Solarziegel: Schön, teuer und kompliziert? Die ungeschminkte Wahrheit vom Dach-Profi

von Augustine Schneider
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Hey, ich steh jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit auf den Dächern dieses Landes. In all den Jahren hab ich so ziemlich alles gesehen: traditionellen Schiefer, unzählige Dächer mit Ton- und Betondachsteinen eingedeckt und die Entwicklung neuer Materialien hautnah miterlebt. Irgendwann kamen die ersten Kunden mit leuchtenden Augen zu mir. Sie hatten von dieser neuen, fast magischen Idee gehört: Dachziegel, die Strom erzeugen. Klingt ja auch erstmal genial, oder? Ein Dach, das nicht nur trocken hält, sondern auch die Stromrechnung schrumpfen lässt und dabei noch richtig elegant aussieht.

Heute sind Solar- und Glasdachziegel keine Utopie mehr. Man kann sie kaufen und verbauen. Aber, und das ist ein großes Aber: Die Hochglanzprospekte der Hersteller erzählen dir nur die halbe Wahrheit. Meine Aufgabe als Profi, der das Zeug schon in den Händen hatte und verbaut hat, ist es, dir auch die andere Hälfte zu zeigen. Die ehrliche, ungeschminkte Seite, die man nur durch Schweiß und ein paar graue Haare lernt. Also, schnall dich an, wir schauen uns jetzt mal an, was wirklich hinter der Technik steckt und für wen sich die Investition lohnt – oder eben nicht.

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Die Basics: Was sind das für Dinger überhaupt?

Wenn Leute von „Solarziegeln“ reden, meinen sie oft zwei völlig unterschiedliche Systeme. Es ist super wichtig, den Unterschied zu kennen, denn davon hängen Funktion, Kosten und potenzielle Probleme ab.

System 1: Der Glasziegel mit „verstecktem“ Solarmodul

Dieses System ist ziemlich clever gedacht. Stell dir einen ganz normalen Dachziegel vor, aber eben aus extrem stabilem, durchsichtigem Glas. Dieser Glasziegel selbst macht absolut nichts, außer das Dach dichtzuhalten und Licht durchzulassen. Der Trick passiert darunter: Auf der Dachlattung wird ein kleines, flaches Solarmodul montiert. Das Licht knallt also durch den Glasziegel direkt auf die Solarzelle. Man kann sich das wie ein kleines Gewächshaus für jede einzelne Zelle vorstellen. Der große Pluspunkt ist klar die Optik, die einem modern glasierten Ziegeldach sehr nahekommt.

System 2: Der „All-in-One“-Solarziegel

Hier ist die Photovoltaik-Technik direkt im Dachziegel verbaut. Der Ziegel selbst besteht aus einem Trägermaterial, oft Ton, und hat kleine Solarzellen quasi in die Oberfläche eingelassen und versiegelt. Jeder dieser Ziegel ist ein winziges Kraftwerk für sich. Er wird wie ein normaler Ziegel verlegt, hat aber auf der Unterseite zwei kleine Kabel mit Steckern. Bei der Montage wird Ziegel für Ziegel miteinander verbunden, bis eine große stromproduzierende Fläche entsteht. Der Vorteil: Die Technik bildet eine feste Einheit, was die Handhabung auf dem Dach etwas anders gestaltet.

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Beide Systeme wollen das Gleiche: Die oft als klobig empfundenen, aufgesetzten Photovoltaik-Anlagen überflüssig machen. Ganz ehrlich, bei denkmalgeschützten Häusern oder in Baugebieten mit strengen Vorschriften sind sie oft die einzige genehmigte Möglichkeit, überhaupt an Sonnenstrom zu kommen. Aber diese schicke Optik hat ihren Preis, und der wird nicht nur in Euro bezahlt.

Warum ein Solarziegel kein Solarmodul ist (und warum das wichtig ist)

Keine Sorge, das wird jetzt keine Physik-Vorlesung. Aber ein paar Grundlagen musst du kennen, um nicht auf leere Versprechungen hereinzufallen.

Das Problem mit der Hitze

Eine Solarzelle hasst Hitze. Klingt komisch, ist aber so. Sie arbeitet am besten, wenn sie schön kühl ist. Die Nennleistung, die immer so toll in den Prospekten steht, wird bei kühlen 25 °C gemessen. An einem sonnigen Sommertag kann ein Dach aber locker 70 °C oder sogar 80 °C heiß werden. Pro Grad über 25 °C verliert eine Zelle an Leistung, oft so um die 0,3 % bis 0,4 %. Das summiert sich schnell auf einen Leistungsverlust von 20 % an einem heißen Tag!

