Totale Funkstille: Warum wir hinter dem Mond lauschen müssen, um das Universum zu verstehen

von Emma Wolf
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Schon seit Ewigkeiten träumen wir Ingenieure und Astronomen davon. Ehrlich gesagt, ist es ein Gedanke, der in Werkstätten und an Zeichentischen reifte, lange bevor die Technik überhaupt so weit war. Der Traum von einem Ort, an dem es absolut still ist. Also, nicht still für die Ohren, sondern im Funk-Spektrum. Ein Ort, an dem wir dem Flüstern des Universums lauschen können, ohne das ständige Geschrei unserer eigenen Zivilisation. Und diesen Ort gibt es: die Rückseite des Mondes.

Mit einer cleveren Mission, die ein niederländisches Instrument auf einem chinesischen Satelliten platzierte, haben wir dort das erste „Ohr“ geöffnet. Ich hab in meiner Karriere an so einigen Antennensystemen für die Raumfahrt gebastelt und weiß genau, was für eine Zitterpartie so ein Projekt ist. Das ist weit mehr als nur ein bisschen Metall im All. Es ist die Spitze eines riesigen Eisbergs aus Arbeit, Schweiß und unzähligen Tests hier unten auf der Erde.

Es ist seit Generationen ein Traum unzähliger Astronomen – ein Radioteleskop auf der Mondrückseite illustration des satelliten im weltraum
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Das große Rauschen: Warum die Erde so ein Lärmbolzen ist

Um zu kapieren, warum die Mondrückseite so ein Sechser im Lotto ist, müssen wir erst mal das Problem hier bei uns verstehen. Unsere Welt ist LAUT. Jedes Handy, jeder WLAN-Router, ja sogar deine Mikrowelle, wenn sie nicht perfekt abgeschirmt ist, sendet Störsignale. Wir Profis nennen das Radiofrequenz-Interferenz (RFI). Für einen Radioastronomen ist das so, als würdest du versuchen, das Flüstern eines Kindes am anderen Ende eines proppenvollen Fußballstadions zu hören, während gerade ein Tor fällt. Praktisch unmöglich.

Klar, wir versuchen, uns in die stillsten Ecken der Welt zu verziehen – in Wüsten in Australien oder einsame Täler in den Anden. Aber selbst da erwischt uns der Lärm. Signale von Satelliten im Orbit erreichen uns trotzdem. Besonders kritisch wird es bei den ganz tiefen Frequenzen, unterhalb von 30 Megahertz. Genau hier liegt ein Fenster zum ganz frühen Universum, in eine Zeit, die Kosmologen das „Dunkle Zeitalter“ nennen. Das war die Epoche direkt nach dem Urknall, noch bevor die ersten Sterne aufleuchteten.

Es ist seit Generationen ein Traum unzähliger Astronomen – ein Radioteleskop auf der Mondrückseite der satellit im weltraum illustriert
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Und genau diese unglaublich wertvollen, aber hauchzarten Signale blockiert unser eigener Planet. Unsere Ionosphäre, eine geladene Teilchenschicht hoch über uns, wirkt für diese langen Radiowellen wie ein Spiegel. Was uns also den weltweiten Radioempfang ermöglicht, versperrt uns gleichzeitig den Blick auf die ältesten Geheimnisse des Kosmos. Die einzige Lösung? Wir müssen raus. Und wir brauchen einen massiven Schutzschild.

Und da kommt der Mond ins Spiel. Mit seinen fast 3.500 Kilometern Fels blockiert er den ganzen Lärm der Erde einfach perfekt. Die Rückseite des Mondes ist mit Abstand der ruhigste Ort im gesamten inneren Sonnensystem.

Die Technik dahinter: Eine Brücke ins Nichts und empfindliche Fühler

Stell dir das mal vor: Da von der Mondrückseite keine direkte Funkverbindung zur Erde möglich ist, braucht man eine Art himmlische Kommunikationsbrücke. Ein spezieller Relaissatellit „parkt“ an einem ganz besonderen Ort hinter dem Mond, dem sogenannten Lagrange-Punkt L2. Von dort aus hat er gleichzeitig Sichtkontakt zur Erde und zur Landeeinheit auf der Mondoberfläche. Ziemlich clever, oder?

