deine Einkaufsliste:
- Acrylglas GS, 5 mm dick, eine Platte ca. 50×50 cm: ca. 25-40 Euro
- Acrifix 1R 0192 Klebstoff: ca. 15 Euro
- Nassschleifpapier-Set (verschiedene Körnungen): ca. 10 Euro
- Polierpaste: ca. 8 Euro
So gehst du vor:
- Zuschnitt: Säge fünf exakte Quadrate (200×200 mm) zu. Achte auf perfekte 90-Grad-Winkel.
- Vorbereitung: Ziehe alle Schnittkanten mit der Ziehklinge ab, bis sie glatt sind.
- Montage: Stell den Boden und zwei Seitenwände auf und fixiere sie von außen mit Malerkrepp. Es darf keine Fuge zu sehen sein!
- Kleben: Trage den Kleber wie beschrieben von innen auf. Aushärten lassen. Dann die restlichen beiden Seitenteile anbringen und verkleben.
- Finish: Wenn alles fest ist, kannst du die oberen, offenen Kanten polieren, bis sie spiegeln. Erst ganz am Ende die Schutzfolien abziehen!
Plane für dieses Projekt als Anfänger mal einen entspannten Nachmittag ein. Aber das Ergebnis ist eine stabile, optisch nahtlose Box, auf die du echt stolz sein kannst.
Hilfe, es ist was schiefgegangen! (Typische Fehler)
- Risse beim Bohren? Zu 99% der falsche Bohrer, zu viel Druck oder zu hohe Drehzahl.
- Klebefugen sind milchig? Entweder unsaubere Kanten, ein Spalt zwischen den Teilen oder der falsche Kleber.
- Kratzer auf der Oberfläche? Passiert. Kleine, oberflächliche Kratzer kannst du oft mit der gleichen Polierpaste wie für die Kanten und viel Geduld von Hand rauspolieren. Wische Acrylglas niemals trocken ab, immer nur mit einem feuchten Mikrofasertuch!
- Kante ist beim Sägen geschmolzen? Falsches Sägeblatt, zu hohe Drehzahl oder zu langsamer Vorschub. Finde den richtigen Rhythmus.
Acrylglas ist ein ehrliches Material. Es verzeiht keine Schlamperei, aber wenn du ihm die nötige Aufmerksamkeit schenkst, sind die Möglichkeiten endlos. Trau dich ran!