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Und genau hier liegt die größte Schwäche des Glasdachziegels. Durch den Gewächshauseffekt heizt sich die Luft unter dem Glas brutal auf. Die Hitze staut sich und kann kaum entweichen. Das Solarmodul darunter wird also viel, viel heißer als eine normale Solarzelle, die vom Wind gekühlt wird. Das führt unweigerlich zu weniger Stromausbeute.

Die heilige Hinterlüftung

Jeder gute Dachdecker wird dir bestätigen: Ein Dach muss atmen. Wir sorgen mit einer Konterlattung immer für einen Luftspalt unter den Ziegeln. Diese Hinterlüftung ist die Klimaanlage des Daches – sie transportiert Feuchtigkeit und Stauwärme ab. Bei einem Solarziegeldach ist diese Hinterlüftung nicht nur wichtig, sie ist ABSOLUT KRITISCH. Der Luftstrom ist die einzige Chance, die heiße Luft abzuführen. Wird hier bei der Planung oder Ausführung geschlampt, ruiniert das die Leistung der gesamten Anlage. Punkt.

Leistung pro Quadratmeter: Die ehrliche Rechnung

Hersteller werben mit der schönen Optik, über die geringere Effizienz spricht man leiser. Eine moderne, klassische PV-Anlage schafft heute locker 210 bis 230 Watt-Peak (Wp) pro Quadratmeter. Bei Solarziegeln, egal welches System, liegst du durch die Abstände zwischen den Zellen und die Hitzeproblematik eher bei 100 bis 150 Wp pro Quadratmeter. Heißt im Klartext: Für die gleiche Gesamtleistung brauchst du eine deutlich größere Dachfläche.

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Die Montage: Ein Tanz zwischen Dachdecker und Elektriker

Eines vorweg: Das Verlegen von Solarziegeln ist NIEMALS ein Heimwerkerprojekt. Hier müssen zwei Profis Hand in Hand arbeiten. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Wenn die Abstimmung hier nicht passt, ist teurer Ärger vorprogrammiert.

Ich erinnere mich an ein Projekt, da hat uns der Bauherr den Elektriker selbst organisiert, um ein paar Euro zu sparen. Der kam dann drei Tage zu spät, unser Zeitplan war im Eimer und am Ende passten seine Kabel nicht mal zu den Steckern unserer Ziegel. Ein teures Chaos. Seitdem sage ich jedem: Lasst das nur ein eingespieltes Team machen!

Die Verkabelung ist die eigentliche Herausforderung. Stell dir mal ein Dach mit 500 Solarziegeln vor. Das sind bis zu 1.000 Steckverbindungen, die alle unter den Ziegeln im Dunkeln perfekt sitzen müssen. Eine lockere Verbindung ist eine massive Brandgefahr. Wusstest du schon? Eine klassische PV-Anlage mit 20 Modulen hat oft weniger als 50 solcher Steckverbindungen. Das Risiko bei Solarziegeln ist also rein statistisch schon viel höher.

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Ach ja, und weil jeder einzelne Ziegel (oder kleine Gruppen) für sich arbeitet, kann schon der Schatten von einem kleinen Ast auf einem Ziegel die Leistung eines ganzen Bereichs runterziehen. Deshalb sind fast immer teurere Leistungsoptimierer oder Mikrowechselrichter nötig, die diesen Effekt ausgleichen. Das ist ein versteckter Kostenfaktor, den dir nicht jeder gleich auf die Nase bindet.

Der knallharte Vergleich: Solarziegel vs. Klassische PV-Anlage

Reden wir Tacheles. Ein Dach ist eine riesige Investition. Da musst du die Fakten kennen.

  • Kosten: Machen wir’s kurz: Ein Solarziegeldach ist dramatisch teurer. Rechne mit dem 1,5- bis 2,5-fachen Preis pro installiertem Kilowatt-Peak (kWp). Ein neues Dach (ca. 30.000 €) plus eine 10-kWp-Aufdachanlage (ca. 15.000 €) kostet dich am Ende vielleicht 45.000 €. Ein Solarziegeldach mit derselben Leistung kann schnell bei 60.000 € oder mehr liegen.
  • Effizienz: Wie gesagt, eine klassische Anlage holt mehr Strom vom Dach. Punkt. Pro Quadratmeter hast du einfach mehr Power.
  • Reparaturaufwand: Das ist für mich die Achillesferse. Fällt nach 12 Jahren ein einzelner Ziegel aus, beginnt der Albtraum. Erst den Fehler finden, dann muss der Dachdecker kommen und alles abdecken, der Elektriker trennt die brandgefährliche Gleichstromverkabelung, Ziegel tauschen, alles wieder drauf… Ein riesiger, teurer Aufwand. Bei einer Aufdachanlage schraubt man ein Modul ab und ein neues an. Fertig in zwei Stunden.
  • Garantie & Ersatzteile: Was passiert, wenn es den Hersteller deines Ziegels in 10 Jahren nicht mehr gibt? Woher bekommst du Ersatz? Das ist ein gigantisches, oft ungelöstes Problem. Achte genau auf die Garantien: Wie lange auf den Ziegel selbst (Dichtheit) und wie lange auf die Elektronik? Das sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe.
  • Optik: Hier, und nur hier, gewinnt der Solarziegel auf ganzer Linie. Es sieht einfach unschlagbar gut aus.