Es ist seit Generationen ein Traum unzähliger Astronomen – ein Radioteleskop auf der Mondrückseite satellit auf der mondrückseite endlich wahr geworden

Übrigens, an diesem galaktischen Parkplatz ist er nicht allein. Auch das berühmte James-Webb-Weltraumteleskop nutzt denselben stabilen Punkt, um ungestört ins All zu blicken. Eine Art High-Tech-Nachbarschaft da draußen!

An diesem Relaissatelliten hängt dann das eigentliche Lausch-Instrument. Das Herzstück sind drei einfache Antennen. Wenn du jetzt an eine riesige Satellitenschüssel denkst, liegst du falsch. Es sind eher drei dünne, filigrane Metallstäbe, jeder rund fünf Meter lang. Für den Start sind sie super kompakt aufgewickelt, fast wie ein metallenes Maßband. Im All müssen sie sich dann auf Knopfdruck kontrolliert entfalten. Das ist immer ein Moment, bei dem auf der Erde alle den Atem anhalten.

Wenn der Plan auf die harte Realität trifft

Was ich meinen Azubis immer predige: Im Weltraum gibt es keine zweite Chance. Du kannst nicht mal eben hinfliegen und was zurechtrücken. Und genau hier lief es nicht nach Plan. Das Ausfahren der Antennen entpuppte sich als Geduldsspiel und war viel schwieriger als gedacht.

Es ist seit Generationen ein Traum unzähliger Astronomen – ein Radioteleskop auf der Mondrückseite fotos der antene probleme

Als das Team den Befehl zum Entfalten gab, fuhren die Antennen nicht vollständig aus. Ein Alptraum für jeden Ingenieur. Du sitzt hunderte tausende Kilometer entfernt, starrst auf deine Daten und siehst: Der Motor läuft, aber die Antennen stecken fest. Ganz konkret: Statt der geplanten fünf Meter kamen sie nur auf etwa drei Meter. Das verändert natürlich die ganze Charakteristik des Instruments.

Was kann da passiert sein? Aus meiner Erfahrung gibt es da ein paar fiese Kandidaten. Eine Möglichkeit ist die Kaltverschweißung. Im Vakuum können sich blitzsaubere Metalloberflächen bei Kontakt einfach permanent miteinander verbinden. Eine andere ist, dass sich das Material durch die extremen Temperaturschwankungen – von Eiseskälte im Schatten bis zu Gluthitze in der Sonne – minimal verformt hat. Da reichen Bruchteile eines Millimeters, um alles zu blockieren.

Aber anstatt aufzugeben, haben die Experten wahre Professionalität gezeigt. Sie haben entschieden, mit dem zu arbeiten, was sie haben. Ein kürzeres Instrument ist besser als gar keins!

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Was jetzt trotzdem noch geht: Wissenschaft im Plan B

Okay, das extrem schwache Signal aus dem „Dunklen Zeitalter“ zu empfangen, wird mit den kürzeren Antennen schwierig. Die Empfindlichkeit ist einfach nicht mehr hoch genug. Aber das heißt nicht, dass die Mission umsonst war – ganz im Gegenteil!

Das Team hat umgeschaltet und konzentriert sich jetzt auf andere, aber nicht weniger spannende Phänomene. Mit dem Instrument können sie immer noch extrem gut Radiosignale von unserer Sonne oder dem Planeten Jupiter analysieren. So lassen sich Sonnenstürme besser verstehen oder die komplexen Radioblitze aus der Jupiter-Atmosphäre untersuchen. Das sind super wertvolle Daten, die man von der Erde aus so nicht bekommen kann. Es ist eine wichtige Lektion in der Raumfahrt: Sei flexibel und mach das Beste aus der Situation. Man lernt oft am meisten, wenn Dinge nicht nach Plan laufen.

