Vom rohen Blech zur Design-Ikone: So entsteht ein Meisterwerk aus Edelstahl

von Aminata Belli
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Manchmal sieht man ein Möbelstück und denkt sich einfach nur: „Wow.“ Und dann gibt es die Momente, in denen wir Handwerker so ein Teil sehen und unser erster Gedanke ein ganz anderer ist. Bei einem bestimmten, z-förmigen Stuhl aus poliertem Edelstahl war mein erster Gedanke: „Hut ab, Kollegen. Respekt.“

Klar, für die meisten ist das ein futuristisches Designobjekt. Elegant, fließend, fast wie eine Skulptur. Aber für uns, die wir tagtäglich mit Metall arbeiten, ist es vor allem eines: eine unfassbare technische Herausforderung. Hinter dieser spiegelnden Fassade stecken pures Können, Schweiß und eine Menge Wissen, das man in keinem Lehrbuch findet.

Deshalb wollen wir uns dieses Meisterstück mal nicht mit den Augen eines Kunstkritikers ansehen, sondern mit denen eines Metallbauers. Kommt mit in die Werkstatt! Wir schauen uns an, was es wirklich braucht, um aus einer simplen Metallplatte so eine Ikone zu erschaffen.

Das Material: Warum Edelstahl nicht gleich Edelstahl ist

In der Beschreibung steht oft nur „polierter Edelstahl“. Das klingt so simpel, oder? Für uns Profis geht da aber sofort die erste Lampe an: Welcher Edelstahl denn genau? Das ist keine Detailfrage, sondern die absolute Grundlage für das Gelingen des gesamten Projekts.

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Für so ein High-End-Objekt kommt eigentlich nur ein sehr hochwertiger, austenitischer Chrom-Nickel-Stahl infrage. In der Fachsprache wäre das vermutlich ein V4A-Stahl (Werkstoffnummer 1.4404). Warum? Ganz einfach: Dieser Stahl enthält Molybdän, was ihn extrem widerstandsfähig gegen Korrosion macht. Schweiß, Fingerabdrücke, aggressive Reiniger – all das kann ihm auf Dauer wenig anhaben. Wichtig für ein Möbelstück, das ja auch benutzt werden soll.

Noch entscheidender ist aber seine Zähigkeit und gute Umformbarkeit. Man kann ihn biegen und kanten, ohne dass er sofort reißt. Gleichzeitig ist er aber auch eine kleine Diva in der Bearbeitung. Er neigt zur Kaltverfestigung. Das bedeutet, jede Biegung macht das Material an genau dieser Stelle härter und spröder. Man hat also oft nur diesen einen Versuch, die Form perfekt hinzubekommen. Patzer sind nicht vorgesehen.

Nur mal so zur Einordnung: Allein das Rohmaterial für so einen Stuhl in dieser Güteklasse kostet, je nach Tagespreis und Abnahmemenge, gut und gerne zwischen 800 und 1.500 Euro. Wir reden hier also schon vor dem ersten Arbeitsschritt von einem erheblichen Wert.

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Die Fertigung: Der lange Weg zur perfekten Form

Okay, jetzt wird’s richtig spannend. Wie zum Teufel biegt man eine flache Metallplatte in so eine komplexe, dreidimensionale Form? Ich kann euch beruhigen: Das passiert nicht nach Augenmaß. Dahinter steckt ein präziser Plan, der eine Mischung aus Hightech-Maschinen und purer Handwerkskunst erfordert.

Schritt 1: Der Zuschnitt – Millimeterarbeit von Anfang an

Zuerst müssen die einzelnen Bauteile aus großen Edelstahlblechen geschnitten werden. Hierfür gibt es zwei realistische Verfahren:

  • Laserschneiden: Das geht schnell und ist sehr präzise. Der Nachteil ist die Hitze, die an der Schnittkante eine kleine, gehärtete Zone hinterlässt. Das kann beim späteren Schweißen stören.
  • Wasserstrahlschneiden: Hier schneidet ein hauchdünner Wasserstrahl mit beigemischtem Sand das Metall. Das ist ein kalter Prozess, es gibt also keine Materialveränderung. Für ein solches Premium-Projekt ist das die Methode der Wahl. Es ist zwar langsamer und teurer, aber die Kantenqualität ist einfach unschlagbar.