Gut zu wissen: Vergiss die Nebenkosten nicht! Oft brauchst du ein sogenanntes „regensicheres Unterdach“, das sind spezielle, verklebte Bahnen. Rechne hier mit 15 € bis 25 € extra pro Quadratmeter. Und da das Dach schwerer wird, muss oft ein Statiker den Dachstuhl prüfen – das kostet dich auch schnell mal 500 € bis 1.000 € extra.

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Deine Checkliste für’s Beratungsgespräch

Bevor du auch nur irgendwas unterschreibst, stell dem Handwerker diese Fragen. Die Antworten werden dir alles verraten:

  1. Die Killerfrage zuerst: „Wie viele Dächer mit genau diesem System haben Sie schon gebaut und kann ich eine Referenz anrufen?“ Die Antwort entlarvt jeden Blender.
  2. „Wie stellen Sie die Ersatzteilversorgung in 15 Jahren sicher? Gibt es eine vertragliche Zusage?“
  3. „Zeigen Sie mir bitte den detaillierten Plan für die Hinterlüftung. Wie groß ist der Lüftungsquerschnitt?“
  4. „Arbeiten Sie mit einem festen Elektriker-Partner zusammen, der auf dieses System spezialisiert ist?“
  5. „Welche Leistungsoptimierer werden verbaut und was kosten diese extra?“
  6. „Können Sie mir eine Vergleichsrechnung zu einem normalen Dach mit einer Aufdachanlage aufstellen?“

Ein kleiner Tipp noch: Such nicht nur nach „Dachdecker“, sondern gezielt nach Fachbetrieben, die vom Hersteller des Solarziegels zertifiziert sind. Die haben oft die meiste Ahnung.

Mein Fazit als Profi, der schon alles gesehen hat

Solarziegel sind eine faszinierende Nischentechnologie. Sie sind perfekt für Bauherren, bei denen die Ästhetik an allererster Stelle steht und das Budget eher zweitrangig ist. Die absolute Domäne ist der Denkmalschutz, wo normale Anlagen oft verboten sind.

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Für alle anderen, deren Hauptziel eine maximale Stromausbeute und eine vernünftige Amortisation ist, lautet meine ehrliche Empfehlung: Lasst die Finger davon. Eine gute, moderne Aufdachanlage ist fast immer wirtschaftlicher, leistungsfähiger und im Schadensfall unkomplizierter.

Lass dich nicht von schönen Bildern blenden. Du kaufst dir die tolle Optik mit höheren Kosten, geringerer Effizienz und einem echten Kopfschmerz-Potenzial bei der Wartung. Ein gutes Dach soll dein Haus für Jahrzehnte schützen. Diese Entscheidung muss auf einer soliden, ehrlichen Grundlage getroffen werden – und die Qualität der Handwerker ist am Ende wichtiger als jedes Hochglanzversprechen.

Augustine Schneider

Augustine ist eine offene und wissenshungrige Person, die ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie hat ihren ersten Studienabschluss in Journalistik an der Uni Berlin erfolgreich absolviert. Ihr Interesse und Leidenschaft für digitale Medien und Kommunikation haben sie motiviert und sie hat ihr Masterstudium im Bereich Media, Interkulturelle Kommunikation und Journalistik wieder an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Ihre Praktika in London und Brighton haben ihren beruflichen Werdegang sowie ihre Weltanschauung noch mehr bereichert und erweitert. Die nachfolgenden Jahre hat sie sich dem kreativen Schreiben als freiberufliche Online-Autorin sowie der Arbeit als PR-Referentin gewidmet. Zum Glück hat sie den Weg zu unserer Freshideen-Redation gefunden und ist zurzeit ein wertvolles Mitglied in unserem motivierten Team. Ihre Freizeit verbringt sie gerne auf Reisen oder beim Wandern in den Bergen. Ihre kreative Seele schöpft dadurch immer wieder neue Inspiration und findet die nötige Portion innerer Ruhe und Freiheit.