Ein Universum der Unterschiede: Lauschen auf der Erde vs. hinter dem Mond

Um den Vorteil wirklich zu verstehen, lass uns mal direkt vergleichen.

Hier auf der Erde ist Radioastronomie ein ständiger Kampf gegen den Lärm. Du hast Funkmasten, Satelliten, Gewitterblitze und den ganzen menschgemachten Elektrosmog. Man kann nur in sehr schmalen, geschützten Frequenzbändern lauschen, und die ganz tiefen Frequenzen sind durch die Ionosphäre komplett blockiert. Es ist, als würdest du mit Ohrenschützern in einer Disco stehen.

Und hinter dem Mond? Absolute Stille. Kein Elektrosmog von der Erde. Die Ionosphäre ist kein Thema. Das gesamte Spektrum an tiefen Frequenzen liegt offen vor dir. Das ist der einzige Ort, an dem wir eine Chance haben, die Echos des Urknalls zu hören. Es ist, als würdest du allein in einer schalldichten Kammer sitzen und könntest das leiseste Knistern hören.

Fortschritt ist Teamarbeit (und verdammt teuer)

So ein Projekt ist heute keine One-Man-Show mehr. Hier haben Teams aus China und den Niederlanden perfekt zusammengearbeitet. Die einen stellen die gigantische Infrastruktur – Rakete, Satellit, Startrampe –, die anderen liefern das hochspezialisierte wissenschaftliche Instrument. Jeder bringt seine Stärken ein.

Ganz ehrlich, Raumfahrt ist unfassbar teuer und riskant. Allein die Bauteile müssen extrem robust sein. Ein normaler Computerchip kostet vielleicht 50 Euro. Eine strahlungsgehärtete Version davon für den Weltraum kann schnell mal 20.000 Euro oder mehr kosten. Und davon brauchst du Hunderte. Ohne internationale Kooperationen wären solche Missionen heute kaum noch zu stemmen.

Das größte Risiko ist oft ein sogenannter „Single Point of Failure“. Bei dieser Mission ist das der Relaissatellit. Fällt der aus, ist die Verbindung zur Mondrückseite tot. Funkstille, aber die ungewollte Art. Deshalb baut man alles Wichtige doppelt und dreifach ein – zwei Sender, zwei Computer, zwei Stromversorgungen. Aber gegen einen direkten Treffer von Weltraumschrott bist du machtlos. Jedes Signal, das uns von dort erreicht, ist ein kleines technisches Wunder.

Nur der Anfang: Der Traum vom riesigen Mond-Observatorium

Dieses Instrument ist ein Pionier, ein Wegbereiter. Die Erfahrungen, die man jetzt sammelt – gerade auch mit den Problemen –, sind Gold wert für zukünftige Projekte. Der große Traum der Astronomen ist nämlich ein riesiges Radioteleskop auf der Mondrückseite. Kein einzelnes Instrument, sondern ein ganzes Feld von Tausenden einfachen Antennen, die über Quadratkilometer im Mondstaub verteilt sind.

Zusammengeschaltet würden sie ein virtuelles Teleskop von unvorstellbarer Empfindlichkeit bilden. Pläne dafür liegen schon in den Schubladen der großen Raumfahrtagenturen. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Dafür brauchen wir Roboter, die so etwas aufbauen, und eine Energieversorgung vor Ort.

Diese erste Mission ist der kleine, mutige erste Schritt auf einem sehr langen Weg. So entsteht Fortschritt. Man fängt klein an, lernt aus Erfolgen und Fehlern und baut darauf das nächste, größere Projekt auf. Und so wird aus dem Traum von gestern langsam, aber sicher die Realität von morgen.

Emma Wolf

Ich liebe es, unseren Lesern und Leserinnen praktische und einzigartige Informationen, Tipps und Life Hacks über allmögliche Themen zu geben, die sie in ihrem Alltag auch tatsächlich anwenden können. Ich bin immer auf der Suche nach etwas Neuem – neuen Trends, neuen Techniken, Projekten und Technologien.