Vergiss die Megapixel: Warum echtes Fotografen-Handwerk mehr zählt als jede Kamera

von Adele Voß
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In meiner Werkstatt hängen ein paar alte Kameras. Nicht als Deko, ehrlich gesagt, sondern als ständige Mahnung. Sie erinnern mich daran, dass Fotografie ein echtes Handwerk ist. Eines, das man von Grund auf lernt – mit Licht, Chemie und einer Engelsgeduld. Als ich damals meinen Meisterbrief in den Händen hielt, waren viele der heutigen Fotografie-Trends noch undenkbar. Umso mehr freut es mich, wenn ich sehe, dass dieses Handwerk auch heute noch zelebriert wird, zum Beispiel in manchen dieser hochkarätigen Kunstkalender.

Kürzlich fiel mir wieder einer in die Hände, der genau das verkörpert. Kein schnelles Promi-Heftchen, sondern ein echtes Meisterstück. Ein Lehrstück über Licht, Komposition und die Seele, die in einem guten Porträt steckt. Komm, wir schauen mal gemeinsam hinter die Kulissen. Aber nicht auf die berühmten Gesichter, sondern auf die Technik, die Kunst und die knallharte Arbeit, die in solchen Bildern steckt.

Das A und O: Erst die Idee, dann das Werkzeug

Jedes gute Werkstück, egal ob ein Stuhl vom Schreiner oder ein Foto, beginnt mit einem Plan. In der Fotografie nennen wir das Konzept. Für ein großes Projekt ging es mal um die „Suche nach Julia“, also die Essenz einer tragischen Heldin. Die Künstler haben da nicht einfach ein altes Drama nachgestellt. Nein, sie haben nach dem Kern gesucht: Verletzlichkeit, Stärke, Zweifel, Liebe. Das ist die Basis für jedes einzelne Bild.

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Einem Lehrling sage ich immer: „Vergiss erstmal die Kamera! Was willst du eigentlich erzählen?“ Ohne eine Geschichte ist selbst das technisch perfekteste Foto nur eine leere Hülle. Das Konzept gibt alles vor: das Licht, die Pose, den Ort und vor allem das Werkzeug.

Die Wahl der Kamera: Warum langsam manchmal besser ist

Für solche anspruchsvollen Porträts wurde oft mit einer sogenannten Großformatkamera gearbeitet, zum Beispiel im Format 8×10 Zoll. Stell dir das nicht wie deine schnelle Digitalkamera vor. Das ist ein riesiges Ungetüm aus Holz und Metall auf einem schweren Stativ. Ich hab für meine Meisterprüfung selbst mit so einem Apparat geschuftet. Die Arbeit damit ist langsam, fast schon meditativ. Du machst keine hundert Fotos pro Minute, sondern vielleicht zehn an einem ganzen Tag. Jedes einzelne Bild ist eine bewusste Entscheidung.

Warum tut man sich das an? Klingt doch total umständlich, oder? Dafür gibt es verdammt gute Gründe:

  • Eine Bildqualität, die dich umhaut: Ein einziges Negativ ist hier so groß wie ein DIN-A4-Blatt (ca. 20×25 cm). Die Detailfülle ist unglaublich. Du siehst die feinsten Härchen, die Poren der Haut, die Struktur vom Stoff. Es entsteht eine fast dreidimensionale Wirkung, das Bild scheint zu atmen.
  • Magische Unschärfe: Durch die Physik dieser Kameras ist nur ein winziger Bereich wirklich scharf. Der Rest versinkt in einem butterweichen Traum. Die Profis nutzen das meisterhaft, um deinen Blick genau dorthin zu lenken, wo sie ihn haben wollen. Auf die Augen, eine Geste, ein winziges Detail. Das ist kein Zufall, das ist präzise Lenkung.
  • Der entschleunigte Prozess: Diese Langsamkeit zwingt alle zur Konzentration. Fotograf und Modell müssen wirklich zusammenarbeiten. Man schaut nicht auf einen kleinen Bildschirm, sondern auf eine riesige Mattscheibe, auf der das Bild seitenverkehrt und auf dem Kopf steht. Das Bild wird komponiert wie ein Gemälde. Diese Ruhe schafft eine unglaublich intime Atmosphäre, und die spürst du in den fertigen Porträts.