Schritt 2: Die Formgebung – Der unsichtbare Held namens „Lehre“

Das Herzstück der Formgebung ist eine Vorrichtung, die wir im Handwerk schlicht „Lehre“ nennen. Stellt euch das wie ein extrem stabiles, dreidimensionales Skelett oder eine Negativform des Stuhls vor. Diese Lehre wird oft aufwendig aus massivem Stahl gefräst und muss absolut maßhaltig sein. An ihr werden die zugeschnittenen Blechteile fixiert, ausgerichtet und dann Schritt für Schritt in Form gebracht und später verschweißt.

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Die Biegungen selbst entstehen durch eine Kombination aus maschinellem Pressbiegen für die scharfen Kanten und manuellem Walzen für die sanften Rundungen. Das erfordert unglaublich viel Fingerspitzengefühl. Ein Hauch zu viel Druck auf der Walze, und die Krümmung ist zu stark. Das Bauteil ist dann Ausschuss. Man spürt förmlich, wie das Material unter der Spannung arbeitet.

Schritt 3: Das Schweißen – Die absolute Königsdisziplin

Wenn alle Teile ihre Form haben und in der Lehre eingespannt sind, kommt der kritischste aller Schritte: das Verschweißen zu einem einzigen Körper. Für eine makellose, später unsichtbare Verbindung gibt es nur eine vernünftige Methode: das WIG-Schweißen.

Beim WIG-Schweißen führt der Schweißer den Schweißdraht per Hand zu. Das ermöglicht extrem saubere, feine Nähte fast ohne Spritzer. Die große Herausforderung ist der Schweißverzug. Edelstahl leitet Wärme schlecht, die Hitze staut sich und die gewaltigen Kräfte beim Abkühlen können das ganze Bauteil verziehen. Ein guter Schweißer kämpft permanent dagegen an – durch eine spezielle Schweißreihenfolge, kurze „Pilgerschritte“ und gezielte Pausen zum Abkühlen. Die massive Lehre hilft dabei, alles in Position zu halten.

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Ein kleiner Trick der Profis, den man am Ende nicht sieht: Man muss auch die Innenseite des Hohlkörpers mit Schutzgas fluten. Ansonsten würde die Naht von innen oxidieren und ihre Stabilität verlieren. Ein verstecktes Qualitätsmerkmal!

Das Finish: Hunderte Stunden für den perfekten Spiegelglanz

Nach dem Schweißen ist die Form zwar fertig, aber der Stuhl sieht noch ziemlich wild aus. Die Schweißnähte sind sichtbar, die Oberfläche ist matt. Jetzt beginnt der wohl zeitaufwendigste und körperlich anstrengendste Teil: das Schleifen und Polieren.

Dieser Prozess hat viele, viele Stufen. Und keine darf übersprungen werden. Jede Stufe muss die Spuren der vorherigen komplett beseitigen.

Man beginnt mit grobem Schleifpapier (Körnung 80), um die Schweißnähte plan zu schleifen, und arbeitet sich dann hoch: 120, 240, 400, 800, 1200, manchmal bis 2000. Aus Erfahrung kann ich sagen: Das ist eine Wissenschaft für sich. Ich hatte mal einen Azubi, der dachte, er sei clever und ist von Körnung 120 direkt auf 400 gesprungen, um Zeit zu sparen. Tja, das Ende vom Lied? Er durfte drei Stunden extra schuften, um die tiefen Riefen wieder rauszubekommen. Glaubt mir, den Fehler hat er nie wieder gemacht!