Aber mal ganz ehrlich: So eine Kamera ist nichts für den Einstieg. Eine einzige Aufnahme kann, inklusive Film und Entwicklung, schnell mal zwischen 50 € und 150 € kosten. Jeder Fehler ruiniert bares Geld. ABER: Das Prinzip dahinter kannst du mit jeder Kamera nutzen. Bewusst arbeiten, sich Zeit nehmen, das Bild schon vor dem Klick im Kopf komponieren. Das macht den Unterschied.

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Mit Licht malen wie die alten Meister

Licht ist die eigentliche Sprache der Fotografie. Das Licht in diesen Kunstwerken ist oft sanft, weich und scheint nur aus einer einzigen Richtung zu kommen. Es erinnert stark an die Gemälde der alten Meister. Die haben auch nicht einfach drauf losgemalt, die haben mit Licht Gesichter und Stimmungen geformt.

In meiner Ausbildung saßen wir stundenlang einfach nur da und haben beobachtet, wie das Tageslicht durch ein Fenster fällt. Wie es sich verändert. Wie es ein Gesicht mal hart und mal weich aussehen lässt. Das ist die beste Schule.

Dein erstes Meister-Porträt für unter 5 Euro

Dieses malerische Licht ist kein Hexenwerk. Das kannst du auch! Das Grundprinzip ist super einfach: Je größer die Lichtquelle im Verhältnis zu deinem Motiv ist, desto weicher wird das Licht. Du brauchst dafür keine teuren Lampen.

Kleiner Tipp: Dein eigenes kleines Studio-Setup für ein Wahnsinns-Porträt kostet dich fast nichts. Du brauchst nur:

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  1. Ein großes Fenster, am besten an einem bewölkten Tag. Das ist deine riesige, kostenlose Softbox. Das Licht ist dann super weich und schmeichelhaft.
  2. Eine Styroporplatte aus dem Baumarkt. Die kostet vielleicht 2-3 Euro. Stell dein Modell neben das Fenster und halte die Platte auf der schattigen Seite des Gesichts. Sie wirft das Fensterlicht sanft zurück und hellt die Schatten auf.

Schalte das Deckenlicht aus, das macht nur hässliche Schatten von oben. Und schon hast du eine Lichtstimmung, die professionell aussieht. Probier’s mal aus, der Unterschied ist gewaltig!

Achtung! Ein Wort zur Sicherheit am Set

Wo mit professionellem Equipment gearbeitet wird, ist Sicherheit das oberste Gebot. Ich hab’s selbst mal bei einem jungen Kollegen erlebt, dass ein schwerer Lichtständer umgefallen ist – pures Glück, dass niemand verletzt wurde. Seitdem gilt bei mir immer die 3-Punkte-Checkliste:

  • Standsicherheit? Jeder schwere Ständer wird mit Sandsäcken beschwert. Eine volle Tasche tut’s zur Not auch.
  • Stolperfallen? Alle Kabel werden mit Gaffer-Tape sauber am Boden festgeklebt.
  • Brandgefahr? Ältere Lampen werden extrem heiß. Immer genug Abstand zu Vorhängen oder anderen brennbaren Materialien halten!

Das Wohl des Teams und des Modells hat immer, wirklich immer, Vorrang.

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Die stille Choreografie eines Fotoshootings

So ein Shooting auf hohem Niveau ist kein lautes Event, sondern eher eine stille, konzentrierte Zusammenarbeit. Jeder hat seine Aufgabe. Der Fotograf ist der Regisseur, der seine Vision leise kommuniziert. Der Assistent kümmert sich um die Technik, wechselt Filmkassetten und misst das Licht. Visagisten und Stylisten sorgen für den perfekten Look. Und das Modell? Das ist so viel mehr als nur ein Gesicht.

Ganz ehrlich, die beste Technik ist manchmal, die Kamera wegzulegen.

Ich hatte mal ein Shooting mit einem wichtigen Vorstand. Der Mann war steif wie ein Brett, die ersten Bilder waren für die Tonne. Also hab ich die Kamera zur Seite gelegt und wir haben uns 20 Minuten über sein Hobby unterhalten: Segeln. Ich hab ihn gebeten, mir das Gefühl zu beschreiben, wenn der Wind ins Segel greift. Plötzlich war die ganze Anspannung weg, seine Augen leuchteten. Die Bilder danach waren authentisch und stark. Eine menschliche Verbindung ist durch keine Technik der Welt zu ersetzen.