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Erst danach beginnt das eigentliche Polieren mit speziellen Pasten und Stoffscheiben. Von Vorpolitur über Hauptpolitur bis zur Hochglanzpolitur. Der ganze Prozess des Schleifens und Polierens kann bei so einem komplexen Stuhl locker 100 bis 200 Arbeitsstunden fressen. Rechnet man das ganze Projekt zusammen, reden wir hier über 250 bis 300 Mannstunden. Mindestens.

Am Ende dieser schmutzigen, lauten und anstrengenden Arbeit steht dann eine Oberfläche, die so perfekt spiegelt, dass man sich darin rasieren könnte.

Sicherheit und Realität: Was man nicht vergessen darf

Als Meister fühle ich mich verpflichtet, das zu sagen: Das hier ist nichts für die heimische Garage. Die UV-Strahlung beim Schweißen kann die Augen verblitzen, der feine Edelstahlstaub beim Schleifen ist lungengängig (FFP3-Maske ist Pflicht!), und die rotierenden Poliermaschinen haben eine enorme Kraft.

Ach ja, und das Gewicht: So ein massiver Edelstahlstuhl wiegt locker 30 bis 40 Kilo. Das sind fast zwei Kisten Bier, die man da bei jedem Arbeitsschritt wuchtet. Sicherheit und der richtige Umgang mit dem Material sind hier keine Option, sondern die Basis von allem.

Ein Designobjekt im Alltag: Schönheit hat ihren Preis

Seien wir mal ehrlich: So ein Stuhl ist eine Skulptur, auf der man sitzen kann, kein gemütlicher Fernsehsessel. Sein Zweck ist es, ein Statement zu sein. Ein Statement über Design, Material und Handwerkskunst. Der finale Preis für so ein Objekt spiegelt das wider und bewegt sich schnell im fünfstelligen Bereich – absolut gerechtfertigt, wenn man den Aufwand kennt.

Und die Pflege? Jeder Fingerabdruck ist sofort sichtbar. Scheuermittel sind der absolute Tod für die Oberfläche. Kleiner Profi-Tipp, der auch für eure Edelstahl-Spüle in der Küche Gold wert ist: Immer mit einem weichen Mikrofasertuch und einem milden Reiniger arbeiten. Und ganz wichtig: Immer in Richtung der sichtbaren Schliffmaserung wischen (falls vorhanden), niemals quer dazu. Das vermeidet feine Kratzer.

Und was wäre mit anderen Materialien?

Kurz gesagt: Es wäre einfach nicht dasselbe.

  • Aluminium wäre leichter und ließe sich auch polieren, aber der Glanz ist kühler, weißlicher. Vor allem ist es viel weicher und würde sofort Dellen und Kratzer bekommen.
  • Normaler Stahl, pulverbeschichtet wäre in der Herstellung um ein Vielfaches günstiger und sehr robust. Aber man würde die Seele des Materials verlieren. Der metallische Charakter, der spiegelnde Glanz, das schwere, wertige Gefühl – all das wäre weg.

Die Wahl für polierten Edelstahl war also eine bewusste Entscheidung für maximale Wirkung und Wertigkeit, allen Herstellungshürden zum Trotz.

Was wir davon lernen können

Objekte wie dieses sind für uns im Handwerk wie Leuchttürme. Sie zeigen, was möglich ist und spornen uns an. Sie sind der perfekte Beweis, dass eine kühne Design-Vision nur dann Realität wird, wenn sie auf das tiefe Materialverständnis und die Fertigkeiten von Meisterhandwerkern trifft.

Es ist ein Dialog. Der Designer träumt, der Handwerker prüft die Machbarkeit und findet die Wege. Und am Ende beweist es vor allem eines: Selbst im Zeitalter digitaler Entwürfe machen die ruhige Hand, das geschulte Auge und die pure Erfahrung immer noch den Unterschied zwischen „gut gemacht“ und „absolut brillant“.