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Vom Negativ zum fertigen Bild: Das finale Handwerk

Wenn das Foto im Kasten ist, ist die Arbeit noch lange nicht vorbei. Die großen Negative werden hochauflösend gescannt. Die digitale Bearbeitung, die dann folgt, hat nichts mit billigen Instagram-Filtern zu tun. Es ist die moderne Form der klassischen Dunkelkammerarbeit. Mit Techniken wie „Abwedeln“ und „Nachbelichten“ werden Bereiche subtil aufgehellt oder abgedunkelt, um den Blick zu lenken und die Stimmung zu verstärken.

Und dann kommt der Druck. Ein Bild auf einem leuchtenden Bildschirm ist flüchtig. Ein gedrucktes Bild auf hochwertigem Papier ist ein Objekt. Die Wahl des Papiers ist entscheidend. Ein mattes, ungestrichenes Papier fühlt sich ganz anders an und wirkt völlig anders als ein glänzendes. Hier arbeiten Fotografen eng mit Druckermeistern zusammen, um die Farben perfekt abzustimmen. Dieser Prozess kann Stunden dauern, aber das Ergebnis ist es wert.

Deine Meister-Challenge für zu Hause

Du brauchst keine High-End-Kamera, um bessere Porträts zu machen. Die Prinzipien hinter den Meisterwerken kann jeder anwenden. Hier ist deine Hausaufgabe:

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  • Finde deine Geschichte: Bevor du knipst, überleg dir: Was will ich zeigen? Stärke? Nachdenklichkeit? Pure Lebensfreude? Sprich mit der Person vor der Kamera!
  • Werde zum Licht-Jäger: Deine Hausaufgabe fürs Wochenende: Nimm dir einen einfachen Stuhl, stell ihn neben ein Fenster und fotografiere ihn alle zwei Stunden, von morgens bis abends. Du wirst staunen, wie sich die Schatten und die Stimmung verändern. Das ist die beste und billigste Lichtschule der Welt.
  • Schaffe eine Oase der Ruhe: Nimm dir Zeit. Mach Musik an, die zur Stimmung passt. Ein entspanntes Modell macht tausendmal bessere Bilder.
  • Weniger ist mehr: Ein ruhiger Hintergrund lenkt nicht vom Gesicht ab. Eine einfache Wand ist oft besser als der unruhige Garten. Konzentrier dich auf den Ausdruck.

Und zum Schluss: Der Respekt vor dem Menschen

Ein Punkt, den ich jedem ans Herz lege: Kläre die Rechte. Sobald du ein Bild nicht nur für die private Schublade machst, brauchst du die Erlaubnis der abgebildeten Person. Profis arbeiten immer mit einem „Model Release“, einem Vertrag, der regelt, wofür die Bilder verwendet werden dürfen.

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Gut zu wissen: Wo kriegt man so was her? Such einfach online nach „Model Release Vorlage kostenlos“. Viele Fotografie-Blogs oder auch Anwaltsseiten bieten geprüfte Muster zum Download an. Das schützt dich und die Person, die du fotografierst. Es ist ein Zeichen von Professionalität und Respekt.

Noch wichtiger ist der Respekt während des Shootings. Ein Porträt ist ein Geschenk. Jemand vertraut dir sein Abbild an. Mit diesem Vertrauen muss man verdammt sorgsam umgehen. Das ist die wichtigste ungeschriebene Regel unseres Handwerks.

Adele Voß

Adele Voß ist 1979 in Wien geboren und hat dort Kunstgeschichte studiert. Deshalb sind ihre Interessen als Online-Autorin auf die Bereiche Kunst und Kultur gerichtet.  Ihrer Meinung nach muss man Mode und Design ebenso als Quellen kreativer Inspiration betrachtet und als Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit. Adele macht ihre Leser gerne aufmerksam auf die tiefere Bedeutung der Trends im Innendesign im Konkreten und auch in der modernen Lebensweise im Allgemeinen. Adele Voß schreibt darüber hinaus gerne übers Thema Gesundheit. Es umfasst Artikel über gesundes Abnehmen, gesunde Speisen und Getränke und auch über sportliche Aktivitäten in jedem Alter. In ihrer Freizeit kocht sie gern für die Familie und sie alle reisen oft zusammen.